OGH 8ObS147/98w

OGH8ObS147/98w8.7.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Stefan Schöller und Dr. Peter Bukovec als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Inge H*****, Kellnerin, ***** vertreten durch Dr. Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Bundessozialamt Tirol, Innsbruck, Herzog-Friedrich-Straße 3, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld S 6.626,57 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. April 1998, GZ 25 Rs 18/98b-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. November 1997, GZ 47 Cgs 215/97i-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil erster Instanz wiederhergestellt wird.

Die Klägerin hat ihre Verfahrenskosten und die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 19. 1. 1996 bis etwa 25. 3. 1996 als Kellnerin bei der Firma Harald D***** GmbH beschäftigt, wobei das Arbeitsverhältnis "durch Saisonschluß" geendet hat. Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. 2. 1996, 19 S 41/96v, wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin der Konkurs eröffnet.

Harald D*****, der ehemalige Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin, legte der Klägerin das Formular eines Antrages auf Insolvenz-Ausfallgeld vor. Dieses Formblatt wurde von der Klägerin am 1. 4. 1996 lediglich unterfertigt, jedoch nicht ausgefüllt. Harald D***** sprach möglicherweise bereits im April 1996, jedenfalls aber innerhalb einer Frist von 6 Monaten gerechnet ab der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Firma Harald D***** GmbH, in der Dienststelle der beklagten Partei vor. Die von ihm mitgeführten Antragsformulare waren unvollständig ausgefüllt. So schien auf den Antragsformularen nur der Name des Antragstellers samt Anschrift, nicht jedoch der Name des Arbeitgebers auf. Auch fehlte die Betragsangabe sowie die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren. Harald Deisenberger wurde daher von Rudolf S*****, einem Bediensteten des Bundessolzialamtes Tirol, einerseits darüber belehrt, daß er als Geschäftsführer keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld habe, und andererseits auf die oben angeführten Mängel, mit denen die Anträge behaftet waren, hingewiesen. Rudolf S***** belehrte Harald D***** darüber, daß ein Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld ohne Forderungsanmeldung nicht gestellt werden könne und wies ihn weiters auf die sechsmonatige Antragsfrist hin. Harald D***** nahm sodann sämtliche Antragsformulare, die weder bearbeitungs- noch entscheidungsreife Anträge enthielten, wieder mit.

Nachdem die Klägerin drei Monate nach der Antragsunterfertigung noch immer kein Insolvenz-Ausfallgeld erhalten hatte, sprach sie Harald D***** mehrfach auf diesen Umstand an.

Innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 6 Abs 1 IESG hat die Klägerin bei der beklagten Partei keinen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld gestellt. Erst am 26. 9. 1996 langte bei der beklagten Partei der am 1. 4. 1996 von der Klägerin unterfertigte und mittlerweile ordnungsgemäß ausgefüllte Antrag ein, womit die Klägerin gestützt auf den oben zitierten Konkurseröffnungsbeschluß die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für behauptete gesicherte Ansprüche aus ihrem in der Zeit vom 19. 1. bis 8. 2. 1996 bestandenen Arbeitsverhältnis als Kellnerin mit Inkasso im Betrieb der Gemeinschuldnerin in dem der Höhe nach außer Streit gestellten Betrag von netto S 6.626,57 (Lohn vom 1. 2. bis 8. 2. 1996 S 3.806,52; Sonderzahlung S 1.493,71; Urlaubsabfindung S 1.326,34) begehrte.

Im Verfahren 19 S 41/96v des Landesgerichtes Innsbruck meldete die Klägerin ihre Ansprüche im Ausmaß von S 6.627,-- erst mit Schriftsatz vom 2. 12. 1996 an.

Mit der beklagten Partei setzte sich die Klägerin erst nach dem 26. 9. 1996 persönlich in Verbindung und erhielt die Auskunft, daß sie den Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld verspätet gestellt habe.

Mit Bescheid vom 23. 7. 1997, AZ 702/46/4/96, wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 26. 9. 1996 auf Insolvenz-Ausfallgeld mangels Vorliegens berücksichtigungswürdiger Umstände im Sinne des § 6 Abs 1 IESG als verfristet ab.

Gegen diesen Bescheid wandte sich die Klägerin mit ihrer (rechtzeitig) eingebrachten Klage und beantragte den Zuspruch von Insolvenz-Ausfallgeld mit dem Vorbringen, die Klägerin habe annehmen dürfen, der Geschäftsführer der beklagten Partei habe den Antrag rechtzeitig gestellt; es lägen berücksichtigungswürdige Gründe für ihren verspäteten Antrag vor.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, sie habe von der Konkurseröffnung Kenntnis gehabt, sodaß ihr eine rechtzeitige Antragstellung möglich gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren aufgrund des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes ab und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die 6-monatige Antragsfrist sei am 9. 8. 1996 abgelaufen; der Antrag der Klägerin sei verspätet am 26. 9. 1996 eingelangt. Bei der Prüfung des Vorliegens berücksichtigungswürdiger Gründe im Sinne der Härteklausel gemäß § 6 Abs 1 IESG sei davon auszugehen, daß die Klägerin jedenfalls innerhalb der 6-monatigen Antragsfrist von der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen ihrer Dienstgeberin Kenntnis gehabt habe und ihr die Angabe des Betrages der Forderung rechtzeitig möglich gewesen wäre. Die Klägerin habe die Fristversäumnis selbst zu vertreten, weil sie eine ihr nach Lage des Falles jedenfalls zumutbare Verfolgung ihrer Ansprüche unterlassen habe. Insbesondere hätte sie sich auf die bloße Auskunft ihres Arbeitgebers, das Geld würde in etwa in drei Monaten kommen, nicht verlassen dürfen, sondern selbst entsprechende Schritte setzen müssen. Somit sei das Vorliegen berücksichtigungswürdiger Gründe für die Nachsicht von den Rechtsfolgen der Fristversäumnis zu verneinen, sodaß das Klagebegehren abzuweisen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge; es änderte das Urteil erster Instanz ab und gab dem Klagebegehren statt. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, daß zwar dem Geschäftsführer der insolventen Arbeitgeberin der Klägerin der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen sei. Auch als rechtlich Unerfahrener habe er nicht annehmen können, er hätte für die Klägerin mündlich einen fristwahrenden Antrag gestellt, zumal ihm einerseits die Anträge ob der diesen anhaftenden inhaltlichen Mängeln sogleich retourniert wurden und er andererseits in diesem Zusammenhang über die Frist zur Antragstellung ausdrücklich belehrt worden sei. Insofern stelle die Unterlassung der Einbringung ordnungsgemäßer Anträge innerhalb der Frist von 6 Monaten durch den ehemaligen Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin ein grob fahrlässiges Versehen dar. Da zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin ein Bevollmächtigungsvertrag nicht vorgelegen habe, müsse sich die Klägerin im Sinne der Rechtsprechung jedoch nicht das grob fahrlässige Verhalten des ehemaligen Geschäftsführers ihrer Arbeitgeberin anrechnen lassen.

Der Klägerin könne nicht der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht werden, zumal sich im Verfahren kein Anhaltspunkt dafür ergeben habe, daß sie sich zur Besorgung ihrer Angelegenheiten einer offensichtlich unfähigen oder untüchtigen Person bedient hätte. Die für die Klägerin nicht erkennbare Vorgangsweise des ehemaligen Geschäftsführers ihrer Arbeitgeberin stellten berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des § 6 Abs 1 IESG dar.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, da das Vorliegen berücksichtigungswürdiger Gründe für die Nachsicht der Fristversäumnis keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 IESG sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, sie zuzulassen und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, daß auch Vollmachten schlüssig erteilt werden können und dem Machtgeber das Verhalten des Machthabers zuzurechnen sei bzw der Klägerin der Vorwurf eines groben Verschuldens bei der Auswahl ihres Vertreters zu machen sei.

Die Revision ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der Rechtsprechung kann eine Vollmacht auch schlüssig erteilt werden (MietSlg 36.092; RdW 1992, 211), sodaß der Vorgang, mit dem die Klägerin den von ihr unterfertigten Antrag - in Kenntnis der Konkurseröffnung über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin - dem Geschäftsführer derselben zur Weiterleitung an die beklagte Partei übergab als schlüssiger Auftrag und Vollmachtserteilung zu beurteilen ist. Die Klägerin muß sich das grobe Verschulden ihres Beauftragten, der sich trotz der Belehrung über die zu verbessernden Mängel des Antrages nicht weiter kümmerte, ebenso zurechnen lassen, wie das grobe Verschulden eines von ihr mit der Vertretung ihrer Angelegenheiten beauftragten Rechtsanwaltes (9 ObS 17/89; 9 ObS 20/89; 8 ObS 19/94 ua; Liebeg IESG2 230 f).

Auch wenn die Zurechnung des Verschuldens ihres Vertreters in Zweifel gezogen werden sollte, so ist der Klägerin auch selbst ein grobes Verschulden zum Vorwurf zu machen. In geschäftlichen Belangen hat sich der Geschäftsführer im Hinblick auf die Konkurseröffnung über das Vermögen der von ihm vertretenen Gesellschaft nicht als besonders vertrauenserweckend erwiesen; überdies hätte sich die Klägerin mit den Vertröstungen durch den Geschäftsführer der ehemaligen Arbeitgeberin, warum das Insolvenz-Ausfallgeld nach rund drei Monaten noch nicht ausbezahlt worden sei, nicht zufriedengeben dürfen und sich selbst rechtzeitig um ihren Antrag kümmern müssen. Wenn sie dies unterlassen hat, trifft sie, wie das Erstgericht schon zutreffend ausgeführt hat, der Vorwurf auffallender Sorglosigkeit, wodurch die Nachsicht ihrer Fristversäumnis ausgeschlossen wird.

Somit war das Urteil erster Instanz wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG; Billigkeitsgründe, weshalb ein Kostenzuspruch trotz des Unterliegens der Klägerin geboten wäre, sind nicht erkennbar.

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