OGH 8ObS19/94

OGH8ObS19/9415.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic, sowie die fachkundigen Laienrichter Hofrat Robert List und Dipl.Ing.Walter Holzer als Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christian L*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr.Peter H*****, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr.Aldo Frischenschlager und Dr.Dieter Gallistl, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Ried, Ried, Peter-Rosegger-Straße 27, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 222.471,30 S sA Insolvenzausfallgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Juni 1994, GZ 12 Rs 55/94-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 8.März 1994, GZ 4 Cgs 25/93z-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil zu lauten hat: "Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen einen Nettobetrag von 222.471,30 S Insolvenzausfallgeld zu bezahlen."

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 9.523,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.587,30 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1.Mai 1988 bis 31.Juli 1991 in der Firma seines Bruders Ing.Wolfgang L***** als Elektroinstallateur beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung. Mit Beschluß des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 6.August 1992 wurde zu S 22/92 über das Vermögen der Firma Ing.L***** das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluß vom 26.Jänner 1993 wurde der am 16.Dezember 1992 abgeschlossene Zwangsausgleich bestätigt. Der Kläger hat die gerichtliche Anmeldung seiner Forderungen aus dem Dienstverhältnis im Konkursverfahren S 22/92 des KG Ried im Innkreis selbst vorgenommen. Die Forderungen des Klägers wurden im Konkursverfahren zunächst vom Masseverwalter bestritten, anläßlich der Prüfungstagsatzung vom 16. Dezember 1992 wurde die Bestreitung vom Masseverwalter zurückgenommen.

Am 17.Dezember 1992, somit nach Ablauf der Frist des § 6 Abs 1 IESG, hat der Kläger einen Antrag auf Insolvenzausfallgeld gemeinsam mit einem Antrag auf Nachsichtgewährung bei der beklagten Partei für die Ansprüche von insgesamt 281.673,-- S angemeldet. Aus dem Zwangsausgleich hat der Kläger 20 % der angemeldeten Forderung, somit einen Betrag von 59.201,70 S, ausbezahlt erhalten. Das nunmehrige Klagebegehren steht mit einem Nettobetrag von 222.471,30 S der Höhe nach außer Streit.

Die beklagte Partei hat mit Bescheid vom 19.Jänner 1993 nach Anhörung des Vermittlungsausschusses die geltend gemachten Forderungen im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Antrag sei verspätet eingebracht worden und es lägen keine berücksichtigungswürdigen Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen der Fristversäumung vor.

Gegen den vorgenannten Bescheid richtet sich die vorliegende Klage auf Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld mit der Begründung, es lägen berücksichtigungswürdige Gründe vor, die eine Nachsicht der Fristversäumung gestatteten.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens wegen verspäteter Geltendmachung des Anspruches auf Insolvenzausfallgeld.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang ab; es ging von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Am 19.Oktober 1992 sprach Leopoldine L*****, die Mutter des Klägers, erstmals bei der Arbeiterkammer Linz vor, sie deponierte Unterlagen und füllte gemeinsam mit einem Angestellten der Arbeiterkammer die entsprechenden Formulare für die Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld aus. Diese Formulare hat Leopoldine L***** nach Unterfertigung durch den Kläger am 21.Oktober 1992 bei der Arbeiterkammer in Linz abgegeben und war nunmehr der Meinung, daß durch die rechtzeitige Übergabe der Unterlagen an die Arbeiterkammer Linz alle Voraussetzungen für die Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld gegeben seien.

Am 30.November 1992 mußte der Kläger das Kündigungsschreiben seines Bruders an die Arbeiterkammer nachreichen. Zu diesem Zeitpunkt war ein Großteil der Forderungen des Klägers vom Masseverwalter bestritten worden. Aus diesem Grund wurde die Angelegenheit vom Insolvenzreferat der Arbeiterkammer Linz an die Abteilung Arbeitsrecht zur weiteren Rechtsvertretung übermittelt.

Die Arbeitsrechtsabteilung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich in Linz ist in vier Einheiten gegliedert, nämlich Arbeitsrecht, Insolvenz, Arbeitnehmerschutz und Lohnsteuer. Die Arbeitsrechtsabteilung besteht aus 2 Gruppen zu je 6-7 Referenten. Dr.H***** gehört zur Gruppe 8; Vorsteher dieser Gruppe ist Dr.K*****, Leiter der gesamten Arbeitsrechtsabteilung ist Dr.E*****.

Die Zuteilung der Akte an die einzelnen Referenten - hier der Gruppe B - erfolgt durch Dr.K*****, der vorerst den Akt einer ersten Prüfung bzw Vorprüfung unterzieht. Die zugeteilten Akte werden in die jeweiligen Fächer der Referenten gelegt. Ein eigenes Fach für Fristsachen gibt es nicht.

Ist eine Frist zu wahren - ausgenommen die Rechtsmittelfristen - so teilt dies Dr.K***** Brigitte M***** mit, die ihrerseits den Referenten bei Übergabe des Aktes ausdrücklich darauf aufmerksam macht. Ein eigener Fristvermerk am oder im Akt durch Dr.K***** bzw Brigitte M***** wird nicht gemacht. Für Rechtsmittelfristen gibt es ein eigenes Terminbuch.

Brigitte M***** ist seit 1984 Sekretärin in der Arbeitsrechtseinheit. Bislang hat sie - in den Angelegenheiten mit Fristen - noch keine Fehler gemacht.

Typisch- und üblicherweise werden Anträge auf Insolvenzausfallgeld durch die Insolvenzeinheit der Kammer für Arbeiter und Angestellte gestellt. Nur in den Fällen, in denen Dienstnehmerforderungen vom Masseverwalter bestritten werden und es zu Bestreitungsprozessen kommt, gehen die Akte aus der Insolvenzgruppe in die Arbeitsrechtsgruppe. Die entsprechenden Forderungsanmeldungen im Konkurs sowie die Anträge auf Insolvenzausfallgeld werden aber auch in Bestreitungsfällen üblicherweise von der Insolvenzeinheit gestellt.

Die Insolvenzeinheit hat Ende November 1992 die Abtretung des vorliegenden Aktes an die Arbeitsrechtseinheit veranlaßt. Weil noch kein Antrag auf Insolvenzausfallgeld gestellt worden war, hat die Insolvenzeinheit einen handgeschriebenen Zettel mit dem Hinweis auf den bevorstehenden Fristenablauf beigefügt. Der zuständige Gruppenleiter Dr.K***** hat den Akt am 1.Dezember 1992 einer Vorprüfung unterzogen und ihn an den Referenten Dr.H***** zugeteilt. Er hat ausdrücklich Brigitte M***** aufgetragen, Dr.H***** auf den baldigen Fristenablauf aufmerksam zu machen.

Dr.H***** hatte am 1. und 2.Dezember in Linz eine Laienrichterschulung abzuhalten. Diese dauerte jeweils von 8.30 Uhr bis 16.00 Uhr. Schon vor Beginn - etwa am 7.15 Uhr - war Dr.H***** jedoch im Büro der Kammer für Arbeiter und Angestellte.

Am 3. und 4.Dezember 1992 (Donnerstag und Freitag) war Dr.H***** auf einem ganztägigen Seminar in St.Gilgen. Am Freitag, dem 4.Dezember 1992, kehrte er gegen Mittag in sein Büro in die Kammer für Arbeiter und Angestellte zurück. Am 7.Dezember 1992 (Montag, einem Zwickeltag), hatte er Zeitausgleich vereinbart.

Diese Termine waren Dr.K***** bekannt. Brigitte M***** hatte vergessen, Dr.H***** auf den unmittelbar bevorstehenden Fristenablauf aufmerksam zu machen. Ein derartiger Fehler ist ihr in dieser Form das erste Mal passiert. Eine derartige Fristenversäumnis ist in der Arbeitsrechtsabteilung der Kammer für Arbeiter und Angestellte ebenfalls erstmals passiert.

Erstmals hat Dr.H***** den Akt am 1. oder 2.Dezember oder am 9. Dezember gesehen. Daß die Antragsfrist bereits abgelaufen ist, hat Dr.H***** erstmals am 14. oder 15.Dezember 1991 (richtig: 1992) bemerkt, als er sich auf die am 16.12.1992 anberaumte Zwangsausgleichtagsatzung vorbereitet hat.

Aufgrund des durch das Arbeiterkammergesetz normierten allgemeinen Rechtsschutzes für Arbeitnehmer war der Arbeitsanfall und die Arbeitsbelastung auch in der Kammer für Arbeiter und Angestellte in Linz enorm gestiegen. Die Zahl der zu bearbeitenden Akte war von 515 (1991) auf 1.326 (1992) gestiegen. Dazu war auch ein Beratungszentrum eröffnet worden, womit zusätzlich eine Arbeitsbelastung verbunden war. Dadurch ergab sich auch für Brigitte M***** eine weitere Belastung, zumal sie nun teilweise auch eine Tätigkeit außer Haus im Beratungszentrum auszuüben hatte.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dem Kläger könne persönlich keine Nachlässigkeit in der Verfolgung seiner Ansprüche vorgeworfen werden. Bei der Beurteilung der Vorgangsweise der Rechtsvertretung des Klägers seien zwei Komponenten zu berücksichtigen. Der Sekretärin könne nur eine sehr geringe, jedenfalls einen minderen Grad des Versehens bildende Fahrlässigkeit angelastet werden. Diesbezüglich sei ein berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne des § 6 Abs 1 IESG gegeben. Zum anderen sei der Rechtsvertretung ein Organisationsmangel bei Behandlung fristgebundener Sachen vorzuwerfen. Dieses Verhalten könne nicht mehr als berücksichtigungswürdig im Sinne des IESG angesehen werden.

Das Berufungsgericht gab der gegen das erstgerichtliche Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es erklärte, es teile zwar die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Sekretärin der Arbeiterkammer Linz höchstens einen minderen Grad des Versehens zu verantworten habe, worin ein berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne der angeführten Gesetzesstelle liege, zumal die Sekretärin bisher verläßlich gearbeitet habe, ihr eine derartige Fehlleistung vorher noch nicht passiert und sie auch überlastet gewesen sei.

Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes könne man auch nicht von einem Organisationsverschulden der Arbeiterkammer Linz ausgehen, zumal es auch diesbezüglich bisher zu keinen Fehlleistungen gekommen sei und der Gruppenleiter die einlangenden Akten auf ihre Dringlichkeit hin ohnehin einer Vorprüfung unterzogen habe. Im Regelfall hätte daher eine Mitteilung des Gruppenleiters an die Sekretärin, den jeweiligen Referenten auf Fristen aufmerksam zu machen, genügt, ohne daß weitere organisatorische Vorkehrungen erforderlich gewesen wären. Im konkreten Fall allerdings seien jedoch mehrere "unglückliche" Umstände zusammengetroffen, die im Einzelfall den Gruppenleiter Dr.K***** doch hätten veranlassen müssen, besondere Vorkehrungen zur Fristwahrung zu treffen. Im Zeitpunkt der Zuteilung des Aktes am 1.Dezember 1992 sei die Antragsfrist "bis auf einige Tage" abgelaufen gewesen. Der Fall sei auch insofern außergewöhnlich gewesen, als abweichend von der "üblichen Routine" der Antrag beim Arbeitsamt nicht von der Abteilung Insolvenz gestellt, sondern die Sache an die Arbeitsrechtsabteilung ohne vorherige Antragstellung abgetreten worden sei. Dem Gruppenleiter sei bekannt gewesen, daß der von ihm als Referent eingeteilte Dr.H***** vom 1. bis 4.Dezember bzw am 7.Dezember 1992 beruflich bzw wegen der Inanspruchnahme von Zeitausgleich außer Haus sein würde und sich im Büro an den übrigen Tagen nur kurzfristig aufhalten werde. Überdies sei der Arbeitsanfall bei der Arbeiterkammer außergewöhnlich hoch gewesen. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen hätte sich der Gruppenleiter aber nicht mit einem Hinweis an die Sekretärin begnügen dürfen, sie solle Dr.H***** auf die Frist aufmerksam machen, sondern es wäre erforderlich gewesen, persönlich vor der Zuteilung des Aktes mit Dr.H***** Kontakt aufzunehmen, ihn auf die Frist aufmerksam zu machen und ihn zu befragen, ob er ungeachtet seiner häufigen Abwesenheiten vom Büro imstande sei, die Frist für die Antragstellung zu wahren. Falls die Kontaktaufnahme mit Dr.H***** nicht möglich gewesen wäre, wäre die Zuteilung an einen anderen Referenten erforderlich gewesen. Auch wenn Dr.K***** als sehr verantwortungsvoller Gruppenleiter bekannt sei und eine solche Fristversäumung bei der Arbeiterkammer Linz noch nicht vorgekommen sei, könne unter Bedachtnahme auf die Häufung der widrigen Umstände des besonderen Falles das Verhalten des Gruppenleiters nicht mehr als Versehen minderen Grades beurteilt und somit nicht das Vorliegen eines berücksichtigungswürdigen Umstandes im Sinne des § 6 Abs 1 IESG angenommen werden.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung abzuändern und dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben. Die Revisionswerberin bringt vor, weder dem Gruppenleiter noch dem Referenten oder der Sekretärin der den Kläger vertretenden Arbeiterkammer sei ein grob fahrlässiges Verhalten bei der Behandlung des Antrages des Klägers auf Gewährung von Insolvenzausfallgeld vorzuwerfen, sodaß berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des § 6 Abs 1 IESG vorlägen.

Das beklagte Arbeitsamt beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 6 Abs 1 IESG ist der Antrag auf Insolvenzausfallgeld bei sonstigem Ausschluß binnen vier Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahren bzw binnen vier Monaten ab Kenntnis von dem Beschluß nach § 1 Abs 1 Z 3 bis 7 IESG zu stellen. Ist der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt worden, so sind die Rechtsfolgen der Fristversäumung bei Vorliegen von berücksichtungswürdigen Gründen nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn dem Arbeitnehmer billigerweise die Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 1 Abs 1 IESG nicht zugemutet werden konnte oder ihm die betragmäßige Angabe seiner Ansprüche nicht rechtzeitig möglich war. Diese Bestimmung verfolgt das Ziel, Härtefälle, die sich vor der Novellierung durch eine restriktive Handhabung des § 71 AVG (Wiedereinsetzung) durch den Verwaltungsgerichtshof ergaben, zu vermeiden. Wenn § 6 Abs 1 IESG in der geltenden Fassung auch über die Bestimmungen des AVG über die Wiedereinsetzung gegen Fristversäumungen hinausgeht (SZ 62/50), wird doch durch den Begriff "berücksichtigungswürdige Gründe" wie auch durch die demonstrative Nennung solcher Gründe zum Ausdruck gebracht, daß nicht jedes Versäumnis die Nachsicht rechtfertigt und im Einzelfall, wenn auch nicht unter Anwendung besonders strenger Kriterien, zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Nachsicht der Fristversäumung vorliegen (9 Ob S 14/92). Die Nachsicht der Rechtsfolgen ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Fristversäumung vom Arbeitnehmer durch auffallende Sorglosigkeit verschuldet wurde.

Derselbe Maßstab muß auch für die Fristversäumung durch einen

Bevollmächtigten des Dienstnehmers gelten, will man eine weder

sachlich gerechtfertigte noch vom Gesetzgeber gewollte

Schlechterstellung der unvertretenen Dienstnehmer vermeiden (AnwBl

1990, 451; 9 Ob S 14/93). In der Entscheidung 9 Ob S 14/93 wird unter

Hinweis auf die Entscheidung vom 18.10.1989, 9 Ob S 17/89 = AnwBl

1990, 451 = infas 1990 A 80 für die Gleichstellung des

Bevollmächtigten eingetreten. Diese Ansicht wurde vom Obersten Gerichtshof erneut in der Entscheidung vom 17.3.1994, 8 Ob S 1/94, vertreten, wobei in beiden Fällen die Vorgangsweise des jeweiligen Vertreters als grob fahrlässig beurteilt wurde, weshalb berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des § 6 Abs 1 IESG verneint wurden.

Die Neufassung der Bestimmung des § 6 Abs 1 IESG erfolgte durch die IESG-Novelle 1986, BGBl Nr 395. Die Materialien dazu (RV 993 Blg.Sten.Prot. NR 16 GP, 8) führen lediglich aus: "Um die in der Praxis gelegentlich auftretenden sozialen Härtefälle bei der Versäumung der Antragsfrist zu vermeiden, soll durch die vorgesehene Regelung einer Nachsicht der Fristversäumung bei Vorliegen berücksichtungswürdiger Gründe geholfen werden". Vorausgegangen war eine Regelung, wonach § 71 AVG 1950, BGBl NR 172, mit der Maßgabe anzuwenden sei, daß die Frist zur Antragstellung zwei Wochen betrage (siehe auch Fink, Zur höchstgerichtlichen Auslegung der Härteklausel [§ 6 Abs 1 IESG], RdW 1990, 290).

Zur Frage, ob berücksichtigungswürdige Gründe auch dann vorliegen, wenn sie den Vertreter des Antragstellers betreffen, nimmt Fink aaO, nicht Stellung. W.Schwarz ua, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz3, 201 f, referieren die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, in denen die Fristversäumung durch einen Vertreter des Antragstellers verursacht wurde (infas 1990 A 80; 22.11.1989, 9 Ob S 20, 21/89 = ARD 4175/16/90), nehmen aber zur Frage der Gleichstellung des Antragstellers mit seinem Vertreter nicht weiter Stellung.

Bei der Frist des § 6 Abs 1 IESG idF der Novelle 1986 handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist (SZ 61/253 = JBl 1989, 336 = infas 1989 A 35; 9 Ob S 15/93). Die Bestimmung des § 1450 ABGB würde bei einer materiellen Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbieten (Klang-Klang2 VI, 561), "Das materielle Recht kennt keine Wiedereinsetzung" (Reischauer-Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 1450). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat ihre Wurzel in der Durchsetzung des "billigen Rechtes" gegenüber dem "strengen Recht" (Klang aaO); Zeiler erachtete die Wiedereinsetzung als entbehrlichen "Notbehelf einer widerrechtlichen oder unvollständigen Gesetzgebung und mangelhaften Verfassung" (Comm, IV 186).

Ausgehend von der Absicht des Gesetzgebers, durch die Neufassung des § 6 Abs 1 IESG soziale Härtefälle zu vermeiden, ist eine durch das Zusammentreffen mehrerer widriger Umstände, die einzeln für sich noch nicht das Ausmaß eines minderen Grades des Versehens überschreiten, die in der Organisation der den Kläger vertretenden gesetzlichen Interessenvertretung verursachte geringfügige Fristversäumung noch als berücksichtigungswürdiger Grund anzusehen. Im Gegensatz zu einer die "Wiedereinsetzung in den vorderen Stand" ausschließenden materiellen Frist, gestattet die "Härteklausel" eben die Nachsicht der Fristversäumung bis zum Höchstausmaß von drei Jahren seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw eines Beschlusses gemäß § 1 Abs 1 Z 3 bis 7 IESG. Im Vergleich zu der am 6.Dezember 1992 endenden Viermonatsfrist des § 6 Abs 1 IESG. Im Vergleich zu dem dem Arbeitnehmer beschwerlicheren Weg der Durchsetzung eines Schadenersatzanspruches gegenüber seiner Interessenvertretung (vgl DRdA 1988/10, 229 = RdW 1987, 96 im Falle der Kündigungsanfechtungsfrist, die keine Härteklausel kennt) erachtet es der erkennende Senat daher als geboten, dem Kläger trotz des geringfügigen Versehens der Arbeiterkammer seinen Anspruch gegenüber der beklagten Partei zu wahren.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG. Gemäß § 80 ASGG besteht für Sozialrechtssachen eine Befreiung von Gerichtsgebühren, weshalb die versehentlich entrichtete Pauschalgebühr nicht zu berücksichtigen ist.

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