OGH 6Ob47/98z

OGH6Ob47/98z26.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Jörg Hans S*****, vertreten durch Dr.Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Edith S*****, vertreten durch Dr.Elisabeth Constanze Schaller, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung, infolge ordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 11.November 1997, GZ 2 R 124/97b-15, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Bezirksgerichtes Rottenmann vom 24.Februar 1997, GZ 1 C 27/97g-4, ersatzlos behoben und dem Erstgericht aufgetragen wurde, das gesetzmäßige Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 4.058,88 S (darin 676,48 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 4.871,04 S (darin 811,84 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Seit 30.11.1993 ist beim Bezirksgericht Hernals eine auf § 55 Abs 1 EheG gestützte Scheidungsklage des Mannes anhängig. Die Frau hatte dem Scheidungsbegehren (gestützt offensichtlich auch auf § 55 Abs 2 EheG) widersprochen. Dieses Verfahren ruht.

Mit der am 17.1.1997 beim (nach den Klageangaben) für den letzten gemeinsamen Wohnsitz der Eheleute zuständigen Bezirksgericht Rottenmann eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem Grund des § 55 Abs 3 EheG. Die eheliche Gemeinschaft sei seit mehr als sechs Jahren aufgelöst.

Die Beklagte beantragte, die Klage gemäß § 233 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Das beim Bezirksgericht Hernals anhängige Scheidungsverfahren habe die Streitanhängigkeit im Sinne des § 233 Abs 1 ZPO begründet.

Das Rekursgericht gab im ersten Rechtsgang dem Rekurs des Klägers Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes ersatzlos auf und trug diesem die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Beim Scheidungsgrund nach § 55 Abs 3 EheG handle es sich um einen von den Voraussetzungen der vorangehenden Absätze dieser Gesetzesstelle unabhängigen, absolut wirkenden Scheidungsgrund, bei dem allein auf die sechsjährige Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft abzustellen sei. Es liege keine Identität zwischen den Bestimmungen des § 55 Abs 1 EheG einerseits und § 55 Abs 3 EheG andererseits vor, wenngleich beiden Bestimmungen eine Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft der Eheleute zugrundeliege. Der Fall sei vergleichbar mit den Fällen, in welchen jeweils die Scheidung aus Verschulden begehrt werde und eine Identität des Anspruchs dann zu verneinen sei, wenn die Scheidungsklagen verschiedene Verschuldenstatbestände enthielten. Das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit liege nicht vor.

Der Oberste Gerichtshof hob mit seinem Beschluß vom 11.9.1997 die Entscheidung des Rekursgerichtes als nichtig auf und trug dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Klägers nach Verfahrensergänzung auf (6 Ob 173/97b = ON 14). Die Nichtigerklärung erfolgte, weil im zweiseitigen Rekursverfahren der Rekurs des Klägers der Beklagten nicht zugestellt worden und damit deren Recht auf Gehör verletzt worden war.

Mit dem nun angefochtenen Beschluß des Rekursgerichtes im zweiten Rechtsgang gab dieses dem Rekurs des Klägers neuerlich Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes ersatzlos auf und trug diesem auf, das gesetzmäßige Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen. Es stützte seine Entscheidung im wesentlichen auf die schon im ersten Rechtsgang angeführten Gründe und weiters auf die ausführlich dargelegten Entscheidungsgründe der oberstgerichtlichen Entscheidung 4 Ob 524/79 (= SZ 52/140), vor allem zur Qualifikation des Scheidungstatbestandes nach § 55 Abs 3 EheG als absolut wirkenden Scheidungsgrund, und zu dem gezogenen Schluß, daß die zitierte Gesetzesstelle in ihrer Auswirkung einer unwiderlegbaren Rechtsvermutung gleichkomme, sodaß nach mehr als sechsjähriger Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft die tiefgreifende unheilbare Zerrüttung der Ehe nicht mehr zu prüfen sei.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Beklagte die Abänderung dahin, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Der Kläger beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit (§§ 232 f ZPO) liegt vor, wenn die Identität der Parteien, des Entscheidungsantrages und des rechtserzeugenden Sachverhalts gegeben ist (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 9 f zu § 233; SZ 63/43; 4 Ob 516/94 mwN). Die Identität der Parteien liegt hier unstrittig vor. Fraglich ist, ob auch die Identität des Rechtsschutzbegehrens und diejenige des rechtserzeugenden Sachverhalts bejaht werden kann. Rechtsschutzziel sowohl der auf § 55 Abs 1 EheG gestützten Scheidungsklage als auch derjenigen nach § 55 Abs 3 EheG ist jeweils die Rechtsgestaltung der Auflösung des Ehebandes durch Scheidung. Im erstgenannten Fall stützt sich der Kläger auf die kumulativen Tatbestandsmerkmale der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft in der Dauer von zumindest drei Jahren und einer eingetretenen tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe. Wenn der Scheidungsbeklagte einen entsprechenden Antrag stellt, sind weiters die im § 55 Abs 2 EheG normierten Voraussetzungen zur Härteabwägung zu prüfen. Nach § 55 Abs 3 EheG ist dem Scheidungsbegehren jedenfalls stattzugeben, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit sechs Jahren aufgehoben ist. Für die Ansicht, daß der Gesetzgeber damit keinen eigenen, von demjenigen nach Abs 1 leg cit unterschiedlichen Scheidungstatbestand schaffen wollte, sprechen einige Gründe, für die gegenteilige Auffassung können aber ebenfalls triftige Gründe ins Treffen geführt werden:

Das Rekursgericht verweist zutreffend auf die überwiegenden Lehrmeinungen und die einheitliche oberstgerichtliche Judikatur, wonach in § 55 Abs 3 EheG ein absolut wirkender Scheidungstatbestand normiert sei, bei dessen Verwirklichung die unheilbare Zerrüttung der Ehe nicht weiter zu prüfen sei (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 9 zu § 55 EheG; Schwimann, ABGB2 Rz 23 zu § 55 EheG; Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe und Lebensgemeinschaft3 Rz 115; SZ 52/140; 6 Ob 532/82; 2 Ob 574/85; 7 Ob 681/90 ua). Ein Teil der Lehre ist dagegen der Meinung, daß auch bei einem auf § 55 Abs 3 EheG gestützten Scheidungsbegehren nach Ablauf der Sechsjahresfrist die unheilbare Zerrüttung der Ehe wesentliches Tatbestandsmerkmal bleibe und daher vom Gericht zu prüfen sei (Hopf/Kathrein, Eherecht, Rz 18 zu § 55 EheG). Dieser Ansicht vermag sich der erkennende Senat jedoch im Hinblick auf die herrschende Rechtsprechung nicht anzuschließen. Diese hatte allerdings das hier zu lösende Problem, ob § 55 Abs 3 EheG als eigener, vom Tatbestand des Abs 1 leg cit unterschiedlicher Scheidungstatbestand zu qualifizieren sei, nicht untersucht. Aus der absoluten Wirkung allein kann nach Ansicht des erkennenden Senates eine Unterschiedlichkeit der Tatbestände nicht abgeleitet werden, weil genausogut die Ansicht vertreten werden kann, daß der Scheidungstatbestand identisch ist, daß aber nach Verstreichen der Sechsjahresfrist das Tatbestandsmerkmal der Zerrüttung der Ehe infolge der Gesetzesvermutung nur unwiderruflich feststehe (wie dies in der zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird) und daher nicht mehr zu beweisen sei und daß ferner auch eine Berufung des Scheidungsbeklagten nach Abs 2 leg cit ausgeschlossen sei, woraus sich insgesamt die absolute Wirkung des Scheidungsgrundes der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft ergebe. Für die Richtigkeit dieser Ansicht können gesetzessystematische Gründe angeführt werden, weil der Gesetzgeber den Scheidungsgrund unter der nämlichen Überschrift in einem Paragraphen regelt. Auch in der Entscheidung SZ 52/140 wurde aus der Gesamtregelung unter dem Gesichtspunkt der Gesetzestechnik sowie aus der Entstehungsgeschichte bei der Auslegung der gesetzgeberischen Absicht erschlossen, daß Abs 3 leg cit nicht nur den Einwand der Härteklausel nach Abs 2 ausschließe, sondern auch auf Abs 1 durchschlage, und zwar im dargelegten Sinne einer unwiderleglichen Rechtsvermutung über das Vorliegen einer tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe. Die zitierte Rechtsprechung bejaht also durchaus, daß auch bei einer Scheidung nach § 55 Abs 3 EheG die Zerrüttung der Ehe Tatbestandsmerkmal ist, insofern also Identität des Tatbildes und des rechtserzeugenden Sachverhalts bejaht werden kann. Vermag nun das unterschiedliche Ausmaß der Fristen in beiden Gesetzesstellen - der Ablauf von drei Jahren seit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft ist zweifelsfrei Tatbestandsmerkmal des Scheidungsgrundes nach Abs 1 leg cit - die Annahme einer vollständigen Identität zu hindern? Für die Bejahung der Frage könnte folgendes ins Treffen geführt werden:

Der Zeitablauf von sechs Jahren allein mache ein auf § 55 Abs 1 EheG gestütztes anhängiges Scheidungsverfahren noch nicht spruchreif. Nach dem im Zivilverfahren gültigen Beibringungsgrundsatz (dazu Fasching, ZPR2 Rz 646 ff) habe jede Partei den anspruchsbegründenden Sachverhalt zu behaupten. Die amtswegige Wahrnehmung der Sechsjahresfrist und die Scheidung der Ehe nach § 55 Abs 3 EheG über einen auf § 55 Abs 1 EheG gestützten Scheidungsanspruch könnte gegen § 405 ZPO und den erwähnten Beibringungsgrundsatz verstoßen. Dieser erfordere unter Umständen eine Ergänzung des Parteivorbringens aus dem Grund zwischenzeitig wiederaufgenommener näherer Kontakte der Eheleute (vgl dazu 3 Ob 630/80 und 1 Ob 1594/95; OLG Wien EFSlg 51.619, wonach die Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft die Dreijahresfrist des § 55 Abs 1 EheG unterbreche). Die Umstellung des auf Abs 1 leg cit gestützten Klagebegehrens auf ein solches nach Abs 3 erfordere die Behauptung des Klägers, daß nunmehr der Zeitraum von sechs Jahren seit Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft verstrichen sei. Diese ergänzende Behauptung bedeute eine Klageänderung, also die Geltendmachung eines neuen rechtserzeugenden Sachverhalts.

Die angeführten Überlegungen sind nach Ansicht des erkennenden Senates nicht zwingend. Ergänzendes Vorbringen des Klägers, daß in der Zwischenzeit die eheliche Gemeinschaft nicht wieder aufgenommen worden sei, ist entbehrlich, weil für einen derartigen Sachverhalt der Scheidungsbeklagte behauptungs- und beweispflichtig ist. Der Kläger hat bei einem Ablauf der Sechsjahresfrist im Zuge eines schon anhängigen Verfahrens nur diesen Fristablauf zu behaupten, ganz abgesehen von dem Umstand, daß der bloße Zeitablauf natürlich notorisch ist. Die Behauptung des Klägers über das Verstreichen der Frist betrifft keinen neuen rechtserzeugenden Sachverhalt des materiellen Rechts, sondern nur einen solchen des Verfahrensrechts, weil nunmehr dem Beklagten die weitere Berufung auf die Härteklausel verwehrt und die Prüfung der Zerrüttung der Ehe nicht mehr vorzunehmen ist. In Bezug auf § 55 Abs 1 EheG ist Abs 3 leg cit materiellrechtlich als Gesetzesvermutung, verfahrensrechtlich als Beweisthemenverbot aufzufassen. Nur dieses macht der Kläger mit seiner Prozeßerklärung über den Ablauf der Sechsjahresfrist geltend. Darin liegt aber keine Klageänderung. Der vorliegende Fall ist daher nicht mit den vom Rekursgericht ins Auge gefaßten Fällen vergleichbar, bei denen der Kläger unterschiedliche Verschuldenstatbestände geltend macht. Auch das Rechtsschutzziel ist identisch. In beiden Fällen wird die Auflösung des Ehebandes aus dem Grund der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft und wegen der Zerrüttung der Ehe begehrt. Wenn aber ein Scheidungskläger aus den dargelegten Gründen ohne Klageänderung den im Zuge des anhängigen Scheidungsverfahrens eingetretenen Fristenablauf geltend machen kann und dieser allenfalls sogar - was hier nicht näher zu untersuchen ist - von Amts wegen (arg: "ist jedenfalls stattzugeben") wahrzunehmen wäre, ist die für das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit erforderliche Identität in allen Punkten zu bejahen. Dem Revisionsrekurs ist daher stattzugeben und die Klagezurückweisung durch das Erstgericht wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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