OGH 10ObS29/98g

OGH10ObS29/98g27.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ulrike Legner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj.Birgit Sp*****, geboren am 15.Februar 1987, ***** vertreten durch den Vater Johann Sp*****, ebendort, dieser vertreten durch Dr.Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Land Kärnten, Amt der Kärntner Landesregierung, 9021 Klagenfurt, Arnulfplatz 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.Oktober 1997, GZ 7 Rs 144/97v-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10.Dezember 1996, GZ 30 Cgs 116/96t-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 15.2.1987 geborene Klägerin leidet an einer angeborenen praktischen Taubheit beidseits. Aufgrund fehlender Sprach- und Hörleistungen trotz intensiven Trainings im Sonderkindergarten und trotz Versuchen mit entsprechenden Hörgeräten wurde sie am 3.5.1993 einer Cochlearimplantationsoperation links unterzogen. Postoperativ ist ein entsprechendes Sprach- und Hörtraining unbedingt erforderlich und wurde in diesem speziellen Fall auch im vollen Umfang ausgeführt. Die Klägerin weist nunmehr eine gute Hörleistung auf. Aufgrund des intensiven Trainings ist sowohl das Wortverständnis der Umgangssprache (weniger das des Sprachaudiogramms) als gut zu bezeichnen und auch in der Reintonaudiometrie ist die Hörleistung ausgesprochen gut. Als ein weiterer Erfolg der Therapie ist auch die reine Sprache zu vermerken. Für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (nämlich ihre Fahrten zu den Kontrollen nach Salzburg) braucht die Klägerin fremde Hilfe; alle anderen Verrichtungen kann sie entsprechend ihrem Alter selbst durchführen.

Mit Bescheid vom 26.7.1996 wurde der Antrag der Mutter der Klägerin, für diese Pflegegeld zu gewähren, abgewiesen.

Die Klägerin begehrt, vertreten durch ihre beiden Eltern, das Pflegegeld der Stufe 4.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß rein therapeutische Maßnahmen, mögen sie auch zur Förderung einer positiven Entwicklung der Klägerin notwendig sein, nicht als das Pflegegeld begründender Pflegebedarf herangezogen werden können. Die anerkannte Mobilitätshilfe im weiteren Sinn bedinge nur einen monatlichen Fixwert von 10 Stunden Pflegeaufwand, sodaß ein Anspruch auf Pflegegeld nach dem Kärntner Pflegegeldgesetz nicht gegeben sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und schloß sich auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an.

Die gegen diese Entscheidung aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Klagestattgebung (Pflegegeld der Stufe 4 ab 1.7.1996) abzuändern oder aufzuheben, ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig, jedoch nicht berechtigt. Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Nach Auffassung der Revisionswerberin sei ihr Cochlearimplantat als "Rollstuhl im Gehirn" anzusehen. Die damit verbundene notwendige Tätigkeit sei als Pflege und nicht als bloße Therapie anzusehen. Diesbezüglich liege eine Gesetzeslücke vor, welche durch Analogie zu schließen sei. Desweiteren sei die Einstufungsverordnung zum Kärntner Pflegegeldgesetz gesetzwidrig.

Rechtliche Beurteilung

Mit einem völlig identen Sachverhalt eines nur um wenige Monate jüngeren Mädchens, das sich im April 1993 ebenfalls wegen an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit einer Cochlearimplantationsoperation rechts unterziehen mußte, und deren Pflegegeldbegehren ebenfalls nach dem Kärntner Pflegegeldgesetz samt Einstufungsverordnung zu beurteilen war, hat sich der Oberste Gerichtshof erst jüngst in seiner Entscheidung 10 ObS 376/97k vom 25.11.1997 ausführlich befaßt. In dieser Entscheidung war auch derselbe Klagevertreter als Revisionsverfasser tätig, wobei sich die Argumente des dortigen Rechtsmittels mit denen der hier vorliegenden Revision völlig decken. Da die Entscheidung 10 ObS 376/97k jedoch noch nicht veröffentlicht ist, ist es angebracht, nicht bloß - im Rahmen einer Bestätigung nach § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO - hierauf zu verweisen, sondern deren Begründung auch hier im Volltext wiederzugeben. Der Oberste Gerichtshof hatte dort - was auch hier vollinhaltlich gilt - den Argumenten der Revisionswerberin folgendes im einzelnen entgegengehalten:

"Entgegen der Meinung der Revisionswerberin ist das Angewiesensein auf einen Rollstuhl zur Fortbewegung nicht dem Angewiesensein der Klägerin auf das angebrachte Implantat vergleichbar, so daß die von ihr begehrte Analogie zu § 8 EinstV zum KtnPGG (EinstV) nicht in Frage kommen kann. Der Verordnungsgeber ist im Sinne des § 4 Abs 5 Z 4 KtnPGG davon ausgegangen, daß bei Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, körperliche Ausfälle bestehen, die, je nach Intensität der Ausfälle (§ 8 Z 1 - 3 EinstV), was die notwendige Hilfe und Betreuung betrifft, einen weitgehend gleichartigen Bedarf bedingen. Während in Fällen, in denen eine Pauschalierung im Sinne des § 4 Abs 5 Z 4 EinstV nicht vorgenommen wurde, der notwendige Hilfs- und Betreuungsbedarf funktionsbezogen zu ermitteln und im Einzelfall zu erheben ist, in welchem Umfang Hilfe und Betreuung erforderlich ist, geht der Verordnungsgeber davon aus, daß bei Personen, die auf die Benützung eines Rollstuhls angewiesen sind, ein solcher Bedarf in dem in § 8 EinstV bezeichneten Umfang besteht. Der dort genannte Stundenaufwand versteht sich als Pauschalierung der in den vorhergehenden Bestimmungen für die einzelnen Verrichtungen genannten Werte für die einzelnen Betreuungs- und Hilfsverrichtungen. Die von der Klägerin gewünschte Analogie scheitert schon daran, daß hier nicht ein Betreuungs- oder Hilfsaufwand im Sinne der §§ 1 ff KtnPGG in Frage steht, sondern eine therapeutische Maßnahme, die diesem Aufwand nicht zugerechnet werden kann.

Bei Pflege und Hilfe, welche Begriffe im Gesetz nicht definiert sind, handelt es sich zumindest im weiteren Sinn um lebenswichtige Verrichtungen nichtmedizinischer Art. Betreuung sind alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Hilfe sind aufschiebbare Verrichtungen anderer Personen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur Sicherung der Existenz erforderlich sind (10 ObS 2460/96d). Das intensive Sprach- und Gehörtraining dient dazu, die Reizimpulse des Implantats dazu zu verwerten, daß das Kind auch sprechen lernt und seine Kommunikationsfähigkeit verbessert. Das Sprach- und Gehörtraining ist aber wie eine Therapie eine Maßnahme, um fehlende oder eingeschränkte Sinnesempfindungen wie hier die Kommunikationsfähigkeit zu ermöglichen, zu verbessern oder zu entwickeln (vgl 10 ObS 2393/96a).

Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, daß eine solche Therapie, die der Heilung und Behandlung von körperlichen Beeinträchtigungen dient, weder der Betreuung noch der Hilfe zuzurechnen ist (10 ObS 2393/96a, 10 ObS 2460/96d, 10 ObS 187/97s). Das Sprach- und Gehörtraining gehört nicht zu den den persönlichen Lebensbereich betreffenden in § 1 der Kärntner Einstufungsverordnung genannten, zur Sicherung der Existenz erforderlichen Verrichtungen wie An- und Auskleiden, Aufstehen, Körperpflege, Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, Verrichtung der Notdurft, Einnahme von Medikamenten und Mobilitätshilfe im engeren Sinn wie Aufstehen, Zubettgehen, Umlegen etc oder sonstige auf den häuslichen Bereich ausgerichteten Maßnahmen. Auch den taxativ in § 2 Abs 2 Kärntner Einstufungsverordnung aufgezählten Hilfsverrichtungen kann das Sprach- und Gehörtraining nicht zugezählt werden (Pfeil BPflGG, 91; 10 ObS 2452/96b).

Bei hochgradig Sehbehinderten, Blinden, Taubblinden, aber auch Rollstuhlfahrern ist es einsichtig, daß ein Pflegebedarf besteht, der bei diesen Gruppen weitgehend gleichartig ist. Das Sprach- und Gehörtraining ist weder Pflege noch Hilfeverrichtung, sondern eine auf den Einzelfall zugeschnittene Therapie, sodaß hier ungeachtet einer Verordnungsermächtigung oder Verordnungsverpflichtung die Voraussetzung für eine Mindesteinstufung im Sinne einer Pauschalierung fehlt. Aus dem Wort "insbesondere" in § 4 Abs 5 Kärntner Einstufungsverordnung ist auch abzuleiten, daß nicht sämtliche denkbaren Verrichtungen von der Verordnungsregelung erfaßt sein müssen, daß diese sohin die einzige Grundlage für die Beurteilung des Pflegeaufwandes bildet. Nur die gängigen und häufigsten Fälle des Betreuungsaufwandes sollen der Pauschalierung unterworfen werden (SSV-NF 9/75).

Die verfassungsmäßigen Bedenken, daß der Gleichheitssatz dadurch verletzt wäre, daß nicht für Taube mit einem Cochlearimplantat und dem erforderlichen Sprach- und Gehörtraining Mindesteinstufungen wie für Sehbehinderte und Gelähmte (Rollstuhlfahrer) vorgenommen worden sind, können nicht geteilt werden. § 4 Abs 5 Kärntner Pflegegeldgesetz und §§ 7 und 8 Kärntner Einstufungsverordnung kommen nicht zur Anwendung, weil das Sprach- und Gehörtraining nicht dem Pflegebedarf zuzurechnen ist. Daß Hilfe und Betreuung im persönlichen Lebensbereich erforderlich wäre, die - im Verhältnis zu einem nichtbehinderten Kind - einen 60 Stunden übersteigenden Mehraufwand bedingen würde, kam nicht hervor (SSV-NF 9/97)."

Damit kommt auch der Revision der Rechtsmittelwerberin im vorliegenden Fall keine Berechtigung zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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