OGH 1Ob2309/96g

OGH1Ob2309/96g18.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edith D*****, vertreten durch Dr.Peter Ponschab, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 491.151,02 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5.Juni 1996, GZ 14 R 71/96f-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9.August 1995, GZ 31 Cg 29/94a-12, überwiegend bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 491.151,02 samt 4 % Zinsen seit 4.8.1990 zu bezahlen, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 84.200,-- (darin S 120,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Verfahren aller drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Nach dem am 3.8.1990 verstorbenen Josef M***** war ein Verlassenschaftsverfahren anhängig. Die Klägerin als einziges Kind des Verstorbenen konnte von dem vom Abhandlungsgericht als Gerichtskommissär beauftragten Notar erst im Mai 1991 ausfindig gemacht werden. Bis zu diesem Zeitpunkt war ein Verlassenschaftskurator bestellt. Kurz nach Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung wurden dem Gerichtskommissär von der Schwägerin des Verstorbenen ein Bargeldbetrag, Schlüssel, drei Sparbücher sowie Aufzeichnungen des Verstorbenen, die eine Vielzahl von Sparbuchnummern enthielten, ausgefolgt. Die dazugehörigen Sparbücher wurden nicht aufgefunden. Unter Anführung dieser Sparbuchnummern ersuchte der Gerichtskommissär mit Schreiben vom 9.11.1990 die Bank um Bekanntgabe der zum Todestag in den Nachlaß gefallenen Vermögenswerte. Die Bank teilte darauf mit, daß ohne Vorlage der Bücher oder ohne Nennung deren Bezeichnung eine Auskunft nicht erfolgen könne. Sie löste jedoch trotzdem bei allen angefragten Sparbüchern eine bankintern vorgesehene Sperre aus. Diese hat zur Folge, daß das Sparguthaben zwar abgehoben werden kann, der Abhebende jedoch zur Herkunft des Sparbuchs befragt wird und sich legitimieren muß.

Nach Ausforschung der Klägerin wurde die Abhandlung mit der Einantwortung an sie als gesetzliche Alleinerbin am 18.9.1991 beendet. Über die Sparbücher wurde eine Nachtragsabhandlung durchgeführt. Auf Veranlassung durch die Klägerin richtete der Gerichtskommissär eine neuerliche "Barwertanfrage" an die Bank, nunmehr unter Hinzufügung der der Klägerin geläufigen Bezeichnung "Überbringer". Mit Schreiben vom 7.11.1991 erteilte die Bank Auskunft über die Guthabensstände aller in der Anfrage angeführten Sparbücher. Nach Durchführung des Kraftloserklärungsverfahrens wurden diese Sparguthaben der Klägerin mit Beschluß des Abhandlungsgerichts vom 4.2.1993 als nachträglich hervorgekommenes Nachlaßvermögen ins Alleineigentum zugewiesen.

Anläßlich der Schätzung der Wohnungseinrichtung im Jänner 1991 waren vom Gerichtskommissär weitere Aufzeichnungen mit Sparbuchnummern vorgefunden worden. Diese Aufzeichnungen enthielten zusätzlich zu den bereits aus der von der Schwägerin des Verstorbenen übergebenen Liste bekannten Sparbuchnummern noch die Nummern dreier weiterer Sparbücher. Eine von der Klägerin nach Vorliegen der Bankauskunft vom 7.11.1991 vorgenommene Überprüfung ergab, daß Bankauskünfte über diese drei Sparbücher fehlten. Der Gerichtskommissär erklärte dazu, daß unter diesen drei Nummern bei der Bank nicht angefragt worden sei. Eine von der Klägerin daraufhin veranlaßte Barwertanfrage ergab, daß die Guthabensstände im Juni 1991 in der Höhe des Klagsbetrags zugunsten eines nicht bekannten Überbringers saldiert worden seien. Wäre bezüglich dieser drei Sparbuchnummern kurz nach deren Auffinden eine Barwertanfrage an die Bank gerichtet worden, hätte diese zumindest die Identität des Abhebenden geprüft.

Mit ihrer am 1.9.1994 beim Erstgericht eingelangten Amtshaftungsklage begehrte die Klägerin den Ersatz dieser drei Sparguthaben. Durch das schuldhafte Versehen des als Gerichtskommissär eingeschrittenen Notars seien diese drei Sparbücher nicht in die Todfallssperre der Bank einbezogen worden, obwohl es sich bei diesen um zum Nachlaß gehörende Werte gehandelt habe. Weil der Notar als Gerichtskommissär tätig gewesen sei, hafte die Beklagte für den der Klägerin entstandenen Schaden.

Die Beklagte hielt dem entgegen, daß die aufgefundenen Zettel mit Nummern von 36 Sparbüchern mit teilweise länger zurückliegenden Datierungen für den Gerichtskommissär keine ausreichenden Hinweise dafür dargestellt hätten, daß sich die Sparbücher zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers tatsächlich in dessen Gewahrsame befunden hätten. Mangels Anhaltspunkts für die Annahme, daß die Sparkonten in den Nachlaß fielen, sei weder der Gerichtskommissär zur Durchführung der Barwertanfrage noch die Bank zur Erteilung von Auskünften verpflichtet gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß die Notare gemäß § 1 GKoärG in Verlassenschaftssachen die Todfallsaufnahme und die mit dieser im Zusammenhang stehenden unaufschiebbaren Maßnahmen sowie die anderen im Zuge einer Verlassenschaftsabhandlung erforderlichen Amtshandlungen zu besorgen hätten. Gemäß § 98 Abs 1 AußStrG hätten sich die Gerichtsabgeordneten über den Zustand des Vermögens durch Untersuchung der Verlassenschaft und der vorgefundenen Urkunden, durch eigene Besichtigung der Güter und Fahrnisse, Vernehmung der Erben, Verwandten und Hausgenossen, Benützung der öffentlichen Bücher und Gerichtsakten und durch andere schickliche Mittel vollständig Aufklärung zu verschaffen. Die Vorschrift des § 40 AußStrG sei sinngemäß anzuwenden. Der Gerichtskommissär sei dabei nicht auf die aufgezählten Maßnahmen beschränkt, er müsse vielmehr auch auf andere Art Nachforschungen anstellen, sofern es sich um einfache Erkundigungen handle und nicht in Rechte Dritter eingegriffen werde. Ein Kreditinstitut sei verpflichtet, dem Abhandlungsgericht Auskunft zu geben, wenn zu vermuten sei, daß der Erblasser Inhaber eines Bankkontos oder einer Spareinlage gewesen sei. Die aufgefundenen Aufzeichnungen seien für den Gerichtskommissär als Sparbuchnummern erkennbar gewesen. Weil an den Notar der Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB anzulegen sei, hätte er wissen müssen, daß aufgrund einer im Verlassenschaftsverfahren erfolgten Barwertanfrage die "Todfallssperre" ausgelöst werde; dies auch dann, wenn die Bank angebe, wegen Fehlens der Individualisierungsangaben keine Auskünfte über Sparguthaben erteilen zu können. Im Zeitpunkt der ersten Anfrage an die Bank habe der Notar noch nichts von den Sparkonten gewußt. Weil er aber nicht unmittelbar nach dem Auffinden der Aufzeichnungen im Jänner 1991 eine Anfrage an die Bank gerichtet habe, habe er es unterlassen, seine Pflichten als Gerichtskommissär ordnungsgemäß zu erfüllen. Bei pflichtgemäßer Vorgangsweise wäre eine Saldierung der drei Sparbücher ohne Feststellung der Identität des Abhebenden nicht möglich gewesen. Der Einwand der Beklagten, der Schaden wäre in gleicher Weise auch dann entstanden, wenn die Sparbücher in der Anfrage an die Bank enthalten gewesen wären, habe von dieser nicht unter Beweis gestellt werden können. Die Behauptungs- und Beweislast für mangelndes Verschulden treffe bei Nichterfüllung von Rechtspflichten den beklagten Rechtsträger. Der Schädiger habe für den eingetretenen Schaden zu haften, es sei denn, er könne beweisen, daß der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten in gleicher Weise und mit den gleichen Folgen eingetreten wäre. Unklarheiten in dieser Richtung gingen zu Lasten des Schädigers.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil mit Ausnahme eines Teils des Zinsenzuspruchs; es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und führte zur Rechtsrüge aus, daß die dem Notar vom Gesetz vorgeschriebene Vorgangsweise nach deren Zweck der Aufklärung über die in die Verlassenschaft fallenden Vermögenswerte und der Sicherung dieser Werte dienen solle. Weil es sich dabei um einen dynamischen Prozeß handle, habe sich die Vorgangsweise an den schrittweisen Ergebnissen dieser Nachforschung unter Heranziehung jenes Fachwissens zu orientieren, das regelmäßig von einem Notar als Gerichtskommissär in einem Verlassenschaftsverfahren nicht nur im rechtlichen Bereich erwartet werden dürfe. Diese Nachforschung habe auch den Zweck, Rechte Dritter am Verlassenschaftsvermögen aufzudecken, um den Erben die Möglichkeit der Bestreitung dieser Rechte auf dem Rechtsweg zu geben. Das Ziel einer Anfrage an ein Kreditinstitut könne daher nicht nur die Sperre eines Kontos sein, sondern auch die Bank auf konkrete Verlassenschaftsansprüche hinzuweisen, um diese ihrerseits zur Klarstellung oder zumindest dazu zu veranlassen, die Identität eines einen solchen Anspruch geltend machenden Dritten und allenfalls die von ihm behauptete Rechtsgrundlage zu erforschen. Den Erben werde dadurch eine spätere Geltendmachung ihrer vermeintlichen Rechte gegenüber diesem Dritten ermöglicht. Die die Vorgangsweise des Gerichtskommissärs regelnden Vorschriften wollten demnach erkennbar auch den Erben vor Vermögensverlusten schützen; dieser Schutz sei umso intensiver gestaltet, je weniger der Erbe aufgrund seines Alters oder (wie hier) seiner Abwesenheit in der Lage sei, sich selbst um diesen Schutz zu kümmern. Der Verstoß gegen diese Bestimmungen stelle somit die Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB dar. Um dem Auftrag des § 98 AußStrG nachzukommen, müsse zunächst festgestellt werden, welche Sparbücher überhaupt in den Nachlaß fielen. Schon dazu seien Anfragen an die Bank zu richten, welche bei sinnvoller Gestaltung auch zu einer konkreten Auskunft führen könnten. Der Verlust des Überbringersparbuchs bedeute noch nicht den Verlust des Anspruchs. Es bedürfe daher keiner Feststellungen über die Gewahrsame an den strittigen Sparbüchern. Das Unterlassen der Anfrage wegen dieser Sparbücher sei einerseits pflichtwidrig und andererseits im Hinblick auf die durch die erste Anfrage ausgelöste bankinterne Sperre auch kausal dafür gewesen, daß der Klägerin anders als bei den übrigen Sparbüchern die Guthaben nicht ausbezahlt wurden. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte dem Gerichtskommissär auffallen müssen, daß die im Jänner 1991 von ihm aufgefundene Liste Nummern dreier weiterer Sparbücher enthalten habe, die er seiner ersten Anfrage noch nicht zugrundegelegt hatte. Dazu komme noch, daß schon die erste Anfrage den Hinweis "auf Überbringer lautend" hätte enthalten können, weil sich bei den einzelnen Nummern keine Hinweise auf einen bestimmten Namen gefunden hätten. Der Berufung sei daher in der Hauptsache ein Erfolg zu versagen gewesen.

Der dagegen erhobenen Revision der Beklagten kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin stützt ihren Amtshaftungsanspruch darauf, daß es der als Gerichtskommissär eingeschrittene Notar unterlassen habe, bei drei ihm bekannten Sparbüchern "Barwertanfragen" an die Bank zu richten, wodurch es geschehen konnte, daß eine aufgrund banktinterner Vorschriften vorgesehene "Todfallssperre" unterblieb und die Guthaben an einen Überbringer des Sparbuchs ohne Feststellung von dessen Identität ausbezahlt wurden. Es ist in Lehre und Rechtsprechung unstrittig, daß der Notar als Beauftragter des Gerichts (Gerichtskommissär) Organ des Bundes im Sinne des § 1 Abs 2 AHG ist, soweit er hiezu nach § 1 Abs 1 GKoärG von einem Gericht in einem außerstreitigen Verfahren bestellt wurde (SZ 57/172; JBl 1989, 42; 1 Ob 29/91). Ebenso ist es herrschende Ansicht, daß rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zu Schadenersatz verpflichtet, auch in einer Unterlassung bestehen kann, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (SZ 62/73; SZ 63/166; SZ 66/77).

Die Klägerin macht mit ihrem Zahlungsbegehren einen bloßen (reinen) Vermögensschaden geltend, dessen Verursachung nach herrschender Ansicht nur dann ersatzpflichtig macht, wenn eine vorwerfbare Verletzung eines Vertrags oder eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB oder ein sittenwidriges Verhalten des Schädigers vorliegt oder sich die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens sonst aus der Rechtsordnung unmittelbar aufgrund des Gesetzes ableiten läßt (SZ 61/280; SZ 63/166; SZ 66/77). Von diesen Voraussetzungen kommt hier nur eine Schutzgesetzverletzung in Frage, weshalb zu prüfen ist, ob dem Rechtsträger die Verletzung von Schutzgesetzen, somit abstrakten Gefährdungsverboten, die bestimmte Personen oder Personengruppen vor einer Verletzung ihrer Rechtsgüter schützen sollen, durch seine Organe vorzuwerfen ist. Auch für den Bereich des Amtshaftungsrechts gilt der allgemeine Grundsatz, daß die übertretene Vorschrift gerade auch den Zweck haben muß, den Geschädigten vor eingetretenen (Vermögens-)Nachteilen zu schützen (SZ 61/43; SZ 61/189; SZ 62/73; SZ 66/77).

Zur Frage der im vorliegenden Fall auf ihren Charakter als Schutzgesetze zu untersuchenden Normen haben bereits die Vorinstanzen auf die Bestimmung des § 98 AußStrG und die sich daraus ergebende Pflicht des Gerichtskommissärs verwiesen, sich über das Nachlaßvermögen umfassenden Überblick zu verschaffen. Im Zusammenhalt mit § 97 AußStrG, der die Inventarisierung des im Todeszeitpunkt im Besitz des Erblassers befindlichen Vermögens anordnet, kann davon ausgegangen werden, daß sich die Nachforschungspflicht des Gerichtskommissärs auf alle Sachen bezieht, die im Zeitpunkt des Ablebens im Eigentum des Erblassers standen, und überdies noch auf jene Sachen, die er damals zumindest in seiner Gewahrsame hatte. Angeblich fremde Sachen, in deren Besitz sich der Erblasser befunden hat, sind jedoch, "wenn die Eigentumsrechte dritter Personen klar scheinen", gemäß § 104 Abs 1 AußStrG zwar ins Inventar aufzunehmen, jedoch nicht zu bewerten. Sparbücher sind somit dann in das Inventar aufzunehmen und zu bewerten, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zumindest in dessen Besitz standen (HS 10.722; RZ 1980/27; NZ 1984, 129; ÖBA 1996, 879) und nicht erkennbar Eigentumsrechte dritter Personen daran gegeben waren. Ungeachtet des Besitzstands im Todeszeitpunkt fallen jene Sparbücher in die Verlassenschaft, deren Sparguthaben als Forderung dem Erblasser im Zeitpunkt seines Todes zustanden. Es kommt nur darauf an, daß der Erblasser Gläubiger der Sparbuchforderung war. Solange nicht ersichtlich ist, daß ein dem Erblasser als Eigentümer abhanden gekommenes Inhabersparbuch noch vor dem Ableben von einem Dritten gutgläubig erworben worden ist, ist das Sparbuch in die Abhandlung einzubeziehen (Avancini, Auskünfte über Sparbücher im Verlassenschaftsverfahren, NZ 1985, 21 f; 1 Ob 613/94). Die Bestimmung des § 98 AußStrG darf nicht verbotswidrigerweise dazu verwendet werden, Auskünfte über Vermögenswerte zu erlangen, die nicht dem im Besitz des Erblassers befindlich gewesenen Vermögen zugehören (ÖBA 1969, 292; HS 10.722; ÖBA 1994, 731).

Gemäß § 43 AußStrG ist, wenn die Umstände besondere Vorsicht erfordern, so im Falle, daß Erben unfähig zur Vermögensverwaltung oder abwesend sind, der Nachlaß zu sichern. Eine derartige Sicherung setzt voraus, daß die Vermögensgegenstände zum Nachlaß gehören und sich zumindest am Todestag im Besitz des Erblassers befunden haben (EFSlg 42.413). Im vorliegenden Fall sind die Aufzeichnungen des Erblassers mit den verschiedenen Sparbuchnummern das einzige Indiz der Zugehörigkeit von Sparbüchern zum Verlassenschaftsvermögen. Mag auch - wie das Berufungsgericht meint - der Schluß naheliegen, daß mangels Nennung sonstiger Bezeichnungen die den Nummern jeweils zuzuordnenden Sparbücher auf den Überbringer lauteten, kann es nicht Aufgabe des Gerichtskommissärs sein, durch erfundene Zusätze das Sparbuch weiter zu individualisieren und so einen in Wahrheit nicht gegebenen Wissensstand vorzutäuschen. Insoweit aus § 98 AußStrG unter anderem der Schutz des Erben vor bloß unvollständiger Erfassung des Nachlaßvermögens abzuleiten ist, kann dem Notar ein Verstoß somit nicht angelastet werden, weil er auch bei Nachfrage nach den drei strittigen Sparbüchern ohne weitere Individualisierungsmerkmale von der Bank keine im Verlassenschaftsverfahren verwertbare Auskunft erhalten hätte.

§ 98 AußStrG ist insbesondere im Zusammenhalt mit § 43 AußStrG auch dahin zu verstehen, daß der Gerichtskommissär bei Vorliegen von Vorsicht gebietenden Umständen das ihm bekanntgewordene Nachlaßvermögen vor unbefugten Zugriffen Dritter zu sichern hat. Gerade bei Überbringersparbüchern, die in der Verlassenschaft nicht aufgefunden werden konnten, jedoch Teil des Verlassenschaftsvermögens sind, wird eine Sperre der Sparbücher immer zweckmäßig sein (EFSlg 42.413) und ist insoweit gerade der abwesende Erbe vom Schutzzweck der Norm umfaßt. Sicherungsmaßnahmen im Sinne des § 43 AußStrG konnten allerdings vom Notar in der Zeit von Jänner 1991 bis einschließlich Juni 1991 deshalb nicht getroffen werden, weil die Bank Auskünfte über Sparguthaben, von welchen lediglich die Sparbuchnummern angegeben wurden, verweigerte. Daß der Notar nicht verhalten war, weitere erforderliche Individualisierungsmerkmale zu erfinden, wurde bereits dargestellt. Vom Verlassenschaftsgericht kann eine Spareinlage aber erst dann gesperrt werden, wenn feststeht, daß sie in die Abhandlung einzubeziehen ist (Avancini in Avancini/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht I Rz 9/84). Es bleibt daher zu prüfen, ob der Notar eine von der Bank aus den dargestellten Erwägungen nicht zu beantwortende Anfrage nach dem Guthabensstand der Sparkonten auch bei den strittigen Sparbüchern abzufassen gehabt hätte, weil ihm hätte bekannt sein müssen, daß nach einer derartigen Anfrage von der Bank eine "Todfallssperre" der betreffenden Konten verfügt wird. Damit ist es erforderlich, die Rechtsnatur dieser internen Vorschrift der kontoführenden Bank zu durchleuchten:

Das bis 31.12.1993 anzuwenden gewesene KWG unterschied in seinem § 18 Abs 1 (nunmehr: § 31 Abs 1 BWG) Sparurkunden, die auf den Überbringer lauten, und solche, die auf eine bestimmte Bezeichnung, insbesondere auf einen Namen lauten. Bei der zuletzt genannten Kategorie der Sparurkunden war die Kreditunternehmung nach § 18 Abs 8 KWG (nunmehr § 32 Abs 4 BWG) unbeschadet eines vereinbarten Vorbehalts der Unterschriftsleistung oder eines bestimmten Losungsworts berechtigt, aber nicht verpflichtet, an jeden Vorleger der Urkunde Zahlung zu leisten, soweit nicht eine Meldung über den Verlust der Sparurkunde, ein behördliches Verbot oder eine behördliche Sperre die Auszahlung hemmte. Eine Sparurkunde dieser Kategorie legitimierte somit nur zugunsten des Schuldners, nicht auch zugunsten des Inhabers der Urkunde. Das Kreditinstitut konnte zwar an den Präsentator der Sparurkunde Zahlung leisten und diese Leistung wirkte bei Gutgläubigkeit schuldbefreiend, es traf die Kreditunternehmung jedoch keine unbedingte Zahlungspflicht. Sie konnte vielmehr den Nachweis der materiellen Berechtigung des Inhabers verlangen (EvBl 1985/160; Laurer in Fremuth/Laurer/Pötzelberger/Ruess, KWG § 18 Rz 10). Insoweit deckt sich die für das Jahr 1991 relevante Gesetzeslage mit

§ 32 Abs 4 BWG. Für Überbringersparurkunden galt jedoch Abweichendes.

§ 18 Abs 8 KWG war seinem ausdrücklichen Wortlaut nach nur auf

Namenssparurkunden, nicht jedoch auf Überbringersparurkunden anzuwenden. Daraus ist abzuleiten, daß die Bank bei nicht vinkulierten, auf Überbringer lautenden Sparurkunden verpflichtet war, an den Inhaber der Sparurkunde bloß aufgrund des Papiers zu zahlen (Laurer aaO Rz 11; JBl 1995, 180; SZ 68/44).

Gemäß Punkt 31 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Österreichischen Kreditunternehmungen (AGBKr) hat das Kreditinstitut, sobald es vom Ableben eines Kunden Kenntnis erhalten hat, Verfügungen über Konto und Depot nur aufgrund eines Beschlusses des Abhandlungsgerichts oder der Einantwortungsurkunde zuzulassen. Im Einzelfall kann es jedoch solche Verfügungen im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen ausführen. Ebenso wie § 18 Abs 8 KWG ist auch Punkt 31 der AGBKr auf Überbringersparurkunden nicht anwendbar. Die aufgrund der AGBKr vertraglich vereinbarte Verlassenschaftssperre hat nämlich ihre Grenze dort, wo in die Verfügungsberechtigung Dritter eingegriffen würde (Schinnerer/Avancini, Bankverträge I3 224). Bei einem auf Überbringer lautenden (anonymen) Sparbuch kann das Kreditunternehmen aber nicht beurteilen, ob es zum Vermögen des Verstorbenen gehörte, sodaß es mit Rücksicht auf die von Punkt 31 der AGBKr nicht berührte Verfügungsberechtigung Dritter von der vereinbarten Verlassenschaftssperre nicht umfaßt wird (SZ 60/186 = ÖBA, 290 mit im wesentlichen zustimmender Glosse von Avancini). Hiezu kommt, daß die AGBKr zumindest dann nicht anwendbar sind, wenn die für Sparkonten bestehenden Sonderbedingungen nicht darauf verweisen (Avancini aaO Rz 9/34, Rz 9/84).

Die bisher angestellten Erwägungen sind daher dahin zusammenzufassen, daß in dem hier zur Beurteilung anstehenden Zeitraum des Jahres 1991 die Bank bei Inhabersparurkunden die Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens nur dann abwarten konnte, wenn eine gerichtliche Sperre vorlag (Avancini aaO Rz 9/84).

Die von der kontoführenden Bank angeordnete interne "Todfallssperre" beruht somit lediglich auf einer rechtlich unverbindlichen internen Richtlinie (vgl ZVR 1996/96, in welcher Entscheidung der Schutznormcharakter einer derartigen Richtlinie verneint wurde). Auf die Durchführung dieser lediglich aus Vorsichtsgründen angeordneten Maßnahme bestand kein Rechtsanspruch (SZ 60/186), zumal sie einem sich auf das Gesetz berufenden Überbringer des Sparbuchs wohl kaum dauerhaft wirksam hätte entgegengehalten werden können. Daß diese dem Gesetz nicht zu entnehmende Vorgangsweise der kontoführenden Bank dem als Gerichtskommissär tätigen Notar bekannt gewesen wäre, hat die Klägerin im Verfahren erster Instanz weder vorgebracht noch gar unter Beweis gestellt. Es ist daher schon aus diesem Grund ein dem Gerichtskommissär unterlaufener Verstoß gegen die die Sicherung des Nachlasses betreffenden Schutznormen des Außerstreitgesetzes zu verneinen, sodaß der beklagte Rechtsträger nicht zum Ersatz des geltend gemachten Vermögensschadens verhalten werden kann.

Das Amtshaftungsbegehren ist deshalb in Stattgebung der Revision abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 40 ZPO.

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