OGH 1Ob50/95

OGH1Ob50/9530.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Wagner und Mag.Dr.Ernst Reitmayr, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr.Johannes Grund und Dr.Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wegen 100.000 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichts vom 13.Juli 1995, GZ 4 R 245/94-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 2.September 1994, GZ 3 Cg 292/93-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision der klagenden Partei werden die Urteile der Vorinstanzen und das diesen vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben. Die Klage wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 24.200,16 S (darin 4.033,36 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der beklagte Kriminalbeamte der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich verschuldete am 10.Juli 1990 als Lenker eines beim klagenden Kfz-Haftpflichtversicherer freiwillig haftpflichtversicherten Dienstfahrzeugs, dessen Halterin die Republik Österreich, (Bundespolizeidirektion Linz) war, bei einer Dienstfahrt (Rückkehr von der Observierung einer Demonstration) einen Verkehrsunfall, wodurch die klagende Partei als Ersatz von Personen- und Sachschäden 100.000 S weit übersteigende Leistungen an geschädigte Dritte zu erbringen hatte. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKHB 1988, BGBl 1988/107) zugrunde.

Die klagende Partei begehrte vom Beklagten als mitversichertem Lenker wegen dessen Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt und dessen Obliegenheitsverletzung im Versicherungsfall (Verweigerung der Blutabnahme trotz Aufforderung und damit Verletzung der Pflicht, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen) und ihrer daraus resultierenden Leistungsfreiheit nach § 8 Abs 2 Z 2 und Abs 3 AKHB 1988 den Zuspruch von 100.000 S sA. Die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes seien unanwendbar, weil der Anspruch nicht auf Schadenersatz, sondern auf eine als Vertragsverstoß zu qualifizierende Obliegenheitsverletzung gestützt werde, jedenfalls der Beklagte die "schadensstiftende" Handlung aber bloß gelegentlich der Dienstverrichtung begangen habe, weil die Verweigerung des Alkoholtestes in keinem Zusammenhang mit den Aufgaben des Beklagten als Kriminalbeamter stehe.

Der Beklagte wendete ua ein, sich als Organ des Bundes auf einer hoheitlichen Dienstfahrt befunden zu haben.

Die Erstrichterin wies das Klagebegehren ab, weil die (hoheitliche) Dienstfahrt des Beklagten dem Amtshaftungsgesetz zu unterstellen sei. Die beim Verkehrsunfall Geschädigten hätten daher einen Schadenersatzanspruch nur gegen den Bund und nicht gegen den Beklagten als Organ des Rechtsträgers. Derartige Ansprüche könnten daher auch nicht gemäß § 158c Abs 1 und § 158f VersVG auf den klagenden Kfz-Haftpflichtversicherer übergegangen sein, erfahre doch die Schadenersatzforderung durch die Legalzession keine inhaltliche Änderung.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es erwog im wesentlichen, daß weder § 67 Abs 1 VersVG anwendbar sei, weil der Beklagte als berechtigter Lenker nicht dritte Person sei, noch - zufolge § 158b VersVG - die Bestimmung des § 158c iVm § 158f VersVG. Aus einer Verletzung einer gemäß § 8 Abs 2 Z 2 der - zufolge § 1 Abs 1 der BKHB 1989 - auch für die freiwillige Versicherung geltenden AKHB 1988 bestehenden Obliegenheit sei mangels Bestehens einer Legalzessionsnorm der freiwillige Kfz-Haftpflichtversicherer nur berechtigt, seine Leistung an den Versicherungsnehmer zu mindern, nicht aber, vom mitversicherten Lenker jenen Betrag zu fordern, der seiner Leistungsfreiheit im Verhältnis zum Versicherungsnehmer entspreche. Mangels tauglicher Anspruchsgrundlage habe das Erstgericht im Ergebnis zu Recht das Klagebegehren abgewiesen.

Aus Anlaß der Revision der klagenden Partei muß das bisherige Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der beklagte Kriminalbeamte verschuldete den Verkehrsunfall als Lenker eines Dienstfahrzeugs des Bundes bei einer Dienstfahrt. Ansprüche eines bei einem Verkehrsunfall Verletzten unterliegen dann dem Amtshaftungsgesetz, wenn die Fahrt, auf der sich der Verkehrsunfall ereignete, im Rahmen der Hoheitsverwaltung erfolgte. Dazu zählt ua eine Einsatzfahrt der Polizei (Schragel AHG2 Rz 117). Die Heimfahrt von der Observierung einer Demonstration mit einem Dienstfahrzeug erfolgte hoheitlich, ist doch selbst rein faktisches Verhalten bei Vorliegen eines hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhangs mit der hoheitlich zu vollziehenden Aufgabe nach ständiger Rechtsprechung als hoheitlich anzusehen (zuletzt 1 Ob 24/94, 1 Ob 49, 54/95) und der Tätigkeitsbereich, der die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben zum Gegenstand hat, einheitlich als hoheitlich anzusehen, auch wenn einzelne Teile dieser Aufgaben so erfüllt werden, wie sie für sich genommen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild von jedermann wahrgenommen werden könnten (1 Ob 2/94 = JBl 1994, 556). Geschah die Fahrt, bei der sich der Verkehrsunfall ereignete, in Vollziehung der Gesetze und handelte der Beklagte als Organ hoheitlich, ist nicht nur dessen Schadenersatzhaftung gemäß § 1 Abs 1 AHG zu verneinen, sondern ist zufolge § 9 Abs 5 AHG gegen ihn als Organ auch die Beschreitung des Rechtswegs unzulässig (zuletzt 1 Ob 49, 54/95 mwN). Der schuldige Lenker kann in einem solchen Fall weder vom Geschädigten direkt belangt werden noch von einem Dritten, auf den die Schadenersatzforderung durch vertragliche oder gesetzliche Zession übergegangen ist, weil einerseits der Schadenersatzanspruch durch eine Zession keine inhaltliche Änderung erfährt und andererseits das vom Gesetz dem Träger der Amtsstellung bei hoheitlichem Handeln eingeräumte Privileg des § 9 Abs 5 AHG als eine Art von "Immunität" gegen eine direkte klageweise Inanspruchnahme durch einen Geschädigten durchbrochen wäre. Gerade das soll aber verhindert werden. Dem entspricht auch die Rechtsprechung, daß ungeachtet der vom Organ dem Geschädigten gegenüber abgegebenen Erklärung, sich zum Ersatz des Schadens zu verpflichten, dem Geschädigten der Rechtsweg gegen das Organ verschlossen bleibt (SZ 39/150, SZ 36/115; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 234). Somit kann bei der Verschuldung eines Verkehrsunfall durch einen hoheitlich handelnden Lenker dieser weder vom Geschädigten selbst noch von einem Dritten, auf den die Schadenersatzansprüche allenfalls übergegangen sind, belangt werden.

In der Entscheidung 1 Ob 49, 54/95 hat der erkennende Senat mit eingehender Begründung dargelegt, daß der Streitgegenstand auch für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs nach § 9 Abs 5 AHG maßgebend ist. Die Konsequenz dieser Rechtswegunzulässigkeit läßt sich sich nicht dadurch vermeiden, daß der Kläger einen auf dem allgemeinen bürgerlichen Recht beruhenden Anspruchsgrund vorzuschieben versucht (JBl 1994, 556; 1 Ob 49, 54/95). Die rechtliche Beurteilung des Streitgegenstands obliegt nämlich allein dem Gericht. Daraus folgt, daß der Rechtsweg nur dann zulässig ist, wenn ein Rechtsgrund durch entsprechende Tatsachen vorgetragen wird, der eine Inanspruchnahme des Beklagten ungeachtet der Bestimmungen der § 1 Abs 1 iVm § 9 Abs 5 AHG zuläßt. Maßgebend ist insoweit nicht eine entsprechende Rechtsbehauptung der klagenden Partei, sondern der geltend gemachte und allein durch das Gericht zu beurteilende Streitgegenstand. Es ist somit bei der gemäß § 9 Abs 5 AHG erforderlichen Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs gegen ein Organ jeweils zu untersuchen, ob die klagende Partei die beklagte Partei inhaltlich aus einem Hoheitsakt in Anspruch nimmt, wobei es für die prozessualen Konsequenzen der Bejahung eines solchen absoluten Prozeßhindernisses ebensowenig darauf ankommt, ob sich dieses bereits aus der Klageerzählung ergibt oder erst im Lauf des Verfahrens offenkundig wird, ob - entgegen früherer Rechtsprechung und entgegen Schragel (aaO Rz 262 mwN) - das Klagebegehren ausdrücklich auf Amtshaftung gestützt oder gerade nicht gestützt wird und ob der Anspruch in merito zu Recht besteht.

Im vorliegenden Fall ist zwar das Klagebegehren des von den beim Verkehrsunfall Geschädigten in Anspruch genommenen Kfz-Haftpflichtversicherers auf die Verletzung der Obliegenheit im Versicherungsfall nach § 8 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 durch den nach § 1 Abs 2 AKHB 1988 mitversicherten Lenker gestützt. Unabdingbare Voraussetzung einer solchen, nach § 8 Abs 3 AKHB 1988 mit 100.000 S betraglich beschränkten Haftung des Lenkers ist aber ein - hier in Vollziehung der Gesetze verschuldeter - Verkehrsunfall, kommt doch ohne diesen eine Haftung des freiwilligen Kfz-Haftpflichtversicherers (§ 59 Abs 2 KFG) ebensowenig in Betracht wie des mitversicherten Lenkers. Zwar wiederholt die klagende Partei in der Revision ihren Rechtsstandpunkt, keinen Regreß gegen den Beklagten nach § 158c iVm § 158f VersVG zu erheben, ohne indes im Verfahren erster Instanz oder auch nur jetzt Tatsachen vorzutragen, aus denen sich eine vom Verkehrsunfall oder sonst vom Vollzug hoheitlicher Aufgaben losgelöste Haftung des beklagten Lenkers ergeben könnte. Die Halterhaftung nach dem EKHG wurde nicht behauptet; Halter des Dienstkraftfahrzeugs war im übrigen der Bund und nicht der Beklagte.

Auch von amtswegen ist die Unzulässigkeit des Rechtswegs als Mangel einer absoluten Prozeßvoraussetzung gemäß § 240 Abs 3 ZPO in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft einer Sachentscheidung wahrzunehmen (Fasching, Lehrbuch2 Rz 101, 731 ff) und als Nichtigkeitsgrund von den Rechtsmittelinstanzen aus Anlaß eines zulässigen Rechtsmittels aufzugreifen (Kodek in Rechberger, § 477 ABGB Rz 1 f mwN aus der Rechtsprechung; Fasching aaO Rz 733).

Die Kostenentscheidung fußt auf § 51 Abs 1 ZPO. Der klagenden Partei ist es als Verschulden anzulasten, daß sie das Verfahren trotz eines bestehenden absoluten Prozeßhindernisses einleitete und fortsetzte, obwohl der geltendgemachte Anspruch bereits nach der Klageerzählung auch auf einen Hoheitsakt gestützt war; die klagende Partei setzte das Verfahren, nachdem der Beklagte eingewendet hatten, daß das Urteilsbegehren aus einem schadensursächlichen Hoheitsakt abgeleitet werde, unbeirrt fort. In der Sache wies der Beklagte nicht nur im Verfahren erster Instanz, sondern auch in seinen Rechtsmittelgegenschriften jeweils darauf hin, daß den Klagebehauptungen ein Sachverhalt zugrunde liege, auf den § 9 Abs 5 AHG Anwendung finden müsse. Es sind ihm somit seine durch das nichtige Verfahren entstandenen Kosten zuzusprechen.

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