OGH 1Ob6/95

OGH1Ob6/9530.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*****-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Eisenberger und Dr.Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Gemeinde F*****, vertreten durch Dr.Hella Ranner und Dr.Franz Krainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 575.731,52 s.A. und Feststellung (Streitwert S 100.000) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 12.Juli 1994, GZ 5 R 69/94-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 2.Februar 1994, GZ 29 Cg 9/93-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 21.861,-- (darin enthalten S 3.643,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung

Am 2.6.1987 ereignete sich auf der Landesstraße ***** bei Kilometer 0,370 im Gemeindegebiet von F***** im Bereich der Einmündung der Straße zum Bahnhof S***** ein Verkehrsunfall, an dem Hildegard Sch***** als Lenkerin eines Mopeds einerseits und Gerhard L***** als Lenker und Halter des bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKW Honda mit dem amtlichen Kennzeichen St ***** andererseits beteiligt waren. Hildegard Sch***** erlitt bei diesem Unfall schwere Verletzungen. Es handelte sich ihrerseits um einen Arbeitsunfall.

Im Verfahren AZ 11 Cg 159/90 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz begehrte die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt Wien von Gerhard L***** und der hier klagenden Partei als dessen Haftpflichtversicherin gemäß § 332 ASVG Zahlung von S 197.146,54 s.A. und die Feststellung, daß die dort beklagten Parteien zur ungeteilten Hand verpflichtet seien, ihr ihre künftigen Pflichtaufwendungen an Hildegard Sch***** wegen des Unfalls vom 2.6.1987 unter Berücksichtigung des Alleinverschuldens des Gerhard L***** zu ersetzen, wobei die Haftung des Haftpflichtversicherers durch seine Leistungspflicht aus dem im Unfallszeitpunkt für den unfallsbeteiligen PKW abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag begrenzt sei. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt behauptete, Gerhard L***** habe den Unfall durch Verletzung des der Hildegard Sch***** zukommenden Rechtsvorrangs verschuldet. Die (hier) klagende Partei wendete dort ein, bei der von Hildegard Sch***** benützten Bahnhofszufahrt habe es sich um eine untergeordnete Verkehrsfläche gehandelt, diese sei daher gegenüber Gerhard L***** wartepflichtig gewesen. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz wies das Klagebegehren mit Urteil vom 8.1.1991 zur Gänze ab. Infolge der dagegen von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt erhobenen Berufung änderte das Oberlandesgericht Graz diese Entscheidung mit Urteil vom 10.9.1991 dahin ab, daß es dem Feststellungsbegehren mit Teilurteil stattgab; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes zwar S 50.000 übersteige, die ordentliche Revision jedoch nicht zulässig sei. Im übrigen hob es das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die im Vorprozeß beklagten Parteien, somit auch die hier klagende Partei, ließen das Teilurteil in Rechtskraft erwachsen. Im zweiten Rechtsgang des Vorprozesses erging am 7.11.1991 ein weiteres Teilurteil, mit dem dem Leistungsbegehren der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt mit dem Betrag von S 129.678,24 samt 4 % Zinsen seit 26.5.1990 stattgegeben wurde; die Kostenentscheidung wurde der Endentscheidung vorbehalten. Das Teilurteil blieb unangefochten. In der Folge trat dort Ruhen des Verfahrens ein.

Das Oberlandesgericht Graz legte im Vorprozeß seiner Entscheidung nachstehende Feststellungen über die Unfallstelle zugrunde:

Die Unfallsstelle liegt im Freilandgebiet. Die Landesstraße verläuft im Unfallsbereich annähernd in Ost-West-Richtung. Die Zufahrt zum Bahnhof mündet aus Norden kommend in die Landesstraße ein. Als Bezugslinie wurde eine Normale zur Fahrbahnlängsachse der Landesstraße auf Höhe der östlichen Begrenzung des Bordsteines gewählt, die die östliche Randlinie des Einmündungstrichters der Zufahrt zum Bahnhof bildet. Im näheren Unfallsbereich ist die mit einer Rauhasphaltdecke versehene Fahrbahn der Landesstraße insgesamt 5,7 m breit. Annähernd in Fahrbahnmitte verläuft eine Leitlinie. Der Einmündungstrichter der Bahnhofszufahrt erstreckt sich am nördlichen Fahrbahnrand der Landesstraße von einem Punkt rund 1 m östlich der Bezugslinie bis 18 m westlich davon. Die Bahnhofszufahrt ist ebenso wie die Landesstraße mit einer Rauhasphaltdecke versehen; im Bereich der Verschneidungslinie ist eine Asphaltnaht mit einer dunkleren Asphaltschicht vorhanden. Neun Meter nördlich der Verschneidungslinie befindet sich senkrecht zur Bahnhofszufahrt eine zweiarmige Schrankenanlage. Am östlichen Schranken ist die Zusatztafel: „Schranke an Werktagen von 21.20 Uhr bis 04.10 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 21.20 bis 5.10 Uhr gesperrt. Einfahrt für Einsatzfahrzeuge freihalten!“ angebracht. Im Bahnhofszufahrtsbereich ist an beiden Rändern des Einmündungstrichters ein Halteverbot verfügt. Auf Höhe von etwa 5 m nördlich der Verschneidungslinie ist rund 1,5 m westlich der westlichen Begrenzung der Bahnhofszufahrt eine Hinweistafel mit der Aufschrift „Zufahrt Silo G*****“ aufgestellt; diese Hinweistafel weist mit der Pfeilspitze in Richtung Norden annähernd zum Bahnhofsgelände hin. Beiderseits der Unfallsstelle verläuft die Landesstraße über mehr als 100 m gerade und übersichtlich; vom Einfahrtstrichter der Bahnhofszufahrtsstraße besteht Sicht in Richtung Osten über mindestens 200 m. Im Unfallsbereich ist für die Landesstraße eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h verfügt. Zum Zeitpunkt des Ortsaugenscheins (des Erstgerichts) am 16.11.1990 war auf dem westlichen Wiesengelände der Bahnhofszufahrt das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ aufgestellt. Auf Höhe der Schrankenanlage weist die Bahnhofszufahrt zwischen den Bordsteinkanten eine Gesamtbreite von 7,8 m auf. Östlich der östlichen Begrenzung des Einmündungstrichters befindet sich rund 3 m nördlich der Verschneidungslinie auf dem Wiesengelände die Hinweistafel für die Zufahrt zum Bahnhof S*****. Die Schranken sind aus der Fahrtrichtung des Gerhard L***** nicht erkennbar. Mit Verordnung vom 5.11.1980 war über Antrag der Gemeinde F***** aus Gründen der allgemeinen Verkehrssicherheit angeordnet worden, daß vor der Einmündung der Bahnhofszufahrtsstraße das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ aufzustellen sei. Die Aufstellung ist jedoch bis zum Unfall unterblieben und erst am 17.11.1987 nachgeholt worden.

Aufgrund dieser Feststellungen zum Unfallsbereich nahm das Berufungsgericht im Vorprozeß an, daß Hildegard Sch***** der Rechtsvorrang nach § 19 Abs 1 StVO zugekommen sei.

Die klagende Partei begehrte mit ihrer Amtshaftungsklage vom beklagten Rechtsträger den Ersatz von zwei Dritteln ihres ingesamt mit S 863.597,28 bezifferten Schadens und die Feststellung, daß die beklagte Partei schuldig sei, ihr zwei Drittel jener Leistungen zu ersetzen, die sie in Hinkunft im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 2.6.1987 als Haftpflichtversicherer des PKW des Gerhard L***** an Hildegard Sch***** und deren Legalzessionare zu erbringen haben werde. Hiezu behauptete sie die Erbringung folgender Leistungen:

a) Regreßzahlung an die Steiermärkische Gebietskrankenkasse von S 169.778,28;

b) Prozeßkosten von S 179.360,-- im Vorprozeß (AZ 11 Cg 159/90 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz),

c) „Aufwand der AUVA“ im Betrag von S 137.459,- -;

d) Ansprüche der Direktgeschädigten im Gesamtbetrag von S 365.000,-- (Schmerzengeld S 320.000,- -; Fahrzeugschaden S 7.000,- -; Fahrtspesen S 5.000,- -; Kleiderschaden S 3.000; Vertretungskosten S 30.000,- -) und

e) Gutachtenskosten von S 12.000.

Die beklagte Partei hafte, weil sie es unterlassen habe, das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ (zeitgerecht) aufzustellen, obwohl sie selbst in Kenntnis der Gefährlichkeit der Unfallskreuzung die Verordnung über die Aufstellung des Verkehrszeichens erwirkt habe. Diese Unterlassung sei schadenskausal, weil Hildegard Sch***** bei Vorhandensein des Verkehrszeichens ihr Einfahrmanöver in die Kreuzung unterlassen hätte und die Vorrangsituation rechtlich einwandfrei im Sinne der Wartepflicht der Mopedlenkerin beurteilbar gewesen wäre.

Die beklagte Partei wendete Unzulässigkeit des Rechtsweges ein, bestritt ihre Passivlegitimation, erhob den Einwand der Verjährung und beantragte die Klagsabweisung im wesentlichen mit der Begründung, daß Hildegard Sch***** auch nach dem im Vorprozeß von der klagenden Partei eingenommenen Standpunkt eine untergeordnete Verkehrsfläche befahren habe, sodaß der Schaden nicht durch die unterbliebene Kundmachung der Verordnung eingetreten, sondern auf die Vorrangverletzung durch die Mopedlenkerin zurückzuführen sei. Durch die Aufstellung des Verkehrszeichens „Vorrang geben“ wäre nur eine ohnehin schon durch die Örtlichkeit erkennbar gegebene Situation verdeutlicht worden. Die Unterlassung der Aufstellung sei ohne Auswirkung auf das Schadensereignis gewesen.

Das Erstgericht wies sowohl das Leistungs- wie auch das Feststellungsbegehren ab. Es stellte fest, die beklagte Partei habe mit Schreiben vom 12.7.1980 die Bezirkshauptmannschaft F***** um die Erlassung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Landesstraße ***** im Bereich des Bahnhofwegs ersucht; nach Durchführung von Erhebungen sei mit Verordnung vom 5.11.1980 neben einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h für die Landesstraße ***** zwischen dem Lagerhaus und der Einmündung in die B ***** weiters noch - ohne entsprechenden Antrag der beklagten Partei - die Aufstellung des Verkehrszeichens „Vorrang geben“ vor der Einmündung der Straße zum Bahnhof in die L ***** angeordnet worden. Zur Aufstellung dieses Verkehrszeichens und der Kundmachung dieses Verordnungsteils durch die beklagte Partei sei es aus nicht bekannten Gründen erst am 17.11.1987, also einige Monate nach dem hier zu beurteilenden Unfall, gekommen. Die Einfahrt zum Bahnhof S*****, der Bahnhofsvorplatz und die Ladestraße seien 1982 aus Mitteln des regionalen Beschäftigungsprogramms 1982 der Bundesregierung asphaltiert worden.

Das Erstgericht verwarf die Unzulässigkeitseinrede, ging in rechtlicher Beurteilung von einer Verpflichtung der beklagten Partei als Straßenerhalters zur Kundmachung der Verordnung über das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ aus, verneinte aber einen Ersatzanspruch der klagenden Partei aus der unterbliebenen Aufstellung dieses Verkehrszeichens im wesentlichen mit der Begründung, daß die Norm des § 43 Abs 1 lit b Z 2 StVO nicht dem Schutz des individuellen Interesses eines vermeintlich in Vorrang befindlichen Verkehrsteilnehmers diene.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Es führte aus, die klagende Partei habe die beklagte Gebietskörperschaft als Straßenerhalter in Anspruch genommen, weil diese an der Kundmachung einer von der Straßenaufsichtsbehörde erlassenen Verordnung (Aufstellen des entsprechenden Verkehrszeichens) nicht mitgewirkt habe. Die Kundmachung von Verordnungen, die aufgrund der Bestimmungen des § 43 Abs 1 lit b Z 2 StVO erlassen werden, habe gemäß den §§ 44 und 48 StVO zu erfolgen; auch der Kundmachungsakt falle in den Bereich der Hoheitsverwaltung. Die klagende Partei mache einen Amtshaftungsanspruch geltend, für den der Rechtsweg zulässig sei. Die beklagte Partei sei Straßenerhalter der Zufahrtsstraße zum Bahnhof F*****. Die Kundmachung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft F***** sei Landessache gewesen, weshalb für dabei unterlaufene Fehler (grundsätzlich) der Rechtsträger Land haftbar zu machen sei. Gemäß § 1 Abs 3 AHG sei aber eine Mithaftung desjenigen Rechtsträgers vorgesehen, dem das Organ, das hätte tätig werden sollen, organisatorisch zugehört. Der beklagte Rechtsträger hätte als Straßenerhalter tätig werden müssen; ein ihm organisatorisch zuzuordnendes Organ habe die Aufstellung oder die Anordnung der Aufstellung des Verkehrszeichens unterlassen. Demnach sei die beklagte Partei gemäß § 1 Abs 3 AHG passiv klagslegitimiert. Wohl könne ein Amtshaftungsanspruch nur entstehen, wenn alle Rechtsmittelmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien, im vorliegenden Fall hätte der Schaden aber durch die Erhebung einer außerordentlichen Revision (im Vorprozeß) nicht verhindert werden können, weil der Schaden schon durch den Unfall eingetreten sei. Richtigerweise sei im Vorprozeß der Rechtsvorrang der Mopedlenkerin als gegeben angenommen worden, weil diese keine untergeordnete Verkehrsfläche befahren habe. Bei seiner Entscheidung habe sich das Berufungsgericht im Vorprozeß an der ständigen Judikatur orientiert, sodaß einer außerordentlichen Revision höchstwahrscheinlich kein Erfolg beschieden gewesen wäre, wiewohl ein außerordentlicher „Revisionsrekurs“ grundsätzlich einen Rechtsbehelf im Sinne des § 2 Abs 2 AHG darstelle. Der von der klagenden Partei behauptete Anspruch sei auch nicht verjährt. Die unterbliebene Aufstellung des Verkehrszeichens „Vorrang geben“ sei für den Unfall bzw dessen Folgen kausal gewesen, weil sich Hildegard Sch***** als die bei Aufstellung des Verkehrszeichens dann eindeutig Wartepflichtige anders verhalten hätte oder der Unfallsablauf eindeutig im Sinne einer Vorrangverletzung durch sie zu beurteilen gewesen wäre. Die beklagte Partei habe nichts vorgebracht, was die unterlassene Aufstellung des Verkehrszeichens entschuldigen könnte. Daß der Grund für die verspätete Aufstellung nicht feststellbar sei, gehe zu Lasten der beklagten Partei. Auch § 43 Abs 1 lit b Z 2 StVO stelle eine Schutzvorschrift im Sinne des § 1311 ABGB dar. Bei Verletzung gesetzlicher Schutzpflichten durch die Behörden hafteten diese nach den amtshaftungsgesetzlichen Bestimmungen. Die Verletzung sei in der nicht gehörigen Kundmachung der Verordnung durch die beklagte Partei zu erblicken. Das Verfahren sei mangels Feststellungen zur Schadenshöhe und zum Feststellungsinteresse nicht spruchreif.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Auf den in erster und zweiter Instanz erhobenen Einwand der Verjährung kommt die beklagte Partei im Rekurs nicht mehr zurück, sodaß sich eine Stellungnahme zur Verjährungsfrage erübrigt.

A. Zur Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs:

Die Vorinstanzen haben die Zulässigkeit des Rechtswegs bejaht, weil die Aufstellung des Verkehrszeichens „Vorrang geben“ im Rahmen der Hoheitsverwaltung zu erfolgen gehabt hätte und die fehlerhafte (unterlassene) Kundmachung zur Haftung nach dem Amtshaftungsgesetz führen könne. Verwirft das Gericht zweiter Instanz die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs und verneint es damit das Vorliegen einer Nichtigkeit, ist diese Frage abschließend geklärt und kann auch aufgrund eines Rekurses vom Obersten Gerichtshof nicht mehr wahrgenommen werden (WoBl 1993/31; JBl 1992, 780; JBl 1989, 389 uva).

B. Zur Frage der mangelnden Passivlegitimation:

Die Vollziehung von Angelegenheiten der Straßenpolizei ist gemäß Art.11 Abs.1 Z 4 B-VG Landessache (1 Ob 24/94; SZ 56/134). Die Anbringung des Verkehrszeichens „Vorrang geben“ fällt nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde nach § 94 d StVO. Der beklagte Rechtsträger hätte hiebei vielmehr Aufgaben des Landes zu erfüllen. Für gesetzwidrige Handlungen der Gemeindeorgane in Ausübung des vom Land übertragenen Wirkungsbereiches müßte daher grundsätzlich das Land einstehen (SZ 56/134; SZ 54/12). Gemäß dem mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 angefügten § 1 Abs.3 AHG haftet mit dem im § 1 Abs.1 AHG genannten Rechtsträger zur ungeteilten Hand auch derjenige, als dessen Organ die handelnde Person gewählt, ernannt oder sonstwie bestellt worden ist. Aus Gründen der Verbesserung des Rechtsschutzes wurde eine Mithaftung desjenigen Rechtsträgers vorgesehen, dem das handelnde bzw. zur Handlung verpflichtete Organ organisatorisch zugehört (Schragel, AHG2 Ergänzungsheft, 5). Die beklagte Partei wurde von der Straßenaufsichtsbehörde ausdrücklich ersucht (= beauftragt), das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ aufzustellen. Ein der beklagten Partei organisatorisch zuzuordnendes Organ (eine physische Person) hat in der Folge die Aufstellung oder die Anordnung der Aufstellung des Straßenverkehrszeichens unterlassen, weshalb die passive Klagslegitimation aufgrund der Bestimmung des § 1 Abs.3 AHG zu bejahen ist. Auf die von der beklagten Partei in Zweifel gezogene Straßenerhaltereigenschaft muß daher nicht eingegangen werden.

C. Zur Frage der Aktivlegitimation bzw. der Verletzung einer Schutzvorschrift:

Daß die klagende Partei ihren auf sie als Versicherer kraft Legalzession (§ 67 VersVG) übergegangenen Ausgleichs-(Regreß-)Anspruch des bei ihr versicherten Mitschädigers (Haftungspflichtigen nach dem EKHG) geltend machen kann, den sie darauf stützt, daß der beklagte Rechtsträger den Unfall durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten in Vollziehung der Gesetze mitverursacht habe (so zB SZ 54/12), ist im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr strittig.

Die Normen der Straßenverkehrsordnung sind grundsätzlich Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB, das gilt auch für die Vorschrift des § 43 Abs.1 lit.b Z 2 StVO. Soweit die Behörde gesetzliche Schutzpflichten treffen, haftet für deren Verletzung der Rechtsträger nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes. Die beklagte Partei müßte beweisen, daß ihr Organ an der Unterlassung der Aufstellung des Verkehrszeichens kein Verschulden trifft (1 Ob 24/94 mwN; JBl 1993, 788; EvBl 1988, 30; SZ 56/134; SZ 54/12). Für das mangelnde Verschulden ihrer Organe hat die beklagte Partei weder Behauptungen aufgestellt noch den Beweis angetreten. Die von der beklagten Partei übertretene Verhaltensnorm (Verpflichtung zur Aufstellung des Verkehrszeichens) diente zweifelsohne auch dazu, Schäden wie den eingetretenen zu verhindern (JBl 1993, 532 ua): Die Anordnung, das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ aufzustellen, bezweckt entweder die Klärung einer unsicheren Verkehrslage oder aber, einem bestimmten Straßenzug den Vorrang einzuräumen, der ihm sonst nicht zukommt. Durch dieses Verkehrszeichen werden die Straßenbenützer in die Lage versetzt, ohne längeres Nachdenken Vorrangverhältnisse rasch zu erkennen und entsprechend zu handeln; gerade dieses Ziel verfolgte aber die Straßenaufsichtsbehörde mit der Anordnung, das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“.

D. Zur Frage der tatsächlichen Vorrangverhältnisse:

Die Beurteilung der Frage, ob eine nach § 19 Abs.6 StVO benachrangte Verkehrsfläche vorliegt, ist nach objektiven Kriterien vorzunehmen; dabei kommt es immer auf die konkreten Umstände des Falls an. Maßgebend ist, ob sich die in Betracht kommende Verkehrsfläche in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet. Die Verkehrsbedeutung und Frequenz ist dabei nicht entscheidend. Relevant ist, ob sich die Verkehrsfläche für die Benützer der beiden Straßen während der Fahrt nach objektiven Kriterien in ihrer gesamten Anlage eindeutig von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet. Im Zweifelsfall ist immer der Rechtsvorrang als gegeben anzunehmen (2 Ob 32/94; ZVR 1992/115; ZVR 1990/113; ZVR 1990/145; ZVR 1990/146 uva). Da es die beklagte Partei im gesamten Verfahren unterlassen hat, konkretes Vorbringen dahin zu erstatten, aufgrund welcher Umstände die zum Bahnhof führende Straße als untergeordnete Verkehrsfläche erkannt werden konnte, haben die Vorinstanzen im Zweifelsfall zu Recht den Rechtsvorrang (der Mopedlenkerin) als gegeben angenommen. Es schadet daher nicht, daß die Vorinstanzen keine Feststellungen über die Unfallsörtlichkeit getroffen haben, daß vielmehr das Gericht zweiter Instanz lediglich die im Vorprozeß getroffenen Feststellungen über die Unfallsörtlichkeit wiedergegeben und offensichtlich der Entscheidung zugrundegelegt hat.

Das (Mit-)Verschulden des PKW-Lenkers am Zustandekommen des Unfalls räumt selbst die klagende Partei ein. Es ist aber auch daran nicht zu zweifeln, daß die Unterlassung der beklagten Partei für den Unfall insofern kausal war, als die Mopedlenkerin dann wohl nicht unter Mißachtung des Vorrangs des PKW-Lenkers in die Kreuzung eingefahren wäre; andernfalls stünde ihr Verschulden an dem Unfall fest, sodaß der der klagenden Partei erwachsene Schaden zumindest nicht im aufgetretenen Umfang entstanden wäre.

E. Zur Frage, ob die klagende Partei den Schaden durch die Erhebung eines Rechtsmittels hätte abwenden können:

Gemäß § 2 Abs.2 AHG besteht der Ersatzanspruch gegen den Rechtsträger nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Nach dem Willen des Gesetzgebers hat die Rechtsprechung im einzelnen Fall nur zu entscheiden, ob und inwieweit ein fehlerhafter Akt der hoheitlichen Vollziehung die Amtshaftung eines Rechtsträgers begründet, weil der Schaden, obgleich der Rechtsmittelzug erschöpft und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ergriffen worden war, nicht abgewendet werden konnte. Der Amtshaftungsanspruch ist also insofern formell subsidiär, als ein durch eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung eines Rechtsträgers Geschädigter zunächst verpflichtet ist, die ihm vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten und eine Abwendung des Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe - ausgenommen die im § 2 Abs.2 AHG nicht erwähnte Verfassungsgerichtshofbeschwerde - auszunützen. Amtshaftung hat demnach nur einzutreten, wenn das von den Gesetzen primär zur Verfügung gestellte Sicherheitsnetz an Rechtsbehelfen nicht ausreicht oder ausreichen könnte, den Schaden noch zu verhindern. Die vorherige erfolglose Ergreifung der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe oder die Aussichtslosigkeit, daß diese Rechtsbehelfe den Schaden noch hätten abwenden können, ist somit anspruchsbegründendes Element für die Amtshaftung; Ersatz soll nur für unkorrigierbare Vollzugsakte geleistet werden. Das Wort „können“ im § 2 Abs.2 AHG bedeutet nur, daß ein Rechtsbehelf bestand, der seiner Art nach abstrakt die Möglichkeit bot, den Eintritt eines Schadens zu verhindern oder einen bereits eingetretenen Schaden zu mindern. Es ist nicht Aufgabe des Amtshaftungsprozesses, den hypothetischen Erfolg eines unterlassenen Rechtsbehelfes, wäre er ergriffen worden, nachzuvollziehen. Nur offenbar aussichtslose Abhilfemaßnahmen lassen die Rechtsfolgen des § 2 Abs.2 AHG nicht eintreten, was vor allem dann der Fall ist, wenn ein bestimmter Rechtsbehelf schon nach seiner abstrakten Wirkungsmöglichkeit zur Schadensabwehr ungeeignet ist (1 Ob 15/95; 1 Ob 9/93; JBl 1993, 788; vgl. ÖJZ 1993/465; JBl 1992, 249; ZVR 1992/57; EvBl 1990/47; SZ 61/211; 1 Ob 41/83; SZ 55/190; SZ 55/81; SZ 54/86 uva). Dies gilt selbst dann, wenn der Geschädigte eine Entscheidung für richtig hält, weil die Absicht des Gesetzes dahin geht, nur für jene Eingriffe Ersatz zu gewähren, für deren Folgen keine verfahrensrechtlich mögliche (zulässige) Abhilfe mehr in Betracht kam (SZ 55/81). Im vorliegenden Fall hat die klagende Partei gegen das im Vorprozeß ergangene Feststellungs-(Teil-)Urteil des Oberlandesgerichtes Graz keine außerordentliche Revision erhoben, obwohl das Berufungsgericht ausgesprochen hatte, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige. Sie hat auch das Teilurteil vom 7.11.1991 (AS 111 in 11 Cg 159/90 des LG für ZRS Graz), mit welchem sie zur Bezahlung von S 129.678,24 an die AUVA verpflichtet wurde, nicht bekämpft. Zu prüfen ist, ob ihr in diesem Umfang eine Vernachlässigung der Rettungspflicht gemäß § 2 Abs.2 AHG zur Last fällt.

Eine (außerordentliche) Revision der klagenden Partei im von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Wien angestrengten Vorprozeß hätte den der klagenden Partei entstandenen Schaden nicht verhindern können. Der Schaden war nämlich bereits durch den Unfall eingetreten, zumal die klagende Partei als Haftpflichtversicherer für das Fehlverhalten des bei ihr versicherten PKW-Lenkers gemeinsam mit diesem haftet. Gleiches gilt für die Erhebung eines Rechtsmittels gegen das im Vorprozeß ergangene Teilurteil. Diese Rechtsmittel hätten nur noch die Haftung der klagenden Partei und damit auch das Entstehen eines Regreßanspruches gegen die beklagte Partei verhindern können. Solche Ansprüche hat § 2 Abs.2 AHG aber nicht im Auge, sondern nur den Schaden des durch die Verletzung von hoheitlichen Pflichten Geschädigten. Nur diesen treffen daher auch die sich aus § 2 Abs.2 AHG ergebenden Pflichten (SZ 61/211). Unter „Rechtsmittel“ im Sinne des § 2 Abs.2 AHG sind nur prozessuale Rechtsbehelfe, wenn auch im weiteren Sinn, zu verstehen, nicht aber die Verfolgung materieller Rechtsansprüche wie insbesondere Klageführungen gegen Dritte (SZ 54/12; Schragel aaO Rz 182) bzw. das Unterlassen von (allenfalls zielführenden) Einwendungen in einem von einem Dritten angestrengten Rechtsstreit. Dem § 2 Abs.2 AHG ist eine Regreßbeschränkung des solidarisch mit dem Rechtsträger haftenden und bereits zum Schadenersatz herangezogenen Dritten nicht zu entnehmen (SZ 54/12). Der klagenden Partei ist sohin eine Verletzung der im § 2 Abs.2 AHG normierten Rettungspflicht nicht anzulasten.

Damit erweist sich der Rekurs als nicht berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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