OGH 8ObS37/95

OGH8ObS37/9514.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Walter Holzer und Ignaz Gattringer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Emanuela C*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Wien, Niederösterreich und Burgenland, Wien 4, Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insovenz-Ausfallgeld (S 160.907,76 netto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Mai 1995, GZ 9 Rs 16/95-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27.September 1994, GZ 11 Cgs 39/94v-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.154,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.359,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat zutreffend begründet, daß die Abweisung der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin der klagenden Partei (GesmbH mit Sitz in Frankfurt am Main) durch das deutsche Gericht (Amtsgericht Frankfurt am Main) in den Wirkungen hinsichtlich der Voraussetzungen des Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld gemäß § 1 Abs 1 Z 3 IESG einem Beschluß durch ein inländisches Gericht gleichzuhalten ist; es genügt daher, auf die Richtigkeit der Begründung zu verweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Art 1 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Konkurs- und Ausgleichs- (Vergleichs-) Rechts, BGBl 233/1985, erwähnt ausdrücklich nur die "Eröffnung des Konkursverfahrens" und geht vom Grundsatz der Universalität und der Einheit des Konkurses aus (RV 77 GP 15). Die Ablehnung der Eröffnung des Konkurses mangels hinreichenden Vermögens (§ 1 Abs 1 Z 3 IESG) ist nicht in Art 1 dieses Vertrages genannt, wohl aber in Art 17 Abs 1 zweiter Satz. Der Eröffnung des Konkursverfahrens im Sinne des Art 1 des Vertrages ist im Sinne der Wirkungen für das Inland auch die Ablehnung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens gleichzuhalten, denn die Erstreckung der Wirkungen über die Eröffnung des Konkurses ist zweiseitig in der Weise zu sehen, daß auch die Wirkungen der Nichteröffnung durch Art 1 erfaßt sind. Derartige Normen sind im Zweifel zweiseitig zu verstehen, umgekehrt haben einseitige Verfahrensregelungen, die von zwei Möglichkeiten nur an eine derselben bestimmte prozessuale Wirkungen knüpfen (zB § 24 Abs 2 JN; §§ 153, 192 Abs 2, 517 Z 1, 519 Abs 1 Z 1 ZPO ua) durchwegs Ausnahmscharakter in der Weise, daß nur eine Entscheidungsmöglichkeit aus Gründen der Prozeßökonomie anfechtbar ist (5 Ob 523/95). Es ist daher nicht erforderlich, daß die Norm ausdrücklich beide Korrelate oder sämtliche (mehreren) Varianten anführt. Soferne die maßgeblichen teleologischen Erwägungen für beide (oder mehrere) Möglichkeiten zutreffen, ist der Rechtsfolge der Konkurseröffnung auch die Ablehnung eines Antrages auf Eröffnung eines Konkurses mangels hinreichenden Vermögens gleichwertig.

Freilich bedarf es hiezu noch des Nachweises gleichlaufender teleologischer Erwägungen.

Nach der Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20.10.1980 idF Rl 87/164/EWG vom 2.3.1987 gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die ..... zuständige Behörde (Artikel 2 Abs 1 lit b)

Dementsprechend steht gemäß § 141 b Abs 3 des (deutschen) Arbeitsförderungsgesetzes (AFG vom 25.6.1969, BGBl I S 582) der Eröffnung des Konkursverfahrens - hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen für Konkursausfallgeld - die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse gleich (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch7, 706 mwN der Judikatur des BSG). Damit ist die Regelung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem AFG ebenso richtlinienkonform wie nach den IESG.

Ebenso wie der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung einfachen Gesetzesrechtes (vgl Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verfassungsrechtes7 Rz 135) und der gesetzeskonformen Auslegung von Kollektivverträgen (vgl etwa 9 Ob A 102/94) anerkannt ist, gebietet der "Anwendungsvorrang" des EWG-Abkommens (vgl RdW 1995, 15 = WBl 1995, 21; Ciresa RdW 1995, 1) die richtlinienkonforme Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen für Insolvenz-Ausfallgeld in der Weise, daß eine richtlinienkonforme deutsche Regelung mit einer richtlinienkonformen Regelung nach den IESG möglichst abgestimmt wird. Nach dem Territorialitätsprinzip im Sozialversicherungsrecht,

das auch für Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld gilt (9 Ob S 32/93 =

RdW 1994, 320 = ecolex 1994, 493 = ARD 4572/23/94), hat die Klägerin,

für die unstreitig Beiträge gemäß § 12 Abs 1 Z 5 IESG zum österreichischen Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geleistet wurden, daher einen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld.

Die Ausführungen der beklagten Partei, die Regelung des Art 1 des Vertrages stelle ebenso eine abschließende Regelung nur der Konkurseröffnung dar, wie § 1 Abs 1 letzter Satz IESG, und die Erwähnung der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens mangels hinreichenden Vermögens in Art 17 Abs 1 des Vertrages betreffe nur die außerkonkursrechtlichen Rechtsfolgen (Beschränkungen der Ausübung eines Berufes, eines Gewerbes oder der staatsbürgerlichen Rechte sowie der gesetzlichen Befugnis, ein fremdes Vermögen zu verwalten), lassen die zuvor dargelegte Teleologie und die völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs zur Harmonisierung der Anspruchsvoraussetzungen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland außer Acht. Eine von den Richtlinien abweichende Vorgangsweise, nämlich die Nichtgewährung von Insolvenz-Ausfallgeld im Falle der Klägerin, würde Österreich, worauf die Revisionsbeantwortung zutreffend hinweist, vielmehr schadenersatzpflichtig machen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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