OGH 1Ob562/95

OGH1Ob562/9527.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Martin S*****, geboren am 13.August 1990, infolge Revisionsrekurses des Vaters Mag.Gerhard S*****, Lehrer, *****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 16.November 1993, GZ 44 R 864/93-20, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 30.September 1993, GZ 6 P 103/93-16, bestägigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Aufgrund des schriftlichen Vertrages vom 3.Mai 1991, den das Bezirksgericht Favoriten mit seinem seit 2.August 1991 rechtskräftigen Beschluß vom 4.Juni 1991 bewilligte, nahm ein Ehepaar den am 13.August 1990 geborenen Martin an Kindesstatt an. Die Wahleltern sind Lehrer. Deren Ehe wurde durch den seit 24.Februar 1993 rechtskräftigen Beschluß vom 14.Dezember 1992 geschieden. Im Vergleich über die Scheidungsfolgen kamen die Wahleltern überein, die Obsorge für Martin der Wahlmutter zu übertragen; das Bezirksgericht Favoriten erteilte diesem Vergleich durch seinen Beschluß vom 10.März 1993 die pflegschaftsbehördliche Genehmigung. Mit am 28.September 1993 beim Pflegschaftsgericht eingelangtem Schriftsatz vom 20.September 1993 beantragte der Wahlvater, die Obsorge für Martin „in Zukunft“ beiden Wahleltern zuzuweisen.

Das Erstgericht wies dieses Begehren ab; es vertrat rechtlich im wesentlichen die Ansicht: Der Antrag des Wahlvaters widerspreche § 177 Abs 1 ABGB. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung JBl 1992,699, bereits ausgesprochen, daß dieser Bestimmung „auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes keine verfassungsrechtlichen Bedenken“ entgegenstünden. Nach ständiger Rechtsprechung komme eine gemeinsame Obsorge geschiedener Eltern für ihr Kind im übrigen nur unter den in § 167 ABGB geregelten - jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllten - Voraussetzungen in Betracht. Wiederholt habe der Oberste Gerichtshof auch schon ausgesprochen, daß sich die Zuteilung der Kindesobsorge an beide, nicht in dauernder häuslicher Gemeinschaft lebenden Elternteile nach „dem Gesetzeswortlaut selbst verbiete und generell vom Wohl der Kinder her gesehen nicht erforderlich sei“. Die Entscheidung EvBl 1992/185 stelle zudem klar, daß es beiden Elternteilen nach Zuteilung der Kindesobsorge an einen von ihnen unbenommen bleibe, diese einvernehmlich auszuüben. Fehle es dagegen an einem Einvernehmen der Eltern, müsse es zu der vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelung kommen. Nach dem Antragsvorbringen des Wahlvaters bestünden Differenzen zwischen den Eltern, die außerdem nicht in dauernder häuslicher Gemeinschaft lebten und auch keinen gemeinsamen Antrag gestellt hätten, die Obsorge für Martin beiden Elternteilen zu gewähren. Das Begehren des Wahlvaters müsse daher schon aus rechtlichen Gründen scheitern.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Es erwog im wesentlichen: § 178a ABGB, der „die Berücksichtigung des Kindeswohles als Grundprinzip des Pflegschaftsverfahrens“ anordne, stelle keine „den übrigen Regelungen des bürgerlichen Rechts übergeordnete Norm dar“; diese Regelung habe demnach „die vorrangige Beachtung des Kindeswohles nur im Rahmen der übrigen gesetzlichen Bestimmungen zum Ziel“. Es sei somit unstatthaft, § 177 ABGB so auszulegen, daß trotz des klaren Gesetzeswortlautes „eine gemeinsame Obsorge getrennt lebender Eltern zulässig wäre“. Dem Begehren des Wahlvaters stehe überdies entgegen, daß § 177 Abs 3 ABGB einen - hier nicht vorliegenden - gemeinsamen Antrag der geschiedenen Eltern für eine Zuteilung der Kindesobsorge an beide Elternteile voraussetzte. Die zitierte Bestimmung gelte auch „nur für die erstmalige Zuweisung der Obsorge“; eine darauf bezogene Änderung wäre nur zulässig, wenn durch das Verhalten des obsorgeberechtigten Elternteils das Kindeswohl gefährdet wäre. Der Wahlvater habe eine solche Gefährdung schlüssig zwar dadurch behauptet, daß die Wahlmutter sein Besuchsrecht einzuschränken trachte, eine „nähere Prüfung eines allenfalls für das Kind gefährdenden Verhaltens der Mutter wäre jedoch nur erforderlich, wenn das vom Rekurswerber angestrebte Ziel der gemeinsamen Obsorge - und nicht bloß eine Übertragung der alleinigen Obsorge auf ihn - möglich wäre“. Der Verfassungsgerichtshof habe auch bereits erkannt, daß § 177 ABGB nicht verfassungswidrig sei, „was auch die im Verfassungsrang stehenden völkerrechtlichen Regelungen“ einschließe. Dem Rekurswerber sei allerdings darin beizupflichten, daß die „Chancen eines unehelichen Kindes“, dessen Eltern gemäß § 167 ABGB die gemeinsame Obsorge zugewiesen erhalten hätten, größer als die eines eheliches Kindes seien, „nach Trennung der Eltern der gemeinsamen Obsorge teilhaftig zu werden“. Während das Gericht nach einer Ehescheidung von amtswegen zu entscheiden habe, welcher Elternteil künftig die alleinige Kindesobsorge ausüben solle, sei eine solche Entscheidung im Falle der Trennung unehelicher Eltern nur auf Antrag erforderlich. Zu den „Konsequenzen dieser Rechtssituation“ fehle es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Wegen deren Wichtigkeit „für die betroffenen Bevölkerungsgruppen“ und der sich allenfalls für § 176 ABGB ergebenden Rückwirkungen hänge die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ab.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Wahlvaters ist nicht berechtigt.

In der Entscheidung 8 Ob 719/89 (= EvBl 1991/99 = JBl 1992,75 = ÖA 1991,54 = EFSlg 63.419) suchte der achte Senat der Möglichkeit einer gemeinsamen Obsorge geschiedener und nicht mehr in häuslicher Gemeinschaft lebender Eltern für eheliche Kinder durch entsprechende Gesetzesauslegung eine Rechtsgrundlage zu verschaffen; er vertrat dabei die Auffassung, es könne „nicht von vornherein gesagt werden, daß die - zwar nicht dem Buchstaben des § 177 Abs 1 ABGB, jedoch dessen Intentionen, nämlich der Förderung des Kindeswohls, gerecht werdende - Vereinbarung der im Sinne des § 55a EheG scheidungswilligen Antragsteller auf keinen Fall pflegschaftsgerichtlich genehmigt werden könne“, ziehe „man etwa nur den durch § 177 Abs 3 ABGB neu geregelten Fall zum Vergleich heran....“.

Diese Rechtsansicht setzte sich allerdings nicht durch: In zahlreichen Entscheidungen hielt seither der Oberste Gerichtshof am Grundsatz fest, daß eine gemeinsame Obsorge geschiedener und nicht in häuslicher Gemeinschaft lebender Elternteile für eheliche Kinder den gesetzlichen Vorschriften (§ 177 iVm § 167 ABGB) widerspreche (SZ 64/108; EFSlg 68.846; JBl 1992,699 [Pichler]; SZ 65/85; 4 Ob 1578/92; JBl 1994, 114 [Pichler]; 3 Ob 504/94; 4 Ob 1594/94). Auch der achte Senat gab schließlich seine ursprüngliche, oben dargestellte Rechtsansicht auf und schloß sich der in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes jetzt einheitlich vertretenen Auffassung an, daß geschiedenen Elternteilen die gemeinsame Obsorge für ihre ehelichen Kinder „nur für den Fall des Bestehens der dauernden häuslichen Gemeinschaft zugeteilt werden dürfe“ (8 Ob 1623/92).

§ 177 ABGB in der Fassung vor dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz 1989 BGBl 162 kannte für den Fall der Ehescheidung der Eltern lediglich die Zuteilung der Obsorge für deren Kinder (damals: Zuteilung der Elternrechte) an einen Elternteil allein. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs war diese Regelung verfassungsrechtlich unbedenklich. Träger des Grundrechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK seien nämlich sowohl die Eltern als auch deren Kinder. Entscheidungen eines Gerichtes, die das Grundrecht eines Elternteils im Interesse des Kindeswohls beschränkten, seien durch Art 8 Abs 2 EMRK gedeckt. Einem Gesetzgeber, der auf das Wohl eines Kindes aus einer geschiedenen Ehe bedacht sei, könne demnach nicht entgegengetreten werden, wenn er einvernehmliches Vorgehen geschiedener Eltern ermögliche, aber dennoch sofort bei der Scheidung eine klare Regelung darüber anstrebe, wer Entscheidungen für das Kind zu treffen habe, falls ein Einvernehmen zwischen den Eltern nicht (mehr) bestehe (VfSlg 12.103 = JBl 1990, 305 = ÖA 1989,115 [Pichler] = ZfRV 1990, 215).

In der Folge ging der Gesetzgeber durch das Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz 1989 einen Schritt weiter und ermöglichte gemäß §§ 167 und 177 Abs 3 ABGB auf gemeinsamen Antrag der ehelichen Eltern die gerichtliche Verfügung, „daß ihnen beiden die Obsorge für das Kind“ zukomme, wenn sie mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft lebten und diese Verfügung für das Kindeswohl nicht nachteilig sei. Durch diesen Regelungsgehalt brachte der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck, daß die Obsorge für eheliche Kinder an ihre geschiedenen Eltern gemeinsam nur bei Bestehen einer dauernden häuslichen Gemeinschaft übertragen werden dürfe (SZ 64/108).

Der Oberste Gerichtshof sprach aber auch schon wiederholt aus, daß § 177 Abs 1 ABGB den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art 7 B-VG nicht verletze (JBl 1992, 699; JBl 1994, 114) und auch Art 5 des 7.ZP der EMRK keine über Art 7 B-VG hinausgehenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte eröffne, sei es doch nach dieser Bestimmung den Staaten nicht verwehrt, die im Interesse der Kinder sachlich gerechtfertigten und daher notwendigen Maßnahmen zu treffen (JBl 1994,114).

An der jetzt einheitlichen Rechtsprechung wurde und wird im Schrifttum - teils aus einfachgesetzlichen, teils aus verfassungsrechtlichen Gründen - Kritik geübt (vgl zum jüngeren Schrifttum zB: Stolzlechner, Die Übertragung der Obsorge auf einen Elternteil nach Eheauflösung bzw nach einer nicht bloß vorübergehenden Trennung der Eltern [§ 177 ABGB] im Lichte des Art 8 MRK sowie des Art 5 des 7.ZProt, in: Harrer/Zitta, Familie und Recht [1992] 785; Ferrari-Hofmann-Wellenhof, Zum Obsorgerecht bei Trennung der Eltern und bei Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung einer Ehe, in: FS Wesener [1992] 119; Deixler-Hübner, Die Obsorgerechtsregelung nach der Ehescheidung, ÖJZ 1993, 722; Engel, Probleme der Obsorgezuteilung bei Trennung der Eltern, ÖJZ 1994, 542). Dabei wird auch die den Ausführungen des Revisionsrekurses entsprechende Ansicht vertreten, § 167 ABGB bevorzuge Lebensgefährten, die sich trennen, gegenüber Ehepartnern, die sich scheiden lassen. Den Lebensgefährten werde ein breiterer Gestaltungsspielraum eingeräumt, weil sie einfach durch Nichtstun erreichen könnten, daß beide unehelichen Elternteile obsorgeberechtigt blieben; dagegen könnten geschiedene Ehegatten dasselbe nicht einmal durch eine entsprechende Vereinbarung erreichen (Ferrari-Hofmann-Wellenhof aaO 123 f, Memmer, Eheähnliche Lebensgemeinschaften und Reproduktionsmedizin, JBl 1993, 297 [307]; Deixler-Hübner, ÖJZ 1993, 726; Engel, ÖJZ 1994, 548). Abgesehen von der Argumentation Stolzlechners (aaO 793 ff) und Deixler-Hübners (ÖJZ 1993, 724), nach deren Ansicht die Zuteilungsregel des § 177 ABGB gemäß Art 8 EMRK und Art 5 des 7.ZP zur EMRK verfassungswidrig sei, werden auch immer wieder auf Art 7 B-VG bezogene Einwendungen gegen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes erhoben. Soweit der Oberste Gerichtshof Gleichheitserwägungen angestellt habe, bezögen sich diese bloß „auf das Verhältnis der Eltern zueinander“nicht dagegen auf die „aufgeworfene Gleichheitsfrage im Vergleich zu dauernd getrennt lebenden Eltern, denen weiterhin ungeteilte Obsorge“ zukomme (Pichler, JBl 1994, 115 [Entscheidungsglosse]; ders, JBl 1992,702 [Entscheidungsglosse]; der Sache nach ebenso: Deixler-Hübner, ÖJZ 1993, 726).

Aber auch das zur derzeitigen Rechtslage kritische Schrifttum betont, daß eine partnerschaftliche Ausübung der Obsorge für Kinder nach Eheauflösung den Interessen der Kinder nicht zuwiderlaufen dürfe (Stolzlechner aaO 795); jede Obsorgeregelung müsse das Kindeswohl fördern. Die Obsorge sei zwar einem Elternteil grundsätzlich allein zu übertragen, das finde jedoch seine Grenze dort, wo schützenswerte Interessen des Kindes gefährdet werden (Deixler-Hübner, ÖJZ 1993, 728) und es sei „das gemeinsame Einvernehmen beider Partner sicher Voraussetzung für eine gemeinsame Obsorge“ (Engel, ÖJZ 1994, 546).

Das deutsche Bundesverfassungsgericht knüpft die Möglichkeit des Fortbestehens der gemeinsamen Obsorge durch geschiedene Ehegatten für deren Kinder im wesentlichen an vier Voraussetzungen: Den Willen beider Eltern zur gemeinsamen Obsorge, die volle Erziehungsfähigkeit beider Eltern, das Fehlen von Gründen, die dennoch die Übertragung der Obsorge auf einen Elternteil angezeigt erscheinen lassen, und die Überzeugung des Richters, daß die Eltern nach deren Scheidung zur gemeinsamen Verantwortung auch in der Lage seien (FamRZ 1982, 1179 = NJW 1983, 101).

Da ein Wahlkind mit dem Eintritt der Wirksamkeit seiner Annahme an Kindesstatt gemäß § 182 Abs 1 ABGB die gleichen Rechte hat, wie sie durch die eheliche Abstammung begründet werden, sind sämtliche auf die Obsorge für eheliche Kinder nach Scheidung ihrer Eltern bezogenen Erwägungen auch im vorliegenden Fall maßgebend. Der Revisionsrekurs versucht zunächst unter Heranziehung zahlreicher Belegstellen aus dem pädagogischen und psychologischen Schrifttum darzutun, daß es dem Wohl des Kindes förderlich sei, wenn es in beiden Elternteilen eine Bezugsperson habe; das wurde von den Vorinstanzen aber gar nicht verneint. Es geht auch nicht darum, den Wahlvater aus dem Leben seines Wahlkindes zu verdrängen und seine Kontakte zu diesem soweit zu beschränken, daß aus entwicklungspsychologischen oder pädagogischen Gründen eine Schädigung des Kindeswohls zu befürchten wäre, soll doch gerade das dem Wahlvater eingeräumte Besuchsrecht den Eintritt des von ihm befürchteten Zustandes (Entfremdung seines Wahlkindes) vermeiden. Die Entscheidung über den Antrag auf gemeinsame Obsorge geschiedener Eltern für deren Wahlkind hat vielmehr auch noch auf ganz andere Umstände Rücksicht zu nehmen:

Die Änderung einer - wie im vorliegenden Fall - bereits getroffenen Obsorgeregelung darf nur bei sonst zu befürchtender Gefährdung des Kindeswohls erfolgen, also nur dann, wenn besonders wichtige Gründe vorliegen und eine Änderung dringend geboten ist (SZ 51/136; SZ 53/142); maßgebend ist demnach der „Kontinuitätsgrundsatz“ (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 2 c zu § 177). Solche Gründe, die eine Änderung der bisherigen Obsorgeregelung notwendig machten, liegen nach dem derzeitigen Akteninhalt nicht vor. Der vorliegende Fall bietet dem erkennenden Senat aber auch deshalb keinen Anlaß, die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes mit Rücksicht auf die bereits oben behandelte und auch im Revisionsrekurs dargestellte verfassungsrechtliche Problematik neuerlich zu überprüfen, weil es den Wahleltern nicht nur am Willen zur gemeinsamen Kindesobsorge, sondern (derzeit) offenbar auch an der Fähigkeit fehlt, die erforderlichen Obsorgemaßnahmen in für das Wohl des Kindes ersprießlicher und von persönlichen Streitigkeiten weitgehend ferngehaltener Partnerschaft gemeinsam zu treffen: Während die Wahlmutter die Ausübung des Besuchsrechtes durch den Rechtsmittelwerber mit der - im Verfahren bisher nicht verifizierten - Behauptung zu unterbinden sucht, es bestehe der Verdacht, daß der Wahlvater sein Kind sexuell mißbrauche (ON 22), betont dieser, der Vater seiner geschiedenen Ehegattin habe unter Schizophrenie (Verfolgungswahn) gelitten und deshalb mit 33 Jahren Selbstmord durch Erhängen verübt; er überlasse es daher „dem Urteil von Fachleuten, inwieweit ähnliche Symptome bei der Kindesmutter vorliegen“, habe doch diese seine Mutter vor einiger Zeit als „leibhaftigen Satan“ oder ihn selbst als „gefährlich für sie“ bezeichnet (ON 25). Die Wahlmutter wendet sich schon ganz grundsätzlich gegen die von ihr behaupteten Erziehungsmethoden des Wahlvaters, der „dem Kind kaum bis keine Grenzen setzen“ wolle (ON 37), der Wahlvater insistiert dagegen darauf, daß „die Kindesmutter verstärkt unter Ängsten und Zwangsvorstellungen zu leiden“ scheine; sie und deren Mutter hätten ihn auch „schon einmal verbal mit dem Umbringen bedroht und diese Drohung bis heute nicht zurückgenommen“ (ON 57), „die Kindesmutter“ ergehe sich „wieder in abfälligen Äußerungen“ über ihn (ON 59), die „Kindesmutter“ denke auch „keineswegs an eine Beruhigung der Situation“ (ON 64). Die Wahlmutter ist auch nicht bereit, von ihrem Vorwurf abzurücken, das väterliche Besuchsrecht bringe eine den Sexualbereich des Kindes betreffende Gefährdung mit sich (ON 81), obwohl das aufgrund eines psychologischen Gutachtens nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens auszuschließen ist (ON 61 Blatt 37, ON 75 Blatt 4).

Bei Bedachtnahme auf diese Umstände unter Heranziehung der allgemeinen Lebenserfahrung ist es so gut wie ausgeschlossen, daß die geschiedenen Ehegatten derzeit fähig wären, eine gemeinsame Obsorge für ihr Wahlkind in partnerschaftlicher Gesinnung auszuüben und dabei dessen Wohl zu fördern; vielmehr ist angesichts der wechselseitigen Mißachtung mit ständigem Streit über alle zu treffenden Obsorgemaßnahmen zu rechnen, wodurch das Wahlkind ernsthaft Schaden nehmen könnte. Selbst wenn also der einfachgesetzlichen Rechtslage die dargestellten oder im Revisionsrekurs sonst noch behaupteten verfassungsrechtlichen und „völkerrechtlichen“ Bedenken entgegenstünden, könnten die vom Wahlvater im vorliegenden Fall angestrebte Befassung des Verfassungsgerichtshofes und selbst dessen dem Standpunkt des Rechtsmittelwerbers Rechnung tragende Erkenntnis nicht zur Zuteilung der Kindesobsorge gemeinsam an beide Wahleltern führen, weil das dem Kindeswohl derzeit abträglich wäre. Ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über den auf Aufhebung des § 177 Abs 1 ABGB gerichteten Antrag gemäß Art 89 Abs 2 B-VG wäre also - unabhängig von dessen Ergebnis - für die zu fällende Entscheidung gar nicht präjudiziell; schon deshalb bedürfen auch die im Schrifttum und im Revisionsrekurs geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken an der jetzt einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 177 ABGB keiner näheren Erörterung.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

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