OGH 8Ob719/89

OGH8Ob719/8910.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Schwarz, Dr. Graf und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller

1.) Ursula S***, geboren am 12.12.1959 in Salzburg, Fotomodell, Goethestraße 33, 5020 Salzburg, 2.) Peter S***, geboren am 16.3.1953 in Salzburg, Produktionsleiter, Ignaz-Rieder-Kai 107, 5026 Salzburg, wegen Ehescheidung gemäß § 55 a EheG, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 27. Oktober 1989, GZ 22 C R 119/89-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 28.September 1989, GZ 2 Sch 47/89-6, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung über den Antrag auf Scheidung im Einvernehmen gemäß § 55 a EheG unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Die Antragsteller begehren gemäß § 55 a EheG die Scheidung ihrer am 16.12.1978 geschlossenen Ehe, welcher der am 26.6.1979 geborene Sohn Patric entstammt. In der Verhandlung vor dem Erstgericht legten sie eine von ihnen vorher getroffene schriftliche Vereinbarung vor, nach welcher sie ua gemeinsam weiterhin die Obsorge für ihren Sohn übernehmen und dessen Unterhalt wie bisher gemeinsam außergerichtlich regeln wollen. In einer ausführlichen - durch weitere bereits vorgedruckte Argumente unterstützten - Begründung legten sie die für alle Beteiligten in einer solchen Vorgangsweise gelegenen Vorteile dar. In diesem Sinne schlossen sie auch dann vor dem Erstgericht für den Fall der Rechtswirksamkeit ihrer Scheidung einen Vergleich, in dessen Punkt 4. sie sich zur gemeinsamen Übernahme der Obsorge und zur außergerichtlichen Regelung des Unterhaltes für den mj. Patric verpflichteten. Bei ihrer Vernehmung vor dem Erstgericht begründeten die Antragsteller jeweils diesen Vergleichspunkt mit ihrer Absicht, damit das Wohl ihres Sohnes am besten zu fördern.

Das Erstgericht wies den Scheidungantrag ab, weil die für den mj. Patric getroffene Vereinbarung dem Gesetz (§ 177 ABGB) widerspreche, so daß die Voraussetzungen für eine Scheidung im Einvernehmen gemäß § 55 a EheG nicht erfüllt seien. Dem von beiden Antragstellern gemeinsam gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge. Obligatorischer Inhalt der gemäß § 55 a Abs 2 EheG für die Ehescheidung vorausgesetzten Vereinbarung sei die Zuteilung der Obsorge (und zwar nach § 177 Abs 1 ABGB an einen der Ehegatten allein) und die Unterhaltsregelung hinsichtlich der mj. ehelichen Kinder. Die Weigerung der Antragsteller, eine derartige dem Gesetz entsprechende positive Regelung zu treffen, führe zur Abweisung ihres Scheidungsantrages. Im Hinblick auf die unbeschränkte Anfechtbarkeit der Entscheidung zweiter Instanz sei auf die im Rekurs der Antragsteller unter den Gesichtspunkten der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art 7 B-VG und des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 MRK angeregte Befassung des Verfassungsgerichtshofes mit der Frage der Verfassungsgemäßheit des § 177 Abs 1 ABGB (soweit darin die Vereinbarung auf die Zuteilung der Obsorge auf einen der Ehegatten allein beschränkt sei) nicht einzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Antragsteller ist berechtigt.

Gemäß § 55 a Abs 2 EheG darf die Ehe (bei Vorliegen anderer etwa in Abs 1 geforderter Voraussetzungen) nur geschieden werden, wenn die Ehegatten eine schriftliche Vereinbarung über die Zuteilung der (aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten =) Obsorge und die Unterhaltspflicht hinsichtlich ihrer gemeinsamen Kinder schließen. Gemäß § 55 a Abs 3 zweiter Satz EheG ist für den Ausspruch der Scheidung unbeachtlich, daß die für eine solche Vereinbarung erforderliche (pflegschafts-)gerichtliche Genehmigung noch nicht vorliegt.

Nach den Materialien dieser Bestimmungen (916 BlgNR 14.GP AB 8 f) lag der im Zusammenhang mit der Einführung der einvernehmlichen Ehescheidung vorgesehenen Verpflichtung der Ehegatten zur vergleichsweisen Regelung bestimmter Scheidungsfolgen die Erwägung zugrunde, damit nach der Scheidung zwischen den Ehegatten langwierige und aufwendige Verfahren über die Scheidungsfolgen zu vermeiden. Dies fördere den Rechtsfrieden und erleichtere den Ehegatten, sich rasch auf die mit der Scheidung verbundene neue Lebenslage einzustellen. Nach dem zweiten Satz im § 55 a Abs 3 EheG sei die nach den besonderen Vorschriften für die Regelung der Scheidungsfolgen hinsichtlich der Kinder erforderliche gerichtliche Genehmigung der Vereinbarung nach Abs 2 leg cit nicht Voraussetzung des Scheidungsausspruchs. Zwar genehmige erfahrungsgemäß das Pflegschaftsgericht solche Vereinbarungen, weil eine vom übereinstimmenden Willen beider Eltern getragene Regelung im allgemeinen auch dem Wohl des Kindes entspreche. Die mit der Einholung der Genehmigung verbundene Verfahrensverzögerung stünde daher in keinem Verhältnis zu dem Nutzen einer solchen Regelung. Für die Scheidung solle deshalb der Abschluß der Vereinbarung genügen. Die - im § 55 a Abs 2 EheG nicht genannte - Bestimmung des § 177 Abs 1 ABGB sieht als Inhalt der den Eltern eines mj. ehelichen Kindes ua nach Scheidung ihrer Ehe freistehenden Vereinbarung über die Obsorge die Zuweisung an einen von ihnen allein vor. Diese Bestimmung oder zumindest das hervorgehobene Wort "allein" ist auf Grund des nach Überprüfung des Gesetzes am Gehalt des Art 8 MRK (Schutz des Privat- und Familienlebens) ergangenen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 22.6.1989, G 142, 168/88-11 (veröffentlicht in ÖA 1989,115) verfassungsrechtlich unbedenklich. Der von den Revisionsrekurswerbern erneut angeregten Befassung des VfGH mit der Überprüfung dieser Bestimmung wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art 7 B-VG bedarf es nicht, weil die im Rechtsmittel praktisch allein angeschnittene Frage der (pflegschaftsgerichtlichen) Genehmigung des Scheidungsvergleiches im vorliegenden Scheidungsverfahren gemäß § 55 a Abs 3 zweiter Satz EheG nicht zu lösen ist. Den Vorinstanzen ist zuzugestehen, daß sie sich für ihre Ansicht auf Lehrmeinungen (Pichler in Rummel sowohl zu § 55 a EheG, als auch zu § 177 ABGB uam) berufen konnten, allein der Gesetzeswortlaut des zweiten Satzes des § 55 a Abs 3 EheG unterscheidet klar zwischen dem Scheidungsverfahren im Sinne des § 55 a EheG und dem weiteren Schicksal der gemäß Abs 2 dieser Bestimmung zu schließenden Vereinbarung. Die Ehegatten haben sich hier nicht geweigert, eine die Regelungsinhalte des § 55 a Abs 2 EheG betreffende Vereinbarung überhaupt abzuschließen, sondern nur unter betonter Hervorhebung der Wahrung des Wohles ihres Sohnes an der konkret vorliegenden Vereinbarung festgehalten. Ob und wie lange damit das (als oberster Grundsatz des Pflegschaftsverfahrens anzusehende) Kindeswohl tatsächlich gefördert wird, sowie ob und wie sich die Ehegatten bei ihrem Vorgehen etwa gegenüber Behörden (Schule, Verwaltungsbehörden usw) im Interesse ihres Sohnes, aber auch im eigenen Interesse zur Vermeidung unnötiger Schwierigkeiten durch Adaptierung ihrer im Grunde begrüßenswerten und das Einvernehmen im Sinne des § 55 a EheG am besten ausdrückenden Vereinbarung zu besserem Verständnis finden werden, wird seinerzeit das Pflegschaftsgericht bei der Überprüfung der dieser Vereinbarung zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse im Verfahren über deren Genehmigung zu befinden haben. Immerhin kann nicht von vorneherein gesagt werden, daß die - zwar nicht den Buchstaben des § 177 Abs 1 ABGB, jedoch dessen Intentionen, nämlich der Förderung des Kindeswohls, gerecht werdende - Vereinbarung der im Sinne des § 55 a EheG scheidungswilligen Antragsteller auf keinen Fall pflegschaftsgerichtlich genehmigt werden könne, zieht man etwa nur den durch § 177 Abs 3 ABGB neu geregelten Fall zum Vergleich heran, daß geschiedene Eltern noch weiterhin mit ihren ehelichen Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben und solcherart die gemeinsame Ausübung der Obsorge in einem (hier allerdings nach der Sachlage nicht gegebenen, aber schon wegen der örtlichen Nähe der Wohnsitze beider Antragsteller) vergleichbaren Fall möglich ist.

Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Das Erstgericht wird im Sinne der bestehenden Verfahrensvorschriften (§§ 220 ff AußStrG) über den Scheidungsantrag unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund (des Fehlens einer dem § 55 a Abs 2 EheG entsprechenden Vereinbarung) erneut zu entscheiden haben.

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