OGH 9ObA10/95(9ObA11/95)

OGH9ObA10/95(9ObA11/95)25.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar A.Peterlunger und Dr.Heinz Nagelreiter als weitere Richter in den Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. Wilfried B*****, Pensionist, ***** und 2. Alfred L*****, Pensionist, ***** beide vertreten durch Dr.Hans Werner Mitterauer, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, Auerspergstraße 11, 5020 Salzburg, dieser vertreten durch Dr.Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei W***** GmbH, Werk B*****, ***** vertreten durch Dr.Dietmar Lirk, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 1.) 37.191,96 S brutto sA sowie 2.) 35.429,20 S brutto sA, infolge Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.November 1994, GZ 13 Ra 74/94-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 28.Februar 1994, GZ 16 Cga 424/93-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien je die Hälfte der mit 3.200 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie der mit 10.871,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 6.000 S Barauslagen und 811,80 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger waren bis 31.Dezember 1992 im Bergbaubetrieb der beklagten Partei beschäftigt. Seit 1.Jänner 1993 beziehen sie die Knappschaftsvollpension.

Aus betriebswirtschaftlichen Gründen mußte das Werk mit 31.März 1993 vorübergehend stillgelegt werden. Bei den Verhandlungen über den aus diesem Anlaß zu erstellenden Sozialplan vertrat die Geschäftsleitung den Standpunkt, daß nur die Mitarbeiter begünstigt werden sollten, die sich infolge der Betriebsschließung einen anderen Arbeitsplatz suchen mußten, während Mitarbeiter, die infolge Pensionierung aus dem Arbeitsleben ausschieden, vom Sozialplan nicht zu erfassen seien. Die Belegschaftsvertretung wollte hingegen die Vorteile des Sozialplanes allen Mitarbeitern zukommen lassen.

Der am 18.November 1992 vereinbarte Sozialplan lautet in seinen wesentlichen Punkten wie folgt:

"1.

Der Sozialplan umfaßt grundsätzlich alle Arbeitnehmer der Betriebsstätte M*****, welche in der Zeitspanne zwischen dem 1.12.1992 und dem 30.6.1993 ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich auflösen oder gekündigt werden.

Ausgenommen vom persönlichen Geltungsbereich sind alle Arbeitnehmer der Betriebsstätte M*****, die berechtigt entlassen werden oder unberechtigt vorzeitig austreten. Darüber hinaus gelten die beim jeweiligen Regelungsgegenstand getroffenen Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich.

2.

Alle Arbeitnehmer, die in der Zeit zwischen dem 1.12.1992 und dem 30.6.1993 ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich auflösen, werden in ihren finanziellen Ansprüchen aus diesem Sozialplan so behandelt, als ob sie durch W***** gekündigt worden wären.

.......

6.

Die W***** zahlt jedem unter den Geltungsbereich des Sozialplanes

fallenden Arbeitnehmer im Zeitpunkt seines Ausscheidens neben der

Abfertigung (s. Seite 6) eine freiwillige Abfindung. Diese wird mit

öS 7.000 brutto je vollem in der W***** zurückgelegten Dienstjahr

festgesetzt.

Ausgenommen vom Anspruch auf diese freiwillige Abfindung sind

folgende Arbeitnehmergruppen:

.......

e) alle Arbeitnehmer, die eine Knappschaftsvollpension zugesprochen bekommen.

Jene Arbeitnehmer, die von dieser freiwilligen Abfindung ausgenommen sind und in Pension gehen, bzw das Sonderunterstützungsgesetz beanspruchen, erhalten eine einmalige freiwillige Abfindung im Ausmaß von S 5.000 brutto."

Seite 6 des Sozialplanes enthält eine Aliquotierungstabelle für die Abfertigung im Rahmen des Sozialplanes. Danach wird die gesetzliche Staffelung der Abfertigung durch monatlich ansteigende Zwischenstufen ergänzt.

Nach Abschluß des Sozialplanes kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Betriebsleitung und Belegschaft, ob nach dem Sozialplan Mitarbeiter, die aus dem Arbeitsleben ausschieden, die aliquote Abfertigung erhalten sollten.

Daraufhin traf die beklagte Partei mit dem Betriebsausschuß am 11. März 1993 eine als "Ergänzung zum Sozialplan vom 18.11.1992" bezeichnete Vereinbarung, in der es unter anderem heißt:

"Um Mißverständnisse endgültig auszuräumen, wird darüber hinaus festgehalten, daß im eingangs zitierten Sozialplan der Punkt 6 so zu verstehen ist, daß die unter a) bis e) angeführten Dienstnehmer von der Aliquotierung der Abfertigung ausgeschlossen sind, dh, ihnen steht nur die gesetzliche Abfertigung und darüber hinaus die freiwillige Abfindung von 5.000 S zu. ...."

Die Kläger begehren die Differenz zwischen der gesetzlichen Abfertigung und der höheren Abfertigung laut Sozialplan im Betrage von 37.131,96 S brutto (Erstkläger) und 35.429,20 S brutto (Zweitkläger).

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Der Sozialplan erstrecke sich nach dem Willen der Vertragsparteien nicht auf die Kläger. Er sei zwar mißverständlich abgefaßt worden, sei aber mit der Ergänzung vom 11.März 1993 entsprechend korrigiert worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Wortlaut der Abfertigungsregelung könne nur dahin verstanden werden, daß alle vom Sozialplan umfaßten Mitarbeiter Anspruch auf die erhöhte Abfertigung hätten.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung der Klagebegehren ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die authentische Auslegung einer Betriebsvereinbarung durch die Betriebsparteien zulässig und auch dann bindend sei, wenn sie der früheren Norm einen anderen Sinn gebe. Sie sei ein Akt der Rechtserzeugung, der auf den Zeitpunkt der Erlassung der interpretierten Norm zurückwirke. Lege man aber die authentische Interpretation durch die Betriebsparteien zugrunde, hätten die Kläger nicht nur keinen Anspruch auf die Abfindung, sondern stünde ihnen auch die erhöhte Abfertigung nicht zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, sind die Betriebsparteien im Rahmen ihrer Rechtssetzungsbefugnisse zu einer authentischen Interpretation in der Vergangenheit abgeschlossener Betriebsvereinbarungen berechtigt. Sie ist ein Akt der Rechtserzeugung, der auf den Zeitpunkt der Erlassung der interpretierten Norm zurückwirkt, auch wenn dieser Norm dadurch ein anderer, durch an dieser Norm orientierter Auslegung nicht erschließbarer Sinn gegeben wird (siehe Bydlinski in Rummel ABGB2 I § 8 Rz 1; derselbe in Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 433 f; Koziol/Welser Grundriß9 I 21; R.Walter, ABGB und Verfassung ÖJZ 1966, 6). Authentische Interpretation durch die rechtssetzungsbefugten Parteien ist auch im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts zulässig (siehe Tomandl ZAS 1969, 109; Bydlinski in Rummel aaO; 9 Ob A 136/92; 9 Ob A 216,217/93 = infas 1994 A 54).

Da bei Auslegung der Betriebsvereinbarung vom 18.November 1992 nach den §§ 6 und 7 ABGB (siehe Strasser in Floretta/Spielbüchler/Strasser Arbeitsrecht3 II 398) die Kläger, denen in der Folge eine Knappschaftsvollpension zuerkannt wurde, zwar vom Bezug der Abfindung, nicht aber vom Anspruch auf erhöhte Abfertigung ausgenommen waren, wurde mit der authentischen Interpretation vom 11. März 1993 nicht etwa eine Unklarheit beseitigt, sondern die bestehende Betriebsvereinbarung rückwirkend zu Lasten der mittlerweile aus dem Betrieb ausgeschiedenen Kläger geändert. Auch wenn man mit Strasser aaO 394 eine rückwirkende Verringerung von Leistungen durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung für zulässig erachtet, kann im vorliegenden Fall nicht außer acht gelassen werden, daß es sich um einen rückwirkenden Eingriff in die während ihres aufrechten Beschäftigungsverhältnisses begründeten Rechte ausgeschiedener Arbeitnehmer handelt, für die den Betriebsparteien grundsätzlich keine Rechtssetzungsbefugnis mehr zukommt (siehe SZ 61/275 = Arb 10.763 = ZAS 1989/15 [krit Tomandl] = DRdA 1990/8 [zust Grillberger]; WBl 1989, 277; 9 Ob A 144/90; 9 Ob A 124/91; siehe auch Strasser in HandKomm ArbVG 573; Holzer, Strukturfragen des Betriebsvereinbarungsrechts, 54 f; Schwarz/Löschnigg Arbeitsrecht4 640; Eichinger, Rechtsgrundlagen und Ausgestaltungsmöglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung in Runggaldier/Steindl, Handbuch zur betrieblichen Altersversorgung 85 ff [102 f]; Runggaldier, Verschlechterung von Ruhegeldordnungen in Runggaldier/Steindl Handbuch 157 ff [184 f]). Soweit Marhold (zur Regelungsbefugnis der Betriebspartner ZAS 1991, 95 ff [105 f]) vermeint, seit Inkrafttreten des BPG und der damit verbundenen Änderungen des ArbVG sollte nicht mehr gezweifelt werden, daß die Betriebsparteien auch zur Regelung des Ruhestandsverhältnisses befugt sind, ist ihm zu erwidern, daß aus der Bestimmung des § 3 Abs 3 BPG ganz im Gegenteil abzuleiten ist, daß der Gesetzgeber eine derartige Regelungsbefugnis verneint.

Lediglich für den der Verhinderung, Beseitigung oder Milderung der Folgen einer Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 ArbVG dienenden Sozialplan wird eine Ausnahme bejaht (siehe Strasser aaO 556; Holzer aaO 56; Krejci über Regelungszweck, Abschlußvoraussetzungen und Konstruktionsprobleme des Sozialplanes in Floretta-FS [1983], 539 ff [571 f]; Schwarz/Löschnigg aaO 110), da Sozialpläne ihrer Aufgabe wohl nur dann gerecht werden, wenn sie auch die infolge der Betriebsänderung gekündigten und bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer umfassen. Beschränkt man nun diese Ausnahme auf das für die Zielsetzung des Sozialplanes Erforderliche (siehe Krejci aaO 572), dann beschränkt sich die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien - auch unter Bedachtnahme auf die in SZ 61/275 dargelegte mangelnde demokratische Legitimation des Betriebsrates für die ausgeschiedenen Arbeitnehmer - grundsätzlich auf Maßnahmen zugunsten der ausgeschiedenen Arbeitnehmer (zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Holzer aaO 56 f, über die Konstruktion eines im Sozialplan wurzelnden individuellen Einzelanspruches des ausgeschiedenen Arbeitnehmers).

Der erkennende Senat gelangt daher zum Ergebnis, daß mit der Betriebsvereinbarung vom 11.März 1993 die den Klägern mit der während ihres aufrechten Arbeitsverhältnisses abgeschlossenen Betriebsvereinbarung vom 18.November 1992 zugebilligten Ansprüche nicht mehr entzogen werden konnten.

Der Revision war daher im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten sämtlicher Instanzen beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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