OGH 8Ob513/94

OGH8Ob513/9413.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag, Dr. Jelinek, Dr. Rohrer und Dr. Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* W* vertreten durch Dr. Peter Schnabl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M* W* vertreten durch Schuppich, Sporn und Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 1. September 1993, GZ 41 R 503/93‑10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 19. März 1993, GZ 4 C 1924/92a‑6, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:E32865

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hauses in 1180 Wien. Die Beklagte ist die Witwe nach dem am 26. Februar 1992 verstorbenen Sohn der Klägerin. Die Wohnung Nr. 2 in diesem Haus, deren Räumung die Klägerin begehrt, war die eheliche Wohnung der Beklagten und deren verstorbenen Mannes. Dieser war Hauptmieter dieser Wohnung; die Beklagte ist gemäß § 14 MRG nach seinem Tod in die Mietrechte eingetreten. Sie hat keine andere Wohnmöglichkeit. Dem Ehemann war Hauptmietzins plus Umsatzsteuer und Betriebskosten vorgeschrieben worden, der auch bezahlt wurde. Nach seinem Tod wurde neben Hauptmietzins Betriebskosten und Umsatzsteuer ab August 1992 auch ein Erhaltungsbeitrag in der Höhe von S 1.748,80 für die streitgegenständliche Wohnung vorgeschrieben und bezahlt.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Räumung der Wohnung mit der Begründung, ihr Sohn habe die Wohnung bis zu seinem Tod titellos benützt. Vor zweieinhalb Jahren habe er die Beklagte geheiratet, nach seinem Tod benütze daher auch diese die Wohnung titellos. Die Mietzinsvorschreibungen der Hausverwaltung hätten lediglich die Qualität eines Benützungsentgeltes, auch der Erhaltungsbeitrag sei nur ein Teil des Benützungsentgeltes. Der Ehemann der Beklagten habe gewußt, daß ihm die Klägerin keine Mietrechte einräume und dies schon gar nicht, nach dem er 1990 eine Ausländerin geheiratet habe. Die Hausverwaltung habe seitens der Klägerin keinen Auftrag gehabt, Miete oder Erhaltungsbeitrag einzuheben.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, ihr Mann sei seit 1977 Hauptmieter der Wohnung gewesen und habe seit damals Mietzins und Betriebskosten bezahlt; sie sei gemäß § 14 MRG nach dessen Tod in die Mietrechte eingetreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, die Beklagte benütze die Wohnung nicht titellos, sondern auf Grund eines Hauptmietvertrages, in welchen sie gemäß § 14 Abs 3 MRG eingetreten sei. Der Mietvertrag sei durch Vorschreibung des Hauptmietzinses samt Betriebskosten an den inzwischen Verstorbenen jedenfalls zustandegekommen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es vertrat die Ansicht, das Verfahren sei nicht mangelhaft geblieben, wenn es die von der Klägerin angebotenen Beweise darüber, daß der Mietvertrag nur zum Schein geschlossen worden sei, nicht aufgenommen habe. Die auf das Eigentum der Klägerin gestützte Räumungsklage gegen Dritte, die die Benützung der Wohnung von einem ungekündigten Mieter ableiteten, sei abzuweisen, weil der Dritte auf die obligatorische Beschränkung des Eigentums durch die Einräumung von Benützungsrechten an seinen Vertragspartner verweisen könne. Zwar treffe die Behauptungs‑ und Beweislast für einen derartigen tauglichen Benützungstitel die Beklagte; dieser Beweis sei ihr aber durch Vorlage der ‑ selbst nach dem Standpunkt der Klägerin ein von ihr mit ihrem Sohn paktiertes Vorgehen wiedergebenden ‑ Briefe gelungen. Verfahrensentscheidend sei nicht, ob der Beklagten auf Grund eines Eintrittes im Sinn des § 14 Abs 3 MRG selbst Hauptmietrechte an der Wohnung zukämen, sondern es führe bereits ein durch den Tod des Ehegatten nicht beendetes Benützungsrecht, wie ein durch Mietvertrag eingeräumtes, zur Abweisung der Räumungsklage gegen die Gattin.

Daß allenfalls jenes Mietverhältnis im Einvernehmen der Vertragspartner lediglich zum Schein fingiert worden sei, um ein dissimuliertes familienrechtliches Wohnverhältnis zu verschleiern, sei in diesem Verfahren ohne Bedeutung. Zwar sei gemäß § 916 Abs 1 ABGB eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber mit dessen Einverständnis zum Schein abgegeben worden sei, nichtig; nach Abs 2 dieser Bestimmung könne einem Dritten, der im Vertrauen auf die Erklärung Rechte erworben habe, die Einrede des Scheingeschäftes allerdings nicht entgegengesetzt werden. Habe also die Beklagte im Vertrauen auf die Hauptmieterposition ihres Gatten Rechte erworben, könne die auf Räumung klagende Liegenschaftseigentümerin dem anspruchsvernichtenden Einwand des bestehenden Hauptmietverhältnisses nicht die Einrede des Scheingeschäftes entgegensetzen. Zwar erfolge der Erwerb der Hauptmietrechte durch den kraft Gesetzes Eintretenden ohne sein Zutun und würden gesetzliche Ansprüche nicht im Vertrauen auf ein simuliertes Vertragsverhältnis begründet (SZ 56/41). Dennoch könne nach Ansicht des Berufungsgerichtes der Beklagten der angebliche Scheincharakter des Mietverhältnisses nicht entgegengehalten werden, weil diese mit dem Einzug als Ehegattin nach § 97 ABGB einerseits gegen ihren Ehegatten, andererseits aber unter gewissen Umständen auch gegen Dritte einen Abwehranspruch erworben habe, weil sie über eine andere Wohnmöglichkeit nicht verfüge. § 97 ABGB gewähre nicht nur gegenüber dem Ehegatten, sondern auch gegenüber dem dolos mit dem verfügungsberechtigten Ehegatten zusammenwirkenden Dritten einen primär auf Naturalrestitution gerichteten Anspruch, weshalb ihr ihre Schwiegermutter den Scheincharakter der objektiv zum Mietvertragsabschluß ausreichenden Verständigung des Hausverwalters nicht entgegenhalten könne. Daß die Beklagte schlechtgläubig gewesen sei, habe die Klägerin in erster Instanz nicht behauptet; ein aufklärendes Schreiben nach dem Ableben ihres Gatten könne die Jahre zuvor erworbene Rechtsposition der Beklagten nicht beeinträchtigen.

Die Revision an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht nicht zu, weil der Anspruch des Ehegatten gemäß § 97 ABGB kein durch das Gesetz, sondern durch die Wohnsitznahme erworbener sei und die Entscheidung daher nicht mit der SZ 56/41 im Widerspruch stehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Durchführung der beantragten Beweise und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen; hilfsweise stellt sie auch einen Abänderungsantrag.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob dem gutgläubigen eintrittsberechtigten Gatten der (angebliche) Scheincharakter des Mietvertrages des verstorbenen Gatten mit dem Vermieter entgegengehalten werden kann. Sie ist im Sinn des Aufhebungs‑ und Rückverweisungsantrages auch berechtigt.

Das Berufungsgericht hält die vorgenannte Frage zu Unrecht für nicht entscheidend, weil es die unzutreffende Meinung vertritt, § 97 ABGB gewähre ein Recht auf Weiterbenützung der vormaligen Ehewohnung nach dem Tod des Gatten. Ein derartiges Recht kann aus § 97 ABGB nicht abgeleitet werden. Diese Bestimmung gewährt grundsätzlich nur dem wohnungsbedürftigen Ehegatten gegenüber dem über die Wohnung verfügungsberechtigten Gatten einen Unterlassungs‑, allenfalls auch einen Leistungsanspruch; danach hat er alles zu unterlassen bzw vorzukehren, daß der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere. Unter Umständen besteht dieser Anspruch auch gegenüber einem mit dem Verfügungsberechtigten dolos zusammenwirkenden Dritten. Der aus § 97 ABGB ableitbare Anspruch ist auf die Dauer der aufrechten Ehe beschränkt; er gewährt kein Recht auf Weiterbenützung der vormaligen Ehewohnung nach dem Tod des Gatten (Pichler in Rummel, ABGB I2 Rz 2, 2a und 6 zu § 97; SZ 60/246).

Hat - wie die Klägerin behauptet ‑ der Ehemann der Beklagten die Wohnung nur auf Grund einer jederzeit widerruflichen familienrechtlichen Vereinbarung mit seiner Mutter benützt, war diese berechtigt, das Benützungsverhältnis jederzeit aufzulösen und die Räumung der Wohnung zu begehren. Seinen Erben bzw. seiner Ehegattin stehen naturgemäß keine weitergehenden Rechte an der Wohnung zu, auch wenn diese als Ehewohnung benützt wurde. Die Klägerin könnte daher die Räumung der Wohnung auch gegen diese durchsetzen, sofern ihr Sohn die Wohnung nur auf Grund eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses benutzte.

Anderes gilt jedoch, wenn der Verstorbene die Wohnung auf Grund eines obligatorischen Vertragsverhältnisses (bzw. eines hier nicht zur Debatte stehenden dinglichen Rechtes) benützt hat. War der Verstorbene ‑ wie die Beklagte behauptet ‑Mieter der Wohnung, tritt eine erbrechtliche Sondernachfolge nach § 14 Abs 3 MRG ein. Die Beklagte wäre demnach berechtigt, die Wohnung nach dem Tod des verstorbenen Mieters als seine Gattin weiter zu benützen.

Die Klägerin hat behauptet und Beweise hiefür angeboten, daß der Mietvertrag zwischen ihr und ihrem Sohn nur zum Schein abgeschlossen wurde. Entscheidend ist daher, ob dem gutgläubigen eintrittsberechtigten Gatten dieser (angebliche) Scheincharakter des Mietvertrages entgegengehalten werden kann und daher hiefür angebotene Beweise aufgenommen werden müssen.

Zwar werden nach § 916 Abs 2 ABGB gutgläubige Dritte im Vertrauen auf die Gültigkeit des Geschäftes geschützt; Dritter ist jeder, dessen Rechtssphäre durch das Scheingeschäft berührt wird (SZ 63/94 u.a.). Dies gilt aber dann nicht, wenn sich der Rechtserwerb des Dritten auch ohne dessen Wissen von der Scheinerklärung vollzogen hätte, vor allem, wenn dieser den Rechtsanspruch kraft Gesetzes erworben hat (SZ 56/41 und JBl 1992, 322). Die entschiedenen Fälle behandeln zwar Fälle des Erwerbs eines Anfechtungsanspruches nach der Anfechtungsordnung; die dort entwickelten Grundsätze sind aber ganz allgemein für alle Arten des Rechtserwerbs eines Dritten ohne seine Zutun aufgestellt: Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist für eine Anwendung des § 916 Abs 2 ABGB Voraussetzung, daß der Dritte bei seinem Rechtserwerb die Scheinerklärung bedachte und ihren Inhalt als wahrhaft gewollt annahm. Wortsinn und Zweck des § 916 Abs 2 ABGB gestatten es nicht, die Regelung als eine Strafsanktion für eine das Rechtsleben störende Unwahrhaftigkeit zu deuten. Ausschließliches Ziel ist der Schutz des Dritten in seinem Vertrauen auf den Inhalt der Erklärung. Die den Urheber oder Empfänger der Scheinerklärung aus der Rechtsfolgenanordnung treffenden Vermögensnachteile sind Reflexwirkungen, nicht aber Selbstzweck. Aus dieser Sicht des § 916 Abs 2 ABGB ist seine Regelung in allen Fällen unanwendbar, in denen sich ‑ unter der Voraussetzung der Richtigkeit der Scheinerklärung ‑ ein Rechtserwerb des Dritten auch ohne dessen Wissen von der Scheinerklärung vollzogen hätte, vor allem beim Anspruchserwerb kraft Gesetzes, der sich an die bloße Tatbestandserfüllung ohne jeden auf den Rechtserwerb gerichteten Akt des Berechtigten knüpft.

Der erkennende Senat ist der Ansicht, daß diese Grundsätze auch beim Eintrittsrecht nach § 14 Abs 3 MRG gelten. Der Erwerb der Hauptmietrechte tritt ohne weiteres Zutun des Eintrittsberechtigten kraft Gesetzes ein, sofern dieser nicht binnen 14 Tagen nach dem Tod des Hauptmieters dem Vermieter bekanntgibt, das Mietverhältnis nicht fortsetzen zu wollen. Die Beklagte hat daher keine Handlung im Vertrauen auf die Gültigkeit des Mietvertrages gesetzt. Sie hat weder behauptet, noch wäre dies ein schutzwürdiger Umstand, daß sie ihren verstorbenen Gatten nur geheiratet und in die spätere gemeinsame Ehewohnung gezogen wäre, weil sie auf das Bestehen des bereits viele Jahre zuvor abgeschlossenen Mietvertrages zwischen ihrem Gatten und seiner Mutter vertraut hätte.

Hieraus folgt, daß der von der Klägerin behauptete Scheincharakter des Mietvertrages entscheidungsrelevant und daher die von ihr angebotenen Beweise hiefür aufgenommen werden müssen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher wegen des auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden sekundären Verfahrensmangels aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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