OGH 6Ob780/82

OGH6Ob780/829.3.1983

SZ 56/41

Normen

ABGB §916 Abs2
AnfO §1
ABGB §916 Abs2
AnfO §1

 

Spruch:

Zu den in ihrem Vertrauen zu schützenden Dritten, denen die Einrede des Scheingeschäftes nicht entgegengesetzt werden kann (§ 916 Abs. 2 ABGB), gehört nicht derjenige, der einen durch Gesetz erworbenen Anfechtungsanspruch nach der Anfechtungsordnung geltend macht

OGH 9. 3. 1983, 6 Ob 780/82 (OLG Wien 13 R 131/82; LG Eisenstadt 2 b Cg 27/82)

Text

Die klagende Bank hat vollstreckbare Forderungen gegen Eduard S. Die Beklagte ist die Schwester dieses Schuldners. Mit dem in Notariatsaktform errichteten Vertrag vom 2. 4. 1981 übertrug der Schuldner der Beklagten seinen Hälfteanteil an der Liegenschaft KG D aus dem urkundlich ausgewiesenen Rechtsgrund der Schenkung.

Mit der am 13. 1. 1982 eingebrachten Klage ficht die Klägerin den Schenkungsvertrag wegen Benachteiligungsabsicht (im besonderen aus dem Gründe des § 2 Z 3 AnfO), darüber hinaus wegen sämtlicher sonstiger Tatbestände der Anfechtungsordnung (insbesondere § 3 Z 1 und § 2 Z 4) sowie aus "jedem nur denkbaren und möglichen Rechtsgrund" an. Sie begehrte von der Beklagten die Bezahlung eines Betrages von 1 880 757.68 S samt Nebengebühren bei sonstiger Exekution in den vormals dem Schuldner gehörenden Liegenschaftsanteil. Der Bruder der Beklagten schulde ihr insgesamt 1 880 757.68 S zuzüglich Nebengebühren. Die zu E 2726/81 des BG Eisenstadt geführte Fahrnisexekution zur Hereinbringung der Forderung aus dem vollstreckbaren Urteil zu 2 Cg 311/80 des Erstgerichtes habe nicht zu einer vollständigen Befriedigung geführt, ein derartiges Vollstreckungsergebnis sei in Ansehung der wesentlich höheren Forderung aus dem vollstreckbaren Urteil zu 2 b Cg 657/81 des Erstgerichtes mit Sicherheit auszuschließen. Der mit dem Schenkungsvertrag vom 2. 4. 1981 der Beklagten geschenkte Liegenschaftsanteil des Schuldners habe einen Wert von weit über 2 Mill. S. Der Schuldner habe bei seiner Schenkung in der Absicht gehandelt, seine Gläubiger zu benachteiligen. Für eine unentgeltliche Verfügung habe es an jeder Rechtfertigung iS des § 3 Z 1 AnfO gefehlt. Soweit in der Einräumung eines Wohnungsrechtes an den Schuldner eine Gegenleistung der Beklagten erblickt werden sollte, läge wegen des auffallenden Mißverhältnisses zwischen dem Wert des Liegenschaftsanteiles und dem Wert des Wohnungsrechtes eine Vermögensverschleuderung iS des § 2 Z 4 AnfO vor, die die Beklagte habe erkennen müssen.

Die Beklagte wendete ein, daß die angefochtene Rechtshandlung entgegen ihrer Beurteilung im Notariatsakt kein unentgeltliches Rechtsgeschäft gewesen sei, die Beklagte vielmehr Gegenleistungen übernommen habe, die den Wert des Liegenschaftsanteiles überstiegen. Ein von ihr auf dem Gutsbestand der Liegenschaft vor dem Vertrag vom 2. 4. 1981 errichtetes Haus sei als Superädifikat nicht Vertragsgegenstand gewesen, sein Wert sei daher nicht zu veranschlagen. Als Gegenleistung für die Überlassung des Liegenschaftsanteiles habe die Beklagte ihrem Bruder nicht nur eine Darlehensschuld von 167 000 S erlassen, sondern auch die Zahlung von Bankschulden im Betrag von 698 357 S übernommen. Überdies habe sie ihrem Bruder ein lebenslanges Wohnungsrecht eingeräumt, das mit 540 000 S zu bewerten sei. Außerdem machte die Beklagte geltend, daß die vollstreckbaren Forderungen der Klägerin im Liegenschaftszwangsversteigerungsverfahren zu E 7072/81 des BG Eisenstadt in einem beträchtlichen Maße getilgt worden seien. Für eine Restforderung der Klägerin sei im Wert des mit dem angefochtenen Rechtsgeschäft übertragenen Liegenschaftsanteiles "keine Deckung" vorhanden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte folgenden Sachverhalt fest: Die Klägerin hat gegen den Bruder der Beklagten zwei in Rechtskraft erwachsene vollstreckbare Versäumungsurteile des Landesgerichtes Eisenstadt erwirkt, das Urteil vom 14. 8. 1980 zu 2 Cg 311/80 über einen Betrag von 140 054 S samt Nebenforderungen und jenes vom 16. 12. 1981 zu 2 b Cg 657/81 über einen Betrag von 1 579 216.20 S samt Nebenforderungen. Auf Grund des erstgenannten Exekutionstitels bewilligte das BG Eisenstadt zu E 7072/81 der Klägerin zur Hereinbringung der Forderung von 180 054 S samt Nebenforderungen die Exekution durch Zwangsversteigerung einer dem Schuldner allein gehörigen Liegenschaft. Diese Liegenschaft gelangte am 15. Jänner 1982 zur Versteigerung. Sie erbrachte ein Meistbot von 800 000 S. Die Entscheidung der Landesgrundverkehrskommission über die Zuschlagserteilung steht noch aus. Zur Hereinbringung derselben Forderung führte die Klägerin gegen den Schuldner zu E 2726/81 des Bezirksgerichtes Eisenstadt erfolglos Fahrnisexekution. Der Verpflichtete leistete am 22. 12. 1981 den Offenbarungseid. Der Bruder der Beklagten schuldete der E-Bank AG am 31. 3. 1981 aus einem Kredit den Betrag von 695 857.27 S. Die Beklagte hatte für diese Verpflichtung ihres Bruders die Bürgschaftshaftung übernommen. Der Bank schien die Hereinbringung der Forderung bei ihrem Kreditnehmer aussichtslos. Sie wandte sich deshalb an die Beklagte. Diese nahm die ratenweise Abzahlung der verbürgten Schuld auf. Bisher zahlte sie aus diesem Gründe ungefähr 430 000 S. Der Bruder der Beklagten schuldete dieser aus einem Darlehen 167 000 S. Die Beklagte ließ sich als Gegenleistung für den Verzicht auf die Darlehensrückzahlungsforderung sowie für die Tilgung der Bankschulden den Hälfteanteil an einer Liegenschaft übertragen die in Ansehung des zweiten Hälfteanteiles bereits in ihrem Eigentum stand. Den hierüber in Form eines Notariatsaktes errichteten Vertrag vom 2. 4. 1981 gestalteten die Beklagten und ihr Bruder aus steuerlichen Erwägungen als einen Schenkungsvertrag. Zur Zeit dieses Vertragsabschlusses wußte die Beklagte, daß ihr Bruder nicht in der Lage war, anderen Verbindlichkeiten, von deren Vorhandensein sie zwar wußte, über deren Höhe sie sich aber nicht unterrichtete, nachzukommen.

Das Erstgericht folgerte aus dem von ihm festgestellten Sachverhalt, die Übetragung des Hälfteanteiles an der gemeinschaftlichen Liegenschaft an die Beklagte sei zwar nicht als unentgeltliche Verfügung des Schuldners zu werten. Die Beklagte habe aber für die Übertragung der Liegenschaftshälfte ihres Bruders mehr als nur die Befriedigung ihrer eigenen Darlehensforderung an ihn und eine Abdeckung der Regreßansprüche aus der Zahlung der Bankverbindlichkeiten erhalten. Daher sei die Klägerin geschädigt. Die Beklagte sei iS des § 4 Abs. 1 AnfO eine nahe Angehörige des Schuldners. Sie habe von der Benachteiligungsabsicht ihres Bruders wissen müssen, da sie vom Bestehen weiterer Schulden ihres Bruders Kenntnis gehabt habe. Der Anfechtungstatbestand nach § 2 Z 3 AnfO sei erfüllt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es nahm an, daß der Wert des mit dem Vertrag vom 2. 4. 1981 vom Schuldner der Beklagten übertragenen Liegenschaftsanteiles "weit über" dem (Anteil des) Einheitswert(es) gelegen sei und auch den Wert des dem Schuldner zugestandenen Wohnungsrechtes "stark übersteige". Die Beklagte habe mit ihrem Bruder einen Schenkungsvertrag abschließen wollen, weil ihnen gesagt worden sei, daß die Errichtung eines Schenkungsvertrages steuerlich am günstigsten sei. Das dem Bruder der Beklagten zugestandene Wohnungsrecht stelle einen den übergebenen Liegenschaftsanteil mindernden Vorbehalt eines Rechtes, aber kein Entgelt dar. Der Beklagten sei dem Anfechtungsgläubiger gegenüber die Einwendung verwehrt, das als Schenkungsvertrag gestaltete Rechtsgeschäft sei nach dem wahren Vertragswillen ein entgeltliches Geschäft gewesen. Ein redlicher Dritter könne je nach seinem Vorteil das Scheingeschäft gelten lassen oder als ungültig behandeln. Die Klägerin habe im Vertrauen auf den der Eigentumsübertragung zugrunde gelegenen Schenkungsvertrag diesen angefochten, gemäß § 916 Abs. 2 ABGB sei die Einwendung des Scheingeschäftes unzulässig. Durch das angefochtene Rechtsgeschäft sei für die Klägerin ein taugliches Befriedigungsobjekt ihres Schuldners verlorengegangen. Die Anfechtung sei nach § 3 Z 1 AnfO gerechtfertigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht legte § 916 Abs. 2 ABGB iS der Lehrmeinung von Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 422 dahin aus, ein Anfechtungsgläubiger sei auch in seinem Vertrauen auf eine zur Verdeckung eines entgeltlichen Geschäftes vorgeschützte Schenkung in seiner Anfechtung dadurch zu schützen, daß ihm gegenüber die Einwendung des verdeckten Geschäftes versage. Die Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Falles hat daher bei der Tragweite des § 916 Abs. 2 ABGB im allgemeinen und im Anfechtungsrecht im besonderen anzusetzen. Dazu ist zu erwägen:

Ein durch ein vorgeschütztes Geschäft verdecktes Geschäft soll gemäß § 916 Abs. 1 Satz 2 ABGB nach seiner wahren Beschaffenheit beurteilt werden. Das gilt grundsätzlich auch für einen am Rechtsgeschäft nicht beteiligten Dritten, für dessen Rechtslage das verdeckte Geschäft von Belang sein könnte. Denn die Nichtigkeit des Scheingeschäftes wirkt auch in dieser Hinsicht absolut, und zwar zum Vorteil wie zum Nachteil eines Dritten. Er kann sich nicht nur auf den Scheincharakter einer Rechtsgeschäftserklärung berufen, er muß grundsätzlich auch gegen sich gelten lassen, daß nicht das vorgeschützte, sondern das verdeckte Geschäft rechtlich gewollt war. Anders wäre die Regelung des § 916 Abs. 2 ABGB kaum verständlich.

Nach der auf § 103 III. TN zurückgehenden Bestimmung kann einem Dritten, der im Vertrauen auf die bloß zum Schein abgegebene Erklärung Rechte erworben hat, die Einrede des Scheingeschäftes nicht entgegengehalten werden. Die Begründung zur III. TN führte dazu aus, daß Abs. 2 des § 916 dem Vertrauensschutz diene; die Einwendung des Scheingeschäftes dürfe nicht benützt werden, um denjenigen zu schädigen, der die (Schein-)Erklärung als gültig angesehen und im Vertrauen darauf Rechte erworben hat.

Die Lehre befürwortet im Hinblick auf die geringe Schutzwürdigkeit derjenigen, die im bewußten Zusammenspiel - regelmäßig zur Täuschung anderer - Rechtsverhältnisse verschleiern, eine ausdehnende Auslegung des Vertrauensschutzes (vgl. Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 422; Ehrenzweig, System[2] I/1, 222 ff.; Koziol - Welser[6], I, 97). Wo immer eine Schädigung eines Dritten daraus zu besorgen ist, daß er den Inhalt einer nach § 916 Abs. 1 Satz 1 ABGB qualifizierten Erklärung als wahrhaft gewollt vorausgesetzt und unter dieser Voraussetzung Rechte erworben hat, müssen Urheber und Empfänger einer Scheinerklärung sich vom Dritten zum Schutz seiner Rechtslage so behandeln lassen, als wäre die Erklärung nicht bloß zum Schein abgegeben worden. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist für eine Anwendung des § 916 Abs. 2 ABGB aber Voraussetzung, daß der Dritte bei seinem Rechtserwerb die Scheinerklärung bedachte und ihren Inhalt als wahrhaft gewollt annahm. Wortsinn und Zweck des § 916 Abs. 2 ABGB gestatten es nicht, die Regelung als eine Strafsanktion für eine das Rechtsleben störende Unwahrhaftigkeit zu deuten. Ausschließliches Ziel ist der Schutz des Dritten in seinem Vertrauen auf den Inhalt der Erklärung. Die den Urheber oder Empfänger der Scheinerklärung aus der Rechtsfolgeanordnung treffenden Vermögensnachteile sind als Reflexwirkungen, nicht aber als Selbstzweck zu erkennen.

Aus dieser Sicht des § 916 Abs. 2 ABGB ist seine Regelung in allen Fällen unanwendbar, in denen sich - unter der Voraussetzung der Richtigkeit der Scheinerklärung - ein Rechtserwerb des Dritten auch ohne dessen Wissen von der Scheinerklärung vollzogen hätte, vor allem beim Anspruchserwerb kraft Gesetzes, der sich an die bloße Tatbestandserfüllung ohne jeden auf den Rechtserwerb gerichteten Akt des Berechtigten knüpft. Zum Unterschied von den in der Lehre behandelten Fällen des Erwerbes eines exekutiven Befriedigungsrechtes, in denen dem betreibenden Gläubiger bei seiner Exekutionsführung die Vorstellung unterstellt werden kann, er ziehe ein dem Verpflichteten rechtlich zugeordnetes Vermögensstück in Verstrickung, ist eine solche Vorstellung beim Erwerb eines Anfechtungsanspruches nach der Anfechtungsordnung unerheblich. Der Anspruch entsteht mit der Erfüllung seiner gesetzlichen Voraussetzungen, nicht erst mit seiner Geltendmachung. Ein schutzfähiges Vertrauen auf den Inhalt der Scheinerklärung gibt es beim Erwerb eines Anspruches auf Gläubigeranfechtung also nicht.

Nach zutreffender Ansicht (Bartsch - Pollak KO[3] I, 169 und 176) steht dem Anfechtungsgläubiger neben der Anechtung die Geltendmachung der Nichtigkeit nach § 916 Abs. 1 Satz 1 ABGB offen. Es steht ihm aber nicht frei, das nichtige Geschäft als wirksam zu fingieren, wenn dies nicht ausnahmsweise aus dem Gründe des § 916 Abs. 2 ABGB zulässig ist.

Die auf die Lehrmeinung von Gschnitzer gegrundete Ansicht des Berufungsgerichtes, der Anfechtungsgläubiger könne als redlicher Dritter je nach seinem Vorteil ein Scheingeschäft als ungültig behandeln oder (als anfechtbares Rechtsgeschäft) gelten lassen, ist aus den dargelegten Gründen nicht zu teilen. Das bedeutet, daß die Übertragung des Liegenschaftsanteiles und das dem zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft nicht allein deshalb als unentgeltliche Verfügung nach § 3 Z 1 AnfO der Anfechtung unterliegen, weil als Verpflichtungsgeschäft (aus steuerlichen Erwägungen) ein Schenkungsvertrag vorgetäuscht wurde.

Aber auch die vom Erstgericht angenommene Anfechtbarkeit nach § 2 Z 3 AnfO kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Mit der Einwendung, ihrerseits selbst gegenüber ihrem Bruder Leistungen übernommen zu haben, die höher zu bewerten und von den Vertragsschließenden beim Vertragsabschluß auch so eingeschätzt worden seien als der übernommene Liegenschaftsanteil, hat die Revisionswerberin als Beklagte nicht nur die Behauptung einer unentgeltlichen Verfügung sowie einer Vermögensverschleuderung bestritten, sondern auch den ihr offenstehenden Beweis angetreten, daß ihrem Bruder als Schuldner jede Benachteiligungsabsicht gefehlt habe, zumindest aber eine solche ihr nicht hätte bekannt sein müssen.

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