OGH 1Ob577/93

OGH1Ob577/932.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. I. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ercan B*****, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Nuray A*****, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 85.401 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Mai 1993, GZ 2 R 116/93-26, womit das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 18. Jänner 1993, GZ 10 Cg 130/92w-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wie folgt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 10.000 S samt 13 % Zinsen p.a. Seit 1. Februar 1992 zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 75.401 S samt 13 % Zinsen p.a. Seit 1. Februar 1992 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 31.501,40 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 4.889,40 S Umsatzsteuer und 2.165 S Barauslagen) und die mit 4.244,40 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 707,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 5.094 S (darin 849 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 28. März 1972 geborene Kläger und die am 19. November 1973 geborene Beklagte, beide in Österreich lebende türkische Staatsangehörige, feierten am 15. Juni 1991 im Hotel „K*****“ in Lustenau Verlobung. Nach ihrer Geburt in Vorarlberg war die Beklagte infolge Scheidung ihrer Eltern bis zu ihrem 14. Lebensjahr bei ihrem väterlichen Großvater in einem Dorf in der Türkei aufgewachsen und lebte seit 1987 bei ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in Lustenau. Etwa ein bis zwei Jahre vor der genannten Verlobungsfeier sah der Kläger die Beklagte erstmals anläßlich einer Feier bei einem Onkel. Dem Kläger gefiel die Beklagte, umgekehrt war dem nicht so. Die beiden sprachen miteinander kein Wort und hatten auch in der Folgezeit keinen Kontakt. Irgendein Zeichen der Zuneigung setzte die Beklagte dem Kläger gegenüber nicht. Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Dezember 1990/Jänner 1991 suchten die Eltern des Klägers den Vater und die Stiefmutter der Beklagten auf, um wegen einer Heirat der Streitteile zu sprechen. Das „Heiratsangebot“ richtete der Vater des Klägers an den Vater der Beklagten und fragte ihn konkret, ob er bereit sei, seine Tochter zu „geben“. Der Vater der Beklagten erklärte, er müsse - nach entsprechend türkischem Brauch - seinen älteren Bruder und seinen Vater um deren Zustimmung fragen und mit der Beklagten darüber reden. In der Folge besprachen der Vater und die Stiefmutter der Beklagten diese Angelegenheit; beide waren der Meinung, daß die Beklagte im Hinblick auf ihr Alter von 17 Jahren möglichst schnell heiraten solle, damit sie jungfräulich in die Ehe komme. Der ältere Bruder und der Vater des Vaters der Beklagten stimmten einer Heirat der Beklagten mit dem Kläger zu. Der Vater der Beklagten sprach auch mit dieser und stellte sie vor die Tatsache, daß sie unter vier Kandidaten - dem Kläger, zwei in der Türkei lebenden jungen Männern, mit denen die Beklagte die Volksschule besucht hatte, sowie einem weiteren, in Deutschland lebenden Mann, den weder die Beklagte noch ihr Vater kannte - einen Ehemann aussuchen und sich bis zum nächsten Freitag für einen der vier Heiratsanträge entscheiden müsse, weil die Familie des Klägers an diesem Tag wieder vorbeikomme. Er empfahl seiner Tochter den Kläger, dessen Familie er von der Türkei her kannte. Die Beklagte meinte, sie habe sich den Kläger nicht so genau angesehen, wolle ihn nicht und sei überdies noch zu jung zum Heiraten. Schließlich ordnete sich aber die Beklagte, türkische Sitte entsprechend, der „Empfehlung“ ihres Vaters unter und entschied für den Kläger, mit dem sie bis dahin noch kein Wort gesprochen hatte, als Heiratskandidaten.

Zum vereinbarten Termin kamen die Eltern des Klägers - ob in dessen Begleitung, steht nicht fest - neuerlich in die Wohnung des Vaters der Beklagten, der erklärte, er sei bereit, seine Tochter zu „geben“, also mit einer Heirat seiner Tochter mit dem Kläger einverstanden zu sein. Währenddessen hielt sich die Beklagte in der Küche auf; es ist nicht erwiesen, daß sie zu den Besuchern ins Wohnzimmer gerufen worden sei und selbst auf mehrfaches Befragen ihr Einverständnis zur Heirat mit dem Kläger gegeben habe. Nach diesem Zusammentreffen suchten die Eltern des Klägers in dessen Begleitung ein weiteres Mal den Vater und die Stiefmutter der Beklagten auf; die Streitteile sahen sich bei dieser Gelegenheit, ohne miteinander, im besonderen über die geplante Heirat, zu sprechen.

Der Vater des Klägers organisierte die am 15. Juni 1991 abgehaltene Verlobungsfeier; die Streitteile hatten damit nichts zu tun. Zur Verlobungsfeier, deren Kosten vom Kläger und seiner Familie getragen wurden, waren etwa 700 bis 800 Gäste, großteils Verwandte und Bekannte der Familie des Klägers, geladen. An der Verlobungsfeier nahm die Beklagte, dem Wunsch ihres Vaters entsprechend, teil, obwohl sich ihre Einstellung zur Heirat mit dem Kläger nicht geändert hatte. Bei der Verlobungsfeier ergab sich zwangsläufig, daß die Streitteile erstmals miteinander sprachen, ohne allerdings das Thema Heirat zu berühren. Es fiel gegenseitig kein Wort der Zuneigung oder gar Liebe. Der Kläger fragte die Beklagte nicht, ob er ihr gefalle oder sie ihn möge; die Beklagte stellte gegenüber dem Kläger nicht klar, daß sie für ihn nichts empfinde und ihn nicht heiraten wolle. Nach der Verlobungsfeier fanden weitere familiäre Kontakte statt, bei denen allerdings die Streitteile nie allein waren. Es blieb dabei, daß die Beklagte dem Kläger weder ihre Zuneigung noch den Wunsch äußerte, ihn zu heiraten. Dies war auch nicht der Fall, als die Familien der Streitteile gemeinsam im Sommer 1991 in der Türkei waren, um das Hochzeitskleid der Beklagten zu kaufen und die Heiratsanzeigen drucken zu lassen. Der Hochzeitstermin stand damals noch nicht fest. Auch nach der Verlobungsfeier kam es zu keinen Zärtlichkeiten und Liebesbezeugungen zwischen den Streitteilen. Im Gegenteil, anläßlich eines Gespräches am Arbeitsplatz der Beklagten und in einem Telefonat teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie ihn ablehne und nicht heiraten wolle. Mitte November 1991 verließ die Beklagte nach einem Streit mit ihrer Stiefmutter den elterlichen Haushalt und zog zu ihrem jetzigen Ehemann, zu dem sie schon seit Sommer 1991 eine entsprechend erwiderte Zuneigung hatte.

Der Kläger begehrt von der Beklagten als Ersatz der im Zusammenhang mit der Verlobung und geplanten Hochzeit aufgelaufenen Kosten die Zahlung eines Betrages von 85.401 S sA; soweit seine Eltern für solche Kosten aufgekommen seien, hätten sie ihm ihre Ansprüche abgetreten. Der Kläger stützt seine Ansprüche auf Art 84 des Türkischen Bürgerlichen Gesetzbuches (im folgenden türk. BGB) und „auf alle anderen in Frage kommenden gesetzlichen Bestimmungen“ sowie auch darauf, daß die Beklagte ihre Aufklärungspflicht ihm gegenüber, eine Verlobung und Heirat mit ihm nicht zu wollen, verletzt habe.

Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und wendet ein, ein Verlöbnis mit Rechtsfolgen sei nicht zustande gekommen. Die Verlobung sei von den Eltern der Streitteile vereinbart und organisiert worden, obwohl sich die Beklagte immer dagegen ausgesprochen habe. Der Kläger habe sich mit dem Einverständnis der Eltern der Beklagten begnügt und deren freien Willen negiert. Wegen des von beiden Familien ausgeübten Druckes sei die Beklagte „de facto“ gezwungen gewesen, das Verlöbnis mit dem Kläger trotz ihres gegenteiligen Willens einzugehen. Der Kläger habe dies gewußt. Sollte ein Anspruch nach türkischem Recht dennoch bestehen, widersprächen die betreffenden Bestimmungen dem österr. ordre public. Die nunmehrige Geltendmachung von Ansprüchen durch den Kläger aufgrund der Auflösung dieses Verlöbnisses widerspräche Treu und Glauben.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Die zweite Instanz ließ die ordentliche Revision zu. Nach ihrer Rechtsauffassung fehle es nach dem anzuwendenden türkischen Recht an einem gültigen Verlöbnis. Selbst wenn ein solches zustande gekommen wäre, hätte die Beklagte gerechtfertigte Gründe iS des Art 84 türk. BGB für einen Rücktritt vom Verlöbnis; es fehle damit an einem Verschulden der Beklagten. Selbst eine bestehende Schadenersatzpflicht nach Art 84 türk. BGB müßte am österr. ordre public (§ 6 IPRG) scheitern, weil davon auch die Eheschließungsfreiheit beeinträchtigende finanzielle Nachteile beim Verlöbnis betroffen seien. Daß eine wahre Einwilligung der Beklagten nicht vorgelegen und die Beklagte genötigt gewesen sei, dem Vorschlag ihres Vaters zu folgen, wollte sie nicht die gleichfalls die Freiheit der Eheschließung verletzenden Alternativangebote annehmen, ergebe sich einwandfrei aus dem festgestellten Sachverhalt. Eine weitergehende Aufklärungspflicht habe für die Beklagte schon deshalb nicht bestanden, weil der Kläger aus ihrem Verhalten habe erkennen müssen, daß sie nicht aus freien Stücken einer Eheschließung mit ihm zustimme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und teilweise berechtigt.

Vom IPRG nicht ausdrücklich erfaßt, ist nach Auffassung des erkennenden Senates das Verlöbnis nach dem Grundsatz der stärksten Beziehung (§ 1 Abs 1 IPRG) anzuknüpfen. Für die Rechtsfolgen der hier zu beurteilenden Verlöbnisauflösung ist analog §§ 18 bis 20 IPRG vorzugehen, die im allgemeinen auch für die Verlöbniswirkungen unter dem Gesichtspunkt der „stärksten Beziehung“ passen (Schwimann in Rummel 2, Rz 2 vor § 16 IPRG; vgl auch die Nachweise bei Krüger, Grundzüge des türkischen Verlöbnisrechts in StAZ 1990, 313 ff, 314 FN 13 mwN). Da die Streitteile türkische Staatsangehörige sind, ist türkisches Recht als das gemeinsame Personalstatut für die Beurteilung maßgeblich, ob die Streitteile verlobt waren, welche Rechtswirkungen bei einer ungerechtfertigten Auflösung des Verlöbnisses durch einen der Brautleute eintreten und ob die Beklagte eine allfällige Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger in Ansehung ihrer mangelnden Bereitschaft, die Ehe mit ihm einzugehen, verletzt hat. Eine Rückverweisung (renvoi) auf österr. Recht enthält das türkische Recht insoweit nicht. Vielmehr statuiert Art 11 Abs 2 des - grundsätzlich an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden (Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei 11) - türkischen Gesetzes vom 20. Mai 1982 Nr 2675 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht, daß auf die Wirkungen und Folgen eines Verlöbnisses das gemeinsame Heimatrecht... angewandt wird.

Das inhaltlich aus der Schweiz mit nur geringfügigen Abweichungen übernommene und 1926 in Kraft getretene Türkische Bürgerliche Gesetzbuch (türk. BGB) behandelt das Verlöbnis in seinen Art 82 ff (abgedruckt bei Bergmann/Ferid aaO 22 f). Die hier relevanten Bestimmungen der Art 82 und 84 türk. BGB wurden durch Art 2 und 3 des BGB-Änderungsgesetzes Nr 3678 vom 14. November 1990 (vgl dazu Krüger, Änderungen im türkischen Familienrecht in StAZ 1991, 181 ff) nicht berührt. Das Verlöbnis (nisanlilik) ist im türkischen Recht ein Institut des Familienrechts. Der Begriff „Verlöbnis“ wird im Gesetz nicht definiert, ist aber jedenfalls mehr als ein bloß tatsächliches Verhältnis. Es ist ein Familienrechtsverhältnis, das aufgrund der dieses begründenden Verlobung (nisanlanma) zwischen zwei nicht verheirateten Personen verschiedenen Geschlechts entsteht, und ein Vertrag sui generis (Rumpf, Die Auflösung des Verlöbnisses im türkischen Recht in ZfRV 1990, 178 ff, 178 mwN in FN 4), der nach Art 82 Abs 1 türk. BGB durch das - beiderseitige - Eheversprechen begründet wird (Krüger aaO 315 mwN in FN 25). Für die Verlöbnisfähigkeit kennt das Gesetz, anders als für die Ehemündigkeit (Art 12 türk. BGB), keine festen Altersgrenzen. Das heißt, auch Minderjährige - Volljährigkeit tritt nach Art 11 türk. BGB mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein - können sich verloben. Für die Verlöbnisfähigkeit genüg die bloße Urteilsfähigkeit iS des Art 13 türk. BGB. Die Verlobten müssen sich lediglich über die Tragweite ihres Entschlusses im klaren sein. Ein minderjähriger Verlobter wird nur verpflichtet, falls der gesetzliche Vertreter seine Zustimmung gegeben hat (Art 82 Abs 2 türk. BGB). Der Kläger war am 15. Juni 1991 volljährig, die Beklagte noch nicht. Daß die Zustimmung der Eltern (Rumpf aaO 179 FN 10) der Beklagten nicht vorgelegen wäre, wird nicht einmal behauptet.

Das Gesetz kennt keine besondere Form für die Verlobung. Von Bedeutung sind nach der maßgeblichen Rechtsprechung des türkischen Kassationshofs (Yargitay) die nach Brauch und Sitte (örf ve adet) üblichen Formen oder Feierlichkeiten (merasim). Ein Verlöbnis kann auch konkludent unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des örtlichen und sozialen Umfelds der Beteiligten geschlossen werden (Krüger aaO 315 f; Rumpf aaO 179 mwN in FN 7). Die Einhaltung bestimmter Riten hat hier Indizfunktion. Die Verlöbnisfeier ist nach der neueren Rechtsprechung des Kassationshofs nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Fand keine Feier statt, kann das Verlöbnis auch auf andere Weise bewiesen werden (Krüger aaO 316 FN 29). Soweit in Österreich lebende , vielfach aus ländlichen und wenig im westlichen Sinn entwickelten Bezirken stammende und hier weiterhin traditionellen Vorstellungen verhaftete türkische Staatsangehörige die traditionellen Normen des osmanisch-islamischen Sozialverhaltens befolgen, ist das Verlöbnis die allererste von der (türkischen) Bevölkerung akzeptierte Gelegenheit, bei der sich die Brautleute kennenlernen können. In diesen Bevölkerungskreisen wird der überwiegende Teil der Ehen durch die Eltern arrangiert (Krüger aaO 314 mwN zu dieser Problematik primär aus sozialwissenschaftlicher Sicht in FN 6). Beim türkischen traditionellen „Verlöbnis“, dem sogenannten „söz kesimi“ übersetzt etwa: feste Absprache), handelt es sich um kein Verlöbnis iS des Art 82 türk. BGB (Krüger aaO 316 mwN in FN 34), sondern um eine Vereinbarung zwischen den Eltern der beiden Kinder, daß diese einander heiraten werden. Ein wirksames, Rechtswirkungen auslösende Verlöbnis kommt durch eine derartige Abrede deshalb nicht zustande, weil Stellvertretung bei Verlobung und Heirat nach geltendem türkischen Recht ausgeschlossen ist. Eltern (oder Vormünder) können ihre Kinder nicht ohne deren Zustimmung miteinander verloben (Rumpf aaO 179 mwN in FN 10). In Einzelfällen mag aufgrund eines „söz kesimi“ eine Verlobung iS des türk. BGB zustande kommen. Dies setzt aber in jedem Fall voraus, daß die Kinder - wie hier - bereits verlöbnisfähig sind und auch beide die feste Absicht äußern, einander heiraten zu wollen (Krüger aaO 316 mwN in FN 36). Im vorliegenden Fall lag die Zustimmung des Klägers zu der von den beiden Elternpaaren vereinbarten Verlobung unbestritten vor, die konkludente Zustimmung der Beklagten, die sich letztlich - nach den Feststellungen „äußerlich“ - dem Wunsch ihres Vaters nach einer Heirat fügte, ist jedenfalls aufgrund ihrer Teilnahme an der für sie arrangierten Verlobungsfeier, aber auch noch der folgenden Reise mit dem Kläger und den beiden Elternpaaren in die Türkei, wo das Brautkleid gekauft wurde und die Heiratsanzeigen gedruckt wurden, evident. Konkludenter Verlöbnisabschluß ist nach türkischem Recht anerkannt (Rumpf aaO 179). Vorbehaltlich der dem Verlöbnis als soziales Phänomen eigenen Besonderheiten sind die allgemeinen Regeln des Schuldrechts (etwa zu Willensmängeln) anzuwenden (Rumpf aaO 178 f). Eine Anfechtung des Verlöbnisses als eines familienrechtlichen Vertrages durch die Beklagte liegt aber nicht vor. Es ist daher entgegen der Auffassung der zweiten Instanz von einem nach türkischem Recht wirksamen Verlöbnis der Streitteile auszugehen.

Die Auflösung des Verlöbnisses ist im türk. BGB nicht ausdrücklich geregelt. Nach einhelliger Rechtsprechung und Lehre genügt für die willentliche Auflösung schon die Erklärung eines der Verlobten. Eines Grundes bedarf es dazu nicht (Rumpf aaO 181 mwN in FN 20). Das türk. BGB regelt aber ausdrücklich die Wirkungen des Verlöbnisbruches. Es besteht Anspruch auf materiellen Schadenersatz nach Art 84, auf Genugtuung/Schmerzengeld nach Art 85 türk. BGB sowie auf Rückgabe von Geschenken bei Entlobung nach Art 86 türk. BGB. Der Kläger hat inhaltlich nur einen Anspruch nach Art 84 türk. BGB gestellt. Danach muß dann, wenn einer der Verlobten ohne gerechtfertigte Gründe vom Verlöbnis zurücktritt, der schuldige Teil dem anderen, den Eltern oder Dritten... eine angemessene Entschädigung für die Aufwendungen zahlen, die in Erwartung der Ehe im guten Glauben gemacht worden sind. Ein Rückgriff auf allgemeine schuldrechtliche Vorschriften ist dabei unzulässig (Krüger aaO 317 mwN in FN 44). Fragen nach einem allfälligen Verstoß der Beklagten gegen eine ihr gegenüber dem Kläger oblegenen Aufklärungspflicht, die dieser erkennbar aus der hier unanwendbaren österr. Vorschrift des § 46 ABGB ableitet, stellen sich damit nicht. Schadenersatzpflichtig ist nur ein - einseitiger - Rücktritt vom Verlöbnis „ohne gerechtfertigten Grund“ (muhik sebep). Ob ein derartiger gerechtfertigter Grund vorliegt, entscheidet der Richter im Streitfall nach freiem Ermessen. Entscheidend bei den richterlichen Erwägungen ist, ob dem zurücktretenden Teil die Aufrechterhaltung des Verlöbnisses und die Eingehung der Ehe zugemutet werden kann (Krüger aaO 318). Ausgehend von diesen Wertungen türkischer Rechtsprechung und unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes liegt nach Auffassung des erkennenden Senates doch ein Verschulden der Beklagten an der Auflösung des Verlöbnisses vor. Zwar wurde sie noch minderjährig von ihrem Vater und ihrer Stiefmutter gegen ihren inneren Willen einem Mann, für den sie nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen keine Zuneigung empfand, „gegeben“, jedoch hatte sie nach den Feststellungen des Erstgerichtes bereits seit Sommer 1991 eine entsprechend erwiderte Zuneigung zu ihrem jetzigen Gatten. Dennoch nahm sie an der Verlobungsfeier teil, reiste mit den beiden Familien in die Türkei zum Kauf des Brautkleides und der Heiratsanzeigen ohne ihrem Verlobten irgendeinen Hinweis auf ihre Zuneigung zu einem anderen Mann zu machen. Ein gerechtfertigter Grund für den Rücktritt vom Verlöbnis (vgl hiezu Rumpf aaO 187) ist nicht zu erkennen.

Einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public; § 6 IPRG) kann der Oberste Gerichtshof, entgegen der Auffassung der Vorinstanzen, deshalb nicht erkennen, weil auch die österr. Rechtsordnung eine dem Art 84 türk. BGB vergleichbare Vorschrift (§ 46 ABGB) kennt. Die Freiheit der Eheschließung ist davon nicht berührt.

Nach türkischem Recht bestimmt der Richter den Umfang des Schadenersatzanspruchs nach Ermessen im Hinblick auf die jeweilige Situation der Verlobten, wobei die Umstände des Verlöbnisbruchs und die Höhe des Verschuldens zu berücksichtigen sind (Krüger aaO 319). Bei den hier zu beurteilenden Umständen, insbesondere das Alter der Beklagten und die Einflußnahme des Vaters auf den Willen der Beklagten erachtet es der erkennende Senat als angemessen, daß die Beklagte dem Kläger die Hälfte seines Schadens nach Art 84 türk. BGB ersetzt. Zum Umfang dieser Schadenersatzpflicht judiziert der türkische Kassationshof seit 1981 nun in ständiger Rechtsprechung, daß die für die Verlobungsfeier und die allgemeine Bekanntmachung des Verlöbnisses aufgewendeten Kosten nicht unter den Schadensbegriff des Art 84 türk. BGB fallen; bei der Verlobung handle es sich um eine Vorphase (ön safhasi) der Ehe. Nach dem Gesetz seien nur Aufwendungen im Hinblick auf die Eheschließung erstattungsfähig (Krüger aaO 319 mwN aus türkischer und deutscher Rechtsprechung in FN 72 bis 74; Rumpf aaO 187 f mwN in FN 55). Von der Klagsforderung sind daher die Teilbeträge (als „Ausgaben für die Verlobung“ laut der Aufstellung des Klägers Beilage E und der Klagserzählung ON 1 AS 3) von insgesamt 65.401 S (Saalkosten Hotel „K*****“, Musik, Verlobungskleid, Kameramann, „Spezialkleidung“ für die Verlobung, weiße Schuhe, Verlobungsblumen, Friseurkosten für die Verlobungsfeier, „an der Tür Ausgaben“ für die Verlobungsfeier, Verlobungs-Einladungskarten und „Spezialbekleidung für die Feiertage“) nicht erstattungsfähig und in diesem Umfang das Klagebegehren nicht berechtigt. Vom verbleibenden Rest von 20.000 S für Kosten der eigentlichen „Hochzeitsfeier in der Türkei“ (Einladungskarten, Brautkleid etc), die substantiiert nicht bestritten wurden, ist die Hälfte entsprechend dem Verschulden der Beklagten mit 10.000 S auch unter Anwendung des § 273 ZPO dem Kläger zuzusprechen. Daß der Kläger 13 % p.a. verzinslichen Bankkredit in Anspruch nehmen muß, ihm insofern also weitere Kosten erwuchsen, ist durch den Abstattungskreditvertrag Beilage B, deren Echtheit zugegeben und Richtigkeit nicht bestritten wurde, dargetan.

Demgemäß ist der Revision teilweise Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind entsprechend abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 2, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO. Die Beklagte drang mit ihrem Antrag auf Klagsabweisung nur mit 11,7 %, somit nur mit einem geringfügigen Teil nicht durch und hat daher Anspruch auf Ersatz aller Kosten, berechnet nach dem Streitwert ihres Obsiegens. Die Barauslagen der Beklagten in erster Instanz von 2.452 S sind nach § 43 Abs 1 dritter Satz ZPO um 11,7 % auf 2.165 S zu kürzen.

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