OGH 2Ob585/91

OGH2Ob585/9111.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Sabine G*****, geboren am *****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft *****, Referat für Jugendwohlfahrt, als Unterhaltssachwalter infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft ***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 4. Oktober 1991, GZ 3 b R 137/91-46, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 9.September 1991, GZ P 177/77-41, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert und die Herabsetzung des der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschusses von monatlich S 1.600 ab 1.September 1991 auf monatlich S 796 aufgehoben.

Text

Begründung

Die mj. Sabine G***** ist das außereheliche Kind der Sylvia ***** G***** und des Franz N*****. Seit 1.November 1988 ist der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.600 verpflichtet. Die Minderjährige erhält ihren Unterhalt im Wege der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen. Am 14.August 1991 teilte die Bezirkshauptmannschaft ***** mit, daß sich die Minderjährige ab 1. August 1991 in einer Lehre als Verkäuferin befindet und eine Lehrlingsentschädigung von ca S 3.000 monatlich erhalten wird.

Das Erstgericht setzte den mit Beschluß des Bezirksgerichtes ***** gewährten Unterhaltsvorschuß von monatlich S 1.600 ab 1. September 1991 auf monatlich S 796 herab. Es ging von einer durchschnittlichen Lehrlingsentschädigung von monatlich S 3.617 aus, von welcher 80 % zum Unterhalt der Minderjährigen beizutragen hätten. Die Differenz auf den Regelbedarf von S 3.690 ergebe den herabgesetzten Betrag von S 796.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 6 Ob 598/90 und 6 Ob 584/91 die Auffassung, daß der Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs. 1 lit c bb erster Fall ASVG für das Jahr 1991 S 3.980 betrage. Dem stehe eine durchschnittliche monatliche Lehrlingsentschädigung der Minderjährigen von derzeit S 3.617 gegenüber, so daß die Herabsetzung des monatlichen Unterhaltsvorschusses auf S 796 jedenfalls gerechtfertigt sei. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof auch teilweise den Standpunkt vertrete, daß als Richtschnur für die Beurteilung, ob Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, die Mindestpensionshöhe nach § 293 Abs 1 lit a bb ASVG dienen könne.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs der Bezirkshauptmannschaft ***** mit dem Antrag, die Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses nicht zu bewilligen und allenfalls die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Es sei bei Berechnung des Unterhaltsvorschusses davon auszugehen, daß niemand, dem weniger Geld zur Verfügung steht, als ein ASVG-Mindestpensionist bezieht (seit 1.1.1991 S 6.000) als selbsterhaltungsfähig angesehen werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 6 Ob 598/90 (31.Mai 1990), 7 Ob 519/91 (21.März 1991) und 7 Ob 568/91 (4.September 1991) die Ansicht vertreten, Unterhaltsvorschüsse seien zu versagen, wenn das Eigeneinkommen des Kindes den in § 6 Abs 1 UVG angeführten Richtsatz überschreitet. Diese Ansicht entspricht aber nicht mehr der herrschenden Judikatur des Obersten Gerichtshofes. Sie steht im Ergebnis mit den Entscheidungen 8 Ob 550/90 (29.März 1990), 8 Ob 504/91 (31.Jänner 1991), 1 Ob 521/91 (29.März 1991) und 2 Ob 586/91 (5.Februar 1992) im Widerspruch und wurde in der eingehend begründeten Entscheidung 4 Ob 549/91 (8.Oktober 1991) ausdrücklich abgelehnt. In der zuletzt angeführten Entscheidung wurde ausgeführt, die starre Grenze des § 6 UVG lasse sich am ehesten als bloß fiskalische Auszahlungsgrenze erklären, mangels jeglicher Anhaltspunkte im Gesetz sei sie aber nicht als Unterhaltsgrenze zu verstehen. Eine Einstellung der Vorschüsse komme nicht schon dann in Betracht, wenn das Eigeneinkommen des Kindes den im § 6 Abs 1 UVG genannten Richtsatz überschreite, sondern erst dann, wenn das Eigeneinkommen des Kindes so hoch sei, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe. Die gleiche Ansicht wurde auch in den Entscheidungen 3 Ob 558/91 (23.Oktober 1991) und 8 Ob 649/91 (16.Jänner 1992) vertreten.

Entscheidend ist daher, ob Sabine G***** gegenüber ihrem Vater noch einen Unterhaltsanspruch hat, oder ob sie bereits selbsterhaltungsfähig ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fällt auch die Lehrlingsentschädigung unter jene Einkünfte, die nach § 140 Abs 3 ABGB zu berücksichtigen sind, sie ist - sofern sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht

bleibt - Eigeneinkommen des Kindes (Pichler in Rummel2, ABGB, Rz 11 und 11 a zu § 140; JBl 1991, 41; 2 Ob 586/91 uva).

Eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dürfen nicht zu einer einseitigen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen (und nicht auch des anderen Elternteiles) führen, sie sind vielmehr auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen (6 Ob 624/90; 3 Ob 547/90; 5 Ob 513/91; 2 Ob 586/91 ua). Bei einer bereits 16jährigen Minderjährigen ist der geschuldete Betreuungsaufwand mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen, als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag. Ohne Verletzung der Rechte des Geldunterhaltspflichtigen kann daher von einem Verhältnis von 2 : 1 zu seinen Lasten ausgegangen werden (vgl 5 Ob 513/91; 8 Ob 649/91; 2 Ob 586/91 ua).

Im vorliegenden Fall steht der Jugendlichen die Lehrlingsentschädigung von durchschnittlich S 3.617 zur Verfügung. Geht man von Unterhaltsbedürfnissen im Gegenwert von S 7.000 aus, so verbleibt ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von S 3.383. Davon entfallen 2/3 auf den Geldunterhalt, so daß sich noch ein Anspruch von S 2.255,33 ergeben würde. Eine Herabsetzung des Unterhaltsvorschusses von S 1.600 kommt daher derzeit unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.

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