Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Das klageabweisende erstgerichtliche Urteil wurde dem damals noch nicht vertretenen Kläger nach § 17 Abs 1 und Abs 2 ZustG zugestellt. Nach Abs 3 leg. cit. gilt es mit dem 2. November 1989 als zugestellt.
Am 21. November 1989, also innerhalb der vierwöchigen Berufungsfrist, beantragte der Kläger beim Erstgericht die Verfahrenshilfe im vollen Umfang und damit auch die Beigebung eines Rechtsanwalts.
Der Bescheid über die Bestellung des beigegebenen Rechtsanwalts, Dr. Peter H***, wurde laut Rückschein am 1. Dezember 1989 einem Arbeitnehmer des genannten Rechtsanwalts in dessen Kanzlei zugestellt (§ 13 Abs 4 ZustG). Der Rückschein enthält unter der handgeschriebenen GZ 17 Cgs 105/89-12 (Ausfertigung des Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenshilfe unter Beigebung eines Rechtsanwalts und des Bestellungsbescheides) die handschriftlichen Vermerke "+ Urteil" und "K 10.1.1990". Er entspricht hinsichtlich des Urteils nicht dem § 138 Abs 1 Geo, wonach die Zustellausweise u. a. die Geschäftszahl des zuzustellenden Stückes zu enthalten haben, wohl aber der Empfehlung des § 139 Abs 1 Geo, bei Friststücken auf dem Rückschein auch den Tag anzugeben, an dem die Frist endet.
In einem beim Erstgericht am 5. Dezember 1989 eingelangten Schreiben des beigegebenen Rechtsanwalts vom 4. Dezember 1989 bat dieser unter Hinweis auf seine Bestellung um Anfertigung und Übermittlung einer kostenlosen Aktenabschrift. Dies wurde mit einer am 11. Dezember 1989 nach § 13 Abs 4 ZustG zugestellten Note wegen Personalmangels unter Hinweis auf die Möglichkeit der Akteneinsicht abgelehnt. In der am 9. Jänner 1990 an das Erstgericht zur Post gegebenen Berufung behauptete der Kläger, dem seinem beigegebenem Rechtsanwalt am 1. Dezember 1989 zugestellten Beschluß sei nicht zu entnehmen gewesen, daß gegen das Urteil Berufung zu erheben sei, und es sei auch keine Urteilsausfertigung beigefügt gewesen. Der beigegebene Rechtsanwalt habe erst durch die Akteneinsicht zur Kenntnis genommen, daß ein Urteil ergangen sei. Mangels Zustellung einer schriftlichen Urteilsausfertigung an den beigegebenen Rechtsanwalt habe die Berufungsfrist für den Kläger noch nicht begonnen (§ 464 Abs 3 ZPO).
Trotz der behaupteten Zustellmängel sind erstgerichtliche Erhebungen im Sinne des § 469 Abs 1 Satz 2 ZPO nicht aktenkundig. Das Berufungsgericht wies die unbeantwortet gebliebene Berufung zurück.
Laut Rückschein seien der Bestellungsbeschluß und die Urteilsausfertigung im Sinne des § 464 Abs 3 ZPO gleichzeitig zugestellt worden, wodurch die Berufungsfrist schon damals und nicht erst vom in der Berufung nicht genannten und auch nicht aktenkundigen Zeitpunkt der behaupteten Akteneinsicht durch den beigegebenen Rechtsanwalt an begonnen habe. Die Nichtzustellung der Urteilsausfertigung sei nicht schon aus Anlaß der Akteneinsicht, sondern erst in der Berufung gerügt worden, ein Antrag auf Zustellung einer solchen Ausfertigung unterblieben. Deshalb sei die am 9. Jänner 1990 zur Post gegebene Berufung verspätet. Dagegen richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht aufzutragen, über die Berufung (sachlich) zu entscheiden. Der Rekurswerber behauptet, daß dem beigegebenen Rechtsanwalt anläßlich der Akteneinsicht am 13. Dezember 1989 eine im Akt befindliche Gleichschrift des Urteils ausgehändigt worden sei. Er meint, das Ersuchen seines Vertreters um Akteneinsicht hätte wohl keinen Sinn gehabt, wenn ihm bereits am 1. Dezember 1989 eine Urteilsausfertigung zugestellt worden wäre. Der vom Berufungsgericht vermißte Antrag auf Zustellung einer Urteilsausfertigung sei ohnehin mit dem vom Erstgericht abgelehnten Gesuch um Anfertigung und Übermittlung einer kostenlosen Aktenabschrift gestellt worden. Die Berufungsfrist habe daher frühestens am 13. Dezember 1989 begonnen, weshalb die am 9. Jänner 1990 zur Post gegebene Berufung rechtzeitig erhoben worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässige Rekurs ist berechtigt. Nach § 464 Abs 3 Satz 1 ZPO beginnt die Berufungsfrist für eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei, die innerhalb dieser Frist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn.
Im vorliegenden Fall hätte die Berufungsfrist daher nur dann am 1. Dezember 1989 begonnen, wenn dem beigegebenen Rechtsanwalt an diesem Tage mit der unbestrittenen Zustellung des Bestellungsbescheides auch eine Urteilsausfertigung zugestellt worden wäre. Der die Sendung übernehmende Arbeitnehmer der Kanzlei des beigegebenen Rechtsanwalts hat die Übernahme dieser Sendung im Sinne des § 22 Abs 2 Satz 1 ZustG durch Unterfertigung des Zustellnachweises unter Beifügung des Datums 1. Dezember 1989 und seines Naheverhältnisses zum Empfänger bestätigt. Bei dieser Übernahmsbestätigung handelt es sich - im Gegensatz zur Beurkundung der Zustellung durch den Zusteller auf den Zustellnachweis nach Abs 1 leg.cit. - um eine von einem Privaten unterschriebene Erklärung, die nach § 294 ZPO vollen Beweis dafür macht, daß diese Erklärung vom Aussteller herrührt. Damit ist also nur die Erklärung des Arbeitnehmers des beigegebenen Rechtsanwalts bewiesen, daß er am 1. Dezember 1989 eine Sendung des Erstgerichts übernahm, auf deren Rückschein als zuzustellende Stücke "GZ 17 Cgs 105/89-12 + Urteil" angegeben waren.
Selbst wenn damit auch die Erklärung des Übernehmers bewiesen wäre, mit der erwähnten Sendung auch das - entgegen § 138 Abs 1 Geo - nicht mit seiner Geschäftszahl bezeichnete "Urteil" übernommen zu haben, wäre trotz der Beweisregel des § 294 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit dieser Erklärung zulässig (zB Fasching, ZPR2 Rz 954). Eine solche Unrichtigkeit, nämlich daß die am 1. Dezember 1989 zugestellte Sendung keine Urteilsausfertigung enthalten habe, wurde in der Berufung - allerdings ohne Beweisanbot - behauptet. Weil damit ein Zustellmangel behauptet wurde, hätte schon das Erstgericht, das nach § 468 Abs 1 ZPO nur rechtzeitig erhobene Berufungen dem Gegner des Berufungswerbers zuzustellen und verspätet erhobene Berufungen zurückzuweisen hat, nach § 469 Abs 1 Satz 2 leg.cit. die notwendigen Erhebungen über die die Berufungsfrist auslösende Zustellung der Urteilsausfertigung durchzuführen gehabt. Nach dem Einlangen der Berufungsakten beim Berufungsgericht hatte ein mit den Verrichtungen eines Vorsitzenden des Berufungssenates betrauter Richter die Berufungsakten nach § 470 ZPO einer Prüfung zu unterziehen und, wenn auf Grund dieser Prüfung die Berufung nicht in der gesetzlichen Frist erhoben erschien, sie nach § 471 Z 2 leg.cit. ohne Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vor den Berufungssenat zu bringen, der in den Fällen des § 471 ZPO nach § 473 Abs 1 leg.cit. über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung und ohne vorhergehende mündliche Verhandlung durch Beschluß entscheidet, mit dem die Berufung nach § 474 Abs 2 ZPO zu verwerfen ist.
Hält der Berufungssenat zur Feststellung der Berufungsgründe oder der Nichtigkeit tatsächliche Aufklärungen seitens der Parteien oder des Gerichtes erster Instanz oder andere vorgängige Erhebungen erforderlich, so sind dieselben nach § 473 Abs 2 ZPO anzuordnen und mit Benützung der einschlägigen, in den Berufungsschriften enthaltenen Parteiangaben entweder vom Berufungssenate selbst durchzuführen oder durch einen beauftragten Richter oder das Prozeßgericht erster Instanz durchführen zu lassen. Unter der in der zitierten Gesetzesstelle verwendeten Wortfolge "Feststellung der Berufungsgründe oder der Nichtigkeit" sind die im § 471 ZPO genannten Gründe, aus denen die Berufung ohne Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vor den Berufungssenat zu bringen ist, zu verstehen. Weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Vorprüfungsverfahren gelegentlich von nicht aktenkundigen Tatsachen abhängt, zumal die im § 471 genannten Gründe durch das Neuerungsverbot in keiner Weise berührt werden, hat das Berufungsgericht zur Aufklärung dieser Tatsachen die erforderlichen Erhebungen zu pflegen. Ebenso wie bei der Prüfung und Feststellung aller sonst im Prozeß von Amtswegen zu berücksichtigenden und zu ermittelnden Tatsachen bedarf es auch hier keines formellen Beweisverfahrens. Das Gesetz schreibt lediglich "vorgängige Erhebungen" vor. Das bedeutet, daß weder die Parteien selbst verpflichtet sind, für ihre konkreten Tatsachenbehauptungen die erforderlichen Beweismittel genau und im einzelnen zu bezeichnen, noch, daß das Berufungsgericht oder der die Erhebung durchführende Richter im Vorverfahren einen formellen Beweisbeschluß unter Zuziehung der Parteien zu fassen hätte. Zur Tatsachenermittlung kann jede Erkenntnisquelle herangezogen werden (Fasching, Komm IV 91 f, ders, ZPR2 Rz 807; EvBl 1956/153; RZ 1964, 139; RZ 1968, 108; SZ 53/4; RZ 1987/74).
In aus verfassungsrechtlichen Erwägungen gebotener Anwendung des § 509 Abs 3 ZPO auch auf das Berufungsvorverfahren muß allerdings den Parteien zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Gelegenheit gegeben werden, zu den Ergebnissen der Erhebungen oder Beweisaufnahmen Stellung zu nehmen. Falls sie nicht zu einer Vernehmung geladen werden, sind ihnen die Ergebnisse der Erhebungen zur Kenntnis zu bringen und ihnen eine Frist zur Stellungnahme zu setzen (SSV-NF 3/77 = JBl 1990, 335 mit eingehender Begründung).
Weil es das Berufungsgericht unterlassen hat, die zur Klärung des für den Beginn der Berufungsfrist maßgeblichen Zeitpunktes der Urteilszustellung an den dem Berufungswerber beigegebenen Rechtsanwalt notwendigen, vom Erstgericht unterlassenen Erhebungen entweder selbst durchzuführen oder durchführen zu lassen, leidet das dem angefochtenen Beschluß vorangegangene Verfahren an wesentlichen Mängeln, die eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Berufung verhinderten.
Deshalb war der angefochtene Zurückweisungsbeschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufzutragen (§ 527 Abs 2 ZPO). Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Rekurskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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