OGH 2Ob129/89

OGH2Ob129/8914.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate C***, Hausfrau, Prentgraben 1, Niklasdorf, 8712 Proleb, vertreten durch Dr. Kurt Hanusch und Dr. Heimo Jilek, Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei Erich B***, Dienstnehmer, p.Adr. V***-A*** P.M.B. 160 Efurrun Warri, Nigeria, vertreten durch Dr. Rudolf Berger, Rechtsanwalt in Wels, wegen Zahlung von S 132.439,- s.A., Leistung einer Rente von monatlich S 13.783,- und Feststellung (S 50.000,-), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15. März 1989, GZ 3 R 26/89-52, womit das Teil- und Zwischenurteil des Kreisgerichtes Steyr vom 10.Oktober 1988, GZ 1 Cg 22/87-37, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere

Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Siegfried C***, der Ehegatte der Klägerin, wurde am 8.6.1986 als Insasse des PKW des Beklagten mit dem nigerianischen Kennzeichen BD 3764 WA, der vom Beklagten gelenkt wurde, bei einem Verkehrsunfall, der sich in Nigeria zwischen Abraka und Warri ereignete, tödlich verletzt.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 132.439,- sA (Todfallskosten S 12.527,- und Unterhaltsentgang für die Zeit vom Unfall bis Februar 1987 S 119.912,-) und zur Leistung einer monatlichen Rente von S 13.783,- ab 1.3.1987 (Unterhaltsentgang); überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen darauf, daß der Beklagte den Unfall allein verschuldet habe, weil er mit seinem PKW infolge überhöhter Geschwindigkeit, unachtsamer Fahrweise und falscher Reaktion von der Fahrbahn abgekommen und in einen Graben gefahren sei. Die Schadenersatzansprüche der Klägerin seien nach österreichischem Recht zu beurteilen, weil im Sinne des § 48 Abs 1 zweiter Satz IPRG für alle Beteiligten eine stärkere Beziehung zum österreichischen Recht bestehe. Aber auch dann, wenn nigerianisches Recht anzuwenden sei, stünden der Klägerin die geltend gemachten Schadenersatzansprüche in gleicher Weise wie nach österreichischem Recht zu.

Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, daß nach den Bestimmungen des Haager Straßenverkehrsübereinkommens die Schadenersatzansprüche der Klägerin nach nigerianischem Recht zu beurteilen seien. Den Beklagten treffe kein Verschulden an diesem Verkehrsunfall. Sein PKW habe sich in einem tadellosen Zustand befunden. Das Überschlagen des Fahrzeuges sei ausschließlich durch einen angeblichen Reifenplatzer, somit durch ein für den Beklagten unabwendbares Ereignis, verursacht worden. Den getöteten Ehemann der Klägerin treffe jedenfalls ein Mitverschulden, weil er nicht angegurtet gewesen sei. Die Klägerin habe auch deswegen keinen Anspruch auf Ersatz ihres Unterhaltsentganges, weil sie seit dem Tod ihres Ehegatten aus einer Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann ihren Unterhalt beziehe.

Zur Ermittlung des nigerianischen Rechtes ersuchte das Erstgericht mit Note vom 14.5.1987 das Bundesministerium für Justiz um die Mitteilung der hier in Frage kommenden Bestimmungen. Mit Note vom 21.5.1987 ersuchte das Bundesministerium für Justiz das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten um die Beschaffung einer entsprechenden Rechtsauskunft. Mit Note vom 30.11.1987 rief das Bundesministerium für Justiz die Anfrage vom 21.5.1987 gegenüber dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten in Erinnerung. Mit Schriftsatz vom 28.12.1987 (ON 20) beantragte die Klägerin, die Ermittlung des fremden Rechtes mit 15.2.1988 zu befristen. Mit Schriftsatz vom 21.1.1988 (ON 21) legte der Beklagte verschiedene in englischer Sprache abgefaßte Urkunden vor. Er beantragte die Einholung eines Fakultätsgutachtens über das anzuwendende Recht und sprach sich gegen die von der Klägerin beantragte Fristsetzung aus. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 8.2.1988 sah das Erstgericht nach Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Parteien eine neuerliche Anfrage an das Bundesministerium für Justiz vor. Sollte eine Antwort des Bundesministeriums für Justiz binnen 4 Wochen nicht erfolgen bzw sollte sich auf Grund einer solchen Antwort herausstellen, daß die Ermittlung des fremden Rechtes in den nächsten Monaten nicht erwartet werden könne, werde die Ermittlung des ausländischen Rechtes im Wege des Bundesministeriums für Justiz nicht weiter betrieben werden. In diesem Fall werde ein Sachverständiger bestellt werden, dem eine Frist zur Begutachtung von etwa 4 Monaten eingeräumt werden solle. Am 15.2.1988 richtete das Erstgericht neuerlich ein Ersuchen an das Bundesministerium für Justiz. Mit Note vom 19.2.1988 ersuchte das Bundesministerium für Justiz das Erstgericht um einen Bericht über die Sicherstellung des Honorars für die Rechtsauskunft eines von der Botschaft in Nigeria ausfindig gemachten Rechtsanwaltes. Mit Note vom 8.3.1988 teilte das Erstgericht den Parteienvertretern mit, daß die Ermittlung des ausländischen Rechtes im Wege des Bundesministeriums für Justiz nicht weiter verfolgt werde und trug den Parteien den Erlag eines Kostenvorschusses auf. Mit Schriftsatz vom 5.4.1988 (ON 26) beantragte die Klägerin die Präkludierung des Sachverständigenbeweises mit 4 Monaten. Mit Schreiben vom 21.4.1988 teilte der zum Sachverständigen bestellte UnivProf. Dr. Michael S*** mit, daß er die Bestellung zum Gutachter nicht annehmen könne, weil er keine ausreichenden Spezialkenntnisse des maßgeblichen Rechtes des Staates Nigeria besitze; er machte in diesem Schreiben angeblich geeignete deutsche Universitätsprofessoren namhaft.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 16.5.1988 stellte der Beklagte die einzelnen Ansprüche des Leistungsbegehrens jeweils mit S 1,- der Höhe nach außer Streit. Das Erstgericht schloß die Verhandlung und behielt die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vor. Mit Schriftsatz vom 15.6.1988 (ON 31) stellte der Beklagte einen Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens unter Hinweis auf eine ihm zugekommene Mitteilung der österreichischen Botschaft in Lagos, wonach dort seit Februar 1988 das bestellte Rechtsgutachten vorliege, welches deshalb nicht nach Österreich übersendet worden sei, weil die Kosten der Begutachtung nicht bezahlt worden seien. Über Anfrage des Erstgerichtes vom 15.6.1988 teilte das Bundesministerium für Justiz mit Note vom 24.6.1988 mit, daß der von der österreichischen Botschaft in Lagos kontaktierte Vertrauensanwalt das Gutachten erstattet habe und daß dieses gegen einen Kostenersatz von US-$ 400,- bei der Botschaft erliege. Das Bundesministerium für Justiz wies darauf hin, daß nur auf Grund des ausdrücklichen Wunsches des Erstrichters das Gutachten nicht beschafft worden sei.

Mit Beschluß vom 4.7.1988 eröffnete das Erstgericht das Verfahren wieder und ersuchte mit Note vom gleichen Tag das Bundesministerium für Justiz unter Hinweis auf die vom Beklagtenvertreter übernommene persönliche Haftung für die Kosten der Gutachtenerstellung, die Übersendung des Gutachtens zu veranlassen. Das Bundesministerium für Justiz ersuchte das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit Note vom 7.7.1988 um Übersendung des Gutachtens. Mit Note vom 2.9.1988 betrieb das Bundesministerium für Justiz die Übermittlung des Gutachtens.

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 15.9.1988 schloß das Erstgericht erneut das Verfahren.

Es entschied mit Teil- und Zwischenurteil, daß das Leistungsbegehren einschließlich des Rentenbegehrens ab 1.3.1987 bis 31.12.1995 dem Grunde nach, begrenzt mit den Beträgen gemäß § 15 Abs 1 und Abs 2 EKHG in der zum 8.6.1986 geltenden Fassung, zu Recht besteht. Dem Feststellungsbegehren der Klägerin gab es statt, wobei es die Haftung des Beklagten für künftige Unfallschäden mit den Beträgen gemäß § 15 Abs 1 und Abs 2 EKHG in der zum 8.6.1986 geltenden Fassung beschränkte.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest, daß am PKW des Beklagten ein Reifenplatzer auftrat, der zur Folge hatte, daß das Fahrzeug von der Straße abkam und sich überschlug. Nicht festgestellt werden konnte, ob das Abkommen des Fahrzeuges von der Straße nicht nur auf den Reifenplatzer zurückzuführen ist, sondern auch auf überhöhte Geschwindigkeit oder Unaufmerksamkeit des Beklagten. Der Klägerin wurden auf Grund des Todes ihres Ehegatten von dessen Dienstgeber in der Zeit zwischen Juni und September 1986 folgende Leistungen ausbezahlt: Aus Unfallversicherung S 600.000,-, Begräbniskostenzuschuß S 30.000,-. Bezugsabrechnung S 17.753,- und S 52.530,- aus der Abrechnung aus der Haushaltsauflösung in Nigeria. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß trotz eingehenden Bemühens das nigerianische Recht innerhalb angemessener Frist nicht ermittelt habe werden können, sodaß gemäß § 4 Abs 2 IPRG österreichisches Recht zur Anwendung komme. Danach habe der Beklagte als Halter seines Kraftfahrzeuges nach dem EKHG zu haften. Ob ihn auch eine Verschuldenshaftung treffe, sei erst im weiteren Verfahren zu prüfen. Es sei vorerst von einer Rentenverpflichtung des Beklagten für die Zeit bis zum 31.12.1995 auszugehen. Insgesamt sei die Haftung des Beklagten auf die Haftungsgrenzen des EKHG zu beschränken.

Mit Schriftsatz vom 20.10.1988 (ON 38) teilte der Beklagte mit, von der österreichischen Botschaft in Lagos dahin informiert worden zu sein, daß das Rechtsgutachten vor etwa einem Monat an das Außenministerium in Wien übersendet worden sei. Der Beklagte beantragte unter Hinweis auf diese Information, das Verfahren wieder zu eröffnen. Mit Schriftsatz vom 25.10.1988 (ON 39) gab er die Aktenzahl des Rechtsgutachtens vom 1.9.1988 bekannt. Mit Beschluß vom 28.10.1988 (ON 40) wies das Erstgericht die Schriftsätze des Beklagten ON 38 und 39 unter Hinweis auf die Urteilsfällung vom 10.10.1988 als unzulässig zurück. Mit Note vom 7.11.1988 übersendete das Bundesministerium für Justiz das Gutachten der Anwaltsfirma A***, O*** & O*** in englischer Sprache. Am 14.11.1988 langte beim Erstgericht die deutsche Übersetzung des Gutachtens ein. Der gegen das Teil- und Zwischenurteil des Erstgerichtes gerichteten Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge. Es hob diese Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur fortgesetzten Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, daß das auf die außervertragliche zivilrechtliche Haftung des Beklagten anzuwendende Recht durch das Haager Straßenverkehrsübereinkommen (in der Folge als Übk bezeichnet) bestimmt werde. Gemäß Art 3 Übk sei das anzuwendende Recht das innerstaatliche Recht des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet habe. Die das Recht des Unfallsortes durchbrechenden Ausnahmen nach Ar 4 und 5 Übk kämen im vorliegenden Fall nicht zum Tragen. Das vom Übereinkommen berufene Recht bestimme auch die Personen, die ein Recht auf Schadenersatz hätten, also auch, ob etwa nur unmittelbar Geschädigte oder auch mittelbar Geschädigte, zum Beispiel nahe Angehörige eines Unfallopfers, einen Schadenersatzanspruch hätten (Art 8 Übk). Die von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzansprüche seien daher nach nigerianischem Recht zu beurteilen.

Gemäß § 4 Abs 1 IPRG sei das berufene fremde Recht von Amts wegen zu ermitteln. Zum Unterschied von der Erforschung inländischen Rechtes seien bei der Ermittlung fremden Rechtes nicht nur private Ermittlungen des Rechtsanwenders, sondern auch verfahrensrechtliche Erhebungsmaßnahmen gestattet, die gleichfalls von Amts wegen vorzunehmen seien. Ihre Auswahl stehe dem Richter frei. § 4 Abs 2 IPRG sehe vor, daß die Ermittlung des berufenen fremden Rechtes in angemessener Frist zu erfolgen habe, um die Entscheidung nicht ungebührlich zu verzögern. Die Angemessenheit hänge von der Dringlichkeit des Einzelfalles ab. Nur bei Nichtfeststellbarkeit berufenen fremden Sachrechtes seien ersatzweise die österreichischen Normen heranzuziehen, und zwar eben nur dann, wenn die Entscheidung im konkreten Fall keinen weiteren Aufschub vertrage. Sei einmal zulässigerweise auf österreichisches Recht zurückgegriffen worden, dann sei eine nachträgliche Korrektur nach dem primär berufenen fremden Sachrecht in derselben Frage nicht mehr möglich, wenn das fremde Recht später doch feststellbar sein sollte. Die Anwendung des österreichischen "Ersatzrechtes" sei immer nur eine ausnahmsweise. Die Nachforschungen nach dem anzuwendenden fremden Recht seien zwar so gründlich und nachdrücklich wie möglich zu pflegen; gleichwohl könne es aber nicht angehen, daß dadurch die sachliche Entscheidung etwa jahrelang hinausgeschoben werde. Die Angemessenheit der Frist werde von den Umständen des Einzelfalles abhängen; die Zeit werde in der Regel jedenfalls nicht zu kurz bemessen werden dürfen. Bei dringenden Maßnahmen werde die zur Beschaffung von Auskünften über fremdes Recht zur Verfügung stehende Zeit entsprechend kürzer sein. Dem Begehren der Klägerin komme in Anbetracht der ihr zukommenden Witwenrente und der erheblichen Leistungen des Dienstgebers ihres verstorbenen Ehegatten keine besondere Dringlichkeit zu. Darüber hinaus zeige sich nach der Aktenlage, daß die Ermittlung des nigerianischen Rechtes innerhalb angemessener Zeit durchaus möglich sei. Dem Erstgericht sei vom Bundesministerium für Justiz am 29.4.1988 mitgeteilt worden, daß der von der österreichischen Botschaft in Lagos kontaktierte Vertrauensanwalt das Gutachten erstattet und gegen einen Kostenersatz von US-§ 400,- bei der Botschaft erlegt habe. Dieses Gutachten sei nur über Wunsch des Erstrichters nicht beigeschafft worden. In der Folge habe dann der Erstrichter mit Note vom 4.7.1988 das Bundesministerium für Justiz um Beischaffung dieses Gutachtens ersucht, welchem Ersuchen das Bundesministerium für Justiz im Wege des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten am 7.7.1988 entsprochen habe. Am 12.9.1988 sei eine Kopie der Urgenz der Erledigung durch das Bundesministerium für Justiz beim Erstgericht eingelangt. In Anbetracht des Zeitablaufes von nur zwei Monaten seit dem Ersuchen des Bundesministeriums für Justiz vom 7.7.1988 hätte das Erstgericht das Verfahren am 15.9.1988 aus der von ihm vertretenen Rechtsansicht, das nigerianische Recht wäre innerhalb angemessener Frist nicht ermittelbar, nicht schließen dürfen. Tatsächlich sei beim Erstgericht im November 1988 das Gutachten des Vertrauensanwaltes in Nigeria in englischer Sprache und in der Folge auch in deutscher Übersetzung eingelangt.

Die Rechtsauskunft der Anwälte A***, O*** & O*** gehe davon aus, daß sich der Verkehrsunfall im Staat Lagos ereignet habe. Für den Fall, als sich der Unfall in einem anderen Staat der Föderation Nigeria ereignet habe, sei das entsprechende Staatenrecht anzuwenden. Tatsächlich habe sich jedoch der Verkehrsunfall offensichtlich im Staat Bendel (Bendel State of Nigeria) ereignet. Nach Erörterung des "Unfallstaates" mit den Parteien werde daher das Erstgericht - zweckmäßigeweise unter Hinweis auf das bereits vorliegende Gutachten - die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen des Staates Bendel zu ermitteln haben. Aus der vorliegenden Auskunft der Anwälte A***, O*** & O*** scheine sich zu ergeben, daß nach dem Recht des Staates Lagos eine Haftung des Schädigers nur bei Verschulden eintrete, wenn auch ausdrücklich zur Frage einer dem EKHG vergleichbaren Haftung für Betriebsgefahr nicht Stellung genommen werde. Im Ersuchen des Erstgerichtes wäre auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer verschuldensunabhängigen Haftung besonders einzugehen. Die vom Erstgericht beizuschaffende Rechtsauskunft über das Recht des Staates Bendel werde auch dazu Stellung zu nehmen haben, ob das Recht dieses Staates auf Grund des geltend gemachten anspruchsbegründenden Sachverhaltes im Zusammenhang mit den der Klägerin zustehenden Ansprüchen eine Haftung des Schädigers für künftigen Schaden kenne. Die prozessualen Voraussetzungen des Feststellungsbegehrens, insbesondere auch das rechtliche Interesse, seien dann nach österreichischem Recht zu beurteilen. Das Erstgericht werde darüber hinaus im Rahmen der Ermittlung des fremden berufenen Rechtes die vom Beklagten vorgelegten Urkunden Beilagen 2 bis 6 zu verwerten haben. Um unnötige Übersetzungskosten zu vermeiden, werde der Beklagte zur Konkretisierung seines Vorbringens bezüglich des Inhaltes dieser Beilagen aufzufordern sein, da sich zumindest die Beilage 4 nur mit dem strafrechtlichen Aspekt eines Unfalles mit Todesfolgen auseinanderzusetzen scheine. Nach Art 10 Übk könne die Anwendung eines durch das Übereinkommen berufenen Rechtes nur verweigert werden, wenn es offensichtlich unvereinbar mit der öffentlichen Ordnung sei. Auf Grund der im EKHG vorgesehenen verschuldensunabhängigen Haftung des Halters könnte eine Haftung des Beklagten auf Grund einer dem EKHG vergleichbaren Rechtsgrundlage niemals im Ergebnis zu einer unerträglichen Verletzung tragender Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung führen, sondern würde dieser geradezu entsprechen.

Die Nichtermittlung des anzuwendenden ausländischen Rechtes sei ein Verfahrensmangel eigener Art, den das Berufungsgericht dadurch beheben könne, daß es dem Erstgericht die Beschaffung der erforderlichen Kenntnisse auftrage, wodurch die Kontrolle der Anwendung des ausländischen Rechtes durch den Erstrichter dem Berufungsgericht vorbehalten bleibe.

Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der (zu Unrecht als Revisionsrekurs bezeichnete) Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß "im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteiles abzuändern, allenfalls ihn aufzuheben und den Untergerichten neue Entscheidung aufzutragen".

Der Beklagte hat eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, dem Rekurs der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist zulässig, sachlich aber nicht berechtigt.

Die Klägerin bestreitet nicht die Richtigkeit der zutreffenden Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß sich das auf ihren geltend gemachten Schadenersatzanspruch anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Haager Straßenverkehrsübereinkommens bestimmt. Aus ihrem Hinweis auf den Zusammenhalt der Vorschriften des Art 4 und des Art 12 Übk ist für die Anwendbarkeit österreichischen Rechtes nichts abzuleiten; Zulassungsstaat im Sinne des Art 4 lit a Übk - und nur diese Abweichung von der Grundregel des Art 3 Übk käme im vorliegenden Fall in Betracht - war jedenfalls nicht Österreich, sondern Nigeria bzw bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art 12 Übk der (bisher nicht näher erörterte) Teilstaat, in dem das Fahrzeug zugelassen war.

Im übrigen hat der Oberste Gerichtshof bereits in der zu 2 Ob 43/89 ergangenen Entscheidung ausgeführt, daß gemäß Art 8 Z 6 Übk das anzuwendende Recht die Personen bestimmt, die Anspruch auf Ersatz des persönlich erlittenen Schadens haben, also auch, ob etwa nur unmittelbar Geschädigte oder auch mittelbar Geschädigte, etwa nahe Angehörige des Unfallopfers, einen Schadenersatzanspruch haben (RV 1275 BlgNR 13.GP 15; Reishofer in ZVR 1977,37; Duchek-Schwind, IPR, Anm 12 zu Art 8 Übk mwN) und daß daher der Ansicht Schwimanns (ZVR 1978,170), daß der Ersatz an mittelbar Geschädigte vom Übereinkommen nicht erfaßt sei, im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Z 6 des Art 8 Übk und den Ausnahmecharakter der im Art 4 Übk getroffenen Regelung nicht zu folgen ist. Daran wird auch im vorliegenden Fall festgehalten.

Der Hinweis der Klägerin auf § 6 und § 48 Abs 1 zweiter SatzIPRG versagt, weil das Haager Straßenverkehrsübereinkommen als Spezialregelung für Straßenverkehrsunfälle die allgemeine Anknüpfung des § 48 Abs 1 IPRG verdrängt (§ 53 IPRG) und (unter Ausschluß von Rück- und Weiterverweisungen) ausnahmslos auf die Sachnormen der berufenen Rechtsordnung verweist (Schwimann in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 48 IPRG). Gemäß Art 10 Übk kann die Anwendung eines der durch dieses Übereinkommen für anwendbar erklärten Rechte nur ausgeschlossen werden, wenn sie mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist. Durch diese Vorschrift soll die inländische Rechtsordnung nur vor dem Eindringen solcher fremder Rechtsgedanken geschützt werden, die mit wesentlichen österreichischen Rechtsgrundsätzen unvereinbar sind (2 Ob 68/89); sie dient dem Schutz der Grundwertungen des österreichischen Rechtes (vgl SZ 59/128). Von ihrer Verletzung könnte entgegen den Rekursausführungen keine Rede sein, wenn nach nigerianischem Recht die Witwe eines Getöteten unter anderen Voraussetzungen als nach österreichischem Recht Ansprüche gegen den Schädiger auf Schadenersatz hätte oder wenn ihr ein geringerer Schadenersatzanspruch zuerkannt oder ihr ein solcher sogar verweigert würde, solange dies nicht aus Gründen geschieht, die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widersprechen. Den Rechtsmittelausführungen der Klägerin ist auch nicht zu folgen, soweit sie darzutun versucht, daß im Sinne des § 4 Abs 2 IPRG im vorliegenden Fall österreichisches Recht anzuwenden wäre, weil das fremde Recht trotz eingehenden Bemühens innerhalb angemessener Frist nicht ermittelt werden konnte. Gewiß besteht die im § 4 Abs 1 IPRG normierte amtswegige Ermittlungspflicht nicht unbeschränkt; sie ist insbesondere an die jeweiligen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten und Schranken gebunden, wobei die Angemessenheit der Frist des § 4 Abs 2 IPRG von der Dringlichkeit des Einzelfalles abhängt (5 Ob 553/83; siehe dazu auch RdW 1988,320). Die Nachforschungen nach dem anzuwendenden fremden Recht sind also so gründlich und nachdrücklich wie möglich zu führen, dürfen aber nicht zu unzumutbaren Verzögerungen der Sachentscheidung führen. Die Dringlichkeit des Einzelfalles bestimmt die Angemessenheit der Frist im Sinne des § 4 Abs 2 IPRG (Schwimann aaO Rz 3 zu § 4 IPRG; Duchek-Schwind aaO Anm 5 zu § 4). So wird in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit sofort nach österreichischem Recht entschieden werden können, wenn das fremde Recht nicht sogleich feststellbar ist (RdW 1988,320); in nicht dringlichen Fällen wird aber die zur Ermittlung des anzuwendenden fremden Rechtes erforderliche Zeit jedenfalls nicht zu kurz bemessen werden dürfen (Duchek-Schwind aaO).

Im vorliegenden Rechtsstreit ist nach den gegebenen Umständen eine besondere Dringlichkeit der Entscheidung nicht erkennbar. Im Hinblick darauf und den Umstand, daß die im bisherigen Verfahrensverlauf aufgetretenen Verzögerungen zumindest zum Teil darauf zurückzuführen sind, daß bisher kein geeigneter Sachverständiger bestellt wurde und das Erstgericht von vorhandenen Erkenntnisquellen erst verspätet Gebrauch machte, ist in der Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß die im § 4 Abs 2 IPRG normierten Voraussetzungen bisher nicht vorliegen, ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Dem Rekurs der Klägerin gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Da dieses Rechtsmittel aber zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat, ist die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens im Sinne des § 52 ZPO dem weiteren Verfahren vorzubehalten (EvBl 1958/28 uva).

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