OGH 5Ob120/70

OGH5Ob120/7026.8.1970

SZ 43/139

Normen

ABGB §364
ABGB §364a
ABGB §364
ABGB §364a

 

Spruch:

Anwendung der §§ 364 ff ABGB auch auf Straßengrundstücke von Gebietskörperschaften. Bau, Erweiterung, Verbesserung und Reparatur von Straßen gehören, soweit die Verkehrsbedürfnisse dies erfordern, zur "ortsüblichen Benützung" der Straßengrundstücke; in Fremdenverkehrsgebieten muß aber bei den Arbeitsmethoden und Arbeitszeiten auf Nacht- und Wochenendruhe Rücksicht genommen werden

OGH 26. August 1970, 5 Ob 120/70 (OLG Graz 4b R 12/70; LG Klagenfurt 23 Cg 311/69)

Text

Die Kläger behaupten, in Pörtschach je eine Frühstückspension zu betreiben und in diesen Betrieben durch den Bau der Autobahn Klagenfurt-Villach schwerstens beeinträchtigt zu werden. Die Lastkraftwagen, die Caterpillar-Fahrzeuge und die Aufbereitungsanlagen verursachten nicht nur einen ohrenbetäubenden, nervenzermürbenden Lärm, sondern auch eine beträchtliche Staubentwicklung sowie eine Erschütterung der Häuser. Mit den Arbeiten werde schon um 4 oder 5 Uhr früh begonnen, und sie dauerten bis 23 oder 24 Uhr. Hieraus ergäben sich erhebliche finanzielle Einbußen im Fremdenverkehr. Vorbestellungen kämen fast nicht mehr vor, aber auch Gäste aus dem Durchreiseverkehr hätten sich fast auf Null verringert. Die Kläger begehren den Ersatz des ihnen hiedurch bis Ende 1968 entstandenen Einkommensverlustes.

Das Erstgericht wies diese Begehren ohne Aufnahme von Beweisen auf Grund folgender Erwägungen ab:

Die Kläger begehren nicht Untersagung, sondern Ersatz des durch die Bauführung verursachten Einkommensentfalls, offensichtlich nach § 364a ABGB. Dieser stehe ihnen aber nur zu, wenn die Einwirkung behördlich genehmigter Anlagen auf dem Nachbargrundstück das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreite und die ortsübliche Benützung des Grundstückes wesentlich beeinträchtige. Eine solche Behauptung liege nicht vor, sie sei aber notwendig, weil diese Beeinträchtigungen das gewöhnliche Maß nicht überschreiten müssen, besonders wenn es sich um ein so großes Bauvorhaben handle wie die Errichtung einer Autobahn in einem bergigen Teilstück. Die Klage sei daher schon wegen Unschlüssigkeit abzuweisen.

Außerdem sei die Südautobahn einschließlich des Teilstücks Klagenfurt-Villach laut Verzeichnis G der Bundesstraßengesetznovelle BGBl 1958/56 mit Wirkung vom 1. März 1958 zur Bundesstraße erklärt. Die Errichtung solcher zur Bundesstraße erklärter Straßenzüge werde von Gesetzes wegen direkt durch den österreichischen Nationalrat beschlossen, ohne daß sie einer Baubewilligung oder Genehmigung durch eine Gebietskörperschaft bedürfe. Diese Regelung unterscheide sich von der des § 6 des nö Landesstraßengesetzes, die der Entscheidung SZ 36/67 zugrunde liege; deren Ausführungen seien daher hier nicht anwendbar. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 1 Abs 2 des Bundesstraßengesetzes 1948 könne der Bau einer neuen Bundesstraße nur auf Grund eines Bundesgesetzes geschehen, daher könne die Ausführung des Werkes nicht dem Begriff der "behördlich genehmigten Anlage" unterstellt werden.

Schließlich sehe § 364a ABGB den Ersatz des "zugefügten Schadens" vor. Darunter könne nur positiver Schaden, nicht aber der hier allein geltend gemachte Ersatz eines Einkommensausfalls verstanden werden. Dieser bilde zusammen mit dem positiven Schaden und der Tilgung der verursachten Beleidigung die volle Genugtuung, eine solche sei aber für den geltend gemachten Rechtsgrund nicht vorgesehen.

Zufolge Berufung der Kläger hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Sache unter Rechtskraftvorbehalt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte hiezu folgendes aus.

Für die in der Klage erhobenen Ansprüche aus der materiellrechtlichen Haftung der Beklagten für Straßenbau sei gemäß § 11 Bundesstraßengesetz der Rechtsweg zulässig. Es handle sich um Ausgleichsansprüche nach den §§ 364 ff ABGB, die aus der Wirtschaftsverwaltung der Beklagten abgeleitet werden, da der Beklagten bei der Durchführung des Straßenbaus gegenüber den Klägern keine Befugnis, hoheitsrechtliche Akte zu setzen, zustehe.

Im Gegensatz zur Meinung des Erstgerichtes sei die Klage nicht unschlüssig, da sie immerhin im einzelnen schildere und sich aus dem Zusammenhang deutlich ergebe, daß die geltend gemachten Ansprüche auf die §§ 364 und 364 a ABGB gegrundet würden. Mehr sei nicht erforderlich. Im übrigen wäre das Erstgericht, wenn es noch Zweifel gehegt hätte, gemäß § 182 ZPO verpflichtet gewesen, auf das Nachholen der seiner Meinung nach fehlenden Klagsangaben zu dringen.

Ob der Bau einer Autobahn eine "behördlich genehmigte Anlage" darstelle, könne auf sich beruhen, da die Klage nicht auf die Untersagung der Einwirkung, sondern auf Gewährung eines von der Verschuldensfrage unabhängigen Ausgleichsanspruchs gerichtet sei. Ein solcher stehe dem gestörten Nachbarn aber sowohl nach § 364 als auch nach § 364a ABGB zu.

Es könne auch die Ansicht des Erstgerichtes nicht geteilt werden, daß die Gesetzesbestimmungen nur einen Anspruch auf Ersatz des positiven Schadens und nicht auch des entgangenen Gewinns geben. Letzterer sei insbesondere dort zu ersetzen, wo - wie im vorliegenden Fall - der Eigentümer die Immissionen nach der Gesetzeslage gar nicht untersagen könne.

§ 364 Abs 2 ABGB schränke die im § 354 ABGB geregelte Eigentümerherrschaft im Interesse des Nachbarn, u zw auch des mittelbaren Nachbarn, ein. Wenn auch die Republik Österreich von Gesetzes wegen verpflichtet sei, die Autobahn zu bauen, und alle Anordnungen, die sie im Rahmen dieser Verpflichtung zum Bau und zur Erhaltung von Straßen treffe, als Akte der Hoheitsverwaltung gelten, so kämen doch, soweit sie auf eigenem Grund entweder durch eigene Angestellte und Arbeiter oder durch Bauunternehmungen die notwendigen Arbeiten durchführen lasse, die Bestimmungen der §§ 364 und 364 a ABGB zur Anwendung. Obwohl ihr der Bau der Straße durch Gesetzesbefehl aufgetragen werde, bleibe sie als Gründeigentümerin der Straße oder Trasse dem Privatrecht unterworfen. Dem stehe nicht entgegen, daß das Bundesstraßengesetz keinen Ersatzanspruch der Anrainer vorsehe; vielmehr hätte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung bedurft, um privatrechtliche Ansprüche nach den §§ 364 ff ABGB auszuschließen.

Allerdings bestehe ein Ausgleichsanspruch nur für Immissionen, die das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benützung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, wobei auch Teile eines Ortes eine besondere Ortsüblichkeit aufweisen können. Wenngleich die Ortsüblichkeit auf den Zeitpunkt der Klage abzustellen sei, könne doch nicht gesagt werden, daß der beim Bau einer Straße verursachte Lärm immer ortsüblich sei. Es müsse festgestellt werden, in welchem Verhältnis Lärm, Staub und Erschütterungen dieser Arbeiten zu den sonstigen derartigen Verhältnissen im Raum Pörtschach oder allenfalls in dem Ortsteil, in dem sich die Betriebe der Kläger befinden, stehen. Wenn die von dem Autobahnbau ausgehenden Einwirkungen hienach das ortsübliche Maß übersteigen, müsse noch geprüft werden, ob dadurch die ortsübliche Nutzung der Grundstücke wesentlich beeinträchtigt werde und in welcher Höhe der Klägerin allenfalls ein Ausgleichsanspruch zustehe.

Zur Prüfung dieser Fragen böten die Klagsbehauptungen eine ausreichende Grundlage, weshalb ihre Schlüssigkeit in rechtlicher Hinsicht gegeben sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Kläger haben in ihren Klagen detailliert die Einwirkungen auf ihre Grundstücke durch Lärm, Staub und Erschütterungen sowie den ihnen hiedurch entstandenen und weiterhin entstehenden Schaden dargelegt und ihren Anspruch ausdrücklich auf die nachbarrechtlichen Bestimmungen der §§ 364 und 364 a ABGB gestützt. Damit sind sie der ihnen gemäß § 226 ZPO obliegenden Verpflichtung, alle Tatsachen, auf die sich ihr Anspruch grundet, im einzelnen kurz und vollständig anzugeben, in hinreichendem Maße nachgekommen. Insbesondere liegt in der Anführung der beiden Gesetzesbestimmungen auch die Behauptung, daß die geschilderten Einwirkungen das nach den ortsüblichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreite und die ortsübliche Benützung des Grundstückes wesentlich beeinträchtige. Ob und inwieweit diese beiden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung. Wenn das Berufungsgericht hiefür den Sachverhalt als nicht genügend geklärt erachtet und die Sache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverweist, so kann der Oberste Gerichtshof, da er nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten. Es muß daher schon aus diesem Gründe bei der Aufhebung des Ersturteils verbleiben.

Dem Rekurs kann nicht darin beigepflichtet werden, daß die Bestimmungen der §§ 364 ff ABGB auf das Verhältnis zwischen einem Privatgrundstück und einer Bundesstraße überhaupt nicht anzuwenden seien. Der Oberste Gerichtshof hat schon in einer Reihe von Entscheidungen die genannten Bestimmungen auch auf Straßengrundstücke von Gebietskörperschaften angewendet und darin zum Teil ausdrücklich ausgeführt, daß zwar alle Anordnungen der Gebietskörperschaft, die im Rahmen der ihr obliegenden Verpflichtung für die Erhaltung der Straßen getroffen werden, als Akte der Hoheitsverwaltung gelten, daß aber die Gebietskörperschaft, soweit sie die notwendigen Arbeiten durchführen läßt, nicht mehr als Träger der Hoheitsverwaltung sondern als Bauherr auftritt und als solcher dem Grundnachbarn gegenüber nach den Grundsätzen des Zivilrechtes haftet (SZ 38/106, 36/67, 24/312, EvBl 1970/226, 1 Ob 151/68 u a). Dabei ist es unerheblich, ob die Gebietskörperschaft die Entscheidung über die Durchführung von Erhaltungsarbeiten - und dasselbe gilt für den Neubau von Straßen - im eigenen, verwaltungsrechtlichen Wirkungskreis trifft oder ob sie durch Gesetz hiezu verpflichtet wird. Die Bestimmungen der §§ 364 ff ABGB dienen dem Schutz der Nachbarn vor übermäßigen Einwirkungen, die von anderen Grundstücken ausgehen. Welche Willensbildung den Arbeiten vorangegangen ist, ist für die Ansprüche des Nachbarn unerheblich. Dies ergibt sich aus der Natur dieser Ansprüche, die keinen Schadenersatz darstellen und sich nicht auf unerlaubte Handlungen stützen, sondern Ausgleichsansprüche sind (Klang im Komm[2] II 173, SZ 38/106, 32/88 u a).

Aus den gleichen Erwägungen kommt auch dem Rekurseinwand, der Bau der Straße diene nicht dem privaten Interesse der Beklagten sondern dem öffentlichen Interesse, nicht zuletzt dem der Kläger selbst, keine Bedeutung zu. Bei den Ausgleichsansprüchen nach den §§ 364f ABGB kommt es nämlich nicht darauf an, ob die Arbeiten, von denen die Einwirkungen ausgehen, privaten Zwecken oder solchen des Gemeinwohls dienen.

Es ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß diese Ansprüche nicht nur den Anrainern sondern auch den mittelbaren Nachbarn zustehen; dieser Begriff umfaßt jenen Umkreis, in welchem sich die Einwirkungen äußern (Klang[2] II, 168, GH 1919, 103, EvBl 1970/226 u a).

Zuzustimmen ist auch der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß dem Nachbarn auch nach § 364 Abs 2 ABGB nicht bloß ein Untersagungssondern auch ein Ausgleichsanspruch zustehe (Klang[2] II 173). Die Frage, ob der Bau einer Straße eine "behördlich genehmigte Anlage" im Sinne des § 364a ABGB darstellt, kann daher auf sich beruhen.

Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, daß bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs nicht die Bestimmung des § 1324 ABGB anzuwenden ist. Dies ergibt sich daraus, daß dieser Anspruch kein solcher auf Schadenersatz, sondern einem Entschädigungsanspruch aus Anlaß der Enteignung gleichzustellen ist (SZ 36/67, 7/115, EvBl 1957/19). Der gegenteiligen Ansicht Klangs[2] II 177 vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu folgen. Unter dem Begriff des "zugefügten Schadens", der dem Nachbarn zu ersetzen ist, ist daher volle Genugtuung, also auch Ersatz des entgangenen Gewinns zu verstehen.

Teilweise Berechtigung muß dem Rekurs allerdings hinsichtlich des "nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnlichen Maßes" der Immissionen und der wesentlichen Beeinträchtigung der "ortsüblichen Benützung des Grundstückes" zuerkannt werden. Schon in der Entscheidung SZ 25/221 wurde ausgesprochen, daß die Bewohner von Weinbau- und Weinausschankgegenden die zeitweise Beeinträchtigung ihrer Nachtruhe durch den von Buschenschenken ausgehenden Lärm in Kauf nehmen müssen, sofern er nicht das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreitet. In gleicher Weise und in gleichem Maße müssen die Inhaber von Grundstücken, die in der Nähe eines Marktes liegen, die nächtliche Anlieferung und das Abladen der Ware in Kauf nehmen und ebenso Personen, die in Industriegegenden wohnen, den Arbeitslärm.

Demgemäß müssen in Gegenden, in denen zur Befriedigung des Verkehrsbedürfnisses Straßen gebaut, erweitert, verbessert oder repariert werden müssen, die Nachbarn für die Dauer dieser Arbeiten Beeinträchtigungen durch die damit verbundenen Einwirkungen ertragen, sofern diese das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht übersteigen. Denn zur ortsüblichen Benützung der Grundstücke gehört auch die in gewissen Zeitabständen wiederkehrende Errichtung oder Anpassung der Straßen und sonstigen öffentlichen Wege an die zeitbedingten Verkehrsbedürfnisse. Gewiß darf bei der Durchführung dieser Arbeiten nicht so weit gegangen werden, daß - wie in den den Entscheidungen SZ 36/67 und 8 Ob 14/69 zugrundeliegenden Fällen - durch die Verwendung von Vibrationsmaschinen oder anderen zu intensiven Arbeitsbehelfen Sprünge und Senkungen an Nachbarhäusern oder die Gefahr des Einsturzes herbeigeführt wird. Auch wird besonders in Fremdenverkehrsgegenden der Aufrechterhaltung der Nachtruhe sowie der Ruhe an Wochenenden Bedeutung zukommen. Es werden also je nachdem, ob die Straße im freien oder im verbauten Gelände gebaut oder repariert wird, verschiedene Maschinen einzusetzen und auch sonstige den besonderen Umständen angepaßte Vorkehrungen zu treffen sein. Diese Umstände müssen bei dem nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnlichen Maß berücksichtigt werden. Mit dieser Einschränkung ist der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über die Ergänzungsbedürftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens beizupflichten.

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