Spruch:
Nur ein schriftlicher letzter Wille kann stillschweigend widerrufen werden. Wurde von zwei letztwilligen Verfügungen nur die schriftliche, nicht aber die zu einem späteren Zeitpunkt errichtete mündliche widerrufen, so ist letztere selbst dann wirksam geblieben, wenn die Vernichtung der schriftlichen Verfügung nach der Errichtung der mündlichen erfolgte
OGH 10. 3. 1983, 7 Ob 801/82 (OLG Wien 14 H 158/82; KG Wiener Neustadt 2 Cg 340/81)
Text
Die Klägerin begehrt als Vermächtnisnehmerin von den beiden Beklagten als den Erbinnen nach der am 6. 1. 1981 verstorbenen Maria T die Herausgabe der ihr vermachten Liegenschaft EZ 4367 KG W. Sie bringt vor, die Erblasserin habe zu ihren Gunsten am 23. 6. 1979 ein mündliches Kodizill errichtet und darin verfügt, daß das von ihr bewohnte Haus in W nach ihrem Tode an die Klägerin fallen solle. Ein wirksamer Widerruf der letztwilligen Anordnung sei nicht erfolgt.
Die Beklagten beantragen die Abweisung der Klage und wenden ein, die Erblasserin habe im Jahre 1975 ein schriftliches Vermächtnis errichtet, wonach das Haus in W nach ihrem Tod an die Klägerin fallen solle. Sie habe diese Urkunde jedoch am 28. 10. 1980 vernichtet und damit das Kodizill widerrufen. Ein gültiges mündliches Kodizill zugunsten der Klägerin habe die Erblasserin nicht errichtet.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und traf folgende Feststellungen: Maria T, die am 6. 1. 1981 im 82. Lebensjahr starb, hinterließ an Vermögen ua. die in ihrem Alleineigentum stehende Liegenschaft EZ 4367 KG W. Die beiden Beklagten sind Erben auf Grund gesetzlicher Erbfolge. Sie sind Nachkommen der Großeltern der Erblasserin. Die Klägerin ist die Tochter des vorverstorbenen Ehegatten der Erblasserin aus dessen Vorehe. Nach dem Ableben ihres Vaters im Jahre 1973 begann die Klägerin ihre Kontakte zur Erblasserin zu intensivieren. Die Klägerin und ihr Mann kümmerten sich um die Pflege des Hauses und des Gartens, sie verrichteten verschiedene Arbeiten und bemühten sich, die Erblasserin bei verschiedenen Verrichtungen zu unterstützen. Zwischen der Erblasserin und der Klägerin sowie deren Familie herrschte eine familiäre Atmosphäre, die Erblasserin bezeichnete die Klägerin als ihre Tochter. Durch die Pflege des Hauses und des Gartens wurden die Klägerin und ihr Mann sehr in Anspruch genommen. Die Erblasserin äußerte sich wiederholt, auch dritten Personen gegenüber, daß sie das Haus und den Garten in W der Klägerin überlassen werde. Die Klägerin verfügte über einen größeren Bekanntenkreis, zu dem sie regelmäßige Kontakte unterhielt. Diese Kontakte äußerten sich auch in der Form, daß die Klägerin von ihren Freunden und Bekannten fallweise in W bei der Erblasserin besucht wurde. Als die Klägerin und ihr Mann am 23. 6. 1979 bei der Erblasserin zu Besuch waren, wurden sie ihrerseits von den Ehegatten St. und P und von Helene P besucht. Helene P, die Ehegatten St. und die Ehegatten P befanden sich bereits in der Wohnung, in der eine Kaffeejause vorbereitet wurde, als die Klägerin und ihr Mann noch im Garten arbeiteten. Helene P wies die Erblasserin darauf hin, daß die Klägerin und ihr Mann sehr fleißig seien und sehr viel im Haus und im Garten arbeiteten. Die Erblasserin erklärte darauf, daß die Klägerin und ihr Mann ohnehin für sich arbeiten, da sie nach dem Ableben der Erblasserin Haus und Garten erben würden. Zu der Anregung der Helene P, es wäre günstig, wenn dies in irgendeiner Form festgehalten würde, äußerte sich die Erblasserin vorerst nicht. Nachdem sich alle Anwesenden zur Jause versammelt hatten und bei Tisch saßen, ersuchte plötzlich Maria T in feierlicher Form, daß die Anwesenden ihr zuhören sollten, und erklärte: "Wir sind hier alle beisammen und möchte ich hier festhalten, daß es mein Wille ist, daß meine Tochter Erna nach meinem Tode das Haus und den Garten und alles was dazugehört bekommen soll." Diese Erklärung wurde von den Ehegatten P, den Ehegatten St. sowie von Helene P gehört. Helene P machte sich darüber Notizen. Nach dem Ableben der Erblasserin verfaßte der Sohn der Klägerin ein Gedächtnisprotokoll, das von den Ehegatten P und St. sowie von Helene P unterfertigt wurde. Bereits im Jahre 1975 hat die Erblasserin eine schriftliche Anordnung betreffend die Liegenschaft in W getroffen. Sie bestimmte damals in einem Kodizill zwei Legate, und zwar eines zugunsten des Robert U betreffend einen Drittelhausanteil in S und eines zugunsten der Klägerin betreffend das Haus in W. Im Herbst 1980 gab es Differenzen zwischen der Erblasserin und der Klägerin. Die Unstimmigkeiten führten dazu, daß sich die Erblasserin gegenüber der Familie U wiederholt äußerte, sie habe sich mit der Klägerin überworfen, verstehe sich mit ihr nicht mehr und wolle auch nicht, daß die Klägerin das Haus in W erbe. Bei einem Besuch in W zeigte die Erblasserin dem Robert U eine letztwillige Anordnung. Robert U stellte beim Lesen dieser letztwilligen Anordnung fest, daß es sich um jene aus dem Jahr 1975 handelte, die die Legate für ihn und die Klägerin zum Inhalt hatte. Robert U las die letztwillige Anordnung und gab sie der Erblasserin zurück. Diese nahm das Schriftstück, zerknüllte es und warf es in den Ofen. Sie äußerte sich dabei: "Die Erna bekommt das Haus nicht."
Mitte November 1980 übergab die Erblasserin dem Robert U neuerlich ein Kodizill, das sein Legat betreffend den Drittelhausanteil in S zum Inhalt hatte. Eine schriftliche Anordnung betreffend das Haus in W hat die Erblasserin nach der Vernichtung des Kodizills, das das Legat der Klägerin zum Inhalt hatte, nicht getroffen. Drei Tage bevor sie in das Spital eingeliefert wurde, hatte die Erblasserin ein Gespräch mit Elfriede B, einer Cousine der Klägerin. Bei diesem Gespräch war auch von den Unstimmigkeiten zwischen der Klägerin und der Erblasserin die Rede; Elfriede B machte den Vorschlag, sie möge doch das Haus und den Garten zB dem Tierschutzverein hinterlassen, wenn sie sich mit der Klägerin nicht mehr verstunde. Die Erblasserin erklärte daraufhin, dies komme nicht in Frage, sie habe versprochen, daß die Klägerin das Haus bekommen solle, und dabei bleibe es.
In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Äußerung der Erblasserin vom 23. 6. 1979 habe den Formerfordernissen eines mündlichen Kodizills iS des § 585 ABGB entsprochen. Durch den Widerruf des schriftlichen Kodizills zugunsten der Klägerin sei die darin verfügte Anordnung des letzten Willens aufgehoben worden. Ein wirksamer Widerruf der mündlichen Erklärung vom 23. 6. 1979 habe durch die Vernichtung dieser Urkunde allein nicht erfolgen können.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 60 000 S übersteigt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Ein selbständiger stillschweigender Widerruf komme nur bei einem schriftlichen Testament in Frage, nämlich durch Vertilgung der Urkunde. Sonst bedürfe es einer besonderen, in Testamentsform errichteten Aufhebungserklärung. Daß die Zuwendung in zwei verschiedenen letztwilligen Verfügungen nicht so zu betrachten sei, als ob sie in einer Urkunde stunde, gehe auch aus § 721 ABGB hervor, der vorsehe, daß man auf keinen Widerruf der Einsetzung schließen könne, wenn von mehreren Urkunden nur eine vertilgt worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Erwägungen der Revisionswerber darüber, ob die Erblasserin am 23. 6. 1979 etwa nur auf eine bereits bestehende letztwillige Verfügung habe hinweisen wollen, sind verfehlt, weil die Erblasserin nach den vorliegenden Feststellungen erklärt hat: "Ich möchte hier festhalten, daß es mein Wille ist, daß ..." Die Testierabsicht der Erblasserin wurde damit in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise festgestellt. Sie wird durch die der Erklärung vorangegangene Anregung von Helene P, es wäre günstig, in irgendeiner Form festzuhalten, daß die Klägerin Haus und Garten erben werde, noch verdeutlicht. Ob Testierabsicht vorliegt oder nicht, ist eine im Revisionsverfahren unüberprüfbare Tatsachenfeststellung, nicht eine Frage der rechtlichen Beurteilung (Fasching IV 333, Rdz. 1967, 90; NZ 1969, 126 ua., zuletzt 5 Ob 638/82). Aus welchem Grund die Erblasserin das Vermächtnis wiederholt und ungeachtet einer bereits vorliegenden schriftlichen letztwilligen Verfügung hinsichtlich ihrer Liegenschaft in W auch eine mündliche Verfügung getroffen hat, ob es etwa dazu gekommen ist, weil die Erblasserin auf die frühere Erklärung (im Zeitpunkt der Wiederholung) vergessen hatte oder weil sie diese durch die Wiederholung der Erklärung bekräftigen wollte (vgl. Weiß in Klang[2] III 548), ist für die Entscheidung des Rechtsstreites ohne Bedeutung. Da einander widersprechende Vermächtnisse nicht vorliegen und kein Anhaltspunkt dafür gegeben ist, daß der Wille der Erblasserin darauf gerichtet war, daß das frühere Kodizill durch das spätere aufgehoben werden sollte, können beide Verfügungen nebeneinander bestehen (§ 714 ABGB; vgl. Gschnitzer - Weiß in Klang[2] III 706 und Ehrenzweig[2] II/2, 474).
Nach § 717 ABGB muß der Erblasser, wenn er seine Anordnung aufheben will, ohne eine neue zu errichten, sie ausdrücklich entweder mündlich oder schriftlich widerrufen oder die Urkunde vertilgen. Der ausdrückliche Widerruf, mag er nun ein schriftlicher oder mündlicher sein, ist, wenn er auch nichts anderes enthält als die Außerkraftsetzung einer früheren letztwilligen Anordnung, selbst eine letztwillige Erklärung, die in der nämlichen äußeren Form geschehen muß, welche sonst für Erklärungen des letzten Willens vorgeschrieben ist (§ 719 ABGB; vgl. Gschnitzer - Weiß in Klang[2] III 711). Dabei genügt für den Widerruf die Beobachtung irgendeiner Testamentsform. Es wird nicht gerade diejenige gefordert, in der das widerrufene Testament errichtet worden ist (Gschnitzer - Weiß aaO 713; NZ 1977, 121). Es ist unbestritten, daß keine der beiden Verfügungen der Erblasserin zugunsten der Klägerin ausdrücklich widerrufen worden ist.
Den stillschweigenden Widerruf behandelt das Gesetz in den §§ 721 bis 723 ABGB. Es ist der Beklagten beizupflichten, daß die Aufzählung der gegen die Urkunde (das Testament oder Kodizill) gerichteten Handlungen in § 721 ABGB nicht als erschöpfend anzusehen ist, zumal zB schon die im gegenständlichen Fall vorgenommene Verbrennung fehlt (Gschnitzer - Weiß aaO 721; Koziol - Welser Grundriß II[6] 283). Nicht übersehen werden kann aber, daß die in § 721 ABGB aufgezählten Vernichtungshandlungen ausschließlich in Einwirkung gegen die (schriftliche) Urkunde bestehen. Wie der stillschweigende Widerruf einer mündlichen letztwilligen Verfügung beschaffen sein sollte - § 721 ABGB bezieht sich auf letztwillige Erklärungen, nicht auf Aufzeichnungen der Zeugen eines mündlichen Testaments (Gschnitzer - Weiß aaO 720 und 722), sodaß deren Vernichtung unerheblich ist, es sei denn, daß ein mündliches Testament durch Errichtung einer neuen Verfügung ohne Erwähnung der älteren widerrufen wird (Koziol - Welser aaO 282) -, ist nicht zu erkennen. Die Äußerung der Erblasserin bei Vernichtung des schriftlichen Kodizills: "Die Erna bekommt das Haus nicht" erfüllt entgegen der Meinung der Beklagten die gesetzliche Erfordernissen für den Widerruf schon deshalb nicht, weil sie in Gegenwart von nur einer Person und damit nicht in der äußeren Form erfolgte, welche für Erklärungen des letzten Willens vorgeschrieben ist. Die Rechtslehre vertritt deshalb überwiegend die Ansicht, daß ein stillschweigender Widerruf nur bei schriftlichen Testamenten möglich ist (Kralik in Ehrenzweig[3], Erbrecht 150; Koziol - Welser aaO 283). Gschnitzer - Weiß in Klang[2] III 725 begrunden ihre gegenteilige Meinung damit, daß ein schriftliches Testament allenfalls als mündliches aufrechterhalten werden könne, sodaß bei Vernichtung des schriftlich errichteten Testaments auch der Aufrechterhaltung der Verfügung als mündliches Testament der Boden entzogen werde. Dies stellt jedoch einen Sonderfall dar, der mit dem vorliegenden, in dem zwei letztwillige Verfügungen (und noch dazu in einem zeitlichen Abstand von vier Jahren) errichtet wurden, nicht verglichen werden kann. Nach § 721 zweiter Satz ABGB kann darüber hinaus nicht auf einen Widerruf geschlossen werden, wenn von mehreren gleichlautenden Urkunden nur eine vertilgt wird. Dasselbe muß in dem Fall gelten, daß nebeneinander eine schriftliche Urkunde und eine mündliche Verfügung bestanden haben.
Der Widerruf des schriftlichen Kodizills aus dem Jahre 1975 kann nach diesen Erwägungen nicht auch als Widerruf der mündlichen Verfügung aus den Jahre 1979 angesehen werden. Da das mündliche Vermächtnis aus dem Jahre 1979 nicht widerrufen wurde, haben die Untergerichte in zutreffender Weise dem Klagebegehren stattgegeben.
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