OGH 3Ob523/82

OGH3Ob523/8210.11.1982

SZ 55/175

Normen

ABGB §302
BStG §18 Abs1
EEG §4
StGG Art5
ABGB §302
BStG §18 Abs1
EEG §4
StGG Art5

 

Spruch:

Führt eine Enteignung zu einer Aufgabe eines im betroffenen Gebäude betriebenen Unternehmens, weil eine Verlegung in ein Ersatzobjekt unmöglich oder unzumutbar ist, ist der Nachteil durch Vergütung des Wertes des Unternehmens zu entschädigen

OGH 10. November 1982, 3 Ob 523/82 (LG Linz 13 R 731/81; BG Linz 2 Nc 19/80)

Text

Mit Bescheid vom 22. 8. 1977 wurde im Wege der Enteignung das dauernde lastenfreie Eigentum an den Grundstücken der Antragsteller 47/1, 47/2 und 934 der EZ 43 KG E für die Republik Österreich zum Ausbau der Wiener-Straße B 1 im Baulos E in Anspruch genommen. Die Verwaltungsbehörde bestimmte den Entschädigungsbetrag mit 1 231 500 S, der sich aus dem Grundwert von 254 700 S für die Liegenschaft im Ausmaß von 283 m2, dem Wert des Wohn- und Geschäftsgebäudes mit Nebengebäuden und der Einfriedung von 658 549 S, dem objektiven Verschaffungswert für Geschäftslokal und Wohnung von 298 251 S und den Übersiedlungskosten von 20 000 S ergab.

Mit dieser Festsetzung waren beide Teile nicht zufrieden. Die Enteigneten riefen das Gericht an (§ 20 Abs. 3 BStG) und beantragten, die Entschädigung mit 2 154 820 S, dann mit 2 603 815 S und zuletzt mit 2 603 715 S festzusetzen. Als Grundstückspreis begehrten sie 264 605 S, an Gebäudewert 1 231 250 S, an Übersiedlungskosten 20 000 S, an Umsatzsteuer 221 625 S und an einem objektiven Verschaffungswert für den Betrieb der Tabaktrafik im Haus 606 000 S und für den Verlust der Wohnung 260 235 S. Die Antragsgegnerin bezeichnete die von der Verwaltungsbehörde an Grundpreis und Gebäudewert bestimmten Entschädigungsbeträge als zu hoch. Der kaufmännische Betrieb der Tabaktrafik sei nicht Gegenstand der Enteignung gewesen. Der Beschaffungswert für das Geschäftslokal und die Wohnung sei nicht zu entschädigen.

Das Erstgericht setzte die Entschädigung mit 972 152 S fest. Für die Grundfläche sei ein Wertausgleich von 261 492 S (= 924 S/m2), für das Wohnhaus mit Tabaktrafik von 664 800 S, für den Holzschuppen 19 440 S, für das Zubehör 6420 S und für die Übersiedlung 20 000 S gerechtfertigt. Es stellte im wesentlichen - soweit noch bedeutsam - fest, daß die enteignete Liegenschaft ein Eckgrundstück im 6.5 km vom Linzer Hauptplatz entfernten Stadtteil E bilde. Es liege im Zentrum dieses Stadtteils in unmittelbarer Nähe von Geschäften, Banken, der Kirche und der städtischen Einrichtungen. In dem Gebäude habe die Hälfteeigentümerin eine Tabaktrafik betrieben. Dieses Unternehmen sei im Geschäftsraum an der Nordwestecke des Gebäudes untergebracht gewesen. Das Erstgericht meinte, für den Verlust dieses Unternehmens gebühre keine Entschädigung. Es sei der Verkehrswert der Liegenschaft zu entschädigen. Der Tabaktrafik komme die Eigenschaft eines werterhöhenden Faktors nicht zu. Sie sei auch nicht enteignet worden. Das Unternehmen sei nur insoweit von der Enteignung mitbetroffen worden, als der Konzessionsinhaberin durch die Entziehung des Eigentums die Ausübung des Gewerbebetriebes auf der enteigneten Liegenschaft unmöglich gemacht wurde. Die Konzession sei ein höchst persönliches Recht. Ein Käufer werde nicht bereit sein, für die Liegenschaft einen höheren Kaufpreis zu zahlen, weil dort der Miteigentümer auf Grund einer eigenen Konzession eine Tabaktrafik betreibe. Zu ersetzen sei nur der positive Schaden. Der Verkehrswert des Gegenstandes der Enteignung sei nach dem Vergleichswertverfahren und beim Gebäude nach dem Sachwertverfahren zu bestimmen. Der Wert der Tabaktrafik bleibe dabei außer Betracht.

Das Rekursgericht gab dem von den Antragstellern erhobenen Rechtsmittel teilweise Folge. Es setzte unter Hinzurechnung des Betrages von 327 000 S für die Vernichtung der Gewinnmöglichkeit aus dem Betrieb der Tabaktrafik den Entschädigungsbetrag mit 1 299 152 S fest. Es führte dazu aus, das im Interesse der Gesamtheit bestehende Recht, im Enteignungsfall individuelles Eigentum aufzuheben, setze voraus, daß dem Einzelnen für das für die Allgemeinheit erbrachte Opfer eine äquivalente Vergütung zukomme, um sein Vermögen zu erhalten und wieder herzustellen. Der Enteignete müsse in die Lage versetzt werden, sich mit Hilfe der Entschädigungssumme dieselben Rechte und Vorteile zu verschaffen, die ihm durch die Enteignung entzogen wurden. Als Entschädigung sei die Differenz zwischen dem Vermögen des Enteigneten im Zustand vor und nach der Enteignung zu gewähren. Nach § 18 Abs. 1 BStG gebühre für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung nach § 1323 ABGB. Betreffe die Enteignung gewerblich genutzte Flächen oder Gebäude, werde zwar nicht das betriebene Unternehmen enteignet, aber doch betroffen, weil dem Enteigneten die Ausübung des gewerblichen Betriebes auf der enteigneten Grundfläche unmöglich gemacht werde. Bei der Ermittlung des Verkehrswertes der Liegenschaft könne dem Unternehmen die Bedeutung eines werterhöhenden Faktors zukommen. Der Verkehrswert sei mit einem Globalbetrag festzustellen, ohne auf die Summierung der Einzelwerte einzugehen. Bei der Feststellung sei aber auch der persönliche Schaden des Liegenschaftseigentümers zu berücksichtigen, den er durch die mit der Enteignung verbundene Störung des Gewerbebetriebes, die Nötigung zu seiner Verlegung oder zur Auflassung des auf der Liegenschaft geführten Unternehmens erleide. Durch die Enteignung sei die Ausübung des Betriebes der Tabaktrafik nicht nur auf der enteigneten Grundfläche, sondern überhaupt unmöglich gemacht worden, weil die Verlegung der Tabaktrafik an einen anderen Standort aus tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen nicht möglich sei. Die Trafik sei standortgebunden. Der Unternehmer habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Konzession an einem anderen Standort. Ein Ersatz für die Tabaktrafik konnte nicht verschafft werden, weil die Verlegung an einen gleichwertigen Standort nicht möglich gewesen sei. Durch den Verlust des Betriebes sei ein vermögensrechtlicher Nachteil entstanden. Auf Grund dieser entgangenen Gewinnmöglichkeit, die selbständig einen erheblichen wirtschaftlichen Wert schon im Zusammenhang mit dem günstigen Standort darstelle, der mit 327 000 S zu veranschlagen sei, komme dem Unternehmen doch die Eigenschaft als werterhöhender Faktor zu, der den bereits vom Erstgericht bestimmten Entschädigungsbeträgen hinzuzufügen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Gericht zweiter Instanz hat die in Lehre und Rechtsprechung zur Feststellung der Enteignungsentschädigung entwickelten Gedanken richtig und vollständig dargestellt. Das Wesen der Enteignungsentschädigung besteht in der Ersatzleistung für das dem Enteigneten durch den besonderen Hoheitsakt abgenötigte Sonderopfer an seinem Vermögen, wodurch es zur - auf den positiven Schaden beschränkten - Nachteilsausgleichung kommen soll (SZ 48/54; RZ 1976/86 ua.). Alle vermögenswerten Privatrechte sind als geschütztes Eigentum iS des Art. 5 StGG zu werten. Bei ihrem Entzug liegt jeweils ein selbständiger Enteignungstatbestand vor (Rummel - Schlager, Enteignungsentschädigung 133; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts[4], 359 f.; SZ 42/95; EvBl. 1980/113 ua.). Dies gilt nicht nur, wenn der hoheitliche Eingriff allein auf dieses Privatrecht gerichtet ist, sondern auch dann, wenn es ohne formelle Enteignung - ohne also Gegenstand eines Verfahrens gegen den Berechtigten gewesen zu sein - durch einen Verwaltungsakt gänzlich aufgehoben wird (Walter - Mayer aaO mwN; Rummel aaO 133; 5 Ob 577/81). Hier wurde nicht in Privatrechte eines Nebenberechtigten eingegriffen, aber als unmittelbare Folge der Enteignung von Grund und Boden der Miteigentümerin die Grundlage für den Betrieb ihrer Tabaktrafik entzogen. Dieser Fall kann aber nicht anders beurteilt werden, als hätte die Zweitantragstellerin den Geschäftsraum nicht auf Grund ihres Eigentumsrechtes benützt, sondern eigene Privatrechte daran ausgeübt, die wohl auch im Familienrecht wurzeln konnten (Rummel aaO 133). Da dem Enteigneten - aber auch dem Nebenberechtigten nach § 5 EisbEG - grundsätzlich der Unterschiedsbetrag in seiner Vermögenslage vor und nach der Enteignung als Entschädigung zu gewähren ist, geht es nicht an, eine Entschädigung für tatsächlich erlittene Vermögenseinbußen zu versagen, wenn das vom Miteigentümer betriebene Unternehmen als unvermeidliche Folge der Liegenschaftsenteignung vernichtet wurde.

Das Rekursgericht ist von der Feststellung ausgegangen, daß die Verlegung der standortgebundenen Tabaktrafik aus tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen nicht möglich ist und der Unternehmer im Falle des - hier durch Enteignung des als Standort dienenden Gebäudes - Unterganges des Betriebes auf Erteilung einer Konzession an einem anderen Standort keinen Rechtsanspruch hat. Ein Ersatz für die verlorene Tabaktrafik durch Verlegung an einen gleichwertigen Standort war nicht zu erlangen.

In der Regel wird, wenn nur die Standortliegenschaft, nicht aber das Unternehmen Ziel der Enteignung ist, die Übersiedlung des Betriebes zumutbar sein und daher neben der Entschädigung für das verlorene Eigentum nur noch der Schaden zu vergüten sein, der durch die Nötigung zur Verlegung des Gewerbebetriebes entsteht, also auf die Betriebsverlegungs- und Übersiedlungskosten, den Ertragsausfall während der Verlegung, die Anlaufverluste und die Einbußen wegen Verlustes von Standortvorteilen Bedacht zu nehmen sein (Grünhut, Das Enteignungsrecht 103; Klang in Klang[2] II 195; Rummel aaO 212; SZ 48/54; SZ 49/123; EvBl. 1976/256 ua.). Kommt es jedoch durch den Standortverlust zu einer erzwungenen Betriebsaufgabe und damit zum Untergang des Unternehmens, dessen Verlegung in ein Ersatzobjekt nicht möglich oder unzumutbar ist, wird der dadurch im Vermögen des Betroffenen eingetretene Nachteil ein entsprechendes Äquivalent in der Vergütung des Wertes des Unternehmens finden müssen (Rummel aaO 215). Gegen das Vorgehen des Rekursgerichtes, das diesen Wert auf Grund des den Einzelfall berücksichtigenden und von schlüssigen Überlegungen getragenen Gutachtens des Buchsachverständigen mit dem Betrag von 327 000 S angesetzt hat und bei der Bemessung der Globalentschädigung der Eigentümer berücksichtigte, ergeben sich daher keine Bedenken. Es kommt dadurch nicht, wie die Antragsgegnerin meint, zu einer abzulehnenden Kumulierung des Verkehrswertes der Liegenschaft mit einem Ertragswert, weil der für das Unternehmen benützte kleine Eckraum bei der Ermittlung des Liegenschaftswertes nicht ins Gewicht fiel und die Raumbenützung andererseits nur einen unbedeutenden Anteil an dem Vermögenswert des Unternehmens aufweist, der jeweils vernachlässigt werden kann. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß der Miteigentümerin dadurch ein vermögensrechtlicher Nachteil entstand, daß sie durch Verlust ihres Eigentums an der Liegenschaft, womit sie als Enteignete iS des § 18 Abs. 2 BStG anzusehen ist, als unausweichliche Folge auch den Untergang ihres einen Vermögenswert darstellenden Unternehmens der Tabaktrafik hinnehmen mußte und daß sie dafür Entschädigung beanspruchen kann.

Der Einwand der Revisionsrekurswerberin, dieser Nachteil sei - wenn überhaupt - nur im Vermögen der Zweitantragstellerin entstanden und könne nicht zur Erhöhung der Entschädigungssumme an sich führen, geht ins Leere. Als Enteignete sind nur die dinglich Berechtigten (§ 18 Abs. 2 BStG und § 4 Abs. 2 EisbEG) zu behandeln. Bei der Ermittlung der Entschädigung ist aber auch auf die Nachteile Rücksicht zu nehmen, die Nutzungsberechtigte, Gebrauchsberechtigte oder Bestandnehmer durch die Enteignung erleiden. Die Schadloshaltung dieser Nebenberechtigten obliegt dem Enteigneten, der die Sonderentschädigung der obligatorisch Berechtigten gegen den Enteigner geltend zu machen und sie sodann dem Nebenberechtigten zu überlassen hat (Rummel aaO 133 f.). Diese im § 5 EisbEG, dessen sinngemäße Anwendung nach der Verweisung des § 20 Abs. 1 BStG stattzufinden hat, für die obligatorisch Berechtigten getroffene Regelung führt bei der vergleichbaren Lage, daß ein einzelner Miteigentümer als unmittelbare Enteignungsfolge besondere Vermögensnachteile erleidet, die zu vergüten sind, zu dem Ergebnis, daß auch hier nicht die Feststellung von Einzelansprüchen, sondern der Globalentschädigung der Eigentümer erfolgen muß, die sich dann untereinander auseinanderzusetzen haben, wie es auch ablaufen würde, wenn die Zweitantragstellerin ihren Betrieb nicht kraft des Miteigentums, sondern auf Grund obligatorischer Rechte auf der enteigneten Liegenschaft betrieben hätte.

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