OGH 5Ob9/75

OGH5Ob9/7529.4.1975

SZ 48/54

 

 

Spruch:

Zu den vom Enteigner zu ersetzenden positiven Schaden gehören nicht nur die durch Nötigung zur Verlegung eines Unternehmens entstehenden Kosten, sondern auch die Auslagen für die Übersiedlung und die Wertminderung der übersiedelten Gegenstände. Diese Kosten sind nicht mit Pauschalbeträgen abzugelten, sondern detailliert zu berechnen; dabei sind zu Lasten des Enteigneten auch alle durch die Übersiedlung des Betriebes oder der Wohnung entstandenen Vorteile zu berücksichtigen

 

OGH 29. April 1975, 5 Ob 9, 10/75 (LG Innsbruck 4 R 116/74; BG Kufstein 1 Nc 197/71)

 

Begründung:

Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 22. Juni 1970, Z. II b - 516/2-1970, wurden die Teilflächen

a) von 470 m2 der Bp. 59/1 samt dem darauf stehenden Wohn-, Wirtschafts- und Betriebsgebäude und von 480 m2 der Gp. 372/1 Acker der beiden Antragstellern je zur Hälfte gehörigen Liegenschaft EZ 49

I des Grundbuches über die Katastralgemeinde E sowie

b) von zirka 70 m2 der Gp. 38 Garten der dem Zweitantragsteller allein gehörigen Liegenschaft EZ 525 II desselben Grundbuches zum Zweck des Ausbaues der W -Bundesstraße zugunsten der Republik Österreich enteignet.

Als Entschädigung wurden von der Verwaltungsbehörde festgesetzt:

1. für die Teilflächen von 70 m2 der Gp. 38, EZ 525 II, von 480 m2 der Gp. 372/1 und von 170 m2 der Bp. 59/1, EZ 49 1 100 S pro m2 und für die Teilfläche von 300 m2 der Bp. 59/1, EZ 49 I 150 S pro m2;

2. für das Wohn-, Wirtschafts- und Betriebsgebäude auf der Bp. 59/1 der EZ 49 I 1, 428, 840 S;

3. für subjektive Nachteile 176.860 S und

4. für Aufschüttungsarbeiten zur Wiederherstellung des verlorenen Parkplatzes auf der Bp. 59/1 der EZ 49 I ein Pauschalbetrag von 2100 S.

Die Antragsteller begehrten rechtzeitig die Festsetzung der Entschädigung durch das Gericht, und zwar:

1. für die Teilflächen von 470 m2 der Bp. 59/1, EZ 49 I, und von 70 m2 der Gp. 38, EZ 525 II, 300 S pro m2 sowie für die Teilfläche von 480 m2 der Gp. 372/1, EZ 49 I, 250 S pro m2;

2. für das Wohn-, Wirtschafts- und Betriebsgebäude samt Surgrube und Hühnerstall 2.764.330 S;

3. für subjektive Nachteile 610.000 S (= 20 % der Gesamtsumme von 3.046.330 S für Teilflächen- und Gebäudeentschädigung) sowie

4. für Aufschüttungsarbeiten zur Wiederherstellung des verlorenen Parkplatzes auf der Bp. 59/1, EZ 49 I, als Pauschalbetrag 10.000 S.

Das Erstgericht setzte die Entschädigung wie folgt fest:

I. Für die Teilfläche von zirka 70 m2 der Gp. 38 der im Alleineigentum des Zweitantragstellers stehenden Liegenschaft EZ 525

II des Grundbuches über die KG E 270 S pro m2 (inklusive Wiederherstellungskosten) zuzüglich 6340 S an Restwertminderung;

II. Bezüglich der beiden Antragstellern je zur Hälfte gehörigen Liegenschaft EZ 49 I des Grundbuches über die KG E:

1. Teilfläche von 470 m2 der Bp. 59/1:

a) Grund- und Bodenwert 150 S pro m2 zuzüglich 10.480 S als Ersatz für Oberflächenbefestigung, 29.650 S für Restwertminderung und 1000 S für drei Obstbäume;

b) Bauwert des Wohn-, Wirtschafts- und Betriebsgebäudes: ba) Wohnteil 966.510 S, bb) Wirtschaftstrakt 582.222 S, bc) Neubauteil 220.400 S, bd) Surgrube 28.560 S, be) Hühnerstall 11.900 S, bf) Erschließungsleitungen 50.000 S;

c) sonstige Werte: ca) Nebenkosten 111.500 S, cb) Umsiedlungsleistungen und dabei entstehende Wertminderung der umgesiedelten Gegenstände 93.000 S; cc) Vermessungs- und Vermarkungskosten 37.200 S

2. Teilfläche von 480 m2 der Gp. 372/1 Acker: 240 S pro m2.

Die Antragsgegnerin (Republik Österreich) bekämpfte diesen Beschluß des Erstgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung und begehrte seine Aufhebung, hilfsweise seine Abänderung derart, daß die gesamte Entschädigung mit 1.212.112 S festgesetzt werde.

Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes in Ansehung des 1.212.112 S übersteigenden Entschädigungszuspruches von 1.141.250 S auf und trug dem Erstgericht in diesem Umfange die neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens auf. Es erachtete das Verfahren erster Instanz als mangelhaft, weil den Parteien nicht Gelegenheit gegeben worden war, allfällige Einwendungen gegen das Gutachten der Sachverständigen noch vor dem Ergehen der Entscheidung vorzubringen. Da auch die im Verwaltungsverfahren angenommenen Werte auf dem Gutachten eines Sachverständigen beruhten, erscheine es aufklärungsbedürftig, auf welcher Grundlage die vom Erstgericht bestellten Sachverständigen auf die in ihrem Gutachten angenommenen Werte gekommen sind.

Zur Rechtsrüge der Antragsgegnerin führte das Rekursgericht im wesentlichen aus:

Bei der Bemessung der Entschädigung sei auf die Verminderung des Wertes eines etwa verbleibenden Grundstückrestes Rücksicht zu nehmen. Dem in § 18 BStG 1971 ausgesprochenen Gedanken, dem Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung zu verschaffen, werde nur dann Rechnung getragen, wenn ihm auch die mit der Errichtung eines neuen Gebäudes verbundenen zusätzlichen Kosten, die im Zeitwert noch nicht enthalten sind, ersetzt würden. Allerdings genüge dazu nicht die Angabe eines Pauschalbetrages, vielmehr seien diese Nebenkosten in überprüfbarer Weise aufzugliedern. Dem Enteigneten seien auch die Übersiedlungskosten als ein durch die Enteignung verursachter Nachteil zu ersetzen, der durch den Entschädigungsbetrag für das abgebrochene Gebäude nicht abgegolten sei. Auch dafür genüge freilich nicht die Angabe einer Pauschalsumme, möge sie auch von einem Prozentsatz des Zeitwertes ausgehen. Gleiches gelte für die beanspruchten Kosten der neuerlichen Vermessung und Vermarkung, da es sich auch dabei um durch die Enteignung verursachte Nebenkosten handle.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionskurs der Antragsgegnerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des OGH ist die Anfechtung eines Aufhebungsbeschlusses des Gerichtes zweiter Instanz in Enteignungssachen, in denen nach dem Eisenbahnenteignungsgesetz zu verfahren ist, zulässig (SZ 33/73; SZ 38/19 u.a., zuletzt 4 Ob 577/74), und zwar auch dann, wenn der Rechtsmittelwerber, dessen Rekursantrag in der zweiten Instanz durch die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung Erfolg hatte, zwar nicht durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses, wohl aber durch die von der zweiten Instanz dem Erstgericht erteilten Aufträge beschwert sein kann (vgl. 6 Ob 60/73 und 2 Ob 131/73). Diese Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsmittels der Antragsgegnerin liegt hier vor, denn sie erachtet sich nicht durch die Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses selbst beschwert, wohl aber durch die von der zweiten Instanz dem Erstgericht erteilten Aufträge, bei deren Befolgen das Erstgericht zu einer für die Antragsgegnerin ungünstigen Entscheidung gelangen müßte.

Der Revisionskurs der Antragsgegnerin ist daher zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Der vorliegende Enteignungsfall ist auf der Grundlage der Bestimmungen des Bundesstraßengesetzes zu beurteilen. § 13 Abs. 1 BStG 1948 = § 18 Abs. 1 BStG 1971 und § 4 Abs. 1 EisbEG erkennen dem Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile Schadloshaltung (§ 1323 ABGB) zu. Dies bedeutet eine Beschränkung auf den Ersatz des positiven Schadens (5 Ob 218/74 u.a.), zu dem auch die durch die Nötigung zur Verlegung eines Unternehmens entstehenden Kosten des Enteigneten gehören (Klang[2] II, 195; 5 Ob 218/74), die keineswegs bereits durch den Wertersatz der enteigneten Objekte abgegolten sind. Der Enteignete wird nur dann schadlos gehalten, wenn er durch die Entschädigungssumme in die Lage versetzt wird, ein dem enteigneten Objekt in Form und Ausführung gleichartiges an anderer Stelle zu errichten, wobei wohl auf die durch die Abnützung und Alter verursachten Werteinbußen Bedacht zu nehmen ist (ZVR 1965/234; 6 Ob 152/67).

Die Revisionsrekurswerberin verkennt das Wesen der Enteignungsentschädigung als Ersatzleistung für das dem Enteigneten durch besonderen Hoheitsakt abgenötigte Sonderopfer am Vermögen, wodurch es zur Nachteilsausgleichung, freilich unter Beschränkung auf den Ersatz des positiven Schadens (5 Ob 218/74 u.a.), kommen soll (vgl. Janssen, Der Anspruch auf Entschädigung bei Aufopferung und Enteignung 71, 159; BGHZ 6, 270, 295), wenn sie die Ansicht verficht, daß durch den Ersatz des Verkehrswertes der enteigneten Objekte der Enteignungsschaden vollkommen abgegolten sei; ein Vergleich mit dem Erlös aus einem angenommenen freiwilligen Verkauf der enteigneten Objekte ist wegen der aufgezeigten Nötigung des Enteigneten zum Sonderopfer des betroffenen Vermögens unzulässig. Aus diesen Erwägungen ist auch die Rechtsansicht des Rekursgerichtes zu billigen, daß die mit der Betriebsverlegung verbundenen besonderen Kosten (als "sonstige Werte" in dem Gutachten der Sachverständigen ausgewiesen), nämlich die Kosten für die Projektierung, Baugenehmigung, statische Berechnung und Abrechnung, für die Vermessung und Vermarkung, für die Verbücherung, Vergebührung usw. sowie für die Übersiedlung der Bäckerei, des landwirtschaftlichen Betriebes und der Wohnung sowie für die Wertminderung der übersiedelten Gegenstände, grundsätzlich den Antragstellern zu ersetzen sind, da sie sich als positiver Schaden aus der Enteignung darstellen (so auch Grünhut, Das Enteignungsrecht, 105). Zutreffend hat jedoch das Rekursgericht darauf hingewiesen, daß diese Kosten nicht mit Pauschalbeträgen (nach einem bestimmten Prozentsatz des Zeitwertes des Enteignungsobjektes etwa) abgegolten werden können, wie dies von den Sachverständigen unternommen worden ist, sondern vielmehr detailliert zu berechnen sind, wozu es freilich vorerst einer gründlichen Erörterung mit den Parteien vor dem Erstgericht bedarf. Bei den im Sachverständigengutachten angeführten Nebenkosten kann es sich nur um die für die Herstellung der neuerlichen Baulichkeiten erforderlichen Kosten handeln, nicht jedoch um jene, die für die nun abgerissenen alten Bauobjekte den Antragstellern (oder ihren allfälligen Rechtsvorgängern) erwachsen waren, da diese jedenfalls durch den Entschädigungsbetrag für den Zeitwert abgegolten sind. Bei der Wiederherstellung der wirtschaftlichen Werte der enteigneten Antragsteller sind allerdings alle Vorteile zu ihren Lasten in Anschlag zu bringen, die ihnen aus einer etwaigen besseren arbeitswirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und aus der besseren Qualität und Organisation der neuaufgeführten Betriebs- und Wohnobjekte im Vergleich zu den dadurch ersetzten Objekte erwachsen (vgl. Fritzen, Entschädigungsregelung beim Landentzug, 41); dazu ist auch die Einsparung an Unterhaltungskosten zu zählen, die bei neu aufgeführten Gebäuden im allgemeinen geringer sind als bei alten.

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