OGH 5Ob724/82 (5Ob725/82)

OGH5Ob724/82 (5Ob725/82)12.10.1982

SZ 55/149

Normen

Kirchenbeitragsordnung der Erzdiözese Wien §16
Kirchenbeitragsordnung der Erzdiözese Wien §16

 

Spruch:

Von der Erzdiözese Wien eingeklagte Kirchenbeiträge sind bei nicht ausreichender, nicht gehörig belegter oder nicht fristgerechter Kirchenbeitragserklärung vom Gericht auf Grund der von den kirchlichen Organen nach § 16 Abs. 3 der Kirchenbeitragsordnung der Erzdiözese Wien vorgenommenen Schätzung zu bemessen, wenn der Beklagte seiner Mitteilungs- und Erklärungspflicht (§ 16 Abs. 1 und 2) nicht nachkommt

OGH 12. Oktober 1982, 5 Ob 724, 725/82 (LGZ Wien 45 R 103/82; BG Döbling 4 C 858, 859/82)

Text

Mit Bescheid vom 22. 1. 1979 der Kirchenbeitragsstelle D wurde der Kirchenbeitrag für die Jahre 1976 bis 1978 gegenüber beiden Beklagten, die Mitglieder der römisch-katholischen Kirche sind, rechtsgültig mit insgesamt 25 270 S festgesetzt. Dieser Bescheid wurde den Beklagten zugestellt. Gegen diesen Bescheid wurde von den Beklagten kein Einspruch erhoben.

Die Bemessungsgrundlagen wurden in dem vorgenannten Bescheid für die Jahre 1976 bis 1978 mit bestimmten Beträgen festgestellt. Auf den Kirchenbeitrag für die Jahre 1976 bis 1978 wurden Zahlungen vom 24. 1. 1979, 4. 5. 1979, 6. 7. 1979, 10. 9. 1979 und 26. 3. 1980 in der Höhe von je 500 S angerechnet. Zahlungen werden immer auf den ältesten ausständigen Kirchenbeitrag angerechnet, so daß sich ein ausständiger Betrag von 22 820 S für die Jahre 1976 bis 1978 ergibt. Die Differenz von 50 S machen der Klägerin erwachsene Verfahrenskosten aus.

Für die Jahre 1979 und 1980 wurde ein Kirchenbeitrag von 21 784 S eingefordert. Gegen den Kirchenbeitragsbescheid vom 12. 3. 1980 der Kirchenbeitragsstelle D erhoben die Beklagten in offener Frist Einspruch. Sie machten einerseits anrechenbare Akontozahlungen geltend und bestritten andererseits die Höhe des vorgeschriebenen Betrages. Bei den geltend gemachten Akontozahlungen handelt es sich um die oben angeführten Zahlungen, die bereits auf die Jahre 1976 bis 1978 angerechnet wurden. Für die Jahre 1979 und 1980 wurde kein Kirchenbeitrag geleistet. Es erfolgte seitens der Beklagten auch keine auf den Beitrag für diese Jahre anrechenbare Zahlung.

Der Durchschnittsverdienst eines Facharztes im Spital (Zweitbeklagte) beträgt laut Auskunft der Ärztekammer bei voller Beschäftigung zwischen 18 606 S und 33 714 S monatlich, wobei eine allgemeine Erschwerniszulage in der Höhe von 2590 S und ein Entgelt für Nachtdienst, das pauschal mit 3390 S monatlich angenommen wird, hinzukommen. Über den Durchschnittsverdienst eines Rechtsanwaltes (Erstbeklagter) konnte weder die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland noch das Österreichische Zentralamt Auskunft geben, weil einschlägiges statistisches Material nicht vorliegt.

Die Klägerin, die Erzdiözese Wien, begehrte in zwei getrennt eingebrachten Klagen, die vom Erstgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, von den Beklagten zur ungeteilten Hand einen Betrag von insgesamt 44 604 S samt Anhang an rückständigen Kirchenbeiträgen für die Jahre 1976 bis 1980.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung und wendeten ein, der Kirchenbeitrag sei nicht rechtskräftig festgesetzt worden, im übrigen hätten sie ihren tatsächlichen Einkommensverhältnissen entsprechende Zahlungen geleistet. Sie seien einkommens- und vermögenslos. Eine Einschätzung liege nicht vor. An Pfarrer Bertram P von der Pfarre S sei im Jahre 1979 ein Betrag von 5000 S bezahlt worden. Der Pfarrer P habe ausdrücklich erklärt, daß dieser Betrag auf den Kirchenbeitrag angerechnet werde. Es seien Zahlungen nicht berücksichtigt worden, die widmungsgemäß verrechnet hätten werden müssen. Belege oder Auskünfte über ihr Einkommen würden nicht vorgelegt bzw. erteilt, weil die Klägerin die Beweislast treffe.

Das Erstgericht gab den Klagen statt. Der Anspruch der Klägerin auf den Kirchenbeitrag für die Jahre 1976 bis 1980 bestehe zu Recht, weil die von der Kirchenbeitragsstelle D nach § 16 Abs. 3 KBO durch Schätzung ermittelte Höhe der Einkommen beider Beklagten unter Anwendung des § 273 Abs. 1 ZPO angemessen sei.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten, soweit diese Nichtigkeit des Ersturteils nach § 477 Abs. 1 Z 9 ZPO geltend machte, gab ihr im übrigen Folge und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Richtig sei die Rechtsmeinung der Beklagten, daß der Kirchenbeitragsbescheid im außerkirchlichen Bereich keine Rechtskraftwirkungen zeitige und daher im Falle der Bestreitung der Richtigkeit jener Grundlagen, auf denen die Bemessung der Kirchenbeiträge seitens der Kirchenbeitragsstelle beruhe, von den Gerichten ohne Bindung an den Inhalt solcher Kirchenbeitragsbescheide Beitragsgrundlagen und Beitragshöhe selbst zu ermitteln seien. Es könne also kein Zweifel daran bestehen, daß geltend gemachte Kirchenbeitragsforderungen im Falle ihrer Bestreitung auf Grund der Kirchenbeitragsordnungen auf ihre materielle Richtigkeit hin zu prüfen seien. Bei dieser Prüfung sei allerdings von den Bestimmungen der jeweiligen Kirchenbeitragsordnung auszugehen, die für die betreffende Religionsgemeinschaft bzw. den betreffenden räumlichen Sprengel dieser Religionsgemeinschaft gelte. Da die beiden Beklagten unbestrittenermaßen der römisch-katholischen Kirche angehörten und ihren Wohnsitz in Wien hätten, sei somit die Kirchenbeitragsordnung der römisch-katholischen Kirche für die Erzdiözese Wien (im folgenden kurz KBO genannt) maßgebend. Die KBO sei eine Rechtsverordnung iS des Art. 18 B-VG, die in Durchführung konkreter Richtlinien des Kirchenbeitragsgesetzes und der 1.

Durchführungsverordnung zum Kirchenbeitragsgesetz erlassen worden sei. Daraus folge, daß die KBO von den ordentlichen Gerichten anzuwenden sei und der Verordnungskontrolle des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 139 B-VG unterliege (Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht 271; SZ 34/28). Nach § 16 Abs. 2 KBO sei nun der Kirchenbeitragspflichtige verpflichtet, bis zum 31. Jänner eines jeden Jahres eine Kirchenbeitragserklärung für das abgelaufene Beitragsjahr zu erstatten und darin seine gesamten Einkünfte und sonstigen persönlichen Verhältnisse, die für die Bemessung des konkreten Kirchenbeitrages von Belang seien, offenzulegen. Versäume der Beitragspflichtige die Abgabe einer derartigen Kirchenbeitragserklärung, dann sei die Finanzkammer der Erzdiözese bzw. deren Kirchenbeitragsstelle gemäß § 16 Abs. 3 KBO ermächtigt, den Kirchenbeitrag des betreffenden Beitragspflichtigen durch Schätzung zu ermitteln. Auch im Falle eines Streites zwischen der Finanzkammer und dem Beitragspflichtigen sowie eines Zivilprozesses vor dem ordentlichen Gericht über diese Streitfrage blieben die genannten, auf die KBO als einer Rechtsverordnung gegrundeten Rechte und Pflichten der kirchlichen Organe und des Beitragspflichtigen in vollem Umfang aufrecht, also auch die Bestimmungen des § 16 Abs. 2 und 3 KBO. Der von den Beklagten vertretenen Ansicht, sie könnten sich als Beklagte in dem vorliegenden Rechtsstreit darauf beschränken, in offenkundiger Verletzung ihrer Offenlegungspflicht nach § 16 Abs. 2 KBO die Höhe des Klageanspruches zu bestreiten, sodann treffe die Klägerin unbeschränkt die Behauptungs- und Beweislast hiefür, könne demnach nicht gefolgt werden. Ein Vergleich mit der Beweispflicht eines Vereines im Prozeß über die Bezahlung von Mitgliedsbeiträgen versage, weil solche stets in einem ziffernmäßig von vornherein bestimmten Betrag bestunden. Demgegenüber sehe die KBO eine Staffelung der Kirchenbeiträge nach den Einkünften des Beitragspflichtigen vor. Da diese Einkünfte ohne Mitwirkung des Beitragspflichtigen von der Klägerin nicht in Erfahrung gebracht werden könnten, liefe die von den Beklagten vertretene Rechtsansicht im Ergebnis darauf hinaus, daß jeder zahlungsunwillige Beitragspflichtige sich seinen Zahlungsverpflichtungen in beliebiger Weise entziehen könnte. Das Berufungsgericht vermöge sich aus diesen Erwägungen auch nicht den in der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 4. 4. 1979, 13 R 38/79, enthaltenen Gedankengängen anzuschließen, wonach - unter Zuweisung der vollen Beweislast für die Einkommenshöhe des Pflichtigen an die Kirche - durch Einholung von Sachverständigengutachten versucht werden sollte, das steuerbare Einkommen und Vermögen eines Kirchenbeitragspflichtigen zu ermitteln. Es könne nicht übersehen werden, daß ein Sachverständiger brauchbare Grundlagen für eine konkrete Einschätzung des Beitragspflichtigen auch nur mit dessen Mitwirkung erlangen könnte oder sich auf äußerst ungenaue und unverläßliche, teilweise überhaupt nicht erhältliche statistische Durchschnittswerte beziehen müßte. Wohl in Voraussicht der Aussichtslosigkeit eines derartigen Vorgehens werde deshalb in der genannten Entscheidung als letzter Ausweg die Festsetzung der Beitragsgrundlage nach § 273 Abs. 1 ZPO in Erwägung gezogen. Damit werde unterstrichen, daß die Klägerin sich - sähe man völlig von der Offenlegungspflicht des Beitragspflichtigen gemäß § 18 KBO ab - im Regelfall in einem Beweisnotstand befände. Eine Rechtsanwendung, die den Beweisnotstand eines Anspruchswerbers zum Regelfall erhebe, dürfe wohl mit Recht abgelehnt werden. Da die Beklagten nun im vorliegenden Falle nicht behauptet und unter Beweis gestellt hätten, daß die von der KBO geforderten Voraussetzungen für ihre Einschätzung nicht vorgelegen seien, sei entgegen ihrer Rechtsmeinung sehr wohl von den Ziffern dieser Schätzung auszugehen, wobei es den Beklagten allerdings freistunde, konkret und substantiiert zu behaupten, inwiefern und weshalb die von der Kirchenbeitragsstelle vorgenommene Schätzung der Beitragsgrundlagen den Tatsachen nicht entspreche. Da die Beklagten jedoch bisher diesbezüglich nichts behauptet und auch keine Beweise angeboten hätten, seien sie durch den Mangel von Feststellungen des Erstgerichtes zu diesem Thema nicht beschwert. Allerdings habe es das Erstgericht unterlassen, die von der Kirchenbeitragsstelle für die Jahre 1979 und 1980 festgesetzten Bemessungsgrundlagen festzustellen und an Hand der geltenden KBO - die beizuschaffen gewesen wäre - die Richtigkeit der rechnerischen Ermittlung der Kirchenbeiträge auf Grund der festgesetzten Bemessungsgrundlagen zu überprüfen. Entsprechende Feststellungen könnten durch den Hinweis auf § 273 Abs. 1 ZPO - abgesehen von den obigen Erwägungen zu einer freien Beitragsfestsetzung überhaupt - auch deshalb nicht ersetzt werden, weil die Höhe des zu leistenden Kirchenbeitrages nach den geltenden Bestimmungen der KBO von der Bemessungsgrundlage aus rechnerisch ermittelt werden müsse, die Richtigkeit des ermittelten Kirchenbeitrages aber ohne eine Feststellung über die Höhe der Bemessungsgrundlagen nicht überprüfbar sei. Berechtigt sei auch der weitere unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobene Vorwurf der Beklagten, daß das Erstgericht nicht ausgeführt habe, wieso es auf Grund der Bemessungsgrundlagen für die Jahre 1976 bis 1980 die Klageforderung, den Kirchenbeitrag für diese Jahre, errechnet habe. Entgegen den Ausführungen in der Berufungsmitteilung sei es durch einen mathematisch ohne weiteres nachvollziehbaren Rechenvorgang auch nicht ergrundbar, wie das Erstgericht hiebei vorgegangen sei. Es sei daher das Ersturteil gemäß § 496 Abs. 1 Z 2 und 3 ZPO aufzuheben und dem Erstgericht eine ergänzende Verhandlung und neue Entscheidung aufzutragen gewesen. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht die Klägerin zur Vorlage der Kirchenbeitragsbescheide für die Kalenderjahre 1979 und 1980 aufzufordern haben. Sämtliche Kirchenbeitragsbescheide würden hinsichtlich ihrer rechnerischen Nachvollziehbarkeit an Hand der Bestimmungen der KBO mit den Parteien zu erörtern und sodann die Kirchenbeiträge auf Grund der geschätzten Bemessungsgrundlagen zu ermitteln sein, es sei denn, die Beklagten entschlössen sich iS ihrer im § 16 KBO normierten Verpflichtung, ein von der Schätzung allfällig abweichendes Einkommen offenzulegen und hiezu konkrete Behauptungen aufzustellen und Beweisanbote zu erstatten.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der VfGH und ihm folgend der OGH haben bereits mehrfach ausgesprochen, daß die von den Kirchenbeitragsordnungen berufenen kirchlichen Organe keine Verwaltungsbehörden iS der Bundesverfassung und die Kirchenbeitragsordnungen keine Verordnungen iS der Bundesverfassung seien (VfSlg. 3039, 3657; SZ 33/76, 34/28, 37/33). Wenn man sich dieser Auffassung anschließt, würde daraus zwar folgen, daß die kirchlichen Organe über Bestehen und Höhe der Beitragspflicht der Kirchenmitglieder nicht in einer der Rechtskraft fähigen Weise entscheiden könnten, diese Entscheidungsbefugnis vielmehr allein den Gerichten zukäme, doch wäre damit im Ergebnis für die Beklagten nichts gewonnen. Die gerichtliche Entscheidung über Bestehen und Höhe der Kirchenbeitragspflicht ist nämlich auch nach dieser Ansicht, wie der OGH gleichfalls bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, auf Grund der jeweiligen KBO zu treffen (SZ 34/28; EvBl. 1964/149; 7 Ob 2/72 ua.); die Verbindlichkeit der KBO ergibt sich aus der Kirchenmitgliedschaft der Beitragspflichtigen (VfSlg. 3657).

Ist aber bei der Prüfung der Berechtigung der Kirchenbeitragsforderungen der Klägerin von den Bestimmungen der KBO der Erzdiözese Wien auszugehen, dann ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß die von den Beklagten geschuldeten Kirchenbeiträge bei Zutreffen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 KBO vom Gericht so lange auf Grund der von den kirchlichen Organen nach dieser Bestimmung vorgenommenen Schätzung zu bemessen sein werden, bis die Beklagten ihrer im § 16 Abs. 1 und 2 KBO normierten Verpflichtung nachkommen. In der Bestimmung des § 16 KBO ist die von den Beklagten vermißte Rechtsgrundlage für die vom Berufungsgericht richtig aufgezeigte Beweislastverteilung zu erblicken. In diesem Sinn lautete bereits die Entscheidung des OGH 7 Ob 2/72, wonach das einkommensteuerpflichtige Kirchenmitglied die Unrichtigkeit der Einschätzung seines Einkommens durch die Kirchenbeitragsstelle in dem Sinne nachweisen muß, daß das Schätzungsergebnis über das im diesbezüglichen Steuerbescheid festgestellte Einkommen hinausgehe, ein Nachweis, der sich nur mit Hilfe des Steuerbescheides vollgültig führen läßt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte