OGH 5Ob536/80

OGH5Ob536/8020.5.1980

SZ 53/79

Normen

ASVG §4 Abs2
ASVG §175
ASVG §176 Abs1 Z6
ASVG §333 Abs1
ASVG §333 Abs4
ASVG §4 Abs2
ASVG §175
ASVG §176 Abs1 Z6
ASVG §333 Abs1
ASVG §333 Abs4

 

Spruch:

Eine zu den Aufgaben des Mesners gehörige Tätigkeit eines Ministranten ist eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG; dem Leiter der Kirche kommt die Haftungsbefreiung des § 333 Abs. 4 ASVG zugute.

OGH 20. Mai 1980, 5 Ob 536/80 (LG Linz 13 R 660/79; BG Linz 11 C 3417/78)

Text

Der am 17. November 1964 geborene Kläger verrichtet seit dem Herbst 1975 bei den Gottesdiensten der unter dem Vikariat des Beklagten stehenden Kirchengemeinde Ministrantendienste. Zu Weihnachten 1976 wurde er dabei vom Beklagten nach Belehrung, daß Christbaumkerzen zuerst im oberen und dann im unteren Bereich des Christbaumes zu entzunden seien, und nach Unterweisung im Gebrauch des dabei zu verwendenden, an einer zirka 1.6 m langen Stange befestigten Gasanzunders mit dem Anzunden der Kerzen am Altar und an dem etwa 3 m hohen Christbaum betraut. Nachdem er diese Tätigkeit an mehreren Tagen der Weihnachtszeit verrichtet hatte, sollte er auch am 4. Jänner 1976 auf Anweisung des beklagten Vikars zusammen mit seinem Zwillingsbruder und seiner damals dreizehnjährigen Schwester die Kerzen des Altares und des Christbaumes zur Vorbereitung der Meßfeier entzunden. Während er zunächst die Kerzen des Altares entzundete, entflammten seine beiden Geschwister die Christbaumkerzen und entfernten sich danach vom Christbaum. Als der Kläger bemerkte, daß zwei Kerzen im oberen Bereich des Christbaumes nicht brannten, versuchte er mit dem Gasanzunder, diese beiden Kerzen anzuzunden. Dabei fing der Ärmel seiner liturgischen Kleidung an den im unteren Bereich des Christbaumes brennenden Kerzen Feuer. Auf sein Schreien hin kamen ihm sofort seine beiden Geschwister und der während der ganzen Zeit dieser Vorbereitungsarbeiten zur Meßfeier in der Sakristei mit dem Anziehen seiner liturgischen Kleidung beschäftigte Beklagte zur Hilfe. Der Kläger erlitt eine Verbrennung 2. bis 3. Grades am linken Oberarm, eine Rötung der Haut der linken Gesichtshälfte und eine Versengung der linksseitigen Kopfhaare; zudem wurde seine neuwertige Strickweste beschädigt.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld, zum Ersatz des sonstigen Schadens und die Feststellung, daß ihm der Beklagte die Kosten einer am linken Oberarm durchzuführenden kosmetischen Operation zur Beseitigung der Brandnarben zu bezahlen habe. Er begrundete dieses Begehren im wesentlichen mit der Behauptung, daß der Beklagte schuldhaft die ihm obliegende Aufsichtspflicht vernachlässigt habe und deshalb gemäß § 1309 ABGB schadenersatzpflichtig sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, erhob die Einrede der unheilbaren sachlichen Unzuständigkeit des Erstgerichtes, weil für den Streit die Arbeitsgerichtsbarkeit geboten sei, und wendete im wesentlichen ein, daß er als Priester und Leiter des Gottesdienstes und der Vorbereitungen dazu im Verhältnis zu dem weisungsgebundenen Kläger einem Aufseher im Betriebe im Sinne der §§ 332 f. ASVG gleichzuhalten sei. Dem Kläger habe er generelle Anweisungen über das Anzunden der Kerzen am Altar und am Christbaum erteilt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es erkannte der Unzuständigkeitseinrede keine Berechtigung zu, ohne freilich darüber mit Beschluß abzusprechen. Dem Beklagten komme nicht die Stellung eines Aufsehers im Betrieb zu, weil es sich bei der Tätigkeit des Klägers als Ministrant mangels eines zeitlichen Verpflichtungsverhältnisses, einer persönlichen Arbeitspflicht und einer wirtschaftlichen Unterordnung nicht um ein arbeitsähnliches Verhältnis handle. Die Vorschrift des § 1309 ABGB, auf die sich der Kläger berufe, finde keine Anwendung, wenn sich der zu Beaufsichtigende selbst geschädigt habe, wie dies hier der Fall gewesen sei. Allerdings könne in einem solchen Fall im Rahmen des § 1304 ABGB vom Aufsichtspflichtigen Schadenersatz in Form einer Schadensteilung verlangt werden, wenn feststehe, daß der Beschädigte ungenügend beaufsichtigt wurde. Es müsse daher dem Beklagten zumindest eine fahrlässige Vernachlässigung der Aufsichtspflicht vorgeworfen werden können, wovon jedoch keine Rede sein könne, weil er den Kläger über die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen belehrt habe und nach längerer Ausübung des Entzundens der Altar- und Christbaumkerzen durch diesen keine Veranlassung sehen mußte, diese Tätigkeit den Kläger nicht allein verrichten zu lassen. Es sei dem Beklagten nicht zumutbar gewesen, ständig die Tätigkeit des Klägers im Auge zu haben und sich in seiner unmittelbaren Nähe aufzuhalten.

Das Gericht zweiter Instanz hob in Stattgebung der Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache mit dem Auftrag, das Verfahren erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen, zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung in die erste Instanz zurück. Der Tatbestand des § 1309 ABGB komme hier nicht in Betracht. Beschädige eine ungenügend beaufsichtigte Person sich selbst, so könne sie im Rahmen des § 1304 ABGB vom Aufsichtspflichtigen Schadenersatz verlangen, wobei - wie im Falle des § 1309 ABGB - der Beschädigte die Vernachlässigung der Obsorge und der Aufsichtspflichtige seine Schuldlosigkeit zu beweisen habe. Das Maß der Aufsichtspflicht richte sich nach den Anschauungen des Verkehrs und danach, was in Hinblick auf das Alter, die Eigenschaften, die Entwicklung des Aufsichtsbedürftigen und die wirtschaftliche Lage des Verpflichteten von diesem nach vernünftigen Maßstäben verlangt werden könne. Höhere Anforderungen seien nur zu stellen, wenn die Aufsichtsperson Grund zur Annahme gehabt habe, daß die ihrer Aufsicht anvertraute Person Schaden stiften werde. Fahrlässigkeit genüge bereits. Das Anzunden eines Christbaumes stelle, wie die Anzahl der jährlichen Christbaumbrände und auch der hier zur Entscheidung stehende Fall zeige, eine gefährliche Tätigkeit dar, die mit dem weitaus weniger gefährlichen Anzunden von Altarkerzen nicht vergleichbar sei. Es könne auch nicht außer Betracht bleiben, daß der vom Kläger verwendete und mit Gas betriebene Kerzenanzunder bei falscher Anwendung wie ein Schweißbrenner wirke, und es müsse berücksichtigt werden, daß der Kläger zum Unfallszeitpunkt erst knapp 11 Jahre alt gewesen und nicht in der Lage gewesen sei, die Gefährlichkeit des Anzundens eines Christbaumes voll abzuschätzen. Dem Beklagten sei vorzuwerfen, daß er es unterlassen habe, den Kläger und dessen Geschwister beim Anzunden der Kerzen des Christbaumes persönlich zu beaufsichtigen, denn er habe bei entsprechender Sorgfalt mit dem Eintritt der dann eingetretenen Schadensfolgen rechnen müssen. Ein Mitverschulden des Klägers sei in Anbetracht der Tatsache, daß für ein Kind seiner Altersstufe normalerweise die mit dem Anzunden der Kerzen eines Christbaumes verbundenen Gefahren nicht erkennbar seien, im Sinne der §§ 1304 und 1310 ABGB zu verneinen. Da das Erstgericht sich mit der Berechtigung der geltend gemachten Schmerzensgeld- und sonstigen Schadenersatzansprüche nicht befaßt habe, sei die Rechtssache noch nicht spruchreif.

Über Rekurs des Beklagten hob der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da das Erstgericht, wenngleich nur in den Gründen seiner Entscheidung und nicht - wie dies geboten gewesen wäre - durch förmlichen Ausspruch in Beschlußform, die Einrede seiner sachlichen Unzuständigkeit verworfen hat und der Beklagte diese Entscheidung nicht bekämpfte, liegt eine bindende Entscheidung über dieses Prozeßhindernis vor (SZ 31/74 u. a., zuletzt 3 Ob 527/79), sodaß es dem Beklagten verwehrt ist, den Beschluß des Berufungsgerichtes mit der Begründung, für diesen Rechtsstreit sei das Arbeitsgericht zuständig, wegen Nichtigkeit gemäß § 477 Abs. 1 Z. 3 ZPO anzufechten.

Ministranten (lat. Altardiener) sind Knaben und Jungmänner, die bei der Messe anstelle der Kleriker Dienste verrichten (Brockhaus Enzyklopädie[17], 12. Bd., 594). Ihre aktive Mitwirkung an der Gestaltung des Gottesdienstes durch die Verrichtung von Altardiensten erfolgt in aller Regel ohne dem erklärten oder doch erkennbaren Willen, damit auf der Ebene des Rechtes Folgen zu bewirken, also ein Rechtsverhältnis zu begrunden, das allenfalls auch durchsetzbare Rechte und Pflichten zum Inhalte hat (Bydlinski, Privatautonomie, 7; Koziol - Welser, Grundriß I[5], 72 f.; ZBl. 1926/126). Sie sind deshalb auch nicht Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG und es kann daher auch von keinem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gesprochen werden, in dem sie zu ihrer Kirche stunden. Der Unfall des klagenden Ministranten kann aus diesem Gründe nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 175 ASVG beurteilt werden. Es ist jedoch zu prüfen, ob es sich um einen den Arbeitsunfällen gleichgestellten Unfall im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG gehandelt hat. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit, bei der er den Unfall erlitt, gehört nicht zu den einem Ministranten zukommenden Altardiensten liturgischer Art, vielmehr fällt das Anzunden der Kerzen des Altars und des Christbaumes ebenso wie auch alle übrigen einfachen Kirchendienste, die sich in körperlich zu verrichtender Tätigkeit erschöpfen, zu den Aufgaben des Mesners (Brockhaus Enzyklopädie[17], 10. Bd., 827 12. Bd., 439) und stellte somit eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG dar, wie sie sonst nur ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübt (SZ 42/39; SZ 48/123; EvBl. 1979/102 u. a.). Gemäß § 333 Abs. 1 ASVG ist der Dienstgeber zum Ersatz des Schadens, der dem solcherart tätig Gewordenen infolge eines Arbeitsunfalles durch eine Verletzung am Körper entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat, und diese Haftungsbeschränkung gilt nach Abs. 4 dieser Gesetzesstelle auch für Ersatzansprüche des Verletzten gegen gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und gegen Aufseher im Betriebe. Da dem beklagten Vikar fraglos die Leitung der Kirche zustand, in der sich der Unfall des klagenden Ministranten beim Entzunden der Kerzen des Christbaumes ereignete, kommt ihm auch in Ermangelung einer vorsätzlichen Verursachung des Unfalles des Klägers das Privileg der Haftungsbefreiung gemäß dem Abs. 4 des § 333 ASVG zugute. Aus diesem Gründe ist die Rechtssache schon jetzt entscheidungsreif, sodaß in Stattgebung des Rekurses des beklagten Vikars der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz aufzutragen ist, über die Berufung des klagenden Ministranten im Sinne einer Bestätigung des erstinstanzlichen Urteiles neuerlich zu entscheiden.

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