OGH 3Ob556/78 (3Ob557/78)

OGH3Ob556/78 (3Ob557/78)25.4.1979

SZ 52/67

Normen

ABGB §879
ABGB §916
Gewerbeordnung 1973 §60
ZPO §502
ABGB §879
ABGB §916
Gewerbeordnung 1973 §60
ZPO §502

 

Spruch:

Zusammenrechnung mehrerer gleichzeitiger Bestellungen (§ 502 Abs. 2 ZPO)

Werden unterfertigte und in einem bereits adressierten verschlossenen Briefumschlag Bestellscheine dem Konsumenten ausschließlich zu dem Zweck zur Weiterleitung auf dem Postwege übergeben, um ihnen die Rücktrittsmöglichkeit nach § 60 GewO 1973 zu nehmen, so ist diese Vorgangsweise grob rechtswidrig und sittenwidrig, weshalb sich der Unternehmer so behandeln lassen muß, als ob er die Bestellscheine bei der Werbeveranstaltung entgegengenommen hätte

OGH 25. April 1979, 3 Ob 556, 557/78 (LG Salzburg 32 R 498/77; BG Werfen C 54/77 )

Text

Der Kläger begehrt von der Erstbeklagten den Kaufpreis von 2226 S für einen Griller, eine Kräutersalbe und vier Kosmetikkoffer, von der Zweitbeklagten den Kaufpreis von 2670 S für einen Griller und ein Frittiergerät.

Die Beklagten bestritten den Klagsanspruch nach Grund und Höhe. Sie wendeten ein, daß sie bei der Werbeveranstaltung am 18. September 1975 durch unwahre Angaben veranlaßt worden seien, einen Bestellschein zu unterfertigen und am Heimweg mittels Post an den Kläger zu übersenden. Sie hätten am nächsten Tag gemäß § 60 GewerbeO 1973 schriftlich den Rücktritt vom Vertrag erklärt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgendes fest:

Der Kläger besitzt eine Gewerbeberechtigung für den Handel mit Waren aller Art, Kleinhandel und führt zum Vertrieb von Elektrogeräten, Kosmetikartikeln und Kräutersalben in ganz Österreich Werbeveranstaltungen durch. Die Beklagten nahmen am 18. September 1975 an einer solchen Werbeveranstaltung in Klagenfurt teil. Der Kläger erläuterte in einem Werbevortrag die Wirkung und Anwendung der einzelnen Artikel. Vor und während des Vortrages wurde den Anwesenden mitgeteilt, daß sie anschließend Bestellscheine ausfüllen und mit einem zur Verfügung gestellten Kuvert am Postwege dem Kläger zuleiten könnten. Im Zuge dieser Werbeveranstaltung bestellten die Erstbeklagte eine Kräutersalbe zu 375 S, ein Grillgerät zu 990 S und vier Kosmetikclubkassetten zum Preise von je 207 S, die Zweitbeklagte ein Komet-Frittiergerät zu 1680 S und ein Grillgerät zu 990 S. Alle fünf Bestellscheine wurden teils vom Kläger, teils von seiner Helferin Helene L ausgefüllt. Die Beklagten unterfertigten diese Bestellscheine und eine vorgedruckte Erklärung folgenden Inhaltes: "Ich bestätige die Übernahme des Bestellformulares. Zur Wirksamkeit der Bestellung muß diese auf dem Postwege zur Firma W gebracht werden." Sodann steckten der Kläger und Helene L die Bestellscheine in vorbereitete, an den Kläger adressierte und frankierte Kuverts, klebten diese zu und händigten sie den Beklagten mit dem Bemerken aus, daß sie am Nachhauseweg die Kuverts in den Briefkasten einwerfen sollten. Am folgenden Tag ersuchte die Erstbeklagte schriftlich um die Stornierung ihrer Bestellung. Die Zweitbeklagte erklärte dem Kläger mit eingeschriebenem Brief vom 19. September 1975 den Rücktritt vom Vertrag. Der Kläger antwortete den Beklagten, daß er nicht bereit sei, die schriftlichen Bestellungen rückgängig zu machen. Die Beklagten nahmen die Nachnahmesendungen des Klägers nicht an.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin gehend, daß die Beklagten mit Recht vom Vertrag zurückgetreten seien. Sinn und Zweck des § 60 GewerbeO 1973 sei der Schutz des Konsumenten vor Übervorteilung bzw. unüberlegtem Kauf. Der Gesetzgeber gehe davon aus, daß der im Vergleich zum gewerblichen Verkäufer unerfahrene Konsument außerhalb von Verkaufslokalen oder bestimmten Verkaufsveranstaltungen sehr leicht der Verlockung anheimfalle, ihm geschickt angepriesene Waren ohne genaue Überlegung betreffend Konsumerfordernis oder Preiswürdigkeit zu kaufen oder zu bestellen. Um dem Konsumenten in solchen Fällen die Überlegung zu ermöglichen, habe der Gesetzgeber ein Rücktrittsrecht innerhalb von fünf Tagen ohne Angabe von Gründen eingeräumt. Durch die Vorgangsweise des Klägers, die eine Überlegungsmöglichkeit des Bestellers "praktisch fast in gleicher Weise" einenge, wie die Entgegennahme der Bestellung bei der Werbeveranstaltung selbst,würden die Schutzbestimmungen der §§ 59 Abs. 2 und 60 GewerbeO 1973 umgegangen. Dem Besteller sei daher in einem solchen Falle die Rücktrittsmöglichkeit zuzubilligen. Im übrigen sei bei der vom Kläger gepflogenen Vorgangsweise das Bestehen aus der Vertragserfüllung trotz Rücktrittserklärung des Bestellers sittenwidrig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es hatte zwar keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, war jedoch der Auffassung, daß der Tatbestand des § 59 Abs. 2 GewerbeO nicht verwirklicht sei, weil es in das Belieben der Beklagten gestellt gewesen sei, nach Verlassen der Werbeveranstaltung den Briefumschlag mit den Bestellscheinen sogleich zu vernichten oder mit nach Hause zu nehmen und die Weiterleitung der Bestellung noch zu überlegen. Von einer Einengung der Überlegungsmöglichkeit und einer Umgehung der Bestimmungen der §§ 59, 60 GewerbeO 1973 durch die Vorgangsweise des Klägers könne daher keine Rede sein. Die Beklagten seien deshalb nicht zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt gewesen. Es könne auch nicht gesagt werden, daß das Bestehen des Klägers auf der Vertragserfüllung sittenwidrig sei. Da das Erstgericht von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehe und den von der Beklagten erhobenen Einwand der arglistigen Irreführung nicht geprüft habe, leide sein Urteil an Feststellungsmängeln und müsse daher aufgehoben werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten Folge. Der angefochtene Beschluß wurde aufgehoben, die Rechtssache wurde zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Vorerst ist die Frage der Zulässigkeit des Rekurses zu prüfen. Die Preise der von den Beklagten bestellten Waren liegen durchwegs unter der Bagatellgrenze von 2000 S (§ 448 ZPO i. d. F. des Art. XI Z. 8 der am 1. April 1976 in Kraft getretenen Wertgrenznovelle 1976,BGBI. 91/1976).

Ihre Summe übersteigt jedoch bei beiden Beklagten den Betrag von 2000 S. Nach § 502 Abs. 2 ZPO ist gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes in Bagatellsachen (Z. 2) und über einen den Wert einer Bagatellsache an Geld oder Geldeswert nicht übersteigenden Streitgegenstand oder Teil des Streitgegenstandes (Z. 3) ein weiterer Rechtszug unzulässig. Diese Rechtsmittelbeschränkung gilt auch für Aufhebungsbeschlüsse des Berufungsgerichtes und schließt deren Anfechtung selbst im Falle der Anbringung eines Rechtskraftvorbehaltes aus. Der Rechtskraftvorbehalt vermag nämlich nur dort Wirkung zu äußern, wo die Anfechtung des Beschlusses nicht bereits zufolge weitergehender Rechtsmittelbeschränkungen ausgeschlossen ist (Fasching IV, 413). Die Zulässigkeit des Rekurses hängt daher im vorliegenden Falle davon ab, ob die einzelnen Kaufpreisforderungen zusammenzurechnen sind oder nicht; sie ist für jede der beiden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen gesondert zu beurteilen. Die Verbindung nach § 187 ZPO schafft keine Streitgenossenschaft und hat nicht zur Folge, daß die Streitwerte zusammenzurechnen sind (EvBl. 1959/383 u. a.).

Im Bagatellverfahren ist immer nur dann zu verhandeln und zu entscheiden, wenn entweder mehrere miteinander in tatsächlichem oder rechtlichem Zusammenhang stehende Ansprüche den Betrag von 2000 S auch zusammengerechnet nicht übersteigen oder wenn von mehreren miteinander nicht in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehenden Forderungen jede einzelne unter der Bagatellgrenze liegt. Mehrere Ansprüche in einer Klage, die aus dem gleichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründe stammen, sind also zusammenzurechnen; mögen sie auch einzeln unter der Bagatellgrenze liegen, so ist doch das Bagatellverfahren nicht anwendbar, wenn die Gesamtsumme die Bagatellgrenze übersteigt (SZ 47/13 mit ausführlicher Darstellung der bisherigen Rechtsprechung und zahlreicher Literaturhinweise).

Ein rechtlicher oder tatsächlicher Zusammenhang wird angenommen, wenn jeder der einzelnen Ansprüche für sich und unabhängig von den anderen nicht bestehen kann oder wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder aus einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (SZ 43/185; SZ 47/13 u. a.). In rechtlichem Zusammenhang stehen Ansprüche insbesondere, wenn sie aus einer Gesetzesvorschrift oder aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft z. B. aus einem einheitlichen Liefervertrag abgeleitet werden. Ein rechtlicher, zumindest aber ein tatsächlicher Zusammenhang mehrerer Ansprüche wird in der Regel auch bei einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang dieser Ansprüche bestehen (Fasching I, 344; SZ 47/13). Im vorliegenden Falle haben die Beklagten eine schriftliche Bestellung verschiedener Waren durch Übersendung der vom Kläger bei einer Werbeveranstaltung ausgefüllten Bestellscheine in einem Briefumschlag vorgenommen. Die Verwendung mehrerer Bestellscheine ändert nichts daran, daß es sich um eine einheitliche Bestellung mehrerer Gegenstände handelt, ferner die Kaufpreisforderungen des Klägers in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Sie sind daher (für jede Beklagte) zusammenzurechnen. Da die Summe der mehreren in einer Klage geltend gemachten Kaufpreisforderungen für jede der Beklagten, wie bereits erwähnt, die Bagatellgrenze von 2000 S Übersteigt, ist der Rekurs zulässig; er ist auch berechtigt.

Das Erstgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Durchführung von Werbeveranstaltungen erlaubt, die Entgegennahme von Bestellungen bei Werbeveranstaltungen jedoch nach § 59 Abs. 2 GewO 1973 verboten ist. Werden Bestellungen unter Nichteinhaltung des § 59 GewO 1973 "aufgesucht oder entgegengenommen", so hat der Käufer das Recht, spätestens am 5. Tage nach Abschluß des Kaufvertrages zurückzutreten (§ 60 GewO 1973).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen haben die Beklagten durch Unterfertigung einer vorgedruckten Erklärung zur Kenntnis genommen, daß die Bestellung zu ihrer Wirksamkeit auf dem Postwege zur Firma W gebracht werden müsse. In den Bestellscheinen heißt es, daß der Kaufinteressent "hiermit" die im folgenden angeführten Gegenstände bestelle. Schließlich enthalten die Bestellscheine auch den Hinweis, daß die Bestellung eine schriftliche Bestellung sei, deren Annahme sich die Firma W vorbehalte. Es kann daher entgegen den Ausführungen des Rekurses nicht davon gesprochen werden, daß der Vertrag "sicherlich als am Ort der Bestellung" abgeschlossen gelte, womit die Rekurswerber offenbar meinen, daß der Kaufvertrag bereits bei der Werbeveranstaltung zustande gekommen sei. Den Vorinstanzen ist deshalb beizupflichten, daß der Kläger bei der Werbeveranstaltung eine Bestellung der Beklagten nicht entgegengenommen hat. Nach dem Buchstaben des Gesetzes hat der Kläger daher nicht gegen das Verbot der Entgegennahme von Bestellungen bei Werbeveranstaltungen verstoßen. Es bleibt noch zu erörtern, ob den Beklagten wegen sittenwidriger Vorgangsweise des Klägers ein Rücktrittsrecht zuzubilligen ist.

Ein Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 879 Abs. 1 ABGB liegt dann vor, wenn etwas geradezu widerrechtlich ist, ohne gegen ein ausdrückliches gesetzliches Verbot zu verstoßen, also zwar nicht gesetzwidrig, aber grob rechtswidrig ist (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 181; SZ 39/113; SZ 44/68 u. a.). Gegen die guten Sitten verstößt nämlich, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, d. i. aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (SZ 47/8 u. a.). Sittenwidrigkeit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die vom Richter vorzunehmende Interessenabwägung eine grobe Verletzung geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts[4], I, 119; EvBl. 1976/9 u. a.).

Sinn und Zweck des in § 60 GewO 1973 dem Käufer eingeräumten (befristeten) Rücktrittsrechtes ist, wie das Erstgericht zutreffend dargetan hat, der Schutz des Konsumenten vor unüberlegten Käufen und Übervorteilung. Der Konsument, der bei einer Werbeveranstaltung Gewerbetreibender ohne Vergleichsmöglichkeit einem psychologischen Kaufzwang ausgesetzt ist, soll ohne Beeinflussung durch den Gewerbetreibenden während einer Frist von fünf Tagen überlegen und entscheiden können, ob er die bei der Werbeveranstaltung vorgenommene Bestellung aufrechthält oder nicht. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen haben die Beklagten die vom Kläger und seiner Helferin ausgefüllten Bestellscheine bereits bei der Werbeveranstaltung unterfertigt und weiters zur Kenntnis genommen, daß sie zu ihrer Wirksamkeit auf dem Postwege zum Kläger gebracht werden müssen. Die Bestellung auf dem Postwege ging somit auf die Initiative des Klägers und nicht etwa auf den Wunsch der Besteller zurück, sich noch eine Überlegungsfrist offenzuhalten. Die unterfertigten und in einem bereits adressierten Briefumschlag verschlossenen Bestellscheine wurden also hier den zum Kauf entschlossenen Beklagten ausschließlich zu dem Zweck zur Weiterleitung auf dem Postwege übergeben, um ihnen die Rücktrittsmöglichkeit nach § 60 GewO 1973 zu nehmen. Diese Vorgangsweise ist grob rechtswidrig und deshalb sittenwidrig im Sinne des § 879 Abs. 1 ABGB, weshalb sich der Kläger so behandeln lassen muß, als ob er die Bestellscheine bei der Werbeveranstaltung entgegengenommen hätte. Die Beklagten waren daher beim hier festgestellten Sachverhalt trotz Bestellung auf dem Postwege berechtigt, innerhalb der Frist des § 60 GewO 1973 vom Vertrag zurückzutreten. Da diese Frist eingehalten und der Rücktritt vom Vertrag dem Gesetz entsprechend schriftlich erklärt wurde, sind die Beklagten an ihre Bestellung nicht gebunden.

Nach § 59 Abs. 2 Satz 2 GewO 1973 liegt eine unzulässige Entgegennahme von Bestellungen auch vor, wenn die während einer Werbeveranstaltung von den Veranstaltungsbesuchern ausgefüllten Bestellscheine von einem Dritten zur Weiterleitung an den Gewerbetreibenden übernommen werden. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll dadurch diese offenkundige Umgehungsmöglichkeit des Verbotes der Entgegennahme von Bestellungen auf Werbeveranstaltungen künftighin ausgeschlossen werden, nachdem die Bundeswirtschaftskammer darauf hingewiesen hatte, daß das erwähnte Verbot auf die beschriebene Weise umgangen werde (RV 395 BlgNR, XIII. GP 154). Durch die Aufnahme dieser Bestimmung in den § 59 Abs. 2 der GewO 1973 wollte der Gesetzgeber diese von der Bundeswirtschaftskammer aufgezeigte und erkannte Gesetzeslücke schließen. Keinesfalls kann daraus abgeleitet werden, daß die hier festgestellte Vorgangsweise des Klägers dem Zweck der in Frage stehenden gesetzlichen Bestimmungen und den guten Sitten entspricht.

Abschließend ist daher festzuhalten, daß eine Verbindlichkeit der Beklagten zur Zahlung des Kaufpreises infolge wirksamen Rücktrittes vom Vertrag nicht besteht; die Sache ist daher im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens spruchreif, ohne daß die weiteren Einwendungen der Beklagten erörtert werden müssen.

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