OGH 2Ob566/78

OGH2Ob566/7816.1.1979

SZ 52/6

Normen

ABGB §91
ABGB §96 Abs2 n. F
ABGB §91
ABGB §96 Abs2 n. F

 

Spruch:

Nach grundlosem Verlassen der Hausgemeinschaft muß das Begehren an den Ehegatten um Beistellung jener ergänzenden Mittel, die die getrennte Haushaltsführung fordert, als rechtsmißbräuchlich angesehen werden

OGH 16. Jänner 1979, 2 Ob 566/78 (KG Wiener Neustadt R 283/78; BG Neunkirchen C 176/78 )

Text

Die im Jahre 1966 geschlossene Ehe der Streitteile ist aufrecht. Sie leben getrennt. Der Beklagte bezieht eine Pension von monatlich 4962.18 S, die Klägerin eine solche von 2772.47 S, die anteiligen Sonderzahlungen jeweils inbegriffen.

Die Klägerin begehrt die Leistung eines monatlichen Unterhalts in Höhe von 20% des jeweiligen Einkommens des Beklagten mit der Begründung, daß sie sich wegen seines ehewidrigen Verhaltens eine eigene Wohnung suchen mußte.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung mit der Begründung, daß die Klägerin schon seit 1971 den gemeinsamen Haushalt nicht mehr geführt habe und schließlich ohne seine Zustimmung aus der gemeinsamen Wohnung weggezogen sei. Sie habe dadurch ihren Unterhaltsanspruch verwirkt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht sprach jedoch der Klägerin eine Unterhaltsleistung in Höhe von 15% des monatlichen Gesamteinkommens des Beklagten zu und wies das Mehrbegehren ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge. Das Urteil des Berufungsgerichtes, das hinsichtlich der Abweisung eines Mehrbegehrens auf Leistung eines monatlichen Unterhalts im Ausmaß von weiteren 5% des monatlichen Gesamtnettoeinkommens des Beklagten aus seinem Dienst-, Arbeits- oder Pensionsverhältnis als unbekämpft unberührt blieb, wurde in seinem übrigen Umfange aufgehoben und dem Berufungsgericht insoweit die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Erstgericht ging im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Der Beklagte war zur Zeit der Eheschließung bereits in Pension, ging aber bis etwa 1970 einem Nebenerwerb nach. Er übereignete der Klägerin mit Vertrag vom 15. Juli 1966 eine ideelle Hälfte seiner Liegenschaft EZ 1220 Grundbuch P, Haus Ziererweg 21, in dem sich die gemeinsame Ehewohnung der Streitteile befand. Als sich 1970 herausstellte, daß die Klägerin, die bis dahin ihren Haushaltspflichten im großen und ganzen nachgekommen war, schlecht wirtschaftete, blieb er zu Hause und übernahm die Haushaltsführung. Er versorgte die Klägerin von da an in natura und gab ihr ein Taschengeld.

Die Klägerin begann seither, in zunehmendem Maße zu verreisen. Im November 1971 nahm sie trotz der Vorhaltungen des Beklagten im Urlauberhaus S eine Arbeit an, kam zunächst noch jedes oder jedes zweite Wochenende nach Hause, versorgte aber den Haushalt nicht mehr. Mit zunehmender Dauer dieses Arbeitsverhältnisses kam es zu einer Entfremdung der Streitteile. Die Klägerin kam immer seltener nach P und verbrachte dort schließlich weder die freien Wochenenden noch ihren Urlaub. Im Jahre 1975 sicherte sie sich ihre derzeitige Wohnung in Wien. Nach Ende ihres Arbeitsverhältnisses im Urlauberhaus S (30. Juni 1977) kehrte sie nicht mehr zum Beklagten zurück, sondern zog in ihre Wiener Wohnung. Der Beklagte, der sich noch vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses Hoffnungen auf eine Rückkehr der Klägerin in den gemeinsamen Haushalt gemacht hatte, brachte gegen die Klägerin die Ehescheidungsklage ein und lehnt nunmehr ihre Rückkehr in den gemeinsamen Haushalt ab.

Der Beklagte hat die Klägerin nie mißhandelt oder aufgefordert, das gemeinsame Haus zu verlassen.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß eine Unterhaltspflicht bei berufstätigen Ehepartnern nur dann eintreten könne, wenn ihre Einkommenshöhe so erheblich auseinanderfalle, daß der wirtschaftlich schwächere Ehegatte nicht in der Lage sei, die den gemeinsamen Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisse aus eigenem zu decken. In diesem Fall sei der andere verpflichtet, in einem solchen Maß Unterhalt zu leisten, daß auch der Ehepartner mit den geringeren Einkünften über einen angemessenen Teil des Familieneinkommens verfüge. Es sei jedoch abzulehnen, durch die Unterhaltsfestsetzung das Einkommen der beiden Ehegatten überhaupt auszugleichen, weil eine derartige Nivellierung der Absicht des vom Grundsatz der Partnerschaft und der Eigenverantwortlichkeit der Ehegatten getragenen Gesetzes widerspreche. Berücksichtige man, daß der 68 Jahre alte Beklagte einen Teil seines Einkommens zur Bezahlung fremder Haushaltskräfte aufwenden müsse, die 61 Jahre alte Klägerin aber ihren Haushalt ohne weiteres selbst führen könne, so könne sie mit ihrer geringeren Pension das Auslangen finden. Außerdem sei in der Geltendmachung des Unterhaltsanspruches durch die Klägerin ein Mißbrauch des Rechtes zu erblicken, weil die Hausgemeinschaft der Streitteile schon seit fast sieben Jahren aufgehoben sei und die Klägerin ohne Zustimmung des Beklagten den Haushalt verlassen und ein Arbeitsverhältnis angetreten habe.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, es erübrige sich, auf die Beweisrüge der Klägerin einzugehen, weil ihr Anspruch auch bei Zugrundelegung der Bekämpften Feststellungen dem Gründe nach zu bejahen seien. Daß die Parteien gegenseitig auf Unterhalt verzichtet hätten, sei nicht festgestellt worden. Ein Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 Satz 1 und 2 ABGB stehe zwar der Klägerin, gleichgültig, ob sie früher den gemeinsamen Haushalt geführt habe oder nicht, als seinerzeit voll berufstätiger Ehegattin nicht zu, da diese Bestimmungen das Ziel verfolgten, den Unterhalt des haushaltsführenden Ehegatten, dem, abgesehen von einer geringfügigen Nebenerwerbstätigkeit, kein Einkommen aus eigener Berufstätigkeit zur Verfügung stehe, zu sichern. Dies schließe jedoch einen Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB nicht aus. Voraussetzung eines solchen Unterhaltsanspruches sei, daß ein Ehegatte auch bei Anspannung seiner Kräfte nicht in der Lage sei, seinen Beitrag im Sinn des § 94 Abs. 1 ABGB zu leisten. Dies führe bei wesentlich verschieden hohem Einkommen berufstätiger Ehegatten (und ihnen gleichzuhaltender Pensionisten) dazu, daß der Ehegatte mit höherem Einkommen dem Ehegatten mit niedrigerem Einkommen die erforderlichen Mittel zuzuschießen habe, um auch diesem die Führung der den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Bedürfnisse zu ermöglichen. Daß die Klägerin in der Lage wäre, einen höheren Beitrag zu leisten, habe der Beklagte gar nicht behauptet.

Die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches stelle auch keinen Rechtsmißbrauch dar; die Klägerin habe den gemeinsamen Haushalt verlassen, nachdem ihr der Beklagte die Haushaltsführung entzogen und sie auf ein Taschengeld gesetzt habe. Wenn die Klägerin danach durch sechs Jahre auf Grund eigener Erwerbstätigkeit für sich selbst gesorgt habe und nun wegen ihrer Pensionierung einen Unterhalt als Ergänzung ihrer geringen Pensionsbezüge fordere, könne darin kein Rechtsmißbrauch erblickt werden. Der erhebliche Unterschied zwischen den Pensionsbezügen der Streitteile rechtfertige eine Unterhaltsleistung in Höhe von 15% der jeweiligen Bezüge des Beklagten.

Die Revision ist zulässig, soweit sie sich auf die Behauptung eines Rechtsmißbrauches durch die Klägerin und auf das Zustandekommen eines von den Unterinstanzen nicht untersuchten Unterhaltsverzichtes stützt, da es sich hiebei nicht um Fragen der Bemessung des gesetzlichen Unterhalts im Sinne des § 502 Abs. 2 Z. 1 ZPO handelt (3 Ob 126/74 u. a.;, vgl. insbesondere auch 1 Ob 679/78). Unzulässig ist die Revision jedoch, soweit geltend gemacht wird, daß die Klägerin im Sinne des § 94 Abs. 3 dritter Satz ABGB in der Lage sei, ihren Beitrag nach § 94 Abs. 1 ABGB zu leisten, da es sich hiebei um eine Bemessungsfrage handelt (ähnlich 1 Ob 508, 509/77; RZ 1977/108).

Die Revision ist auch berechtigt.

Allerdings kann der Auffassung des Revisionswerbers, daß der Klägerin ein Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB schon deswegen nicht zustehe, weil diese Gesetzesbestimmung nur auf den Sonderfall des auf den anderen zur Gänze angewiesenen Unterhaltsbedürftigen abstelle, der aus physischem Unvermögen nicht imstande sei, einen Beitrag im Sinne des § 94 Abs. 1 ABGB zu leisten, nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht hat vielmehr die Voraussetzungen der drei im § 94 Abs. 2 ABGB geregelten Unterhaltsanspruchsfälle (vgl. hiezu EvBl. 1977/218; 6 Ob 679/77; RZ 1978/16) zutreffend dargestellt und daraus richtig abgeleitet, daß der Klägerin kein Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 Satz 1 und 2 ABGB zustehe, daß aber ein wesentlich verschieden hohes Einkommen zweier Berufstätiger oder - was diesem Fall insofern gleichzuhalten ist (6 Ob 679/77) - pensionsberechtigter Ehegatten - jedenfalls im Rahmen der Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse - dazu führen muß, daß der Ehegatte mit höherem Einkommen dem Ehegatten mit niedrigerem Einkommen die erforderlichen Mittel zuzuschießen hat (EvBl. 1977/218; 6 Ob 679/77; 6 Ob 722/77; 1 Ob 530/78).

Zuzustimmen ist jedoch dem Revisionswerber, soweit er im Unterhaltsbegehren der Klägerin einen Rechtsmißbrauch sieht.

Schon vor der Neuregelung der persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten durch das Bundesgesetz 1975/412 (EheRwG) hat die Rechtsprechung anerkannt, daß ein allgemeiner Rechtssatz, wonach die Frau bei aufrechter Ehe ihren Unterhaltsanspruch durch schwere Eheverfehlungen verliere, dem österreichischen Recht fremd sei (EvBl. 1962/433 u. v. a.), daß aber die Ehegattin, die sich besonders schwerer Eheverfehlungen, wie des Ehebruchs, fortgesetzter empfindlicher Verletzung der ehelichen Treue, schwerer körperlicher Mißhandlungen oder Drohungen, schuldig macht oder die häusliche Gemeinschaft ohne zureichenden Grund verläßt, den Anspruch auf Unterhalt in Form einer Geldrente verliert, da sie grundsätzlich nur Naturalunterhalt verlangen kann (EvBl. 1976/69 u. a.).

Das EheRwG hat den Unterhaltsanspruch des Ehegatten, der den gemeinsamen Haushalt bis zu dessen Aufhebung führte (§ 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB) davon abhängig gemacht, daß die Geltendmachung keinen Rechtsmißbrauch darstelle. Der Entstehungsgeschichte des neuen Gesetzes ist zu entnehmen, daß der Justizausschuß nach eingehender Abwägung des Für und Wider von einer allgemeinen Unterhaltsverwirkungsklausel, wie sie im § 92 Abs. 2 zweiter Satz ABGB i. d. F. der Regierungsvorlage geplant war, abgesehen hat. Im Anschluß daran, führt der Bericht des Justizausschusses aus, daß der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führte, den Unterhaltsanspruch auch durch eine Eheverfehlung nicht verlieren solle. Der andere Ehegatte könne auf Grund dieses Fehlverhaltens Scheidungsklage erheben, er solle aber nicht dem anderen durch Verweigerung des Unterhaltes die Lebensgrundlage entziehen (1662 BlgNR, XIII. GP, 6).

Auf Grund dieser Rechtslage hat der OGH ausgesprochen, daß kein Anlaß bestehe, von der bisherigen Rechtsprechung zur Frage der Unterhaltsverwirkung abzugehen (5 Ob 522/76; 1 Ob 530/78), und daß nur besonders krasse Fälle, in welchen die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erscheinen würde, die Annahme einer Unterhaltsverwirkung des betreffenden Eheteils rechtfertigen. Verwirkung wurde insbesondere auch angenommen, wenn die Ehefrau ihren Gatten grundlos verlassen hat (Ent - Hopf, Die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, 134; 7 Ob 608/77; 3 Ob 644/77; 2 Ob 575/77; 1 Ob 679/78).

§ 94 Abs. 2 ABGB erwähnt allerdings den Rechtsmißbrauch nur im zweiten Satz, also im Zusammenhang mit jenem Unterhaltsanspruch, der dem bisher haushaltsführenden Ehegatten gebührt. Dies schließt jedoch nicht aus, daß auch ein auf § 94 Abs. 2 Satz 3 ("Bedürftigkeit") gestütztes Unterhaltsbegehren unter Beachtung der stets zu prüfenden besonderen Umstände des Einzelfalles (vgl. 2 Ob 575/77) rechtsmißbräuchlich sein kann. Im Hinblick auf die dargestellte Ansicht der Gesetzesverfasser kann im § 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB eine abschließende Regelung des Unterhaltsverwirkungsrechtes nicht erblickt werden; außerdem wäre die in dieser Gesetzesstelle verfügte Rechtsmißbrauchklausel wirkungslos, könnte dann dennoch Unterhalt nach Satz 3 dieser Gesetzesstelle begehrt werden.

Geht man von den - vom Berufungsgericht bisher nicht überprüften - Feststellungen zu den Gründen, die zur Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft der Streitteile führten, aus, muß das Begehren der Klägerin als rechtsmißbräuchlich angesehen werden. Der Beklagte leistete der Klägerin, nachdem er wegen ihrer Unwirtschaftlichkeit die Führung des gemeinsamen Haushaltes selbst übernommen hatte, Unterhalt in natura und gewährte ihr ein Taschengeld. Daß er in dieser Weise unzureichend für die Klägerin gesorgt habe, hat sie nicht behauptet, so daß darin kein berechtigter Grund für die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft gefunden werden kann. Zu dieser kam es auch damals noch nicht, sondern erst, nachdem die Klägerin gegen den Willen des Beklagten einen Dienstposten angenommen und der gemeinsamen Wohnung allmählich in immer größerem Ausmaße ferngeblieben war. Nach den bisherigen Feststellungen hat der Beklagte der Klägerin keinen Anlaß zur Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft gegeben und selbst bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gehofft, daß sie wieder in die gemeinsame Ehewohnung zurückkehren werde.

Die Klägerin könnte ihren Beitrag zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisse aus ihren Pensionsbezügen im Rahmen eines gemeinsamen Haushaltes durchaus leisten. Wenn sie die Hausgemeinschaft aber grundlos verlassen und damit auch ihre Beistandspflicht (§ 91 ABGB) gegenüber dem Beklagten verletzte, muß ihr Begehren, daß der von ihr in Stich gelassene Ehemann jene ergänzenden Mittel beistellen solle, die die getrennte Haushaltsführung fordert, als rechtsmißbräuchlich angesehen werden.

Das Berufungsgericht hat jedoch die Beweisrüge der Klägerin, die insbesondere auf die Feststellung von Gründen abzielt, die das Verlassen der häuslichen Gemeinschaft als berechtigt erscheinen lassen, nicht erledigt, so daß das Berufungsverfahren an einem durch unrichtige rechtliche Beurteilung verursachten Mangel leidet, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen mußte.

Hingegen ist die Erörterung der vom Revisionswerber aufgeworfenen Frage, ob zwischen den Streitteilen anläßlich der Aufnahme einer Berufstätigkeit durch die Klägerin ein Unterhaltsverzicht vereinbart wurde, entbehrlich. Es ist zwar richtig, daß aus dem Umstand, daß das Erstgericht hiezu keine Feststellungen traf, nicht geschlossen werden kann, eine solche Vereinbarung wäre nicht zustande gekommen. Ein relevanter Feststellungsmangel liegt jedoch nicht vor, da eine solche Vereinbarung jedenfalls nur so lange Gültigkeit haben konnte, als sich die Voraussetzungen, unter denen sie geschlossen wurde, nicht geändert hatten. Infolge Pensionierung der Klägerin liegen aber geänderte Verhältnisse vor.

Der Revision war daher Folge zu geben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte