OGH 5Ob115/75

OGH5Ob115/7516.9.1975

SZ 48/92

Normen

ABGB §1284
KO §14 Abs2
ABGB §1284
KO §14 Abs2

 

Spruch:

Errechnung des Kapitalwertes einer nach dem Lebenshaltungskostenindex wertgesicherten Leibrente im Konkurs des Verpflichteten; Beiziehung von Sachverständigen aus den Gebieten der Medizin, der Versicherungsmathematik und der Nationalökonomie

OGH 16. September 1975, 5 Ob 115/75 (OLG Linz 3 R 28/75; KG Wels 2 Cg 307/74)

Text

Der Kläger hat am 6. Mai 1963 die Liegenschaft EZ 306 des Grundbuches über die Katastralgemeinde V an Johann K gegen Barzahlung von 500.000 S und Bezahlung einer monatlichen Leibrente von 3500 S, die nach dem Index der Verbraucherpreise durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalte auf der Basis 1945 = 100, ausgehend von der Indexzahl für Mai 1963, wertgesichert sein sollte, verkauft. Auf Grund des Vergleiches, abgeschlossen vor dem Bezirksgericht Linz, vom 2. Oktober 1970, hat Elisabeth K diese Liegenschaft von Johann K, ihrem Ehegatten, erworben und sich als Gegenleistung unter anderem verpflichtet, die Leibrentenforderung des Klägers unter Schad- und Klagloshaltung ihres Ehegatten allein zu bezahlen.

Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin Elisabeth K ist vom Kreisgericht Wels mit Beschluß vom 19. September 1973 der Konkurs eröffnet worden. In diesem Konkurs wurde die vom Kläger für rückständige und zukünftige (kapitalisierte) Leibrentenforderungen in der 3. Klasse angemeldete Forderung von 820.476.40 S vom Masseverwalter zur Gänze bestritten.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß diese Forderung in der 3. Klasse der Konkursforderungen im Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin Elisabeth K zu Recht besteht.

Er brachte unter Darstellung des eingangs geschilderten Sachverhaltes zusätzlich vor, daß die Gemeinschuldnerin die persönliche Zahlungsverpflichtung für die Leibrentenverbindlichkeit ihres Ehegatten übernommen und durch die Bezahlung als eigene Verbindlichkeit auch anerkannt habe und daß unabhängig davon auch infolge der Übernahme aller anderen inländischen Vermögenswerte ihres Gatten nach den Bestimmungen der § 1409 ABGB und § 25 HGB die Haftung der Gemeinschuldnerin für die Leibrentenschuld bestehe. Die Leibrentenforderung sei ohne Wertsicherung grundbücherlich sichergestellt, dennoch habe sich die Anmeldung der Forderung und ihre Feststellung infolge Bestreitung durch den Masseverwalter auf den vollen Forderungsbetrag zu erstrecken, solange sie nicht befriedigt ist. Zur Zeit der Konkurseröffnung habe ein Rückstand einschließlich von Kosten in der Höhe von 518.40 S von 5676.40 S bestanden. Die zukünftigen Leibrentenbeträge seien unter Bedachtnahme auf die Lebenserwartung des Klägers, der sich bei bester Gesundheit befinde, und eine mit 8% zu veranschlagende Inflationsrate pro Jahr mit insgesamt 814.800 S gemäß § 15 Abs. 2 KO zu schätzen.

Der beklagte Masseverwalter beantragte die Abweisung der Klage und wendete im wesentlichen ein:

Die Wertsicherung der Leibrente sei nur von obligatorischer und nicht von dinglicher Wirkung, so daß dafür nur Johann K, nicht aber die Gemeinschuldnerin hafte. Diesbezüglich fehle es an der passiven Klagelegitimation. Dem Kläger stehe gegen die Konkursmasse keine Konkursforderung zu. Vorsichtsweise werde auch die Höhe des Anspruches bestritten. Eine Inflationsquote für die Zukunft sei bei einer Forderung, die für den Zeitpunkt der Konkurseröffnung festgestellt werden soll, nicht zulässig. Der Wert der Leibrentenforderung sei weitaus überhöht angesetzt.

Soweit der Kläger zur Hereinbringung seines pfandrechtlich gesicherten Rückstandes im Prozeß der Streitteile zu 2 Cg 145/74 des Kreisgerichtes Wels ein Anerkenntnisurteil erwirkt hatte, erhob der beklagte Masseverwalter die Einrede der entschiedenen Streitsache.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt, ohne jedoch über die Einrede der entschiedenen Streitsache förmlich zu entscheiden. Es stellte über den eingangs dargelegten Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgendes fest:

Die Gemeinschuldnerin hat über jeweilige Aufforderung (Schreiben des Vertreters des Klägers vom 25. Oktober 1967, vom 28. Mai 1968, vom 8. Jänner 1970, vom 18. September 1972 und vom 24. August 1973) die monatlichen Leibrentenbeträge samt Wertsicherungsaufschlag regelmäßig und vollständig bis einschließlich September 1973 ebenso bezahlt wie die geforderten Nachzahlungen, ausgenommen die mit dem Schreiben vom 24. August 1973 bekanntgegebene Nachforderung von 6420.40 S. Sie hat nie erklärt, diese Zahlungen nicht in eigenem Namen zu leisten.

Der Wertsicherungsaufschlag auf die Nominalrente betrug im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bei einem Indexverhältnis von 176.3 zu 114.8 (= + 53.6%) 1876 S, so daß die aufgewertete Rente in diesem Zeitpunkt 5376 S ausmachte.

Unter Zugrundelegung der vom Kläger berechneten Kapitalisierung der Leibrente und des Wertsicherungsaufschlages und einer zukünftigen Inflationsquote von 8% pro Jahr sowie einer Lebenserwartung des Klägers von 10 Jahren beträgt die Gesamtjahresrente für die Jahre 1974 bis 1983 814.800 S dazu ist der Rückstand für die Jahre 1972/73 samt Kosten in der Höhe von 5676.40 S zu rechnen.

Rechtlich folgerte das Erstgericht im wesentlichen aus diesem Sachverhalt, daß die Gemeinschuldnerin aus dem Vergleich mit ihrem Gatten vom 2. Oktober 1970 und als Übernehmerin seines Vermögens für die Leibrentenverbindlichkeit und ihre Wertsicherung, die ein Teil dieser Schuld sei, gemäß § 1409 ABGB hafte. Gegen die Berechnung des Klägers habe der Beklagte nichts Konkretes vorgebracht. Die Schätzung der Leibrentenforderung nach ihrem Wert zur Zeit der Konkurseröffnung habe durch den Gläubiger zu geschehen. Es könne nicht gesagt werden, daß seine Schätzung überhöht sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des beklagten Masseverwalters Folge und hob das Urteil des Erstgerichtes mit dem Vorbehalt der Rechtskraft auf; es verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück und sprach aus Anlaß der Berufung aus, daß die Einrede der entschiedenen Streitsache hinsichtlich der Feststellung, die vom Kläger im Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin angemeldete Forderung bestehe mit dem Teilbetrag von 38.500 S in der dritten Klasse zu Recht, zurückgewiesen werde.

In Erledigung der Rüge mangelhafter Tatsachenfeststellung verwies das Berufungsgericht auf die Außerstreitstellung in der Berufungsverhandlung, daß der Kläger am 10. Juli 1907 geboren ist.

Das Berufungsgericht verwarf die Rechtsansicht des beklagten Masseverwalters, es bestehe kein direkter Anspruch des Klägers gegenüber der Gemeinschuldnerin auf die Wertsicherungsbeträge der Leibrente, und führte dazu im wesentlichen aus: Es sei richtig, daß, solange nur eine Einigung zwischen Schuldner und Übernehmer vorliegt, nur eine unvollständige Schuldübernahme gegeben sei; erst durch die rechtsgestaltende (unbefristete) Erklärung des Gläubigers komme eine Schuldübernahme zustande. Eines förmlichen Vertrages zwischen Gläubiger und Schuldner bedürfe es nicht, die Einwilligung könne auch schlüssig erteilt werden. Durch die Übersendung der Indexabrechnung mit den Schreiben vom 18. September 1972 und 24. August 1973 habe der Kläger schlüssig der Schuldübernahme zugestimmt. Hinsichtlich der Leibrentenforderung ohne Wertsicherung ergebe sich die Haftung der Gemeinschuldnerin als Rechtsnachfolgerin des Urschuldners schon auf Grund der hypothekarischen Sicherstellung. Der Hypothekarschuldner, der gleichzeitig auch Personalschuldner ist, habe überdies eine im Grundbuch nicht eingetragene Wertsicherungsklausel zu erfüllen. Das personale Schuldverhältnis der Gemeinschuldnerin ergebe sich aus der Schuldübernahme. Es bedürfe deshalb keiner Erörterung, ob sich die Haftung der Gemeinschuldnerin auch aus § 1409 ABGB ableiten lasse.

Das Verfahren vor dem Erstgericht sei jedoch mangelhaft geblieben, weil die Bewertung der Forderung des Klägers allein auf Grund seiner Behauptungen vorgenommen wurde und weil hinsichtlich des geltend gemachten Kostenbetrages von 518.40 S keine Feststellungen getroffen wurden, ob und wie weit dieser Betrag berechtigt ist und welche Leistungen ihm zugrunde liegen.

Der beklagte Masseverwalter habe die Berechnung der Rentenforderung bestritten, so daß es Sache des Klägers gewesen sei, die Richtigkeit seiner Schätzung unter Beweis zu stellen. Dieser Beweis sei aber nicht erbracht worden.

Leibrentenforderungen seien als wiederkehrende Leistungen nach ihrem Schätzwert zur Zeit der Konkurseröffnung geltend zu machen. Die Schätzung habe bei Rentenansprüchen auf Lebenszeit nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Versicherungsmathematik), also unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Lebensdauer des Berechtigten, zu erfolgen, wobei auf die besonderen Umstände des Einzelfalles Bedacht genommen werden müsse. Das Erstgericht werde dazu Sachverständige aus der Medizin und der Versicherungsmathematik beiziehen müssen, und es werde sich zur Berücksichtigung der herrschenden Inflation und der daraus zu erwartenden Inflationsrate auch die Beiziehung eines Sachverständigen der Nationalökonomie zur Erstellung einer Prognose über diese Entwicklung als zweckmäßig erweisen.

Im übrigen sei der Rechtsstandpunkt des beklagten Masseverwalters verfehlt, der Kläger dürfe jenen Teil seiner Forderung, der durch sein Absonderungsrecht gedeckt sei, nicht geltend machen. Wenn Konkursforderung und Absonderungsrecht zusammentreffen, könne der Gläubiger beide Ansprüche im Konkurs gleichzeitig geltend machen, wobei er allerdings endgültig nur mit dem Ausfall als Konkursgläubiger an der Befriedigung teilnehme.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zunächst muß der Ansicht des Rekurswerbers grundsätzlich widersprochen werden, nicht er, sondern der beklagte Masseverwalter sei für den Schätzwert der Leibrentenforderung zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung beweispflichtig. Vielmehr gilt auch in diesem Fall, mangels einer anderen Regelung durch das Gesetz, der allgemeine Grundsatz, daß jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen hat (EvBl. 1959/38; MietSlg. 20.204; JBl. 1972, 426 u. v. a.; Rosenberg, Die Beweislast[5], 98; Fasching III 234). Da der beklagte Masseverwalter in der Klagebeantwortung ausdrücklich die Höhe des geltend gemachten Anspruches bestritten und den Wert der Leibrentenforderung als "weitaus überhöht angesetzt" bezeichnet hatte, trifft den Kläger die Beweislast für die Richtigkeit der von ihm vorgenommenen Schätzung der Leibrentenforderung im Sinne des § 15 Abs. 2 KO und, wie noch dargelegt werden wird, in Ansehung der Wertsicherung auch im Sinne des § 14 Abs. 1 KO.

Dem Berufungsgericht ist darin beizustimmen, daß die Schätzung des Kapitals der Leibrentenforderung nach § 15 Abs. 2 KO die Umstände des Einzelfalles berücksichtigen muß. Es reicht deshalb auch nicht hin, lediglich von der allgemeinen, durchschnittlichen Lebenserwartung des Leibrentenberechtigten, etwa nach der österreichischen Sterbetafel, auszugehen, weil es das Ziel jeder Rechtsfindung sein soll, für den jeweiligen Einzelfall ein Höchstmaß an Rechtsverwirklichung herbeizuführen. Es muß hier im besonderen berücksichtigt werden, daß nach Feststellung des Wertes der Leibrentenforderung der nachträgliche Eintritt von Ereignissen, von denen die Höhe des Anspruches bestimmt werden sollte (also etwas längeres oder kürzeres Leben des Leibrentenberechtigten gegenüber der veranschlagten Lebenszeit), nichts mehr an der Höhe der kapitalisierten Forderung zu ändern vermag (Bartsch - Pollak[3] II 197), so daß mit der Feststellung des Schätzwertes der Leibrentenforderung eine für beide Teile endgültige und gleich risikobehaftete Rechtslage herbeigeführt wird. Zutreffend hat deshalb das Berufungsgericht die nach den Regeln höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit durch das Zusammenwirken eines sachverständigen Mediziners und eines sachverständigen Versicherungsmathematikers zu ermittelnde Lebenserwartung des Klägers durch das Erstgericht als unabdingbar erachtet (vgl. Jäger, dKO[8] zu § 69, 915 der ebenfalls auf die individuelle Lebenserwartung abstellt).

Soweit der Rekurswerber sich gegen die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Beiziehung eines sachverständigen Nationalökonomen zur Erstellung einer Prognose hinsichtlich der zu erwartenden Inflationsrate innerhalb der voraussichtlichen Lebensdauer des Klägers wendet, ist zu sagen: Im Grundsätzlichen ist in Anbetracht der vereinbarten Wertsicherung auf der Basis der allgemeinen Verbraucherpreise die Höhe des voraussichtlichen Aufwertungsanspruches als eines Anspruches auf einen unbestimmten Geldbetrag im Sinne des § 14 Abs. 1 KO unter Berücksichtigung der individuellen Lebenserwartung des leibrenten- und aufwertungsberechtigten Klägers ebenfalls mit ihrem Schätzwert zur Zeit der Konkurseröffnung zu berechnen. Die Zukunftsschätzung, die von zahlreichen schwer zu beurteilenden wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen abhängig ist, wird voraussichtlich nur Anhaltspunkte geben. Immerhin kann aber das vom Gericht zweiter Instanz aufgetragene Gutachten eines Nationalökonomen Entscheidungshilfe geben, welche die allenfalls nach § 273 ZPO vorzunehmende Beurteilung erleichtern wird.

Im übrigen findet der OGH in pflichtgemäßer Überprüfung der Entscheidung des Berufungsgerichtes aus allen rechtlichen Gesichtspunkten (Fasching IV, 323; 5 Ob 332/64 u. v. a., zuletzt 5 Ob 322/74), daß das Berufungsgericht alle übrigen Rechtsfragen richtig und vollständig aufgezeigt hat, so daß sich weitere Ausführungen darüber als entbehrlich erweisen.

Dem Rekurs des Klägers ist deshalb kein Erfolg beschieden, denn die Sache erweist sich in der Tat noch nicht als entscheidungsreif.

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