OGH 6Ob39/74

OGH6Ob39/7426.2.1974

SZ 47/17

Normen

ABGB §1502
ABGB §1502

 

Spruch:

Der Schuldner ist zur Rücknahme des Verzichtes auf die Erhebung der Verjährungseinrede berechtigt. Erfolgt diese nach Ablauf der Verjährungsfrist, darf der Gläubiger nicht untätig bleiben, sondern muß, um sich der Verjährungseinrede gegenüber die Replik der Arglist zu wahren, innerhalb angemessener Frist eine Verjährungsunterbrechung herbeiführen

OGH 26. Feber 1974, 6 Ob 39/74 (OLG Wien 4 R 186/73; LGZ Wien 32 Cg 820/73)

Text

Die klagende Pensionsversicherungsanstalt begehrt, gestützt auf die Bestimmung des § 332 ASVG, vom Beklagten Zahlung von 22.206.10 S samt Anhang und Feststellung der Haftung für künftige Pflichtaufwendungen mit der Behauptung, er habe am 2. Jänner 1967 in Wien 21, Jedlersdorfer Straße, als Lenker eines bei der I haftpflichtversicherten PKWs einen Verkehrsunfall verschuldet, durch den der bei der Klägerin pensionsversicherte F W getötet worden sei. Die I, die zunächst den von der Klägerin für die Witwe gemachten Pensionsaufwand ersetzt habe, weigere sich seit Anfang 1972 unter Berufung auf § 155 VersVG weitere Regreßansprüche zu erfüllen. Daher habe die Klägerin den Beklagten aufgefordert, ihr jene Betrage zu ersetzen, die seit 1. Jänner 1972 die I nicht mehr bezahle. Der Beklagte verweigere die Zahlung mit der Begründung, daß zunächst die Haftpflichtversicherung bis zur Erschöpfung der Versicherungssumme zur Leistung verpflichtet sei, und wende überdies Verjährung ein. Letzterer Einwand gehe deswegen fehl, weil der Beklagte über Empfehlung der I am 26. November 1969 einen schriftlichen und unbefristeten Verjährungsverzicht für die Zeit nach dem 1. Jänner 1970 abgegeben habe. Die Klägerin habe seit 1. Jänner 1972 Pflichtleistungen in der Höhe von 22.206.10 S erbracht. Da auch in Zukunft Aufwendungen erwachsen werden, sei das Rechtsschutzinteresse der Klägerin an der alsbaldigen Feststellung gegeben.

Der Beklagte wendete ein, daß der Klagsanspruch verjährt sei. Der dagegen von der Klägerin erhobene Einwand der Arglist schlage nicht durch. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten habe mit Schreiben vom 24. November 1969 dem Beklagten erklärt, daß die Regreßansprüche der Klägerin noch nicht voll erfaßt werden könnten und daher die Abgabe einer Verjährungserklärung zweckmäßig sei. Dadurch würden Kosten erspart. Weder im Schreiben der 1 noch in jenem des Beklagten, mit dem er auf die Einrede der Verjährung verzichtete, werde darauf Bezug genommen, daß der Beklagte jemals über die Versicherungssumme hinaus Zahlungen zu erbringen habe. Der Beklagte habe die Erklärung in der Meinung unterschrieben, es handle sich um eine Verzichtserklärung hinsichtlich der restlichen Haftpflichtversicherungssumme. Er habe mit Schreiben vom 10. November 1972 die Ansprüche der Klägerin abgelehnt und den oben dargelegten Rechtsstandpunkt vertreten. Die Klägerin habe sich mit der Geltendmachung des Anspruches vom November 1972 bis Juni 1973 Zeit gelassen, sei also durch sieben Monate untätig geblieben. Daher könne ihm die Gegeneinrede der Arglist nicht mit Erfolg entgegengesetzt werden.

Das Erstgericht hat ohne Beweiserhebung die Klage unter Hinweis auf die Bestimmung des § 1502 ABGB abgewiesen und ausgeführt, daß diese Norm ihren Sinn verlieren würde, wenn man annehmen wollte, daß in der Erhebung der Verjährungseinrede trotz vorangegangenen Verzichtes Arglist liege.

Infolge Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat die Ansicht, die Klägerin habe gegen die Verjährungseinrede mit Recht den Einwand der Arglist erhoben. Der Verzicht des Beklagten auf die Einrede der Verjährung sei nicht auf Veranlassung der Klägerin, sondern auf die des Haftpflichtversicherers des Beklagten und deshalb abgegeben worden, um einer Feststellungsklage aus dem Wege zu gehen und Prozeßkosten zu sparen. Eine Beschränkung des Verzichtes auf die Haltpflichtversicherungssumme sei in der Erklärung nicht zum Ausdruck gekommen. Auch das "Untätigsein" der Klägerin bis Juni 1973 könne dem Standpunkt des Beklagten zu keinem Erfolg verhelfen. Eine Analogie zur "gehörigen Fortsetzung" im Sinne des § 1497 ABGB sei nicht gerechtfertigt. Die Sache sei an die erste Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme vom Abweisungsgrunde zurückzuverweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Daß gemäß § 1502 ABGB der Verjährung im voraus nicht wirksam entsagt werden kann, bedeutet nicht, wie der Beklagte meint, daß jede in dieser Richtung abgegebene Erklärung des Schuldners ohne Wirkung sei. Verhält sich der Schuldner so, daß der Gläubiger mit Recht annehmen darf, der Schuldner werde sich im Falle einer Klagsführung nach Ablauf der Verjährungsfrist auf sachliche Einwendungen beschränken und die Einrede der Verjährung nicht erheben, dann kann, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nach herrschender Lehre und Rechtsprechung der Gläubiger der vom Schuldner dann doch erhobenen Verjährungseinrede die Replik der Arglist, des Handelns wider Treu und Glauben, entgegensetzen (vgl. Ehrenzweig[2], I/1, 338; Klang[2] VI zu. 1478 ABGB 604; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht[11] 1315, 705; DREvBl. 1942/98, 65; SZ 28/149; ZVR 1969/89, 74; SZ 40/100; EvBl. 1971/20, 44; ZVR 1972/158, 305 u. a.). Der festgestellte, vom Beklagten der Klägerin gegenüber abgegebene Verzicht auf die Verjährungseinrede, der die Klägerin zwecks Ersparung der Kosten eines der Verjährung vorbeugenden Feststellungsprozesses von der Einbringung einer solchen Klage abhalten sollte, ist geeignet, die Replik der Arglist gegenüber der Verjährungseinrede zu begrunden. Eine Beschränkung der abgegebenen Verzichtserklärung auf die Deckungssumme aus der Haltpflichtversicherung, wie sie nunmehr vom Beklagten behauptet wird, ist der festgestellten Verzichtserklärung nicht zu entnehmen.

Anderseits kann aber doch auch der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht beigetreten werden, der vom Beklagten im Schreiben vom 10. November 1972 erklärten Ablehnung von Zahlungen über die Versicherungssumme hinaus könne schon deshalb keinerlei rechtliche Bedeutung beigemessen werden, weil in diesem Zusammenhang die Anwendung des Grundsatzes der gehörigen Fortsetzung des Verfahrens im Sinn des § 1497 nicht in Betracht komme. Daß gemäß § 1502 ABGB eine vertragliche Vereinbarung betreffend den Verzicht auf die Verjährung nicht als bindend angesehen werden könnte, bedeutet doch, daß der Schuldner jederzeit den Verzicht auf die Einrede der Verjährung zurückziehen kann, was zur Folge hätte, daß der Gläubiger nun nicht mehr weiter das Verhalten des Schuldners dahin auszulegen berechtigt ist, dieser werde sich im Falle einer späteren Prozeßführung auf sachliche Einwendungen beschränken und eine Verjährungseinrede nicht erheben. Würde daher der Gläubiger ungeachtet einer solchen Erklärung des Schuldners mit der Erhebung der Klage über das erforderliche Ausmaß hinaus zuwarten, könnte er der Verjährungseinrede nicht mehr die Replik der Arglist entgegensetzen. Es genügt dabei jeder deutliche Hinweis des Schuldners dem Gläubiger gegenüber, daß er nunmehr nicht länger auf die Verjährungseinrede verzichte (vgl. Wussow, Unfallhaftpflichtrecht s. auch EvBl. 1967/435, 633; JBl. 1969, 442). Erfolgt also die Rücknahme des Verzichtes nach Ablauf der Verjährungsfrist, dann darf der Gläubiger nicht untätig bleiben; er müßte, um die Verjährungseinrede mit Erfolg abzuwenden, innerhalb einer angemessenen Frist eine Verjährungsunterbrechung, etwa durch Klageerhebung, veranlassen, da er nun nicht mehr weiter darauf vertrauen darf, er brauche im Falle einer späteren Klagsführung mit einer Verjährungseinrede nicht rechnen. Ein halbjähriges untätiges Zuwarten könnte unter solchen Umständen nicht mehr als angemessen bezeichnet werden.

Das Erstgericht wird demnach - abweichend von der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - erst dann über die Sache selbst zu verhandeln haben, wenn nach Prüfung der Frage der Verjährung in der dargelegten Richtung die Verjährungseinrede unbeachtet bleiben kann.

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