Spruch:
Die Erhebung der Verjährungseinrede verstößt gegen Treu und Glauben, wenn sich in früheren Prozessen der Beklagte als Hauseigentümer bezeichnete, sich aber dann in einem gegen ihn wegen Doppelvermietung geführten Schadenersatzprozeß auf den gegenteiligen Standpunkt stellt.
Entscheidung vom 8. Juni 1955, 2 Ob 343/55.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei Schadenersatz aus dem Gründe, weil die beklagte Partei ungeachtet seiner Mietrechte seine Wohnung und sein Geschäftslokal anderweitig vermietet habe.
Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil den Anspruch des Klägers dem Gründe nach als zu Recht bestehend erkannt.
Das Berufungsgericht hat der Revision der beklagten Partei teilweise Folge gegeben; es hat das Ersturteil, soweit es das Begehren auf Zahlung eines Verdienstentganges dem Gründe nach als zu Recht bestehend erklärte, nur hinsichtlich des Verdienstentganges in der Zeit vom 19. Mai 1951 bis 23. Mai 1951 bestätigt, hinsichtlich des übrigen Verdienstentganges, und zwar für die Zeit vom 22. Jänner 1946 bis 18. Mai 1951, wegen Verjährung abgewiesen.
Der Oberste Gerichtshof hat das erstinstanzliche Zwischenurteil wiederhergestellt.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es kann der Revision zwar nicht gefolgt werden, wenn sie die Meinung vertritt, daß die Verjährungseinrede daran scheitere, daß den Kläger kein Verschulden an der Unkenntnis des währen Hauseigentümers treffe. Aus welchem Grund die rechtzeitige Klagserhebung versäumt wurde, ob dem Kläger hiebei ein Verschulden unterlaufen ist oder nicht, ist für den Eintritt der Verjährung ohne Bedeutung. Es kann deshalb keinen Einwand gegen die Verjährungseinrede begrunden, daß die Klagefrist ohne Verschulden versäumt worden ist.
Der Oberste Gerichtshof erachtet aber im vorliegenden Fall die Erhebung der Verjährungseinrede deshalb für unzulässig, weil sie gegen Treu und Glauben verstößt. Wie bereits das Berufungsgericht in seiner Entscheidung 5 R 85/54-24 vom 9. März 1954 im Vorprozeß des Klägers gegen die Stadt W. ausgesprochen hat, hat die Gemeinde W. gewissermaßen als ein Organ oder als eine Art gesetzlicher Vertreter der Stiftung, die nunmehr geklagt ist, gehandelt. Für das Verhalten des gesetzlichen Vertreters innerhalb bestehender Schuldverhältnisse ist aber der Vertreter haftbar. Nun hat die Stadt W., wie der Kläger durchaus zutreffend ausführt, obwohl ihr bei einem Mindestmaß an Sorgfalt die bestehenden Eigentumsverhältnisse am Hause W., P.-Gasse Nr. 26, hätten bekannt sein müssen, dem jetzigen Kläger gegenüber in drei Rechtsstreitigkeiten den Standpunkt vertreten, daß sie selbst Eigentümerin des bezeichneten Hauses sei. So hat sie in dem Verfahren 35 C 64/47 behauptet, der Kläger hätte mit der nunmehr geklagten Stiftung als dem Rechtsvorgänger der Stadt W. den Bestandvertrag abgeschlossen. Zu 48 C 715/51 hat die Stadt W. in eigenem Namen, nicht als Vertreterin der Hauseigentümerin, den Kläger gekundigt. Zu 48 C 716/51 hat die Stadt W. in eigenem Namen eine Gebrauchsgebühr gegen den Kläger eingeklagt und dabei das Haus W., P.-Gasse 26, als ein städtisches Haus bezeichnet. Die Stadt W. als gesetzliche Vertreterin oder irgendwie in Organstellung zu der nunmehr beklagten Partei hat auf diese Weise - es mag dahingestellt bleiben, ob bewußt oder unbewußt - den Kläger in Irrtum geführt. Infolge des Verhaltens der Stadt W., die bei all den vorerwähnten Rechtsstreitigkeiten nach der wahren Sachlage nur als Vertreterin der Stiftung hätte auftreten können, ist der Kläger abgehalten worden, vor Ablauf der durch das Fristengesetz erstreckten Verjährungsfrist seine Ansprüche gegen die nunmehr beklagte Partei geltend zu machen. Der Kläger hat diese Ansprüche aber rechtzeitig gegen die Stadt W. gerichtlich erhoben. Da die beklagte Partei für das Verhalten der Stadt W. als, ihrer Vertreterin (Verwalterin) in vertraglichen Belangen einzustehen hat, widerspricht es den Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn sie nunmehr die Verjährungseinrede erhebt, obwohl mittelbar die Fristversäumnis des Klägers auf ihr eigenes Verhalten zurückzuführen ist (so auch die Judikatur des deutschen Reichsgerichtes, beispielsweise RGZ. 144, 381; 145, 244 u. a. m.).
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