OGH 2Ob26/72 (2Ob27/72)

OGH2Ob26/72 (2Ob27/72)28.12.1972

SZ 45/143

Normen

ABGB §141
ABGB §143
ABGB §1327
ABGB §141
ABGB §143
ABGB §1327

 

Spruch:

Schadenersatzanspruch nach § 1327 ABGB wegen Entfalles des bisher von der ehelichen Mutter subsidiär geleisteten Unterhalts

OGH 28. 12. 1972, 2 Ob 26, 27/72 (OLG Wien 9 R 198/71; LGZ Wien 25 Cg 34/71 und 25 Cg 87/71)

Text

Am 26. 8. 1968 wurde die Mutter der Kläger, Leopoldine H, bei einem vom Erstbeklagten als Lenker eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW verschuldeten Verkehrsunfall getötet. Der Erstbeklagte wurde wegen des Unfalles strafgerichtlich verurteilt. Sein Alleinverschulden ist nicht mehr strittig.

Die Kläger begehrten mit der Behauptung, daß ihre Mutter, in deren Pflege und Erziehung sie gewesen seien, zu ihrem Unterhalt beigetragen habe, den Ersatz der entgangenen und künftig (bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit) entgehenden Unterhaltsleistungen, der Erstkläger S 600.- monatlich, die Zweitklägerin S 400.- monatlich.

Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen. Sie wendeten ein, daß seit dem Tode der Mutter die Väter, die vorher lediglich einen Unterhaltsbeitrag leisteten, nunmehr zur Gänze für den Unterhalt und die Pflege der in ihren Haushalt aufgenommenen Kinder sorgen, damit ihrer ursprünglichen Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung nun endlich voll nachkommen und daher die bloß subsidiäre Unterhaltspflicht der Mutter nicht bestehe. Die Beklagten bestritten auch die Höhe der von der Mutter erbrachten Leistungen und behaupteten, daß die Zweitklägerin seit Herbst 1969 als Bürolehrling ein Einkommen von S 700.- monatlich habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es legte seiner Entscheidung folgende wesentliche Feststellungen zugrunde:

Leopoldine H war in erster Ehe mit Franz P und in zweiter Ehe mit Johann H verheiratet. Aus ihrer ersten Ehe stammen die am 16. 11. 1954 geborene Zweitklägerin und der seit Juli 1967 selbsterhaltungsfähige Walter P. Der am 27. 8. 1959 geborene Erstkläger entstammt der zweiten Ehe der Leopoldine H. Zum Zeitpunkt des Unfalles befanden sich die Kläger in Pflege und Erziehung der Mutter. Franz P leistete für die Zweitklägerin auf Grund eines Beschlusses des BG Groß-Enzersdorf vom 30. 5. 1967 S 500.- monatlich an Unterhalt. Johann H hatte auf Grund eines Beschlusses des BG Groß-Enzersdorf aus dem Jahre 1962 für den Erstkläger einen Unterhaltsbeitrag von S 250.- monatlich zu leisten. Dieser Unterhaltsbeitrag wurde ab 1. 11. 1968 auf S 350.- monatlich erhöht. Zusätzlich gab Johann H für die Kleidung seines Sohnes jährlich S 500.- im Durchschnitt aus. Leopoldine H verdiente zur Unfallszeit monatlich rund S 3000.- netto (einschließlich der Kinderbeihilfen). Soweit die Unterhaltsleistungen der Väter nicht ausreichten, sorgte die Mutter bis zu ihrem Tode für den Unterhalt der Kinder. Ihr Aufwand für jedes der Kinder kann ziffernmäßig nicht festgestellt werden. Nach dem Tode der Leopoldine H blieben die Kläger zunächst im Hause der Mutter, wo sie von Christa S betreut wurden. Für ihren Unterhalt kamen ihre Väter auf. Der Erstkläger ist seit 16. 12. 1969 bei seinem, die Zweitklägerin seit März 1969 bei ihrem Vater. Seither werden die Kläger zur Gänze von ihren Vätern in deren Haushalt erhalten. Die Zweitklägerin ist seit 1. 9. 1969 kaufmännischer Lehrling und erhält eine Lehrlingsentschädigung von S

941.90 monatlich.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß den Klägern kein unmittelbarer Schaden erwachsen sei, da mit dem Tode der Mutter die primäre Unterhaltspflicht der Väter wirksam geworden sei und auch erfüllt werde.

Auf Berufung der Kläger hob das Berufungsgericht das Urteil der ersten Instanz unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht meinte, daß auf Grund der im übrigen unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichtes noch nicht beurteilt werden könne, ob den Klägern durch den Tod der Mutter Unterhaltsleistungen entgangen seien. Der Grundsatz, daß für den Schadenersatzanspruch der vom Getöteten zur Zeit der Tötung tatsächlich geleistete Unterhalt maßgebend sei, gelte dann nicht uneingeschränkt, wenn die getötete Person zur Entlastung eines Mitverpflichteten mehr Unterhalt geleistet habe als ihrer Verpflichtung entsprochen hätte. Es sei daher nicht von dem für die Kläger festgesetzten Unterhalt, sondern von dem auszugehen, was die Kläger gemäß §§ 139, 141 ABGB als anständigen Unterhalt zu fordern gehabt hätten. Es müsse also erörtert und festgestellt werden, welche Unterhaltsleistungen den Klägern zugestanden wären, welche als Unterhalt anzusehende Leistungen die Mutter aus eigener Verpflichtung und welche sie deshalb erbracht habe, weil die Väter ihren Verpflichtungen nicht ausreichend nachgekommen seien. Als Entgang nach § 1327 ABGB werde nur das anzusehen sein, was die Kinder von der Mutter aus deren eigener Verpflichtung erhalten haben. Dabei werde auf allfällige Veränderungen in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Väter und der Kinder, sowie in den Sorgepflichten der ersteren Bedacht zu nehmen sein. Es sei nicht richtig, daß den Klägern infolge Gewährung des Naturalunterhaltes durch die Väter auf keinen Fall Unterhalt entgangen sein könne.

Der Ansicht der Beklagten, daß eine gesetzliche Verpflichtung der Mutter zur Unterhaltsgewährung nicht bestanden habe, da die Väter bei den von den Vorinstanzen festgestellten Einkommensverhältnissen nicht mittellos iS des § 143 ABGB gewesen seien und daher zur Leistung des anständigen Unterhaltes imstande gewesen wären, kann nicht beigetreten werden. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß der Begriff des nach § 1327 ABGB zu ersetzenden Unterhaltes nicht ohneweiters dem nach den §§ 91, 141 ff oder 154 ABGB gebührenden und durchsetzbaren Unterhalt gleichzusetzen ist, weil bei der freiwilligen Unterhaltsgewährung auch persönliche und sittliche Erwägungen eine Rolle spielen, sodaß ein aus diesen Gründen reichlich bemessener Unterhalt dennoch Unterhalt bleibt, und die Grundlage für eine Schadenersatzpflicht nach § 1327 ABGB bildet (SZ 26/291; ZVR 1967/161; EvBl 1969/339 ua). § 1327 ABGB umschreibt den Kreis der anspruchsberechtigten Personen. Die Grenze zwischen primärer und subsidiärer Unterhaltspflicht ist fließend (EvBl 1969/339). Aus welchen Gründen von einem Vorberufenen der Unterhalt nicht oder nicht rechtzeitig geleistet wurde, ist für die Frage, ob die subsidiäre Unterhaltspflicht der Mutter zum Tragen kam, ohne Bedeutung (Entscheidung vom 12. 5. 1961, 2 Ob 193/61). Es bedarf daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes keiner Feststellungen, welche Unterhaltsleistungen die Kläger von ihren Vätern nach §§ 139, 141 ABGB zu fordern berechtigt gewesen wären. Die Frage, ob Leopoldine H zum Unterhalt ihrer Kinder in Erfüllung ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht beigetragen hat, ist zu bejahen, da die Unterhaltsleistungen der Väter zur Befriedigung des anständigen Unterhaltes der Kinder nicht ausreichten. Die Leistungen der subsidiär unterhaltspflichtigen Mutter haben dadurch, daß sie möglicherweise über das nach dem Gesetz geschuldete Ausmaß hinausgingen, den Charakter von Unterhaltsleistungen, die in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht erbracht wurden, nicht verloren.

Unberechtigt ist auch der Einwand der Beklagten, daß die Kläger keinen Schadenersatz beanspruchen könnten, weil sie von ihren Vätern versorgt würden und von diesen zumindest dieselben Unterhaltsleistungen erhielten, die sie vor dem Tode ihrer Mutter von beiden Elternteilen zusammen erhalten haben.

Der Anspruch nach § 1327 ABGB ist kein Unterhalts-, sondern ein Schadenersatzanspruch. Als Entgang der Kläger sind dabei jene Beträge anzusehen, die die Kläger von ihrer subsidiär unterhaltspflichtigen Mutter weiter erhalten hätten, wenn sie nicht verstorben wäre. Der Anspruch der Kläger auf Ersatz dieses Entganges wird grundsätzlich nicht dadurch beeinflußt, daß andere Personen den Klägern Unterhalt leisten. Der Ersatzanspruch nach § 1327 ABGB geht, wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 38/186 ausgesprochen hat, allfälligen Unterhaltsansprüchen gegen unterhaltspflichtige Personen vor. Eine Vorteilsausgleichung unter Berufung auf die Unterhaltspflicht des Vaters kommt daher nicht in Betracht. Anders wäre es nur dann, wenn die subsidiäre Unterhaltspflicht der Mutter auch ohne das schädigende Ereignis weggefallen wäre, etwa infolge einer wesentlichen Änderung der für Unterhaltspflicht des Vaters maßgeblichen Verhältnisse. Eine solche Änderung wurde nicht festgestellt und auch gar nicht behauptet. Die von den Beklagten angestrebte Anrechnung der Unterhaltsleistungen der Väter würde zu dem von der Rechtsprechung stets abgelehnten Ergebnis führen, daß die hinterbliebenen Kinder so behandelt werden, als ob ihre Mutter eines natürlichen Todes gestorben wäre.

Der Ersatzanspruch der Kläger ist daher grundsätzlich zu bejahen. Seine Höhe wird unter den gegebenen Umständen gemäß § 273 ZPO festzusetzen sein. Da die Schadensbemessung nach § 273 ZPO rechtliche Beurteilung ist, bedarf es keiner weiteren Verhandlung in erster Instanz.

Ein Verwendungsanspruch der Väter gegen die Beklagten kommt im Falle der Befriedigung der Ersatzansprüche der Kläger durch die Beklagten nicht in Betracht. Ob die Väter nach Ersatzleistung der Beklagten von ihren Kindern den Rückersatz ihrer Leistungen beanspruchen können, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens und bedarf daher keiner Erörterung.

Da die Sache iS der vorstehenden Ausführungen spruchreif ist und der vom Berufungsgericht angenommene Aufhebungsgrund daher nicht vorliegt, war dem Rekurse Folge zu geben.

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