Spruch:
Der Unterhaltsanspruch der nach § 1327 ABGB. geschädigten Witwe gegen ihre Söhne greift erst dann Platz, wenn die Witwe den Ersatz von den Schädigern nicht erhalten kann
Entscheidung vom 5. November 1965, 2 Ob 315/65
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz
Text
Der Ehemann der Klägerin, Franz G. sen., erlitt bei einem Verkehrsunfall am 20. Juni 1960 schwere Verletzungen, an denen er am 28. Juni 1960 verstorben ist. Das Alleinverschulden trifft den Erstbeklagten, mit dem der Zweitbeklagte als Halter solidarisch haftet. Franz G. sen. war Alleineigentümer einer Landwirtschaft mit etwa 35 Joch und führte einen Landmaschinenhandel sowie eine Tankstelle mit einer Service-Station. Erben nach ihm sind die Klägerin zu 1/4 und die beiden Söhne zu je 3/8. Auf Grund eines eidesstättigen Vermögensbekenntnisses wurde der Verlassenschaftsabhandlung ein Reinnachlaß von 561.404.01 S zugrunde gelegt. Die Klägerin schloß mit ihren Söhnen ein Erbübereinkommen, wonach der Sohn Gerhard die landwirtschaftliche Liegenschaft, der Sohn Franz die gewerblichen Betriebe samt Liegenschaft ins Eigentum übernahmen, während sich die Klägerin mit 1/4 des Reinnachlasses, d.
s. 140.351 S in barem abfinden ließ. Davon übernahm zur Zahlung der Sohn Franz 100.000 S, Gerhard 40.351 S. Diese Forderungen wurden auf den Liegenschaften der Schuldner grundbücherlich mit einer jährlichen Verzinsung zu 4% sichergestellt.
Die Klägerin begehrt als entgangenen Unterhalt vom 1. Juli 1960 bis 30. Juni 1963 den Betrag von 43.467.10 S und ab 1. Juli 1963 auf Lebenszeit eine Monatsrente von 2000 S. Diese Klage hatte das Prozeßgericht mit der Klage der Klägerin und deren Söhnen gegen die beiden Beklagten zu 16 Cg 168/63 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Das Erstgericht entschied über beide Klagen, doch ist das Urteil über die Klage zu 16 Cg 168/63 bereits rechtskräftig geworden, so daß nur mehr das Rentenbegehren der Klägerin Gegenstand des Verfahrens ist.
Dieses Begehren wies das Erstgericht ab. Es gelangte zur Feststellung, daß die Klägerin vor dem Ableben ihres Mannes von diesem zwar monatlich 3000 S als Unterhalt bezogen habe, ihr aber deshalb nichts entgangen sei, weil ihr dieser Betrag auch nachher aus den Einnahmen des vom Ehemann geerbten Vermögens zugekommen wäre, wenn sie sich von den Söhnen nicht hätte abfinden lassen, sondern ihren Viertelanteil behalten hätte.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es stellte folgende Überlegungen an:
Die Klägerin könne nur den tatsächlich entgangenen Unterhalt verlangen und habe den Schaden möglichst gering zu halten. Sie habe sich nach eigener Darstellung nur im Haushalt betätigt und zu Lebzeiten ihres Mannes weder in der Landwirtschaft noch in den gewerblichen Betrieben mitgearbeitet. Die Landwirtschaft biete, ebenfalls nach der Behauptung der Klägerin, für eine vierköpfige Familie den Naturalunterhalt auf gut bürgerlicher Grundlage. Es müsse bezweifelt werden, ob die Klägerin Leistungen im Wert von 3000 S tatsächlich bezogen habe. Der nicht näher begrundeten Annahme des Erstgerichtes, wonach vom Reineinkommen des Ehemannes von monatlich 12.000 S ein Viertel auf die Klägerin entfallen sei, könne nicht beigetreten werden, weil schon nach der Lebenserfahrung anzunehmen sei, daß die in den Betrieben tätigen Söhne und insbesondere der Ehemann für sich mehr verbraucht hätten als die Klägerin. Es habe das Erstgericht die tatsächliche Lebenshaltung der Klägerin als Hausfrau im Alter von 58 Jahren ergänzend zu erörtern. Ebenso sei entscheidungswichtig, auf welche Art sie unter Bedacht auf ihre Rettungspflicht ihr Erbteil hätte nutzen müssen. Wenn das Erstgericht aus den festgestellten Mindesteinnahmen von 12.000 S, die sich, nach dem Tode des Ehemannes nicht vermindert hätten, dem Erbteil der Klägerin 1/4, d. s. 3000 S zurechne, so mangle es an der für diese Annahme erforderlichen Feststellung, daß die Söhne der in den Betrieben nicht mittätigen Klägerin dieses Viertel zur Gänze auszahlen würden bzw. dazu verpflichtet wären. Die Klägerin müsse sich so behandeln lassen, als ob ihr Ehemann eines natürlichen Todes gestorben wäre. Eine Geldabfindung, wie sie im Erbübereinkommen festgelegt worden sei, könne nicht ohne weiteres hingenommen werden. Eine Bäuerin gehe im Alter von 58 Jahren nicht ins Altenteil, sondern sei nach den Gepflogenheiten in der Südsteiermark bestrebt, die Betriebe des Ehemannes weiterzuführen, auch wenn ihr die Fachkenntnisse dazu fehlten. Habe sie aber, wie die Klägerin, Söhne, die sich als Betriebsführer eigneten, dann überlasse sie diesen wohl die Führung, beteilige sich aber an den Betrieben. Diesfalls sei nicht der Reinertrag zu vierteln, sondern zu berücksichtigen, daß die Söhne als Betriebsführer eine entsprechende Entlohnung beanspruchen könnten. Sollte sich aber eine Bäuerin im Alter der Klägerin nach Ortsgewohnheit zur Übergabe entscheiden, dann werde das ortsübliche Ausgedinge zu bewerten und bei Berechnung des Unterhaltsentganges in Anrechnung zu bringen sein. Im Falle einer Geldabfindung, falls dies ortsüblich sein sollte, sei der wahre Wert des der Klägerin zugefallenen Vermögens maßgebend, nicht aber der nach einem eidesstättigen Vermögensbekenntnis errechnete Erbanteil.
Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Streitteile nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Als Entgang der Klägerin sind jene Beträge anzusehen, die die Klägerin vom Unterhaltspflichtigen weiter erhalten hätte, wenn er nicht verstorben wäre. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, es sei die hinterbliebene Witwe so zu behandeln, als ob ihr Ehemann im Unfallszeitpunkt eines natürlichen Todes gestorben wäre, kann nicht geteilt werden. Erörterungen über die ortsübliche Gepflogenheit hinsichtlich der Witwenversorgung, deren Mitarbeit in den hinterlassenen Betrieben, über eine Geldabfindung der Witwe und die Bewertung eines allfälligen Ausgedinges können daher unterbleiben. Entscheidungswichtig verbleibt vielmehr, was der Getötete der Klägerin hätte zukommen lassen, wenn er weiter am Leben geblieben wäre und was sich die Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung als Ertrag ihres Viertelanteiles an den vom Erblasser hinterlassenen Betrieben anrechnen lassen muß. Dabei kann nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes von der Witwe nicht verlangt werden, daß sie in den vom verunglückten Ehemann hinterlassenen Unternehmen über das bisherige Ausmaß hinaus mitarbeitet, um einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen. Dies kann umso weniger gefordert werden, als die Klägerin nach den Feststellungen des Erstgerichtes auch zu Lebzeiten ihres Ehemannes in den Unternehmungen nicht tätig gewesen ist. Der zu ermittelnde Ertrag aus den der Klägerin zugefallenen ideellen Anteilen wird sodann zur Vorteilsausgleichung heranzuziehen sein. Das Erbübereinkommen zwischen der Klägerin und ihren Söhnen darf den Beklagten nicht zum Nachteil gereichen. Wenn das Berufungsgericht vermeint, es seien hinsichtlich der Höhe dieses Ertrages vom Erstgerichte keine hinreichenden Feststellungen getroffen worden, weil es insbesondere nicht geprüft habe, ob und in welcher Höhe sich der Ertragsanteil infolge der durch den Wegfall des Ehemannes notwendig gewordenen Geschäftsführung durch die beiden Söhne verringere, so handelt es sich hiebei um eine Tatsachenüberprüfung, die dem Berufungsgericht als letzter Tatsacheninstanz vorbehalten ist.
Auch hinsichtlich der vom Berufungsgerichte als noch weiter aufklärungsbedürftig bezeichneten Höhe der vom Ehemann an die Klägerin erbrachten Leistungen handelt es sich um eine Tatfrage, deren Prüfung dem Berufungsgerichte, nicht aber der dritten Instanz obliegt. Von einer Bindung an eine unbekämpft gebliebene erstrichterliche Feststellung kann in diesem Belange nicht gesprochen werden, weil die in erster Instanz siegreichen Beklagten keinen Anlaß hatten, die entgegen ihrer Bestreitung in der Klagebeantwortung getroffene erstrichterliche Feststellung zu bekämpfen.
Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht die Klägerin im Zusammenhang mit der Feststellung des Erstgerichtes über die Dauer der voraussichtlichen Lebenserwartung des Verunglückten geltend. Damit bekämpft aber die Klägerin im wesentlichen nur die Beweiswürdigung der Untergerichte, die in dritter Instanz nicht mehr überprüft werden kann.
Der Rechtsansicht der Beklagten, die Witwe habe ihren mangelnden Unterhalt von den übrigen Erben zu verlangen, wobei sie sich auf die Bestimmung des § 796 ABGB. stützen, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend entgegengehalten, daß subsidiäre Unterhaltsansprüche den Schadenersatzanspruch der Klägerin nicht schmälern können. Ein Anspruch der Klägerin gegen die übrigen Erben auf Unterhalt umfaßt nur den mangelnden Unterhalt; sie hätte zunächst neben ihrem eigenen Vermögen den ihr zugekommenen Erbteil für ihren Unterhalt zu verwenden, während die übrigen Erben nur verpflichtet wären, nach Erschöpfung des Vermögens der Klägerin für den fehlenden Unterhalt aufzukommen (Klang[2] III 958; 7 Ob 158/65; SZ. XXIII 387). Die Rettungspflicht der Klägerin geht nicht soweit, daß Dritte, nämlich die erbl. Söhne, den Unterhaltsentgang der Klägerin und damit die Schadenersatzleistung des Beklagten zu verringern hätten. Der Anspruch gegen die Söhne greift erst dann Platz, wenn die Klägerin von den Beklagten den Ersatz nicht erhalten könnte. Der Ersatzanspruch der Klägerin geht vor. Eine Vorteilsausgleichung unter Berufung auf einen Unterhaltsanspruch nach § 796 ABGB. kommt sohin nicht in Betracht.
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