Spruch:
Der Fahrzeugeigentümer und Halter, der mit einer Vernachlässigung der Vorschrift des § 102 Abs 6 KFG 1967 durch die bei ihm bediensteten Fahrzeuglenker einverstanden war, kann sich nicht darauf berufen, daß die Verpflichtung zur Sicherung des Fahrzeuges vor unbefugtem Gebrauch die jeweiligen Fahrzeuglenker getroffen hätte. Er verantwortet grobe Fahrlässigkeit, wenn Kraftfahrzeuge mit seinem Einverständnis in dem durch ein offenes Tor zugänglichen Betriebsgelände seines Unternehmens mit angestecktem Zundschlüssel ohne Schutz gegen eine unbefugte Inbetriebnahme abgestellt werden
OGH 8. 11. 1972, 7 Ob 242/72 (OGH Graz 9 R 27/72; LG Klagenfurt 15 Cg 189/71)
Text
Der Kläger hatte den ihm gehörigen, in seinem Werk verwendeten LKW Renault bei der beklagten Versicherungsgesellschaft kaskoversichert. Am 26. 3. 1971 nahm der damalige Lehrling des Klägers, Franz W, dieses Fahrzeug, das mit anderen Fahrzeugen unversperrt und mit angestecktem Zundschlüssel auf dem Betriebsgelände des Klägers abgestellt war, im berauschten Zustand ohne Erlaubnis in Betrieb, fuhr aus dem Werksgelände heraus und prallte bei einem Überholversuch gegen einen Baum. Franz W, der damals 19 1/2 Jahre alt war, wurde wegen Vergehens der selbstverschuldeten vollen Berauschung nach § 523 (467b Abs 2) StG zu einer unbedingten strengen Arreststrafe und gemäß § 369 StPO zur Zahlung eines Schadensbetrages von S 5000.- an den Kläger verurteilt.
Da die Beklagte Leistungsfreiheit gemäß § 61 VersVG mit der Begründung behauptete, der Kläger habe als Halter und Eigentümer des versicherten Fahrzeuges den Schadensfall durch eine grob fahrlässige Verletzung seiner Verwahrungs- und Aufsichtspflicht herbeigeführt, beantragte der Kläger die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten auf Grund des abgeschlossenen Versicherungsvertrages für das Schadensereignis vom 26. 3. 1971.
Der Erstrichter erkannte iS des Klagebegehrens. Er traf folgende Feststellungen:
Die Betriebsliegenschaft, auf der der Kläger seit 1966 eine Schlosserei betreibt, hat eine Größe von ungefähr 3000 m2 und ist eingefriedet. Auf ihr sind ein Wohnhaus, ein Büroraum und zwei Werkshallen errichtet. Eine 6 m breite Stabeisentüre zur Gemeindestraße ist zwar versperrbar, tagsüber aber offen. Der Kläger führt seinen Betrieb im wesentlichen selbst, er hält sich berufsbedingt unregelmäßig im Büroraum auf. Er hatte zur Unfallszeit einen Werkmeister, sechs Gesellen und sieben Lehrlinge. Zur Unfallszeit hatte der Kläger fünf Werksfahrzeuge, darunter den gegenständlichen LKW Renault. Während der Arbeitszeit bleiben die Fahrzeuge, soweit sie sich nicht auf Fahrt befinden, unverschlossen im Betriebsgelände abgestellt; die Zundschlüssel stecken in den Zundschlössern, damit anfallende Werksstücke in dem hiefür geeigneten Werkswagen aus der Halle gebracht werden können. Der Werkmeister und drei Gesellen verfügten über Führerscheine. Diese hatten die Erlaubnis, die Werksfahrzeuge für Betriebszwecke zu benützen. Die Lehrlinge haben weder Führerschein noch Fahrerlaubnis.
W war von Mai bis Herbst 1968 beim Kläger als Schlosserlehrling beschäftigt und war, obwohl erst 17 Jahre alt, schon damals mehrfach wegen Verbrechens des Diebstahls vorbestraft. Im Herbst 1968 kam er von seinem Lehrplatz in eine Erziehungsanstalt, wo er bis Feber 1971 verblieb. Über Ersuchen seiner Bewährungshelferin nahm der Kläger ihn anfangs Feber 1971 wieder in seinem Betrieb auf. Dem Kläger waren die Eigentumsdelikte seines Lehrlings bekannt; er fand aber keinen Grund, W besonders zu überwachen, da sich dieser ordentlich aufführte.
Am 26. 3. 1971 trank W in der Zeit von 9 Uhr 30 bis 11 Uhr ungefähr einen halben Liter "Bauernschnaps", schlief anschließend kurze Zeit und ersuchte gegen 12 Uhr mittags eine Kameraden, ihn mit einem Kraftfahrzeug heimzuführen. Da sich die Lehrlinge unter Hinweis auf das Fehlen von Führerschein und Fahrerlaubnis weigerten, dies zu tun, setzte sich W ohne Erlaubnis in den LKW Renault, um mit diesem heimzufahren. W fuhr in seinem betrunkenen Zustand mit dem Fahrzeug gegen einen Baum, wodurch der Kraftwagen erheblich beschädigt und W verletzt wurde. Der Werkmeister G erfuhr von diesem Unfall erst durch den Gendarmerieposten W; der Kläger selbst befand sich am Unfallstag von 9 Uhr bis gegen 13 Uhr in K.
Rechtlich führte der Erstrichter aus, die bloße Ermöglichung der unbefugten Inbetriebnahme eines Fahrzeuges genüge nicht für die Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 61 VersVG. Es sei vielmehr eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht erforderlich, die nur dann anzunehmen sei, wenn der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich zu besorgen sei. Es sei wohl richtig, daß das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf Straßen und auch auf einem Betriebsgelände in nicht versperrtem Zustand mit angestecktem Schlüssel als grobe Fahrlässigkeit zu werten sei. Die streng auszulegende Bestimmung des "§ 85 Abs 6 KFG" treffe aber den Lenker eines Fahrzeuges und nicht den Kläger als Fahrzeughalter.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Eintritt des Versicherungsfalls grob fahrlässig herbeigeführt. Er wäre verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, daß keines seiner Fahrzeuge von Unbefugten in Betrieb genommen wird. Eine besondere Vorsicht wäre schon wegen der in seinem Betrieb beschäftigten sieben Lehrlinge ohne Führerschein erforderlich gewesen. Darüber hinaus sei dem Kläger die Unzuverlässigkeit und kriminelle Vergangenheit des Franz W bekannt gewesen. An die Verwahrungspflicht des Klägers seien daher besondere Anforderungen zu stellen, die nicht durch einen Hinweis auf nicht unbedeutende Verzögerungen bei der Arbeit abgeschwächt werden könnten. Der Kläger habe daher grob fahrlässig gegen § 102 KFG verstoßen, was die Leistungsfreiheit des Versicherers iS des § 61 VersVG nach sich ziehe.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger ist der Ansicht, er habe schon deshalb die Unterlassung der Verpflichtung zur Sicherung seines Fahrzeuges nicht zu vertreten, weil er nicht Lenker dieses Fahrzeuges gewesen sei und sich die Vorschrift des § 102 Abs 6 KFG 1967 ausschließlich auf den Lenker beziehe. Die Repräsentationstheorie werde von der österreichischen Rechtsprechung abgelehnt.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Der Kläger gibt in seiner Revision selbst zu, daß die in seinem Betrieb verwendeten Kraftfahrzeuge mit seiner Billigung während der Betriebszeit mit angestecktem Zundschlüssel auf dem Betriebsgelände bereitstanden. Die jeweiligen Lenker der Kraftfahrzeuge handelten daher im Einverständnis mit dem Kläger als Fahrzeughalter, wenn sie den Zundschlüssel auch während der Zeit im Zundschloß beließen, die sie sich vom Kraftfahrzeug entfernten, ohne es überwachen zu können. Der Kläger, der mit einer Vernachlässigung der Vorschrift des § 102 Abs 6 KFG 1967 durch die bei ihm bediensteten Fahrzeuglenker einverstanden war, kann sich nun nicht darauf berufen, daß die Verpflichtung zur Sicherung des Fahrzeuges vor unbefugtem Gebrauch die jeweiligen Fahrzeuglenker betroffen hätte.
Den weiteren Ausführungen der Revision ist entgegenzuhalten, daß nach ständiger Rechtsprechung (ZVR 1970/153, SZ 40/64 ua) an die Sorgfaltspflicht zur Verhinderung einer Schwarzfahrt strengste Anforderungen zu stellen sind. Eine Vernachlässigung dieser Sorgfaltspflicht des Versicherungsnehmers befreit den Versicherer gemäß § 61 VersVG bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit von seiner Leistungspflicht (ein Vorsatz scheidet für diesen Fall aus). Für die Beurteilung, ob die Fahrlässigkeit grob ist, kommt es stets auf den Einzelfall an (SZ 38/138 uva). Der Kläger meint, eine grobe Fahrlässigkeit sei ihm nicht anzulasten, weil die Fahrzeuge in dem umzäunten Hof seines Betriebsgeländes abgestellt gewesen seien, weil er keinen Anlaß gehabt habe, seinen Lehrlingen, die sich bis dahin tadellos verhalten hatten, zu mißtrauen, weil es zu der Schwarzfahrt des W nicht gekommen wäre, wenn dieser nicht betrunken gewesen wäre und weil ihm eine Sicherung seiner Betriebsfahrzeuge durch das jeweilige Abziehen und Deponieren des Zundschlüssels aus innerbetrieblichen Gründen nicht zumutbar gewesen sei.
Wenn auch die Fahrzeuge auf dem umzäunten Betriebsgelände standen, so stand doch das Tor für die Ein- und Ausfahrt in dieses Betriebsgelände tagsüber offen; es wurde nicht einmal behauptet, daß ein Torwärter zur Überprüfung des Ein- und Ausfahrens eingeteilt gewesen wäre. Der Lehrling W war im Zeitpunkt des Schadensfalles nicht schon derart lange Zeit beim Kläger tätig, daß dieser sich hätte ein Urteil über dessen Verläßlichkeit bilden können. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen war W trotz seines Alters von 17 Jahren bereits mehrmals wegen Verbrechens des Diebstahls vorbestraft. Er wurde vom Kläger, nachdem er im Jahre 1968 knapp 6 Monate als Schlosserlehrling beschäftigt war, nach rund zweieinhalbjährigem Aufenthalt in einer Erziehungsanstalt wieder eingestellt und war sodann zirka eineinhalb Monate bis zum Unfall beim Kläger tätig. Sein Wohlverhalten während dieser eineinhalb Monate rechtfertigte nicht die Annahme seiner Verläßlichkeit. Dazu kommt, daß außer W noch sechs weitere Lehrlinge beim Kläger beschäftigt waren und daß deren Überwachung durch den Kläger, seinen Werkmeister oder die Gesellen nicht sehr intensiv gewesen sein kann, da es sonst nicht möglich wäre, daß W und drei weitere Lehrlinge in der Zeit von 9 Uhr 30 bis 11 Uhr Schnaps tranken.
Aus welchen Gründen und in welchem Zustand W den LKW in Betrieb setzte, ist für die Beurteilung des Verschuldensgrades des Klägers ohne Bedeutung, da ausschlaggebend lediglich die Tatsache ist, daß es W infolge des Unterlassens jeglicher Sicherung der Fahrzeuge möglich wurde, einen LKW in Betrieb zu setzen. Wenn auch kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Volltrunkenheit des W und dem Unterlassen einer sicheren Verwahrung der Zundschlüssel besteht, so ist der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem ungenügenden Verwahren der Fahrzeuge und der dadurch geschaffenen und von W ausgenützten Möglichkeit, das Fahrzeug in Betrieb zu setzen, jedenfalls gegeben.
Auch die Behauptung, ein Abziehen und ein Verwahren der Zundschlüssel der abgestellten Fahrzeuge sei dem Kläger aus innerbetrieblichen Gründen nicht zuzumuten gewesen, rechtfertigt nicht eine andere Beurteilung des Verschuldens des Klägers. Selbst wenn unter ähnlichen Verhältnissen das Steckenlassen des Zundschlüssels ortsüblich wäre, so würde diese als Unsitte zu wertende und dem Gesetz widersprechende Übung das Verschulden des Klägers nicht mindern.
Nach Lehre und Rechtsprechung (Ehrenzweig, Versicherungsvertragsrecht, 266, SZ 25/32, EvBl 1966/520, SZ 42/71
ua) ist grobe Fahrlässigkeit eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die sich aus der Menge der - auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren - Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als auffallende heraushebt. Der Vorwurf einer derartigen auffallenden Sorglosigkeit ist dem Kläger zu machen. Die im Hof mit dem Zundschlüssel abgestellten Fahrzeuge waren im Ergebnis überhaupt nicht gegen eine unbefugte Inbetriebnahme geschützt. Der Schutz durch die Umzäunung des Betriebsgeländes wurde durch das tagsüber offenstehende unbewachte Tor illusorisch. Daß ein Teil des Betriebsgeländes vom Büroraum oder von der ersten Werkshalle aus übersehbar ist, genügte nicht, da die dort tätigen Personen nicht ihre ungeteilte Aufmerksamkeit den Vorgängen auf dem Betriebsgelände widmen konnten, und überdies die Gefahr bestand, daß ihre Sicht durch eines der abgestellten Fahrzeuge behindert wird. Der Kläger mußte daher bei objektiver Beurteilung der Lage mit der Möglichkeit der Benützung eines seiner Fahrzeuge entweder durch einen Fremden oder durch einen Betriebsangehörigen rechnen. Die Anordnung, die Zundschlüssel von den abgestellten Fahrzeugen zu entfernen, war dem Kläger nicht nur möglich und zumutbar, sondern mit Rücksicht auf die mangelnde Sicherheit auch als erforderlich erkennbar. Das Betriebsgelände mit seinem Ausmaß von ungefähr 3000 m2 ist keinesfalls derart weitläufig, daß eine fallweise Verwahrung der Zundschlüssel im Büroraum betrieblich nicht tragbar gewesen wäre. Zutreffend hat auch das Berufungsgericht auf die Möglichkeit einer Verteilung der Zundschlüssel für sämtliche Kraftfahrzeuge an die in Betracht kommenden Fahrer verwiesen.
Der Hinweis, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß auch einer der zentral verwahrten Zundschlüssel von einem Unbefugten verwendet werden könnte, ist zwar gerechtfertigt. Es wird auch von der Rechtsprechung nicht verkannt, daß eine völlig verläßliche Absicherung eines Fahrzeuges gegen eine unbefugte Inbetriebnahme beinahe ausgeschlossen ist. Wurden die möglichen, zumutbaren und erforderlichen Sicherungsmaßnahmen aber getroffen, kann weder dem Lenker noch dem Halter der Vorwurf eines grob fahrlässigen Vorgehens gemacht werden. Im vorliegenden Fall hat jedoch der Kläger die primitivste Sicherung des Fahrzeuges gegen Wegnahme, nämlich das Entfernen des Zundschlüssel, unterlassen.
Das Berufungsgericht hat daher zutreffend die Ansicht vertreten, daß die Beklagte leistungsfrei ist.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)