OGH 4Ob72/71

OGH4Ob72/715.10.1971

SZ 44/152

 

 

Spruch:

Die Reisegebühren sind grundsätzlich kein Entgelt für geleistete Arbeitszeit, sondern eine Vergütung für den mit der Änderung des Arbeitsplatzes verbundenen Mehraufwand an Kosten für Fahrt, Verpflegung, Bekleidung usw

Die Zeit, die der Dienstnehmer braucht, um den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte zurückzulegen, ist grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen, weil sie vor Dienstbeginn oder nach Dienstende liegt. Daß sie zu vergüten oder als Überstundenleistung zu behandeln wäre, kann aus den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes nicht abgeleitet werden

 

OGH 5. 10. 1971, 4 Ob 72 - 74/71 (LGZ Wien 44 Cg 54/71; ArbG Wien 8 Cr 538/70)

 

Begründung:

Die Kläger sind Dienstnehmer der Beklagten, auf deren Dienstverhältnis die Dienstordnung für die in den Verwaltungsdienststellen der österreichischen Sozialversicherungsträger beschäftigten Arbeiter (DO Arb) anzuwenden ist. Ihr Dienstort ist W, wo im Jahre 1970 ihre Normalarbeitszeit am Montag von 7.30 Uhr bis 17.00 Uhr und von Dienstag bis Freitag von 7.30 Uhr bis 15.30 Uhr dauerte. In diesem Jahre wurden sie eine Zeitlang zu Arbeitsleistungen an das Rekonvaleszentenheim P, einem Ort außerhalb des Dienstortes iS der DO Arb, beordert. Sie fuhren während dieser Zeit täglich mit Massenverkehrsmitteln von ihrem Wohnort W an den Dienstort und wieder zurück. Die Kläger begehren die Entlohnung dieser Fahrzeiten als Überstundenleistung.

Die Beklagte macht geltend, daß die Kläger nur Anspruch auf Reisekosten nach der DO Arb hätten - die ohnehin gezahlt worden seien -, nicht aber auch auf Vergütung der Reisezeit als Überstundenleistung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil die Kläger nicht eine Dienstreise verrichtet hätten, da darunter nur die einmalige oder gelegentliche An- und Rückreise zum oder vom Ort der Dienstverrichtung verstanden werden könne, so daß die Sonderbestimmungen der DO Arb für Dienstreisen im vorliegenden Fall nicht anwendbar seien. Daher seien die Reisezeiten, die vor und nach Beginn der Normalarbeitszeit gelegen waren, als Überstunden zu entlohnen.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes nach Neudurchführung der Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG dahin ab, daß die Klagebegehren abgewiesen wurden. Es ging davon aus, daß § 58 der DO Arb die Überstundenentlohnung ganz allgemein regle, während § 60 Abs 2 der DO Arb bestimme, daß ein Anspruch auf Überstundenentlohnung dann nicht bestehe, wenn Gebühren nach der Gebührenordnung (Reisekosten und Reisezulagen) zustehen; eine Ausnahme davon gelte nach § 60 Abs 3 DO Arb nur für die Zeit der effektiven Dienstleistung außerhalb des Dienstortes vor Dienstbeginn oder nach Dienstschluß. Die Reisen vom Wohnort der Kläger nach P seien offenbar keine Privatreisen gewesen, so daß sie als Dienstreisen anzusehen seien. Deshalb hätten die Kläger Anspruch auf Gebühren nach der Gebührenordnung der DO Arb, so daß ein Anspruch auf Überstundenentlohnung nach der angeführten Bestimmung entfalle. Die Ausnahme des § 60 Abs 3 DO Arb (effektive Dienstleistung vor Dienstbeginn oder nach Dienstschluß) liege nicht vor. Nach dem Willen der Kollektivvertragsparteien, welche die DO Arb abgeschlossen haben, trete bei solchen Dienstreisen, wie sie die Kläger zwischen Dienstort und Wohnort ausführten, an die Stelle der Überstundenzahlung eine Gebühr nach der Gebührenordnung. Auch aus den Bestimmungen der DO Arb über den Anspruch auf eine Abordnungszulage oder (weil der tägliche Rückkehr an den Wohnort möglich ist) einen Verpflegungszuschuß könne nicht abgeleitet werden, daß daneben auch noch eine Überstundenentlohnung zustehe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die DO Arb regelt im Abschnitt II unter A Lohnordnung (§§ 49 bis 59) die Dienstbezüge und unter B Gebührenordnung (§§ 60 bis 69) die Vergütungen für Dienstleistungen außerhalb der Dienststelle am Dienstort oder außerhalb des Dienstortes (sowie Übersiedlungsgebühren). Zur Bezahlung von Überstunden bestimmt § 58 DO Arb, daß für jede angeordnete Überstunde ein Zuschlag (in verschiedener Höhe nach Ausmaß und Art der Überstundenleistung) gebührt. Diese Regelung entspricht der Bestimmung des § 10 Arbeitszeitgesetz, BGBl 1969/441 (die für den strittigen Sachverhalt unwesentliche Novelle, BGBl 1971/238, tritt erst mit 1. 1. 1972 in Kraft). § 12 DO Arb legt nur das Ausmaß der wöchentlichen und täglichen Normalarbeitszeit fest und bestimmt noch, daß über die Notwendigkeit von "Überstunden" der leitende Angestellte oder der zuständige Dienstvorgesetzte entscheidet. Die DO Arb enthält aber keine Bestimmung darüber, was als Arbeitszeit und als Überstundenarbeit zu beurteilen ist. Zur Auslegung dieser Begriffe müssen daher die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes herangezogen werden. Darnach ist die Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen (§ 2 Arbeitszeitgesetz), wobei allenfalls auch bloße Arbeitsbereitschaft als Arbeitszeit zu werten ist (vgl § 5 Arbeitszeitgesetz, 4 Ob 37/66, Arb 8254 = ZAS 1968, 46, und dazu Rainer aaO 49). Eine Überstundenarbeit liegt vor, wenn entweder die Grenzen der zulässigen Wochenarbeitszeit oder der täglichen Arbeitszeit überschritten werden (§ 6 Arbeitszeitgesetz). Dem entspricht, daß auch im § 58 DO Arb der regelmäßigen Wochenarbeitszeit" die "Überstunden" gegenübergestellt werden. Da im vorliegenden Fall feststeht, daß die Reisezeiten der Kläger von ihrem Wohnort zum Dienstort und zurück außerhalb der regelmäßigen Wochenarbeitszeit lagen, ist zunächst zu prüfen, ob diese Reisezeit überhaupt Arbeitszeit iS des Arbeitszeitgesetzes war, weil nur dann von einer Überschreitung der Normalarbeitszeit gesprochen werden kann (vgl Henrich, Überstunde, ÖJZ 1950, 321 f). Nur dann könnte auch von einer Überstundenleistung iS des § 58 DO Arb und davon gesprochen werden, daß durch eine allfällige Versagung eines Anspruches auf Überstundenentlohnung durch die Gebührenordnung der DO Arb Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes, wie die Revision meint, verletzt worden seien.

Die strittigen Reisezeiten sind aber nicht als Überstunden iS des Arbeitszeitgesetzes und der DO Arb anzusehen. Die Zeit, die der Dienstnehmer braucht, um den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte zurückzulegen, ist nämlich grundsätzlich nicht als Arbeitszeit zu beurteilen, weil sie vor Dienstbeginn oder nach Dienstende liegt (vgl 4 Ob 50/68, ZAS 1969, 66). Dies ergibt sich auch deutlich aus der bereits erwähnten Bestimmung des § 2 Arbeitszeitgesetz über den Begriff Arbeitszeit, worunter die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen zu verstehen ist (vgl auch Arb 6661).

Daß die Zeit, die der Dienstnehmer auf dem Weg zur und von der Arbeit verbringt, zu vergüten oder als Überstundenleistung zu behandeln wäre, kann daher aus den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes nicht abgeleitet werden. Ob und wieweit solche Reisezeiten zu vergüten sind, hängt vielmehr in erster Linie von den getroffenen Vereinbarungen ab. Im vorliegenden Fall sind die Bestimmungen der DO Arb maßgebend. Ob bei Fehlen entsprechender Vereinbarungen eine angemessene Vergütung für solche Reisezeiten zusteht, ist hier nicht zu prüfen.

Nach der DO Arb steht die begehrte Vergütung nicht zu.

Daraus, daß die DO Arb für den Fall der Zuweisung eines Arbeitsplatzes außerhalb des Dienstortes einen Anspruch des Dienstnehmers auf Reisegebühren festlegt, kann nicht geschlossen werden, daß die Reisezeit auch als Arbeitszeit und damit allenfalls als Überstundenleistung zu gelten habe. Die Reisegebühren sind grundsätzlich kein Entgelt für geleistete Arbeitszeit, sondern eine Vergütung für den mit der Änderung des Arbeitsplatzes verbundenen Mehraufwand an Kosten für Fahrt, Verpflegung, Bekleidung usw (Arb 6661). Daß im Rahmen der Gebührenordnung ausdrücklich erwähnt wird, eine Überstundenentlohnung stehe neben dem Anspruch auf diese Gebühren nicht zu, kann nicht dahin verstanden werden, daß die DO Arb die Gesamtzeit des Aufenthaltes außerhalb des Dienstortes als Zeit der Arbeitsleistung festlegen will. § 60 Abs 3 der DO Arb, wonach eine Überstundenentlohnung bei Dienstverrichtung außerhalb des Dienstortes nur für die Zeit der effektiven Dienstleistung (ausgenommen die Reisezeit und die Zeit der Nächtigung), die vor dem Dienstbeginn oder nach dem Dienstschluß des betreffenden Tages liegt, gebührt, läßt deutlich das Gegenteil erkennen. Dafür, daß die DO Arb im § 60 mit dem Ausdruck "als Vergütung für angeordnete Dienstleistungen außerhalb der Dienststelle am Dienstort und für angeordnete Dienstreisen" die in der Gebührenordnung festgelegten Ansprüche nicht als Entgelt für die Arbeitsleistung an sich, sondern als Vergütung für den damit verbundenen Mehraufwand verstanden haben will, spricht auch, daß der Abschnitt, der diese Bestimmung enthält, vom Abschnitt über die Entlohnung der Arbeitsleistung einschließlich der Überstundenleistung (A Lohnordnung) getrennt wurde. § 60 Abs 3 der DO Arb bedeutet somit nur eine Klarstellung dahin, daß die Reisezeit nicht als Arbeitszeit und Grundlage für eine Überstundenentlohnung anzusehen ist. Dies ist, wie bereits hervorgehoben wurde, jedenfalls für die täglichen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz auch kein Widerspruch zu den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes. Daß die Reisezeit bei der Berechnung der Höhe des Taggeldes berücksichtigt wird (§ 65 Abs 3 DO Arb), besagt nicht, daß sie auch als Arbeitszeit zu behandeln ist. Ihre Berücksichtigung beim Taggeld ist vielmehr dadurch begründet, daß mit einer längeren Reisezeit regelmäßig auch ein größerer Reiseaufwand, der auch durch das Taggeld abgegolten werden soll, verbunden ist. Daß bei kurzer Abwesenheit vom Dienstort (bis zu vier Stunden) an Stelle eines Taggeldes die Behandlung der Reisezeit, wenn sie außerhalb der normalen Dienstzeit liegt, "als" Überstundenleistung festgelegt ist, bedeutet nur eine besondere Bestimmung über die Art der Berechnung der Vergütung, rechtfertigt aber nicht den Schluß, daß damit die Zeit einer Abwesenheit iS der Gebührenordnung allgemein und grundsätzlich auch als Arbeitszeit und allenfalls Überstundenarbeit zu betrachten wäre. Dies ergibt sich daraus, daß sich diese Regelung unter den Bestimmungen über die Höhe der Reisezulagen und ihre Berechnung befindet. Dieser Zusammenhang zwingt zu der Folgerung, daß auch diese Bestimmung nur als Regelung der Höhe der Vergütung für den Aufwand bei dienstlicher Abwesenheit vom Dienstort für einen bestimmten Fall angesehen werden muß.

Die Revision ist weiter der Ansicht, daß die Kläger für eine Dienstleistung außerhalb des Dienstortes "abgeordnet" iS des § 68 DO Arb gewesen seien, eine solche Abordnung aber nicht unter den Begriff einer Dienstreise falle und daher auch keine "Reisezeit" iS der Bestimmungen über die Dienstreisen damit verbunden sein könne; daraus folge, daß die Fahrzeiten als Zeiten der "effektiven" Dienstleistung zu werten seien, weil § 60 Abs 3 DO Arb nur Reisezeiten und Zeiten der Nächtigung einerseits und die effektive Dienstzeit anderseits kenne. § 60 Abs 3 DO Arb stellt aber, wie bereits erwähnt, nur klar, daß die Reisezeit nicht als Arbeitszeit zu beurteilen ist; dies gilt, da § 60 DO Arb "allgemeine Bestimmungen" für die in der Gebührenordnung behandelten Fälle dienstlicher Abwesenheit von der Dienststelle oder vom Dienstort behandelt, für alle Dienstverrichtungen außerhalb des Dienstortes, mögen sie als eigentliche Dienstreisen oder Abordnungen oder ähnliches angesprochen werden. Diese Bestimmung legt somit auch für den Fall einer Abordnung fest, daß nur die Zeiten der effektiven Dienstleistung vor Dienstbeginn oder nach Dienstschluß als Überstunden entlohnt werden. Daß die täglichen Fahrten zwischen Wohnort und Dienstort im Falle einer Abordnung als Arbeitszeit und allenfalls Überstundenleistung zu beurteilen wären, kann somit aus der Bestimmung nicht abgeleitet werden. Es ist daher für die Kläger auch dann nichts gewonnen, wenn sie während der strittigen Zeit als zur Dienstleistung nach P "abgeordnet" anzusehen wären.

Da die Zeit für die Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsort nach dem Gesetz nicht als Arbeitszeit gilt, die Beurteilung dieser Zeiten als Dienstzeiten auch nicht aus der DO Arb abgeleitet werden kann und eine einzelvertragliche Vereinbarung über eine solche Behandlung nicht behauptet wurde, ist das Begehren der Kläger auf Bezahlung dieser Zeit als Überstunden mit Recht abgewiesen worden.

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