OGH 4Ob37/66

OGH4Ob37/6621.6.1966

SZ 39/112

Normen

Arbeitszeitordnung §2 (1)
Arbeitszeitordnung §3 (1)
Arbeitszeitordnung §7 (2)
Arbeitszeitordnung §15
Dienstordnung für Ärzte in Krankenanstalten der Sozialversicherungsträger §42
Kollektivvertragsgesetz §2
Kollektivvertragsgesetz §17
Arbeitszeitordnung §2 (1)
Arbeitszeitordnung §3 (1)
Arbeitszeitordnung §7 (2)
Arbeitszeitordnung §15
Dienstordnung für Ärzte in Krankenanstalten der Sozialversicherungsträger §42
Kollektivvertragsgesetz §2
Kollektivvertragsgesetz §17

 

Spruch:

Arbeit - Arbeitsbereitschaft - Rufbereitschaft (Dienstbereitschaft)

Entscheidung vom 21. Juni 1966, 4 Ob 37/66

I. Instanz: Arbeitsgericht Leoben; II. Instanz: Kreisgericht Leoben

Text

Unbestritten blieb, daß die Kläger am Unfallkrankenhaus der beklagten Partei in K. als Sekundarärzte beschäftigt sind, daß ihre Dienstverhältnisse ungekundigt sind und auf diese die Bestimmungen der Dienstordnung für die in den Krankenhäusern und Heilstätten der österreichischen Sozialversicherungsträger beschäftigten Ärzte (DO.- ArztK.) Anwendung finden.

Die Kläger begehren, die Beklagte zur Zahlung der eingeschränkten Beträge von 43.144.31 S bzw. 42.822.52 S und 41.249.01 S s. A. zu verurteilen. Sie führen zur Begründung an, daß sie nach § 41 (2) DO.-ArztK. zur Leistung bis zu acht Nachtdiensten innerhalb vier Wochen in der Dauer von je acht Stunden verpflichtet seien, wofür ihnen pro Nachtdienst 140 S unter Ausschluß einer Überstundenentlohnung gebührten. Darüber hinaus seien sie zu weiteren Nachtdiensten herangezogen worden, wofür sie jeweils nur einen Betrag von 54 S, später 59 S je Nachtdienst erhalten hätten. Für eine Beanspruchung, die über die im § 42 (2) DO.-ArztK. vorgesehenen Leistungen hinausgehe, gebühre ihnen ein Mehrarbeitszuschlag, nämlich die im § 42 (4) DO.-ArztK. vorgesehene Überstundenentlohnung.

Die beklagte Partei beantragt, das Begehren abzuweisen, und wendet ein, bei den Nachtdienstleistungen, für die nunmehr von den Klägern Überstundenentlohnung begehrt werde, handle es sich nicht um Nachtdienste im Sinn der Bestimmung des § 42 (2) DO.-ArztK., sondern um Bereitschaftsdienste. Die Aufgabe des Bereitschaftsdienst versehenden Arztes erschöpfe sich darin, den im Nachtdienst stehenden Arzt im Bedarfsfall zu unterstützen. Seine ständige Anwesenheit im Krankenhaus sei nicht erforderlich, er habe sich lediglich im Ortsgebiet von K. jederzeit erreichbar aufzuhalten. Er werde in der Regel nur zur sofortigen Wundversorgung der während des Nachtdienstes mit schweren Verletzungen eingelieferten Patienten oder zum operativen Eingriff zur Nachtzeit herangezogen. Dies geschehe höchstens einmal in jedem zweiten Bereitschaftsdienst. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ging von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:

Am Ende eines Monats werde jeweils für den nächsten Monat der sogenannte Dienstplan erstellt, aus dem sich ergebe, welcher der Ärzte jeweils zum Dienst eingeteilt sei. Dieser ärztliche Dienst zerfalle in einen Haupt- und in einen Bei- oder Bereitschaftsdienst. Haupt- und Bereitschaftsdienst dauerten jeweils 24 Stunden, und zwar von 6 Uhr bis zur gleichen Zeit des nächsten Tages. Während der Nachtzeit (22 Uhr bis 6 Uhr) habe jener Arzt, der den Hauptdienst verrichte, im Krankenhaus anwesend zu sein und trage die volle Verantwortung für alle Vorkommnisse im Haus. Der zum Bereitschaftsdienst eingeteilte Arzt habe während dieser Zeit zwar keine Pflicht zur Anwesenheit im Hause, doch habe er sich ständig abrufsbereit und an solchen Stellen innerhalb des Ortsgebietes von K., das er während dieser Zeit nicht verlassen dürfe, aufzuhalten, an denen er sofort erreichbar sei, um den Hauptdienst verrichtenden Arzt bei der Behandlung von Patienten zu unterstützen. Es komme auch vor, daß der Arzt des Bereitschaftsdienstes vollkommen selbständig Patienten versorge, weil der Hauptdienst verrichtende Arzt andere Arbeiten zu erfüllen habe. In diesem Fall treffe den Bereitschaftsdienst versehenden Arzt auch die volle Verantwortung.

Außer Streit wurde gestellt, daß die Kläger mit der Beklagten am 2. April 1959 ein Pauschale für den Bereitschaftsdienst von 50 S pro Nacht vereinbart haben, und zwar gleichgültig, ob die Mithilfe erforderlich sei oder nicht. Dieser Betrag habe sich ab 1. April 1960 auf 54 S und ab 1. August 1961 auf 59 S erhöht. Von der Klage seien 137 Bereitschaftsdienste des Erstklägers, 133 des Zweitklägers und 141 des Drittklägers umfaßt.

Das Berufungsgericht folgerte aus diesen Feststellungen, daß die Kläger, wenn sie zum Nachtbeidienst eingeteilt waren, nicht frei über sich verfügen konnten. Sie seien ortsgebunden gewesen und mußten sich für ihren verantwortungsvollen ärztlichen Einsatz bereit halten, insbesondere Alkoholkonsum meiden und trachten, sich nicht durch schwere Arbeit zu ermüden. Außerdem gelte, was die Nachtruhe betreffe, für den Nachthauptdienst und Nachtbeidienst im wesentlichen dasselbe, beide Ärzte konnten unter Umständen auch die Nacht durchschlafen. Es sei daher nicht prozeßentscheidend, ob die Kläger fast regelmäßig oder sehr häufig während des Nachtbeidienstes als Ärzte tätig werden mußten oder, wie die Beklagte unter Beweis stellte, der tatsächliche Einsatz nicht besonders häufig gewesen sei. Unter Arbeitszeit sei aber die Bereitstellung der Arbeitskraft während einer bestimmten Zeit zu verstehen. Die Beklagte habe im vorliegenden Fall die Arbeitskraft der Kläger insofern in Anspruch genommen, als sie es ihnen während der Einteilung zum Nachtbeidienst unmöglich machte, einer ihnen passenden Beschäftigung nachzugehen oder sonst über ihre Zeit frei zu verfügen. Für die Zeit dieser Inanspruchnahme sei vom Dienstgeber daher der volle Lohn zu entrichten, der im vorliegenden Fall in der von der DO.-ArztK. vorgesehenen Überstundenentlohnung bestehe. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung, wonach pro Nachtbeidienst 54 S bzw. 59 S zu bezahlen seien, sei gemäß § 17 (3) KollVG. ungültig, weil sie für den Dienstnehmer ungünstiger sei, als die durch die DO.-ArztK. getroffene Regelung der Überstundenentlohnung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an dieses Gericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Beide Untergerichte berufen sich zur Stützung ihrer Auffassung, daß die Zeit der Bereitstellung der Arbeitskraft als Arbeitszeit zu werten sei, auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 14. Mai 1957, 4 Ob 54/57 = Arb. 6661, übersehen dabei aber, daß dieser Entscheidung ein andersgelagerter Sachverhalt zugrunde lag. Dort hatte ein Bühnenarbeiter bei einem außerhalb seines Beschäftigungsortes stattfindenden Gastspiel seines Theaters mitzuwirken und begehrte für die auf die Bahnreise aufgewendete Zeit Überstundenentgelt. Durch diese vom Dienstgeber aufgetragene Dienstreise war der Dienstnehmer außer Stand gesetzt, über die betreffende Zeit frei zu verfügen, er war durch die Reise davon abgehalten, die Zeit zur Verrichtung allfälliger anderer Arbeiten zu verwenden. Der Dienstgeber mußte ihm daher die mit der Reise geopferte Zeit als Arbeitszeit entgelten. Sie war für den Dienstnehmer als Freizeit völlig verlorengegangen.

Im vorliegenden Fall aber handelt es sich nicht um eine verlorene Freizeit, die Kläger waren nur insofern in ihrer Freizügigkeit gebunden, als sie den Ortsbezirk von K. nicht verlassen durften und jederzeit erreichbar sein mußten. Vom Vorliegen einer Arbeitsbereitschaft im Sinn des § 7 (2) AZO. kann nicht ausgegangen werden. Bei der Begriffsbestimmung spielt es keine Rolle, ob die Arbeitszeitordnung im Hinblick auf die im § 1 (3) letzter Satz genannte, für das Pflegepersonal geltende Vdg. vom 13. Februar 1924, DRGBl. I S. 66 (Vdg. vom 23. Jänner 1940, DRGBl. I S. 233) hier unmittelbar anwendbar ist. Unter Arbeitsbereitschaft versteht man Achtsamkeit im Zustand der Entspannung (vgl. Kummer, Lehrbuch des Arbeitsrechtes, S. 58, 232, Mathes, Arbeitsbereitschaft, RdA. 1960, S. 105, 134 ff., Nikisch, Arbeitsrecht[3] I. S. 289 f.). Von Achtsamkeit kann dann nicht gesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort, wenn auch nur im Gemeindegebiet, selbst wählen kann und den Arbeitgeber nur davon unterrichten muß, damit dieser ihn erreichen kann. Es lag bei den Klägern daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes keine Arbeitsbereitschaft, sondern nur ein Bereitschaftsdienst in Form der sogenannten Rufbereitschaft vor. Im Gegensatz zur Dienstbereitschaft ist die Arbeitsbereitschaft, die die körperliche Anwesenheit an der Arbeitsstelle oder doch in ihrer unmittelbaren Nähe verlangt, wohl ein Teil der Arbeitsleistung, jedoch eine solche minderen Grades in körperlicher oder geistiger Hinsicht (Denecke, Arbeitszeitordnung[5], S. 112 ff., Frey, Arbeitsbereitschaft, Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienst, S. 13, 44 f.). So liegt z. B. bei einem Arbeiter Arbeitsbereitschaft vor, der eine laufende Maschine nach ihrer Inbetriebsetzung zu beaufsichtigen hat und nur dann tätig werden muß, wenn sich ein Fehler zeigt. Seine Anwesenheit an der Betriebsstätte ist daher notwendig, Die Bestimmung des § 7

(2) AZO. gibt die Möglichkeit, die Arbeitszeit zu verlängern, wenn sie regelmäßig oder in erheblichem Umfang von der bloßen Arbeitsbereitschaft ausgefüllt ist. Gleichwohl läßt sich aus der Bestimmung des § 15 AZO. nicht ableiten, daß die Arbeitsbereitschaft unbedingt als voll zu honorierende Arbeitszeit anzusehen wäre (OGH. vom 25. November 1958, 4 Ob 100/58 = Arb. 6954). Die Dienstbereitschaft hingegen ist nicht die Arbeitsleistung selbst, sondern eine andere Leistung und kann daher auch nicht Arbeitszeit im Sinn des § 2 (1) oder des § 3 (1) AZO. sein. Die gegenteilige Auffassung würde sonst unter Umständen zu einer ununterbrochenen Arbeitszeit von 24 Stunden und mehr führen. Damit ist durchaus nicht gesagt, daß der Bereitschaftsdienst nicht zu entlohnen ist. Die Zahlung für die Zeit des Bereitschaftsdienstes könnte dem Dienstnehmer nicht mit der Begründung versagt werden, daß er keine Arbeit leiste, weil auch diese Zeit ihm nicht zur völlig freien Verfügung steht; der Arbeitgeber, der den Bereitschaftsdienst verlangt, macht wenigstens zum Teil von der Arbeitskraft des Dienstnehmers Gebrauch. Die Art der Entlohnung des Bereitschaftsdienstes aber hängt von der vertraglichen Vereinbarung ab; in der Regel besteht die Entlohnung in einem Zuschlag zu den vertraglich geschuldeten Leistungen. Der Bereitschaftsdienst wird aber mangels abweichender Vereinbarung oder Verkehrsübung grundsätzlich geringer zu entgelten sein, als die Leistung selbst (Denecke, a. a. O.).

Geht man von diesen Erwägungen aus, dann kann der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung, den Bereitschaftsdienst mit je 54 S oder 59 S zu entlohnen, nicht von vornherein die Wirksamkeit abgesprochen werden. Der Bereitschaftsdienst ist in der DO.- ArztK. nicht geregelt, weshalb eine Einzelvereinbarung gemäß § 2 (3) KollVG. zulässig ist. Die getroffene Vereinbarung verstößt aber dann gegen die Bestimmung der DO.-ArztK., wenn sie, wie im vorliegenden Fall, einen bestimmten Satz für den Bereitschaftsdienst unabhängig davon vorsieht, ob der Arzt tatsächlich zum Dienst herangezogen wird, und wenn dieser Pauschalsatz die für die geleistete Tätigkeit nach dem Kollektivvertrag (DO.-ArztK.) vorgesehene Überstundenentlohnung zusätzlich einer angemessenen Vergütung für den reinen Bereitschaftsdienst nicht erreicht. Die während des Bereitschaftsdienstes tatsächlich geleistete ärztliche Tätigkeit ist nämlich als Überstundenleistung nach den hiefür vorgesehenen Bestimmungen der DO.-ArztK. zu entlohnen.

Das Berufungsgericht wird daher die Beweise, die von der Beklagten über das Ausmaß der während des Nachtbereitschaftsdienstes tatsächlich erbrachten ärztlichen Tätigkeit der Kläger angeboten worden sind, durchzuführen und hierüber Feststellungen vorzunehmen haben. Dabei wird auch insoweit der Parteiwille zu erforschen sein, mit welchem Teil des für den Nachtbereitschaftsdienst vorgesehenen Betrages von 54 S bzw. 59 S die Abrufbereitschaft an sich abgegolten werden und welcher Teil dieses Pauschalbetrages auf die erfahrungsgemäß und üblicherweise zu erwartende tatsächliche Heranziehung zum ärztlichen Dienst und damit auf die Arbeitsleistung selbst entfallen sollte. Erreicht der letztgenannte Teil nicht das in der DO.-ArztK. vorgesehene Überstundenentgelt für die tatsächlich während des Bereitschaftsdienstes erbrachte ärztliche Tätigkeit, dann wird den Klägern der so errechnete Differenzbetrag zuzuerkennen sein. Voraussichtlich wird allerdings eine genaue Berechnung der Ansprüche der Kläger mit Rücksicht auf das Ausmaß des von den Klagen umfaßten Zeitraumes kaum möglich sein; gegebenenfalls wird daher von der Bestimmung des § 273 ZPO. Gebrauch zu machen sein.

Das Berufungsgericht hat hierüber, von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung ausgehend, Beweise nicht erhoben. Das Verfahren ist daher mangelhaft geblieben, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht führen muß. Da demnach die Beweise, deren Nichtbeachtung die Beklagte zum Gegenstand ihrer Mängelrüge macht, aus rechtlichen Gründen durchzuführen sein werden, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobenen Vorwürfen.

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