OGH 2Ob46/71

OGH2Ob46/7118.3.1971

SZ 44/32

Normen

ABGB §1325
ABGB §1325

 

Spruch:

Zuspruch von Schmerzengeld für die Zeit der Bewußtlosigkeit des Verletzten

OGH 18. 3. 1971, 2 Ob 46/71 (OLG Graz 5 R 125/70; KG Leoben 8 Cg 165/68)

Text

Die am 28. 9. 1946 geborene Klägerin war seit Sommer 1965 Studentin an der Universität G, als sie am 31. 1. 1967 im PKW des Drittbeklagten bei einem vom Erst- und Drittbeklagten verschuldeten Verkehrsunfall verletzt wurde. Nachdem ihr seitens der Beklagten am 22. 12. 1967 S 25.000.- und am 19. 2. 1970 weitere S 50.000.- bezahlt worden waren, begehrte sie von den Beklagten zur ungeteilten Hand (Zweitbeklagter ist Halter des vom Erstbeklagten gelenkten LKW) noch einen Betrag von S 166.975.- sowie die Feststellung der solidarischen Haftung der Beklagten für künftige Unfallsfolgen.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand, der Klägerin S 70.400.- sA zu bezahlen (das Mehrbegehren wurde zwar nicht im Spruch des Ersturteils, aber laut dessen Gründen abgewiesen).

Das Berufungsgericht sprach der Klägerin S 77.200.- sA zu und wies ein Mehrbegehren von S 20.000.- ab. Hinsichtlich eines Zuspruches von S 13.600.- und einer Abweisung von S 26.000.- hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache insoweit - ohne Rechtskraftvorbehalt - an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten teilweise Folge und änderte das angefochtene Teilurteil dahin ab, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig sind, der Klägerin binnen 14 Tagen bei Exekution außer dem bereits rechtskräftig zugesprochenen Betrag von S 6800.- noch weitere S 50.400.- samt 4% Zinsen seit 1. 8. 1967 zu bezahlen, und das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 40.000.- sA abgewiesen wird.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach den Feststellungen der Untergerichte befand sich die Klägerin vom 31. 1. bis 24. 3. und vom 18. 5. bis 30. 5. 1967 in verschiedenen Krankenhäusern in stationärer Behandlung. Sie erlitt nicht nur eine sehr schwere Schädel-Hirnverletzung, verbunden mit einer Gehirnschwellung vor allem der Schläfenlappen und Eindringen von Gehirnteilen ins Gehirnzelt, sondern auch mehrere Gesichtsbrüche und einen vorderen Schädelbasisbruch. Die Folgen dieser Verletzungen waren eine tiefe, eine Woche andauernde Bewußtlosigkeit, Atemstörung, Streckkrämpfe, eine Halbseitenschwäche rechts durch Gehirnstammeinklemmung mit Wasseraustritt aus der Nase. Es mußte eine Hirnluftfüllung gemacht werden. Als Folge ausgedehnter Rißquetschwunden im Gesicht, einer klaffenden Rißquetschwunde an der linken Achsel und eines notwendig gewordenen Luftröhrenschnittes blieben zahlreiche Narben im Gesicht, am Hals und an der Schulter zurück, die zwar nach einer kosmetischen Operation nicht mehr auffallen, doch ist eine deutliche Entstellung durch Tieferliegen der rechten Seite des Gebisses geblieben. Der Oberkieferbruch rechts und der Nasen- und Siebbeinbruch mit Verlust mehrerer Zähne erforderte wiederholte Operationen zur Gebißsanierung. Wegen beginnender Spitzfußstellung mußte ein Gipsverband angelegt werden. Einige Zeit bestand akute Lebensgefahr. Trotz fortschreitender Heilung traten noch ein Jahr nach dem Unfall Schwindelgefühle, Kopfschmerzen, rasche Ermüdbarkeit und Schwäche auf. Witterungsempfindlichkeit und Behinderung des Geruchssinnes waren immer noch vorhanden. Die Klägerin erkannte ihre Mutter erst 14 Tage nach dem Unfall. Es trat eine merkbare Schwächung der Merk- und Konzentrationsfähigkeit auf; ihr Studienerfolg ließ zu wünschen übrig. Vorübergehend war auch das Sprachzentrum gestört. Zusammengefaßt, wurden 9 Tage qualvolle, 10 Tage starke, 65 mittelstarke und 181 Tage leichte Schmerzen festgestellt.

Die Klägerin hatte ein Schmerzengeld von - rechnungsmäßig - S 120.000.- begehrt. Das Erstgericht billigte ihr ein solches von S 80.000.- zu. Das Berufungsgericht erhöhte diesen Betrag auf S 100.000.-. Die Revisionswerber halten ein Schmerzengeld von S 50.000.- für ausreichend, weil bei der Klägerin keine wesentlichen Dauerfolgen zurückgeblieben seien. Außerdem sei die Klägerin in der ersten Woche nach dem Unfall bewußtlos gewesen und habe während dieser Zeit keine Schmerzen erleiden können. Auch der Krankenhausaufenthalt von 66 Tagen sei nicht übermäßig lang gewesen und die wiederholten Operationen seien mehr kosmetischer Natur und von der Gebißsanierung bestimmt gewesen.

Daß die Klägerin so schwer verletzt wurde, daß sie tagelang bewußtlos war, ist kein Grund, diesen Zeitraum von der Schmerzengeldzuerkennung auszuschließen, weil der Klägerin jedenfalls nachher die Schwere ihrer Verletzung zum Bewußtsein kam und sie gewissermaßen um einige Tage ihres Lebens überhaupt gebracht wurde (vgl Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld[2], 70). Die Revisionswerber können nicht bestreiten, daß die kosmetischen Korrekturen und die Zahnsanierung unfallsbedingt waren, so daß nicht einzusehen ist, weshalb mit derartigen Eingriffen verbundene Schmerzen geringer veranschlagt werden sollten. Die Dauer und Intensität der von der Klägerin ausgestandenen Schmerzen war derart, daß mit einem Schmerzengeld von S 50.000.- keinesfalls das Auslangen gefunden werden könnte. Es kommt aber dem Argument einiges Gewicht zu, daß die Klägerin sehr weitgehend wieder hergestellt werden konnte (nach dem Gutachten des Sachverständigen Dozent Dr Otto E kann mit dem Abklingen der Persönlichkeitsdefekte der Klägerin bis Ende 1970 gerechnet und eine psychisch-neurologische Dauerschädigung mit größter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden; desgleichen sind nach dem Sachverständigengutachten des Neurochirurgen Dozent Dr Hans D, von den Narben abgesehen, Dauerfolgen nicht vorhanden und für die Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen). Deshalb ist der vom Erstgericht bestimmte Betrag von S 80.000.- den Umständen nach als Schmerzengeld angemessen.

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