Normen
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §12
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §12
Spruch:
Das Rechtsverhältnis, vermöge dessen der Dritte gegen den Getöteten einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hatte oder bekommen konnte, muß bereits im Zeitpunkt der Verletzung und nicht erst zur Zeit des Todes des Verletzten bestanden haben.
Entscheidung vom 30. Jänner 1969, 2 Ob 291/68.
I. Instanz: Kreisgericht Krems; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die klagende Partei (Sozialversicherungsträger) behauptet, daß der bei ihr versicherte Werner U. am 17. November 1963 durch einen PK. W, den der mj. Franz G. gelenkt habe und dessen Halter der Erstbeklagte gewesen sei, verletzt worden sei. Während der Lenker des Fahrzeuges und ein Mitfahrer an den Unfallsverletzungen gestorben seien, habe Werner U. insbesondere eine Verletzung der Speiseröhre erlitten. Nachdem Werner U. im Mai 1964 wieder arbeitsfähig geworden sei, sei eine neuerliche Operation der Speiseröhre notwendig geworden. Wegen eitriger Entzundungen im Zusammenhang mit dieser Operation sei Werner U. am 3. Dezember 1964 gestorben. Er habe vorher, nämlich am 31. Juli 1964 geheiratet. Dieser Ehe entstamme der am 27. Februar 1965 geborene mj. Werner U. An diesen zahle die Klägerin eine Waisenpension. Da er gegen den Erstbeklagten und die Verlassenschaft des Fahrzeuglenkers einen Schadenersatzanspruch habe, sei dieser Anspruch im Rahmen der erbrachten Leistungen auf die Klägerin übergegangen. Es müsse allerdings ein Drittel Eigenverschulden des Werner U. berücksichtigt werden. Die Klägerin verlangt den Ersatz der von ihr erbrachten Leistungen innerhalb dieses Rahmens und begehrt die Feststellung, daß die Beklagten auch die von der Klägerin künftig wegen dieses Unfalles an den mj. Werner U. zu erbringenden Leistungen zu zwei Dritteln zu ersetzen habe.
Die Beklagte bestritt, daß Werner U. beim Unfall eine Verletzung der Speiseröhre erlitten habe und daß sein Tod eine Unfallsfolge gewesen sei. Überdies habe der mj. Werner U. keinen Ersatzanspruch gegen die Beklagten, weil die Zeugung des Kindes erst nach der Verletzung des Vaters erfolgt sei. Weiters hätten der Vormund und die Eltern des Minderjährigen erklärt, daß sie vom Sozialversicherer eine Leistung weder erhalten hätten noch beanspruchten.
Das Erstgericht hat seiner Entscheidung das unbestrittene Vorbringen über die Zeit des Unfalles, der Eheschließung und des Todes des Werner U. sowie der Geburt des minderjährigen Werner U. zugrunde gelegt und weiter auf Grund eines im Strafverfahren eingeholten Gutachtens als erwiesen angenommen, daß der Tod des Werner U. eine Unfallsfolge war. Es hat das Klagebegehren deswegen abgewiesen, weil ein Anspruch nach § 1327 ABGB. nur jemandem zustehe, der schon im Zeitpunkt der Verletzung gegenüber dem erst später verstorbenen Verletzten einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gehabt habe. Da der minderjährige Werner U. erst nach dem Unfall gezeugt worden sei, stehe ihm ein Ersatzanspruch nach § 1327 ABGB. nicht zu.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der klagenden Partei nicht Folge gegeben und ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 15.000 S übersteige.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Da der Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO. nur dahin ausgeführt wird, daß das Berufungsgericht aus unrichtigen rechtlichen Erwägungen Feststellungen darüber unterlassen habe, daß der Tod des Werner U. sen. eine Folge des vom minderjährigen Franz G. verschuldeten Unfalles war, ist in Wahrheit nur die Rechtsfrage strittig. Die Untergerichte haben sich im wesentlichen auf die Entscheidung SZ. VI 400 gestützt. Darin wird ausgesprochen, daß die Haftung für außervertragliches Verschulden auf dem Grund des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem schädigenden Ereignis und einem Nachteil beruhe. Sie müsse auf die Beeinträchtigung der Rechtssphäre beschränkt bleiben und könne nicht auf die Beeinträchtigung von Interessen ausgedehnt werden. Daher müsse die Zeit der Tat und nicht die des späteren Todes entscheidend sein. Das rechtlich erhebliche Verhältnis, infolgedessen in Zukunft eine Forderung auf Unterhalt entstehen konnte, müsse daher schon zur Zeit des schädigenden Ereignisses bestanden haben. Diese Auffassung wird von Ehrenzweig (System II/1 S. 632 f.) gebilligt. Er betont, es sei nicht notwendig, daß der Getötete bereits im Zeitpunkt der Tötung zur Unterhaltsleistung verpflichtet war, aber es müsse das den Unterhaltsanspruch begrundende Verhältnis schon zur Zeit der tödlichen Verletzung bestanden haben. Die Frau, die der Verletzte erst nachher heiratete, und das Kind, das erst nachher gezeugt werde, hätten daher keinen Ersatzanspruch gegen den Schädiger. Diese Auffassung wird von Wolff (Klang[2] VI S. 149) bestritten. Er vertritt die Meinung, daß maßgeblich die Unterhaltsberechtigung zur Zeit des Todes des Getöteten und nicht zur Zeit seiner Verletzung sei; "dadurch" bedeute, daß aus der körperlichen Verletzung der Tod erfolge.
Der Wortlaut des § 1327 ABGB. läßt offen, ob das Wort "dadurch" sich darauf bezieht, daß aus der Verletzung der Tod erfolgte oder darauf, daß durch die Zufügung einer Verletzung (mit tödlichen Folgen) der Dritte einen Entgang am gesetzlichen Unterhalt hatte. Obgleich die Bestimmungen des § 1327 ABGB. auch außerhalb des Bereiches der Haftpflicht anzuwenden sind, kommt ihnen doch gerade auf diesem Gebiet ganz besondere Bedeutung zu. Darauf wurde schon im Bericht der Kommission für Justizgegenstände über die Gesetzesvorlage, betreffend die Änderung und Ergänzung einiger Bestimmungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (78 der Beil. zu den stenogr. Protokollen des Herrenhauses - XXI. Session 1912), hingewiesen. Die Regierungsvorlage zum Automobilhaftpflichtgesetz wollte den § 1327 ABGB. für den Bereich dieses Gesetzes erweitern. Das Herrenhaus lehnte dies aber ab, um eine Neuregelung der Revision des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches zu überlassen. Diese Änderung ist durch die dritte Teilnovelle (§ 165) erfolgt. Der enge Zusammenhang zwischen den Bestimmungen der §§ 1325 bis 1327 ABGB. mit den Haftpflichtgesetzen kam im österreichischen KFZ.- Haftpflichtgesetz 1908 dadurch zum Ausdruck, daß in dessen § 1 auf das ABGB., insbesondere auch auf § 1327 verwiesen wurde. Dieser Zusammenhang wurde in Lehre und Rechtsprechung immer wieder betont, so wurde in der Entscheidung SZ. XXVII 210 ausgesprochen, daß der damals geltende § 10 (2) KraftfVerkG. und § 1327 ABGB. dasselbe Ziel verfolgen und der einzige Unterschied im Ausmaß der Leistungen liege. In der Entscheidung EvBl. 1965 Nr. 181 wird betont, daß die Fortbildung der Rechtsinstitute der §§ 1325 bis 1327 ABGB. durch die Haftpflichtgesetze - wobei das Endstadium derzeit das EKHG. darstelle - bei der Auslegung der §§ 1325 bis 1327 ABGB. mitzuverwenden sei. Auch in der Entscheidung SZ. XLI 31 wurde dies hervorgehoben und betont, daß bei der Einheit der Rechtsordnung die Fortbildung der Bestimmungen der §§ 1325 und 1327 ABGB. durch die Haftpflichtgesetze bei der Auslegung berücksichtigt werden müsse. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des EKHG. (Nr. 470 der Beil. zu den stenogr. Protokollen des Nationalrates VIII. GP. S. 12) wurde darauf hingewiesen, daß die dort vorgesehene Regelung der Auslegung des § 1327 ABGB. angeglichen worden sei. Es habe sich geradezu ein Grundsatz herausgebildet, bei Gefährdungshaftung die Schadensarten zu begrenzen. Die wesentlichen Marksteine dieser Begrenzung seien Haftungshöchstbeträge, Verneinung des entgangenen Gewinnes und des Schmerzengeldes. Dies seien die erträglichen Erleichterungen der strengen Haftung des schuldlosen Betriebsunternehmers oder Halters. Die Ansicht, daß in einem solchen Falle ein Anspruch auf Schmerzengeld nicht zustehen soll, wurde allerdings später aufgeeben. In den Erläuternden Bemerkungen zur Novelle des EKHG., BGBl. Nr. 69/1968, (620 der Beil. zu den stenogr. Protokollen des Nationalrates XI. GP. S. 5 f.) wird hervorgehoben, daß die Nichtzuerkennung des Schmerzengeldes und einer Verunstaltungsentschädigung kein wesentliches Merkmal einer Gefährdungshaftung darstelle. Es setze aber auch § 1325 ABGB. nicht immer ein Verschulden voraus, z. B. bei einer Haftung nach § 1318 ABGB. Das nunmehr eingeführte Schmerzengeld soll sich aber seinem Wesen nach nicht von jenem des § 1325 ABGB. unterscheiden, es soll bloß die Rechtsprechung hinsichtlich Entstehung und Vererblichkeit nicht übernommen werden. Er ergibt sich also auch daraus, daß zwischen den Ansprüchen nach den §§ 1325 bis 1327 ABGB. und jenen nach dem EKHG. ein enger Zusammenhang besteht. Insbesondere wurde bei Hervorhebung der unterscheidenden Merkmale niemals eine Einschränkung hinsichtlich des Kreises der Anspruchsberechtigten gemacht. Es erscheint daher begrundet, den Kreis der Anspruchsberechtigten nach den Bestimmungen des ABGB. und den der Anspruchsberechtigten nach den Bestimmungen der Haftpflichtgesetze grundsätzlich im Sinne der Einheit der Rechtsordnung gleichzustellen. § 12 (2) EKHG. bestimmt aber ausdrücklich, daß einem Dritten dann Schadenersatz zu leisten ist, wenn der Getötete zur Zeit der Verletzung zum Dritten in einem Verhältnis stand, vermöge dessen er diesem kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte. Diese Bestimmung läßt keinen Raum für die Auslegung, daß für die Anspruchsberechtigung der Bestand des die Unterhaltspflicht begrundenden Verhältnisses zur Zeit des Todes genüge; es wird vielmehr ausdrücklich verlangt, daß dieses Verhältnis zur Zeit der Verletzung bestanden haben müsse. Ob der letzte Satz dieser Gesetzesstelle, wonach die Ersatzpflicht auch dann eintritt, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war, überflüssigerweise angefügt wurde (vgl. Veit, Anm. 7 zu § 12 EKHG., Manz-Ausgabe 1962) oder ob diese Bestimmung, die dem § 844 BGB. nachgebildet ist, gerade klarstellen sollte, daß auch bei zwar gezeugtem aber noch nicht geborenen Dritten der Bestand des anspruchsbegrundenden Verhältnisses zur Zeit der Verletzung und nicht zur Zeit des Todes maßgeblich sei, muß offen bleiben. Jedenfalls läßt der Wortlaut nur diese Auslegung zu. Daß die Unterhaltspflicht selbst zur Zeit der Verletzung noch nicht gegeben sein muß, entspricht nicht nur dem Wortlaut des § 12 (2) EKHG. ("... oder unterhaltspflichtig werden konnte ..."), sondern auch der ständigen Rechtsprechung. Gerade aber aus dem Erfordernis, daß der Getötete zur Zeit der Verletzung zum Dritten in einem Verhältnis stehen mußte, vermöge dessen er wenigstens unterhaltspflichtig werden konnte, setzt voraus, daß dieser Dritte zu dieser Zeit wenigstens rechtlich (§ 22 ABGB.) vorhanden war. Jemandem, der zu dieser Zeit noch nicht existent war, konnte der Getötete auch nicht unterhaltspflichtig werden. Es ist daher folgerichtig, wenn eine Änderung der Verhältnisse nach der Verletzung des Ernährers nicht nur bei der Beurteilung der Höhe der Unterhaltsansprüche eines Dritten, sondern auch bei der Beurteilung des Gründes dieser Ansprüche berücksichtigt wird, aber als anspruchsbegrundende Voraussetzung verlangt wird, daß dieser Dritte zur Zeit der Verletzung des Getöteten bereits in einem Verhältnis stand, das geeignet war, allenfalls einen Unterhaltsanspruch zu begrunden.
Der Hinweis der Revision auf die Bestimmungen des ASVG., insbesondere dessen § 217, wonach eine Witwe unter gewissen Voraussetzungen auch dann einen Rentenanspruch hat, wenn die Ehe erst nach Eintritt des Versicherungsfalles geschlossen wurde, kann demgegenüber nicht überzeugen. Zunächst muß hervorgehoben werden, daß die Bestimmungen des ASVG. grundsätzlich wesentlich andere Ziele verfolgen als die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes. Das Sozialversicherungsrecht soll vor allem die soziale Sicherheit gewährleisten und eröffnet daher auch Ansprüche aus Billigkeitserwägungen oder sozialpolitischen Überlegungen. So wird im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung zum ASVG. (613 der Beil. zu den stenogr. Protokollen des Nationalrates, VII. GP. S. 2 und 3) darauf hingewiesen, daß der Versicherte das beruhigende Gefühl haben soll, daß sein materieller Lebensstandard beim Eintritt in den Ruhestand keine unerträgliche Einbuße erleidet und daß weiter untersucht werden soll, auf welche Weise und in welcher Form mit den verfügbaren Mitteln der Forderung nach sozialer Sicherheit noch besser entsprochen werden könnte. Ein Ausfluß solcher Überlegungen ist es zweifellos, wenn einer Witwe in dem Fall, daß die Ehe erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalles geschlossen wurde, unter gewissen Voraussetzungen dennoch ein Rentenanspruch zugestanden wird (§ 217 ASVG.). Trotzdem ist auch nach dieser Bestimmung grundsätzlich festgelegt, daß ein Anspruch auf eine Rente der Witwe (dem Witwer) nicht gebührt, wenn die Ehe erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalles geschlossen worden und der Tod innerhalb des ersten Jahres der Ehe eingetreten ist. Es ist daher nicht richtig, daß § 217 ASVG. allgemein einen Rentenanspruch für den Fall der Eheschließung zwischen Eintritt des Versicherungsfalles und Tod des anderen Ehegatten festlegt; vielmehr gilt regelmäßig das Gegenteil. Diese Bestimmung hat auch offensichtlich den Zweck, einem Mißbrauch der Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes durch Eheschließungen, die nur auf Erlangung einer Rente abzielen, vorzubeugen.
Bei dieser Sachlage erscheint es nicht gerechtfertigt, von der bereits in der Entscheidung SZ. VI 400 ausgesprochenen Ansicht abzugehen. Da der am 27. 2. 1965 geborene minderjährige Werner U. zur Zeit der Verletzung seines Vaters, nämlich am 17. 11. 1963, von diesem noch nicht gezeugt gewesen sein kann, steht ihm ein Ersatzanspruch nach § 1327 ABGB. oder § 12 (2) EKHG. gegen die Beklagten nicht zu. Ein solcher Ersatzanspruch konnte daher auch nicht auf die Klägerin übergehen, sodaß das Klagebegehren bereits aus diesen Erwägungen mit Recht abgewiesen wurde.
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