OGH 2Ob265/66

OGH2Ob265/6619.10.1966

SZ 39/173

Normen

ABGB §1325
ABGB §1325

 

Spruch:

Seelische Schmerzen wegen der unfallbedingten Fehlgeburt eines erwünschten Kindes sind zu berücksichtigen

Entscheidung vom 19. Oktober 1966, 2 Ob 265/66

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz

Text

Am 23. Juli 1964 kam es in S. zu einem Verkehrsunfall, der von der Beklagten verschuldet und bei dem die Klägerin verletzt wurde.

Mit der vorliegenden Klage machte die Klägerin Schadenersatzansprüche in der Höhe eines Schmerzengeldes von 38.000 S und sonstiger Schäden von 7057.40 S, zusammen somit 45.057.40 S, geltend und begehrte die Feststellung, daß ihr die Beklagte auch allfällige zukünftige Schäden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen habe.

Die Beklagte wendete ein Mitverschulden der Klägerin ein und begehrte Klagsabweisung.

Das Erstgericht nahm das alleinige Verschulden der Beklagten an und verurteilte diese, der Klägerin 31.686.40 S, darunter ein Schmerzengeld von 25.000 S, zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 13.731 S, darunter ein Schmerzengeld von 13.000 S, wies es ab. Es gab auch dem Feststellungsbegehren statt.

Das Berufungsgericht gab der nur von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge. Im Berufungsverfahren wollte die Beklagte eine Abänderung des angefochtenen Urteils dahin erreichen, daß das Schmerzengeld nur mit 8000 S bestimmt und sie daher nur zur Leistung von 14.686.40 S verurteilt werde. Das Feststellungserkenntnis blieb unangefochten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Als aktenwidrig wird die Annahme des Berufungsgerichtes gerügt, daß die Klägerin "eine schwere Störung ihres seelischen Gleichgewichtes" erlitten habe, weil zufolge des Unfalles ihre Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt geendet habe. Die Beklagte meint, daß diese "Feststellung" durch die Beweisergebnisse nicht gedeckt sei. Weder habe die Klägerin dergleichen behauptet, noch habe der Sachverständige davon etwas erwähnt. Es könne aber nicht als gerichtsbekannt angenommen werden, daß jede Fehlgeburt mit einer seelischen Störung verbunden sei.

Diese Ausführungen sind nicht stichhältig. Die Verwertung einer Erfahrungstatsache kann schon an sich nicht als eine Aktenwidrigkeit im Sinne der zitierten Gesetzesstelle gewertet werden, weil es zur Auswertung solcher Umstände keiner besonderen Feststellungen bedarf. Im vorliegenden Fall hat aber bereits das Erstgericht festgestellt, daß sich die Klägerin und ihr nunmehriger Mann das Kind gewünscht hatten. Schon das Erstgericht war daher der berechtigten Auffassung, daß mit Rücksicht darauf nicht nur die rein körperlichen Schmerzen, sondern auch die seelischen Auswirkungen bei der Schmerzengeldbemessung zu berücksichtigen seien. Diese Annahme des Erstgerichtes, die das Berufungsgericht übernommen hat, ist auch nicht ohne Deckung in der Aktenlage geblieben, denn die Klägerin hat in ihrer Parteienaussage auf diese Umstände hingewiesen. Von einer aktenwidrigen Annahme des Berufungsgerichtes kann in dieser Hinsicht keine Rede sein.

Eine weitere Aktenwidrigkeit soll darin gelegen sein, daß das Berufungsgericht die Verletzung der Wirbelsäule und die damit verbundenen Gesundheitsstörungen der Klägerin als ein "sehr bedeutendes Übel" angesehen habe. Die Beklagte ist der Meinung, daß sich das Berufungsgericht damit über das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen hinweggesetzt habe. Aus diesem ergebe sich, daß die "Überstreckung" der Wirbelsäule nur leichter Natur gewesen sei.

Diese Ausführungen sind schon deshalb nicht stichhältig, weil es sich bei dieser Annahme des Berufungsgerichtes nicht um eine im Widerspruch zu den Akten stehende Tatsachenfeststellung handelt, sondern um eine rechtliche Beurteilung der Sache, auf die noch im Zusammenhang mit der Erledigung der Rechtsrüge eingegangen werden wird.

In rechtlicher Hinsicht wendet sich die Beklagte gegen die Bemessung des Schmerzengeldes mit 25.000 S. Sie ist der Meinung, daß ein Schmerzengeld von nur 8000 S angemessen sei. Sie weist insbesondere darauf hin, daß die Klägerin selbst für die Fehlgeburt nur ein Schmerzengeld von 8000 S begehrt habe und daß ein weiteres Schmerzengeld von 17.000 S für die anderen Verletzungen und Verletzungsfolgen übermäßig hoch bemessen sei.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Es ist davon auszugehen, daß die Klägerin ein Schmerzengeld von insgesamt 38.000 S begehrt hat. Die von ihr vorgenommene Unterteilung in 8000 S für die Fehlgeburt und in 30.000 S für die übrigen Verletzungen kann für die Entscheidung, wie bereits das Berufungsgericht richtig dargetan hat, nicht ausschlaggebend sein. Bei der Schmerzengeldbemessung ist davon auszugehen, welche Verletzungen und Folgen die Klägerin durch den Unfall erlitten hat. Danach ist das Schmerzengeld mit einer Globalsumme zu bestimmen, die eine Abgeltung für alles erlittene Ungemach darstellen soll.

Die Klägerin war bei dem Unfall im dritten Monat schwanger und hat eine Fehlgeburt erlitten. Außerdem ist ein cervicales Syndrom als Folge einer Überstreckung der Halswirbelsäule festgestellt worden. Dieses hat bei der Klägerin Brechreiz, Erbrechen und Kopfschmerzen verursacht. Die Klägerin hatte durch 5 Tage starke, durch 12 Tage mittelstarke und durch 35 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. Bei der Schmerzengeldbemessung war im vorliegenden Fall auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes zu berücksichtigen, daß die Klägerin eine Fehlgeburt erlitten hat. Wenn auch nicht gesagt werden kann, daß mit einer jeden Fehlgeburt seelische Beeinträchtigungen verbunden sind, so ist dies erfahrungsgemäß doch in den Fällen anzunehmen, in denen es sich um ein erwünschtes Kind handelt, was hier der Fall ist. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist das Berufungsgericht nicht an die von der Klägerin selbst vorgenommene Unterteilung gebunden gewesen, und es hat berechtigterweise alle Folgen und Nachteile der Verletzungen der Klägerin gemeinsam beurteilt. Es war auch nicht verfehlt, wenn das Berufungsgericht die übrigen Verletzungen und Verletzungsfolgen als ein sehr bedeutendes Übel aufgefaßt hat, da die Verletzung der Halswirbelsäule an sich eine gefährliche Verletzung darstellt. Wenn die Auswirkungen dieser Verletzung im vorliegenden Fall nicht allzu schwerwiegend waren, so ist dies trotz der Annahme des Berufungsgerichtes, daß es sich dabei um ein bedeutendes Übel gehandelt habe, entsprechend berücksichtigt worden.

Aus den angeführten Gründen erscheint daher auch dem Obersten Gerichtshof das mit 25.000 S bemessene Schmerzengeld noch als angemessen, wenn es vielleicht schon an der oberen Grenze liegt. Jedenfalls besteht kein Anlaß zu einer so erheblichen Herabsetzung des Schmerzengeldes, wie es die Beklagte für richtig hält. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes kommt dem Ermessen des Gerichtes eine entscheidende Bedeutung zu. Von einer untragbaren Ermessensüberschreitung des Berufungsgerichtes kann nicht die Rede sein.

Der Revision der Beklagten kann daher kein Erfolg beschieden sein.

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