OGH 4Ob63/62

OGH4Ob63/6215.6.1962

SZ 35/66

Normen

ABGB §1152
ABGB §1486 Z5
ABGB §1152
ABGB §1486 Z5

 

Spruch:

Nachträglicher Anspruch einer Dienstnehmerin gegen den Dienstgeber auf angemessene Entlohnung, wenn sie sich nur in Erwartung der Ehezusage des Sohnes des Dienstgebers mit einer Minderentlohnung zufrieden gegeben hat.

Beginn der Verjährungsfrist.

Entscheidung vom 15. Juni 1962, 4 Ob 63/62.

I. Instanz: Arbeitsgericht St. Pölten; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Die Klägerin war seit 1. Dezember 1948 bei Berta K. als landwirtschaftliche Arbeiterin beschäftigt. Im Jahre 1949 oder 1950 ging sie mit deren Sohn (dem Zweitbeklagten) ein intimes Verhältnis ein, das bis 18. April 1958 andauerte. Die Klägerin behauptet, für die Aufnahme und Fortsetzung dieser intimen Beziehungen seien wiederholte Eheversprechen des Zweitbeklagten maßgebend gewesen. Am 18. April 1958 habe der Zweitbeklagte ihr eröffnet, er werde eine andere, reichere Frau heiraten. Sie habe das Dienstverhältnis aufgekundigt und den Dienstplatz am 16. Mai 1958 verlassen. Berta K. ist inzwischen verstorben. Ihr Nachlaß wurde nach Abgabe unbedingter Erbserklärungen dem Erstbeklagten (Ehemann) zu 1/4, dem Zweitbeklagten (Sohn) und der Drittbeklagten (Tochter) zu je 3/8 auf Grund des Gesetzes eingeantwortet. Mit der vorliegenden, am 12. April 1961 beim Erstgericht überreichten Klage begehrt die Klägerin von den drei Beklagten als Rechtsnachfolgern der Berta K. zur ungeteilten Hand die Bezahlung einer Entgeltforderung gegenüber der verstorbenen Dienstgeberin in der Höhe von insgesamt 22.108.67 S samt Nebengebühren, welcher Betrag sich aus Ansprüchen der Klägerin für die Zeit von 1953 bis (einschließlich) April 1958 aus dem Titel der Unterentlohnung (einschließlich von Abgeltungsansprüchen für entgangene freie Tage und nicht gewährten Urlaub), schließlich auf Abfertigung und Urlaubsabfindung zusammensetze. Die Minderentlohnung sei nur im Hinblick auf das Eheversprechen des Zweitbeklagten hingenommen worden. Diese in Aussicht gestellte Erwartung sei erst am 18. April 1958 weggefallen. Die beklagten Parteien bestritten das Klagebegehren und wendeten vor allem Verjährung ein.

Mit dem Ersturteil wurde das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen, wobei das Erstgericht nach den Ergebnissen des von ihm durchgeführten Beweisverfahrens die Auffassung vertrat, der Abfertigungsanspruch sei wegen unbegrundetem vorzeitigem Austritt verwirkt, die übrigen Ansprüche aber seien verjährt. Die Erwartungen der Klägerin seien seitens der Dienstgeberin nicht enttäuscht worden, die dreijährige Verjährungsfrist habe daher mit Fälligkeit der Entgeltansprüche, nicht aber erst mit 18. April 1958 zu laufen begonnen. Auch setze die Nichtgeltendmachung im Hinblick auf eine Erwartung Kenntnis der Ansprüche voraus, die aber der Klägerin gefehlt habe.

Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung der klagenden Partei das Ersturteil dahin ab, daß es die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Bezahlung von 2.620.56 S samt Nebengebebühren verurteilte, das Mehrbegehren von 19.488.11 S samt Nebengebühren dagegen abwies und der Klägerin den Ersatz von 76% der Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz an die Beklagten auferlegte. Der zugesprochene Betrag setzt sich zusammen aus den Beträgen: Lohndifferenz für April 1958 per 44.63 S, Abgeltungsbeträge für nichtgewährte freie Tage bzw. Feiertage im April 1958 114.24 S, Abfertigung 2.208.48 S, Urlaubsabfindung 253.21 S. Der Zuspruch dieses Betrages von insgesamt 2.620.56 S an die Klägerin ist in Rechtskraft erwachsen. Die ziffernmäßige Berechnung der der Klägerin zugesprochenen Ansprüche ist auch seitens der Klägerin unbekämpft geblieben.

Das Berufungsgericht, das die Sache gemäß § 25 (1) Z. 3 ArbGerG. von neuem verhandelte und dabei zum Teil zu anderen Beweisergebnissen gelangte als das Erstgericht, stellte in dem in Betracht kommenden Zusammenhang fest, die Klägerin, die seit 1. Dezember 1948 bei Berta K. als landwirtschaftliche Arbeiterin beschäftigt war, sei mit dem Zweitbeklagten, der im Hause seiner Mutter wohnte, im Jahre 1949 oder 1950 ein intimes Verhältnis eingegangen, das bis zum Frühjahr 1958

auerte und in dessen Verlauf der Zweitbeklagte der Klägerin auch mehrmals die Ehe versprochen habe. Die Klägerin habe auch bis zu dem Zeitpunkt, als sie definitiv erfuhr, daß er sich für eine andere Frau entschieden habe (18. April 1958), tatsächlich erwartet, daß der Zweitbeklagte sie heiraten werde. Nach dem 18. April 1958 sei es dann durch die Klägerin zur Auflösung des Dienstverhältnisses bei der Mutter des Zweitbeklagten gekommen. Während ihrer Tätigkeit als Dienstnehmerin sei die Klägerin als zur Familie der Dienstgeberin gehörig betrachtet worden. Berta K. habe der Klägerin keine künftigen Zuwendungen in Aussicht gestellt, sie habe auch bei der Ehezusage ihres Sohnes nicht aktiv mitgewirkt, allerdings vom Verhältnis und vom Eheversprechen des Sohnes gewußt. Die Klägerin habe nicht zur Gänze den ihr zustehenden kollektivvertraglichen Lohn erhalten, so in den letzten Monaten netto 400 S statt 444.30 S netto. Die Klägerin habe beim Kreisgericht St. Pölten eine auf § 1328 ABGB. gestützte Klage wegen verminderter Heiratsfähigkeit eingebracht. Dieser Rechtsstreit habe durch Vergleich geendet. Das Berufungsgericht hielt die geltend gemachten Ansprüche, abgesehen von Urlaubsabfindung und Abfertigung und den den Monat April 1958 betreffenden Beträgen, für verjährt. Die Auffassung der Klägerin, daß die Verjährungsfrist erst mit dem Wegfall ihrer Erwartung, den Zweitbeklagten heiraten zu können, zu laufen begonnen habe, sei verfehlt. Der Wegfall einer Erwartung, welche die Ursache für das Hinnehmen einer Minderentlohnung darstellt, werde wohl in der Rechtsprechung als Beginn des Laufes der Verjährungsfrist angesehen. Doch habe dies zur Voraussetzung, daß die Erwartung vom Vertragspartner ausgelöst und von diesem enttäuscht wurde, was hier nicht der Fall sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes, das im Zuspruch von 2.620.56 S rechtskräftig geworden war, im übrigen auf und verwies die Rechtssache an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Soweit in der Revision auf Ausführungen in der Berufungsschrift verwiesen wird, entspricht dies nicht der Vorschrift des § 506 ZPO. (SZ. XXIII 89, EvBl. 1951, Nr. 474). Doch fällt dies nicht weiter ins Gewicht, weil sich die Rechtsrüge mit Grund gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes wendet, die vom stattgebenden Teil des Angefochtenen Urteils nicht umfaßten Ansprüche seien bereits verjährt, weil die für die Hinnahme einer Minderentlohnung maßgebende Zusage nicht von der Dienstgeberin vorgenommen und die Verjährungsfrist daher nicht erst mit Wegfall der Erwartung in Lauf gesetzt worden sei. Es kommt nämlich nicht darauf an, daß die Dienstgeberin die Person war, die der Klägerin die Zusage machte, auf Grund welcher sie sich nach ihren Behauptungen mit einem geringeren Lohn begnügte. Die Dienstgeberin hat nach den Beweisergebnissen vom Verhältnis und vom Eheversprechen des Sohnes gewußt. Sie war es auch, die die Klägerin deshalb "als zur Familie gehörig" ansah und - wie ferner festgestellt wurde - dementsprechend voraussetzte, daß die Klägerin wie andere Familienmitglieder keinen Urlaub nehme und die ihr zustehende Freizeit nicht voll beanspruche. Wenn die Klägerin daher im Hinblick auf die Ehezusage des Sohnes gewillt gewesen sein sollte, billige Dienste zu leisten, so müßte bei diesem Sachverhalt angenommen werden, daß die Dienstgeberin auch von dem für die Dienstnehmerin hiefür maßgebenden Beweggrund gewußt hat. Sie hätte daher den durch die Ehezusage ihres Sohnes beeinflußten Vertragswillen der Klägerin für ihre eigenen Zwecke benützt und die minderentlohnten Dienste der Klägerin entgegengenommen, wobei ihr auch klar sein mußte, daß die Klägerin diese Dienste nur in Erwartung der Ehe erbringe und im Falle der Täuschung ihrer Erwartung die Nachzahlung begehren würde. Trat diese Täuschung - wenn auch ohne Zutun der Dienstgeberin - in der Folge ein, so konnte die Klägerin von da an von der Dienstgeberin oder deren Rechtsnachfolgern die Nachzahlung verlangen. Es handelt sich ja nicht um einen Schadenersatzanspruch, sondern um einen Anspruch, der beim objektiven Eintritt eines bestimmten Ereignisses existent wird. Wenn daher die Klägerin eine Minderentlohnung seitens ihrer Dienstgeberin nur in Erwartung der Ehezusage des Zweitbeklagten hingenommen haben sollte, wäre auch die Verjährungsfrist hinsichtlich der noch in Betracht kommenden Ansprüche erst mit dem Wegfall der Erwartung (18. April 1958) in Lauf gesetzt worden. Daß die Klägerin mit ihrer Erwartung auf Erfüllung des Eheversprechens endgültig getäuscht wurde, steht nach den Beweisergebnissen fest. Feststellungen darüber aber, ob die nach den Behauptungen der Klägerin teilweise unentgeltliche Dienstleistung einzig und allein in Erwartung der vom Zweitbeklagten zugesagten Ehe erfolgte, wurden vom Berufungsgericht nicht getroffen. Auch zur Frage, ob und in welchem Umfang in dem hier in Betracht kommenden Zeitraum überhaupt eine Minderentlohnung der Klägerin anzunehmen ist, stellte das Berufungsgericht lediglich fest, daß "die Klägerin den ihr zustehenden kollektivvertraglichen Lohn, nicht zur Gänze, so in den letzten Monaten netto 400 S statt 444.63 S netto erhalten habe".

Es erweist sich somit das Verfahren vor dem Berufungsgericht in erster Linie dahin ergänzungsbedürftig, ob für die Hinnahme einer Minderentlohnung die Erwartung der Erfüllung der Ehezusage der Beweggrund war. Bei Prüfung dieser Frage wird auch entscheidend ins Gewicht fallen, ob der Klägerin bei Hinnahme der ihr tatsächlich gewährten Entlohnung überhaupt bewußt war, daß sie der Dienstgeberin gegenüber eine Konzession machte. Es müssen der Klägerin aber nicht gerade die gebührenden kollektivvertraglichen Lohnsätze bekannt gewesen sein. Das Bewußtsein, daß ihr als angemessenes Entgelt mehr gebührte, als ihr tatsächlich als Entgelt gewährt wurde, und der Entschluß, daß die Unterentlohnung mit Rücksicht auf die Ehezusage des Sohnes der Dienstgeberin in Kauf genommen werde, müßten als ausreichend angesehen werden. Für den Fall des Nachweises der getäuschten Erwartung als Beweggrund für die Hinnahme der Unterentlohnung aber wäre diese nach Umfang und Höhe näher festzustellen.

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