OGH 2Ob394/61

OGH2Ob394/617.12.1961

SZ 34/189

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §8 Abs1 Z3 lite
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §175
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §8 Abs1 Z3 lite
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §175
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333

 

Spruch:

Die Arbeitsleistung eines Kindes unter 4 Jahren ist keine den Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. e ASVG. genießende Tätigkeit.

Keine Bindung der Gerichte an den Bescheid des Sozialversicherungsträgers darüber, ob ein Arbeitsunfall vorliegt.

Entscheidung vom 7. Dezember 1961, 2 Ob 394/61.

I. Instanz: Bezirksgericht Voitsberg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Nach den Feststellungen der Untergerichte ereignete sich am 23. September 1959 ein Unfall, bei dem der am 28. Oktober 1955 geborene, somit zur Unfallszeit noch nicht vierjährige Kläger schwer verletzt wurde. Der Kläger war vom Beklagten aufgefordert worden, ihm behilflich zu sein, mehrere Stücke Rindvieh, darunter auch ein Stierkalb, von der nahegelegenen Weide in den Stall zu treiben. Der Beklagte hatte den Kläger mit einer Peitsche ausgerüstet. Mit dieser hatte der Kläger die Tiere zum Stall getrieben. Der Beklagte stand in der Nähe der Stalltür, um zu verhindern, daß die Tiere daran vorbeigingen. Beim Stall wandte sich das Stierkalb gegen den Kläger, drückte ihn gegen die Mauer und brach ihm den linken Oberarm.

Mit der vorliegenden Klage stellte der Kläger das Begehren, den Beklagten, der den Unfall verschuldet habe und vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt wurde, zu verurteilen, ihm ein Schmerzengeld von 2000 S (später ausgedehnt auf 2500 S) zu zahlen.

Der Beklagte wendete ein, die L.-Sozialversicherungsanstalt habe den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt. Er sei Dienstgeber des Klägers gewesen. Dieser könne daher gemäß § 333 Abs. 1 ASVG. gegen ihn keine Ansprüche stellen. Eine vorsätzliche Verursachung sei nicht behauptet worden.

Die Parteien stellten außer Streit, daß der Kläger Verletzungen erlitt, und zwar Hautabschürfungen und einen Bruch des linken Oberarmes.

Das Erstgericht erkannte im ersten Rechtsgang den Beklagten schuldig, dem Kläger ein Schmerzengeld von 2500 S zu zahlen. Es erachtete die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluß nach § 333 ASVG. nicht für gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, ob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Dabei vertrat es die für das Erstgericht bindende Auffassung, daß auch der noch nicht vierjährige Kläger zu den im § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. e ASVG. genannten Personen gehören könne, wenn er eine ernste und wirtschaftlich nützliche Arbeit für den Beklagten geleistet habe. Eine Beurteilung in dieser Richtung sei erst nach Ergänzung des Verfahrens über den Entwicklungszustand des Kindes im Zeitpunkt des Unfalles möglich.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und verurteilte den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzengeldes im Betrag von 2500 S s. A.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bevor auf die Rechtsrüge eingegangen wird, ist darauf zu verweisen, daß der Oberste Gerichtshof die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, selbst entscheiden kann, da er nach seiner bisherigen Rechtsprechung in dieser Hinsicht an die Bescheide der Sozialversicherungsträger nicht gebunden ist (ZVR. 1958 Nr. 212, SZ. XXX 53, RiZ. 1961 S. 16 u. a.).

Mit Recht wendet sich der Kläger gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß er als noch nicht einmal vierjähriges Kind im Betrieb des Beklagten eine ernste und planmäßige, dem Versicherungsschutz unterliegende Arbeit geleistet habe, als er das Vieh zum Stall trieb. Im Vordergrund steht die Frage, mit welchem Alter ein Kind in der Lage ist, eine solche Arbeitsleistung zu erbringen. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung der Schiedsgerichte der Sozialversicherung zu verweisen, soweit sie sich mit dieser Frage zu befassen hatten. Aus dieser Rechtsprechung ist die einheitliche Auffassung zu entnehmen, daß jedenfalls ein schulpflichtiges, also ein Kind ab dem 6. Lebensjahr, physisch und psychisch in der Lage ist, z. B. in der Landwirtschaft ernste, dem Versicherungsschutz unterliegende Arbeiten zu verrichten (SV-Slg. 770, 771, 772, 2842, 4855, 4856, 6789). Bezüglich der Arbeitsleistungen eines fünfjährigen Kindes sind die Meinungen bereits geteilt. Während der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 7. Mai 1952, P 58/50, zum Ausdruck gebracht hat, daß auch ein erst fünfjähriges Kind den Versicherungsschutz genießen soll, wenn es in einen planmäßigen Arbeitsvorgang eingeschaltet sei, haben die Schiedsgerichte die Auffassung vertreten, daß ein fünfjähriges Kind physisch und psychisch nicht fähig sei, eine ernste Arbeit zu leisten (s. SV-Slg. 652, 2845). Die Arbeitsleistung eines Kindes unter fünf Jahren ist nach dieser Rechtsprechung überhaupt nicht als eine den Versicherungsschutz genießende Arbeit zu werten (SV-Slg. 2846, 3910, 6790, 9136).

Auch der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung VersR. 1954 S. 280 zu dieser Frage Stellung genommen und die Ansicht vertreten, daß die Tätigkeit eines neunjährigen Schülers, der mitgeholfen hatte das für die Schule bestimmte Holz mit einer Kreissäge zu zerkleinern, und bei dieser Tätigkeit verletzt worden war, den Versicherungsschutz genießt. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß die Frage, ob eine solche Beschäftigung für die Kinder überhaupt erlaubt und zulässig sei, nicht wesentlich sei, da die auf den damaligen Fall anzuwendenden Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung zwischen einer zulässigen und einer unzulässigen Beschäftigung nicht unterschieden und auch ein verbotenes Handeln einen Arbeitsunfall nicht ausschließe.

Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, daß ein Kind im Alter von nicht einmal vier Jahren mit Rücksicht auf seine Entwicklung ungeeignet ist, eine ernste und planmäßige Arbeit zu leisten. Es folgt auch bei einer solchen Tätigkeit, wie sie der Kläger ausgeführt hat, erfahrungsgemäß dem Spieltrieb. Arbeiten, die einem Kind in einem solchen Alter z. B. im Haushalt, aber auch in der Landwirtschaft, aufgetragen werden, sind lediglich als eine erzieherische Maßnahme zu werten.

Wendet man diese grundsätzlichen Erwägungen auf den vorliegenden Fall an, dann ist die Auffassung gerechtfertigt, daß die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nicht als eine ernste und planmäßige Arbeit im Betrieb des Beklagten zu werten ist, die Versicherungsschutz genießt. Dabei ist es nicht von entscheidender Bedeutung, daß der Kläger nach den Feststellungen der Untergerichte seinem Alter entsprechend körperlich und geistig gut entwickelt ist und schon einige Male dem Beklagten behilflich war, das Vieh von der Weide zu treiben.

Der Beklagte hat den Unfall des Klägers schuldhaft herbeigeführt, weil er ihm eine gefährliche Arbeit aufgetragen hatte, wie der vorliegende Fall zeigt. Der Beklagte wurde auch vom Strafgericht wegen der Übertretung nach § 335 StG. verurteilt. Er hat dem Kläger gemäß § 1325 ABGB. Schmerzengeld zu zahlen. Es ist unbestritten, daß der Kläger neben Hautabschürfungen einen Bruch des linken Oberarmes erlitten hat. Mit Rücksicht auf die Schwere dieser Verletzung an sich und die erfahrungsgemäß damit verbundenen Schmerzen ist der vom Kläger begehrte Betrag von 2500 S durchaus angemessen. Diese Entscheidung konnte auf Grund der Aktenlage getroffen werden, zumal auch die Feststellungen des Erstgerichtes über die vom Kläger erlittenen Verletzungen und deren Folgen vom Beklagten nicht angefochten worden waren.

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