Spruch:
Der ausgeschlossene Genossenschafter kann auf dem Rechtsweg von der Genossenschaft die satzungsgemäße Entscheidung über seine "Berufung" gegen den Ausschluß durch gemeinsamen Beschluß des Vorstandes und des Aufsichtsrates verlangen.
Entscheidung vom 12. April 1961, 6 Ob 69/61.
I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der Kläger war Mitglied und Vorstandsmitglied der beklagten Genossenschaft. In einer außerordentlichen Vorstandssitzung vom 15. April 1958 wurde er gemäß § 10 Abs. 1 lit. b der Satzung aus der beklagten Genossenschaft ausgeschlossen. Gleichzeitig wurde ihm eröffnet, daß er gemäß § 10 Abs. 3 der Satzung an einer Generalversammlung nicht mehr teilnehmen und auch nicht mehr Vorstandsmitglied sein könne. Dem Kläger gegenüber wurde sein Ausschluß damit begrundet, daß er entgegen den aus seiner Vorstandsmitgliedschaft sich ergebenden besonderen Pflichten ein ausgeschlossenes Mitglied (Wolfgang E.) heimlich zum Nachteil der Genossenschaft beraten habe. Der Kläger wurde dahin belehrt, daß er innerhalb eines Monates gegen den Ausschließungsbeschluß Berufung erheben könne, über welche der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten gemäß § 10 Abs. 4 der Satzung in gemeinsamer Sitzung endgültig entscheiden würden. In seiner fristgerecht am 5. Mai 1958 erhobenen Berufung hat der Kläger das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes bestritten und geltend gemacht, daß er als Vorstandsmitglied gemäß § 32 Abs. 3 lit. a der Satzung nur durch die Generalversammlung hätte abberufen werden können. Trotz der Setzung einer Nachfrist bis 15. April 1960 durch Schreiben des Klägers vom 29. März 1960 an den Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Beklagten wurde über die Berufung des Klägers bisher nicht entschieden. Nach Erhebung der gegenständlichen Klage am 28. April 1960 wurde vom Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten am 17. Mai 1960 beschlossen, das Verfahren über die Berufung des Klägers bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreites der Beklagten gegen Wolfgang E. und bis zur endgültigen Feststellung des Wortlautes des geänderten § 10 Abs. 4 der Satzung zu unterbrechen. Die Beklagte hatte dem Kläger bei der Verständigung von der Sitzung vom 17. Mai 1960 mitgeteilt, daß es ihr wegen Vorlage der darauf bezüglichen Aktenstücke in ihrem erwähnten Räumungsprozeß gegen Wolfgang E. nicht möglich sei, dem Kläger die von ihm verlangte genaue Darstellung der Gründe seines Ausschlusses zu geben. Im Zeitpunkt des Ausschlusses des Klägers bestimmte § 10 Abs. 4 der Satzung, daß über die Berufung eines vom Vorstand Ausgeschlossenen der Vorstand und der Aufsichtsrat in gemeinsamer Sitzung, unbeschadet der gesetzlichen Rechte des Ausgeschlossenen, endgültig entscheiden. Nach § 31 lit. c der Satzung obliegt die Beschlußfassung über den Widerruf der Bestellung von Vorstandsmitgliedern der Generalversammlung, wobei nach § 32 Abs. 3 lit. a der Satzung zur Gültigkeit dieser Beschlußfassung eine Mehrheit von drei Vierteln der erschienenen Mitglieder erforderlich ist. In dem erwähnten Räumungsprozeß der Beklagten gegen Wolfgang E. hat sich der dort beklagte Wolfgang E. auf den Kläger als Zeugen dafür berufen, daß er, E., von der Beklagten zu Unrecht ausgeschlossen worden sei. In diesem Räumungsprozeß ist bisher ein Beweisbeschluß nicht gefaßt worden.
Das Erstgericht hat im Sinne des Klagebegehrens die Beklagte schuldig erkannt, durch ihren Vorstand und Aufsichtsrat über die Berufung des Klägers gegen den Ausschließungsbeschluß zu entscheiden. Als angemessene Leistungsfrist gemäß § 409 Abs. 2 Satz 1 ZPO. hat das Erstgericht drei Monate festgesetzt.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der Beklagten nicht Folge gegeben und gemäß § 500 Abs. 2 ZPO. ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof tritt der Ansicht der Untergerichte bei, daß entgegen dem in der Revision vertretenen Standpunkt die genossenschaftlichen Organe, die über die Berufung des Klägers entscheiden sollen, nicht einem Gericht oder Schiedsgericht ähnlich und nicht als von der beklagten Genossenschaft verschiedene Personen anzusehen seien, deren Entscheidung durch die beklagte Genossenschaft nicht erzwungen werden könnte, so daß die Unterinstanzen die Beklagte zur Erbringung einer ihr unmöglichen Leistung verurteilt hätten. Gegen diese vom Obersten Gerichtshof gebilligte Ansicht der Untergerichte fällt, nicht ins Gewicht, daß der Genossenschaftsvertrag (die Satzung) von einer "Berufung" und einer "Entscheidung über die Berufung durch Vorstand und Aufsichtsrat in gemeinsamer Sitzung" spricht. Es würde arg. § 20 Z. 1 JN., §§ 586 Abs. 1., 598, 599 Abs. 1 ZPO. auch nichts ausmachen "wenn die Satzung - wie die von der Beklagten behauptete, angeblich nach dem Ausschluß des Klägers durchgeführte Satzungsänderung - von einer Entscheidung des Vorstandes und Aufsichtsrates "als Schiedsgericht" spräche. Denn es kommt nicht auf die für eine Sache gewählten Ausdrücke an. Die Organe der Genossenschaft sind Dritten - wie einem ausgeschlossenen Genossenschafter - gegenüber keine von der Genossenschaft verschiedenen Rechtspersonen, und die erwähnte vertragliche Bestimmung über die "Berufung" und "Berufungsentscheidung" - es kommt, wie das Berufungsgericht richtig ausführt, auf den Vertragsinhalt zur Zeit des Ausschlusses an - bedeutet nichts anderes, als daß sich die Genossenschaft verpflichtet hat, über einen unter Einhaltung gewisser Förmlichkeiten (wie einer "Berufungsfrist") geäußerten Wunsch des ausgeschlossenen Genossenschafters unter Einhaltung gewisser Förmlichkeiten (nämlich auf Grund eines gemeinsamen Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlusses) nochmals zu erklären, ob der Ausschluß aufrecht bleibt oder widerrufen wird. Die Möglichkeit einer dritten, dilatorischen Entscheidung ist nach dem Zweck der Satzungsbestimmung durch diese nicht vorgesehen. Vertreten die zur Beschlußfassung berufenen Organe der Genossenschaft die Ansicht, daß erst ein zukünftiges Ereignis, wie im vorliegenden Fall die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung im Räumungsprozeß der Genossenschaft gegen E., ergeben werde, ob der Ausschluß aufrechtzuerhalten sei, dann hat die Genossenschaft den Ausschluß als verfrüht erfolgt zurückzunehmen. Auf innere, in ihrer Organisation liegende Schwierigkeiten, die der Erfüllung einer Vertragspflicht entgegenstehen, kann sich eine juristische Person dem Vertragspartner gegenüber nicht berufen. Der Oberste Gerichtshof hat in ständiger Spruchpraxis (vgl. SZ. III 104, SZ. VIII 71, Rspr. 1932 Nr. 369, 2 Ob 392/53, 2 Ob 609/55, 1 Ob 120/57) die Ansicht vertreten und hält an ihr im vorliegenden Fall fest, daß das Genossenschaftsmitglied gegen eine willkürliche Entziehung seiner durch die Aufnahme erworbenen Rechte geschützt sein muß (da es sonst die Majorität der Genossenschaftsmitglieder jederzeit in der Hand hätte, die Minorität durch Ausschluß um ihre Rechte zu bringen), und daß der somit notwendige Schutz nur darin bestehen kann, daß im Streitfall darüber, ob die Genossenschaft bei der Ausschließung die durch die Statuten gezogenen Grenzen eingehalten habe, nicht sie selbst, sondern das Gericht an Hand des Vertrages (des Statuts, der Satzung) zu entscheiden hat, und zwar sowohl in materieller Beziehung, ob der geltend gemachte Ausschließungsgrund vorliegt und unter die im Genossenschaftsvertrag angeführten Ausschließungsgrunde eingereiht werden kann, als auch in formeller Beziehung, ob bei dem Ausschluß die Verfahrensbestimmungen des Statuts eingehalten worden sind. Daraus folgt weiter, daß einem Genossenschaftsmitglied, dem - wie dem Kläger - durch einen Ausschließungsbeschluß gemäß § 10 Abs. 3 der Satzung wichtige genossenschaftliche Rechte (Teilnahme an der Generalversammlung und Vorstandsmitgliedschaft) entzogen worden sind, der gleiche Schutz dagegen gewährt werden muß, daß die Genossenschaft die endgültige Entscheidung über die Fortdauer der Mitgliedschaft durch Verschleppung der "Berufungsentscheidung" in einer den endgültigen Ausschluß vorwegnehmenden Schwebe läßt und damit das Mitglied an der Bekämpfung des Ausschließungsbeschlusses auf dem Rechtsweg behindert. Dieser Schutz ist im vorliegenden Fall nach § 354 EO. erzwingbar.
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