Normen
Genossenschaftsgesetz §5 Z4
Genossenschaftsgesetz §5 Z4
Spruch:
Ist nach der Satzung einer Genossenschaft der Beschluß auf Ausschließung eines Genossen nicht zu begrunden, so genügt es, daß die erforderliche Mehrheit den Beschluß faßt und zur Zeit der Beschlußfassung den Ausschluß rechtfertigende Gründe vorhanden sind; es ist aber nicht erforderlich, daß ein bestimmter Grund die Abstimmenden in der Generalversammlung motiviert hat.
Entscheidung vom 16. November 1955, 2 Ob 609/55.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Kläger trat mit 1. Mai 1939 der beklagten Partei als Genossenschafter bei. Zu der für den 3. September 1953 ausgeschriebenen ordentlichen Generalversammlung der beklagten Partei wurde er zeitgerecht mit der Bekanntgabe verständigt, daß unter Punkt 2 der Tagesordnung ein Antrag auf seine Ausschließung aus der Genossenschaft zur Abstimmung komme. An dieser Generalversammlung nahm der Kläger nicht persönlich teil, wohl aber entsandte er in die Generalversammlung seinen Rechtsfreund Dr. Alfred W. zur Wahrung seiner Interessen. Der Antrag auf Ausschließung des Klägers wurde trotz der Stellungnahme Dr. W's mit dem Stimmenverhältnis 6 : 1 angenommen und der Kläger mit eingeschriebenem Brief vom 5. September 1953 von seinem Ausschluß aus der Genossenschaft verständigt.
Nach den Bestimmungen der geltenden Satzungen der beklagten Partei kann ein Genossenschafter aus der Genossenschaft u. a. ausgeschlossen werden, wenn sich sein Verhalten mit den Interessen der Genossenschaft nicht vereinbaren läßt. Die Ausschließung erfolgt zum Schluß des Geschäftsjahres durch Beschluß der Generalversammlung (Zweidrittelmehrheit), nachdem dem Genossenschafter Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu der beabsichtigten Ausschließung zu äußern. Der Beschluß der Ausschließung ist dem Genossenschafter durch den Vorstand sofort mittels eingeschriebenen Briefes mitzuteilen.
Schon der Generalversammlung vom 1. März 1953 lag ein Antrag auf Ausschluß des Klägers aus der Genossenschaft vor, doch erlangte dieser Antrag damals nicht die Mehrheit, er wurde vielmehr mit dem Stimmenverhältnis 4 : 3 abgelehnt. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war dem Kläger schon vor der zweiten Generalversammlung vom 3. September 1953 und zum großen Teil auch schon vor der Generalversammlung vom 1. März 1953 durch Vorhalte bekannt geworden, daß als Gründe für seine Ausschließung insbesondere mangelhafte Pflichterfüllung des Klägers als Buchhalter und Kassier, später auch in seiner Tätigkeit als Bäcker, in Betracht kämen. Bei der Generalversammlung vom 3. September 1953 hat der Vertreter des Klägers schließlich den Antrag gestellt, es möge dem Kläger noch einmal Gelegenheit geboten werden, in der Genossenschaft mit einer Probezeit bis 31. Dezember 1953 seine Tätigkeit aufzunehmen. Sollte sich nach dieser Zeit herausstellen, daß der Kläger nicht pflichtbewußt seinen Aufgaben nachkomme, dann habe die Genossenschaft das Recht, den Ausschluß vorzunehmen. Dieser Antrag wurde mit 6 : 1 Stimmen abgelehnt und darauf, wie bereits erwähnt, mit demselben Stimmenverhältnis, also mit der nach der Satzung erforderlichen Zweidrittelmehrheit, der Ausschluß des Klägers beschlossen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit seines Ausschlusses. Im Zuge des gegen die Ausschließung angestrengten Anfechtungsprozesses hat die beklagte Partei als Ausschließungsgrunde folgendes geltend gemacht:
1.) Wiederholte grobe Fehler des Klägers in der Führung der Bücher und Verfassung der Bilanzen in der Zeit vom 1. August 1947 bis März 1952;
2.) Qualitativ schlechte und zeitlich unzureichende Arbeitsleistungen des Klägers in seiner späteren Verwendung als Bäcker in der Zeit vom April 1952 bis April 1953;
3.) Dem Ansehen der Genossenschaft abträgliche und seine Vertrauenswürdigkeit erschütternde Einmischungen des Klägers in die Nachlaßangelegenheit Sch.;
4.) Anstiftung der Erben von verstorbenen Genossenschaftern zur Geltendmachung von Forderungen gegen die Genossenschaft.
Das Erstgericht war ebenso wie das Berufungsgericht der Ansicht, daß der letztgenannte Ausschließungsgrund von der Genossenschaft zur Rechtfertigung der Ausschließung im Prozeß nicht herangezogen werden könne, weil der Genossenschaft zur Zeit der Beschlußfassung dieser Ausschließungsgrund nicht bekannt war. Das Erstgericht hielt aber die drei ersten Ausschließungsgrunde für zutreffend und wies das Klagebegehren ab.
Auf die Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht das Ersturteil in dem Sinne, daß es die Ausschließung des Klägers aus der beklagten Genossenschaft für unwirksam erklärte.
Der Oberste Gerichtshof stellte das Ersturteil wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision bekämpft vor allem die Auffassung der Vorinstanzen, daß die Gerichte nicht nur die Einhaltung der formellen Voraussetzungen der Ausschließung eines Genossenschafters aus der Genossenschaft, sondern auch die sachliche Berechtigung des Ausschlusses zu überprüfen in der Lage waren, unter Hinweis auf § 46 der Satzung. Mit dieser Rüge kann die Revision allerdings nicht gehört werden. Die Auffassung der Vorinstanzen zu diesem Punkte entspricht der ständigen Praxis des Obersten Gerichtshofes (vgl. SZ. III 104, SZ. VIII 71, Rspr. 1932 Nr. 369, 2 Ob 392/53) und dem einschlägigen Schrifttum (vgl. die Literaturangaben in SZ. III 104 sowie Lang - Weidmüller, Guttentag'sche Sammlung deutscher Reichsgesetze Nr. 29,
23. Aufl. S. 177). Die Überprüfbarkeit autonomer Ausschließungsbeschlüsse ist ein unbedingtes Erfordernis der Rechtssicherheit.
Ebensowenig vermag der Oberste Gerichtshof der Revision insofern zu folgen, als sie der Auffassung der Vorinstanzen entgegentritt, daß an das Vorliegen des Ausschließungsgrundes des § 3 Abs. 4 lit. b der Satzung strenge Anforderungen zu stellen sind. in denen mit dem Verlust der Mitgliedschaft zu einer Körperschaft oder Gesellschaft vermögensrechtliche Nachteile verbunden sind oder verbunden sein können, sind Ausschließungsgrunde rigoros zu prüfen (vgl. den Reichsgerichtsrätekommentar zum HGB., 2. Aufl. II S. 409 Anm. 8 zu § 140 HGB.; ferner RGZ. 146, 179).
Aber auch unter Zugrundelegung dieser strengen Auffassung hält der Oberste Gerichtshof den Ausschluß für begrundet und demgemäß die Entscheidung der ersten, nicht aber die der zweiten Instanz, im Ergebnis für zutreffend.
Um die Berechtigung des autonomen Ausschlusses zu beurteilen, dürfen die einzelnen Ausschließungsgrunde nicht jeder für sich allein betrachtet werden, sondern es ist das Gesamtverhalten des Auszuschließenden zu prüfen, ähnlich wie bei der Beurteilung der Begrundetheit einer einem Dienstnehmer erklärten Entlassung (vgl. ArbSlg. 5440). Eine getrennte Beurteilung jedes einzelnen Entlassungsgrundes führt weder hier noch auch sonst bei der Prüfung des Ausschlusses aus einer Körperschaft zu einem richtigen Ergebnis.
Das Berufungsgericht ist bei seiner Auffassung, daß der Ausschluß nicht gerechtfertigt sei, soweit es sich um die ersten beiden Ausschließungsgrunde handelt, davon ausgegangen, daß diese Gründe nicht mehr als Stütze des Ausschlusses dienen könnten, weil diese Ausschließungsgrunde durch den den Ausschluß ablehnenden Beschluß der Generalversammlung vom 1. März 1953 konsumiert seien. Hiebei hat sich das Berufungsgericht im wesentlichen auf die Entscheidung des Reichsgerichtes RGZ. 51, 89 gestützt. Zum dritten Ausschließungsgrund - die Tatsachenfeststellung des Erstgerichtes hat das Berufungsgericht in diesem Punkt übernommen - war das Berufungsgericht der Ansicht, daß dieser Tatbestand deshalb nicht zur Rechtfertigung des Ausschließungsbeschlusses dienen könne, weil die abstimmenden Genossenschafter sich durch diesen Tatbestand zum Ausschluß nicht hätten bestimmen lassen.
Der Oberste Gerichtshof vermag sich zunächst der Auffassung des Berufungsgerichtes von der konsumierenden Wirkung des vorangegangenen Generalversammlungsbeschlusses nicht voll anzuschließen. Diese Auffassung ist zwar in der vorbezeichneten Entscheidung des Reichsgerichtes vertreten worden, hat aber im Schrifttum nicht Anklang gefunden (vgl. Grüger - Grecelius, Kommentar zum Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, 10. Aufl. S. 398). Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes konnten jedenfalls die für den Ausschließungsantrag vom 1. März 1953 maßgeblichen Gründe zur Unterstützung eines neuen Ausschließungsgrundes in Betracht gezogen werden, dies um so mehr als die schweren Verstöße des Klägers in seinem Arbeitsbereich als Buchhalter und Bilanzverfasser erst durch das dem ersten Ausschließungsantrag nachgefolgte Gutachten des Sachverständigen Karl H. für die Genossenschaft recht augenfällig geworden sind.
Der Standpunkt des Berufungsgerichtes, daß das Verhalten des Klägers in der Erbschaftsangelegenheit Sch. nicht als Ausschließungsgrund herangezogen werden könne, weil sich die an der Abstimmung beteiligenden Genossenschafter nicht durch diesen Ausschließungsgrund motivieren ließen, kann nicht geteilt werden. Zunächst muß es überhaupt zweifelhaft erscheinen, ob das Gericht berechtigt ist, das Geheime einer Abstimmung durch Stimmzettel, wie sie beim Ausschluß durch § 39 der alten Satzung vorgesehen war, zu durchbrechen, indem die einzelnen Abstimmenden darüber vernommen werden, wie und aus welchen Gründen sie so abgestimmt haben, wie sie es eben getan haben. Zudem würde die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsmeinung dazu führen, daß die qualifizierte Mehrheit nicht nur für die Bejahung des Bestandes der Ausschließungsgrunde, sondern auch für ihre Wertung im einzelnen vorhanden sein müßte. Wären im vorliegenden Fall drei der für den Ausschluß stimmenden Genossen nur durch die Untüchtigkeit des Klägers als Buchhalter und Bäcker zum Ausschluß bestimmt worden, die drei anderen aber nicht nur hiedurch, sondern auch durch den Mangel an Vertrauenswürdigkeit, wie er durch das Verhalten des Klägers in der Erbschaftsangelegenheit hervorgekommen ist, so wäre nach dem Standpunkt des Berufungsgerichtes der Ausschluß zu beheben, weil zwar die qualifizierte Mehrheit für den Ausschluß vorhanden war, durch den vom Berufungsgericht allein als triftig erkannten Ausschließungsgrund des Verhaltens des Klägers in der Erbschaftsangelegenheit aber sich nicht die erforderliche Mehrheit motivieren ließ. Das gleiche wäre der Fall, wenn drei Genossen, weil ihnen die ersten beiden Ausschließungsgrunde vollständig genügend erschienen waren, an weitere ihnen wohlbekannte Ausschließungsgrunde bei der Abstimmung gar nicht gedacht hätten. Schon aus dieser Überlegung folgt, daß es nicht darauf ankommt, ob sich die erforderliche Mehrheit durch einen bestimmten Ausschließungsgrund zum Ausschluß motivieren ließ, sondern darauf, ob Ausschließungsgrunde vorhanden waren, durch die die erforderliche Mehrheit zum Ausschluß bestimmt werden konnte. Die Satzung sieht ja auch nicht vor, daß dem Auszuschließenden die Ausschließungsgrunde im einzelnen mitzuteilen sind. Es ist ihm nur die Absicht des Ausschlusses bekanntzugeben. Der Ausschließungsbeschluß ist auch nicht zu begrunden. Daraus kann mit Sicherheit geschlossen werden, daß es genügt, daß die erforderliche Mehrheit den Ausschließungsbeschluß faßt und zur Zeit der Beschlußfassung ein den Ausschluß rechtfertigender Grund vorhanden ist, daß es aber nicht erforderlich ist, daß gerade dieser Grund die Abstimmung in der Generalversammlung motiviert hat. Das rechtliche Gehör ist dadurch gewährleistet, daß der Auszuschließende in dem Anfechtungsprozeß zu Wort kommt und dem Gericht gegenüber sein Verhalten zu rechtfertigen in der Lage ist. Der Oberste Gerichtshof ist daher der Ansicht, daß das Erstgericht zutreffend das Verhalten des
lägers in der Erbschaftsangelegenheit als Ausschließungsgrund gewertet hat und daß infolge Vorliegens dieses neuen Gründes auch die unter Z. 1 und 2 von der Genossenschaft geltend gemachten Verfehlungen des Klägers mit zu beurteilen waren. Nach den getroffenen Feststellungen ist das Verhalten des Klägers in der Erbschaftsangelegenheit nicht nur unter dem Gesichtspunkt mangelnder Vertrauenswürdigkeit des Klägers für die Begründung des Ausschlusses geeignet, sondern auch unter dem Gesichtspunkt einer Beeinträchtigung des Ansehens der Genossenschaft, zumal die Inhaftnahme des Klägers im Zusammenhang mit der Erbschaftsangelegenheit bekannt geworden ist und nach der übereinstimmenden Feststellung der Vorinstanzen trotz der Einstellung des Strafverfahrens der Verdacht unlauteren Verhaltens des Klägers nicht entkräftet ist.
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