OGH 6Ob204/58

OGH6Ob204/5824.9.1958

SZ 31/116

Normen

ABGB §936
ABGB §971
ABGB §1090
ABGB §1175
ABGB §936
ABGB §971
ABGB §1090
ABGB §1175

 

Spruch:

Lösbarkeit von Dauerschuldverhältnissen bei Änderung der Verhältnisse.

Entscheidung vom 24. September 1958, 6 Ob 204/58.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Duldung der Aufstellung und des Betriebes eines Musikautomaten in ihrem Kaffeehaus in Wien 8., L.-Gasse 24, mit der Begründung, daß sich die Beklagte hiezu für die noch nicht abgelaufene Dauer von drei Jahren vertraglich verpflichtet habe.

Die Beklagte wendete ein, daß sie in ihrem Geschäftsbetrieb durch den Betrieb des Musikautomaten, der einen verstärkten Besuch von Jugendlichen zur Folge hatte, geschädigt worden sei, welcher Umstand sie zur vorzeitigen Vertragsauflösung berechtigt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, die Streitteile hätten am 2. September 1955 vereinbart, daß der Kläger für die Dauer von drei Jahren berechtigt sei, einen Musikautomaten der Marke "Seeburg" auf einem einvernehmlich bestimmten Platz im Kaffeehaus der Beklagten aufzustellen. Die Beklagte habe als Entgelt 300 S monatlich erhalten. Als Folge der Aufstellung des Musikautomaten sei es im Sommer 1957 zum Besuch des Kaffeehauses durch zahlreiche Jugendliche gekommen, die das Inventar im Kaffeehaus beschädigt und sich gegenüber dem Bedienungspersonal ungebührlich benommen hätten. Wegen dieser Vorfälle hätte die Polizei wiederholt eingreifen müssen. Die Beklagte habe deshalb den Apparat abgestellt und sich geweigert, ihn wieder einzuschalten. Sie habe vom Kläger die Wegschaffung des Apparates begehrt, worauf der Kläger den Apparat schließlich unter Protest zurückgenommen habe. Nach Ansicht des Erstgerichtes entspreche die Vereinbarung keiner der gesetzlichen Vertragstypen, gleiche aber am ehesten einem Bestandvertrag. In sinngemäßer Anwendung des § 1118 ABGB. sei die Beklagte berechtigt gewesen, die Aufhebung des Vertrages zu fordern.

Der dagegen seitens des Klägers erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes habe die Beklagte mit einem den Betrieb beeinträchtigenden Verhalten von Jugendlichen, das sogar mit Sachbeschädigungen verbunden war, nicht rechnen können. Daß aber die Besuche der Jugendlichen im Sommer 1957 durch den Betrieb des Musikautomaten veranlaßt wurden, habe das Erstgericht festgestellt. Für die Beurteilung der Berechtigung der Beklagten, die Aufhebung des Vertragsverhältnisses zu begehren, sei nicht entscheidend, ob das Vertragsverhältnis einer der gesetzlichen Vertragstypen zugerechnet werden könne oder einen gesetzlich nicht geregelten Vertrag darstelle. Nach der aus dem Vertragsverhältnis (Dauerschuldverhältnis) unzweifelhaft erkennbaren Absicht der Parteien, nämlich der Erzielung von Einspielergebnissen auf Seite des Klägers und der Umsatzsteigerung auf Seite der Beklagten, müsse als typische Vertragsvoraussetzung angesehen werden (§ 901 ABGB.), daß durch den Betrieb des Musikautomaten der Geschäftsbetrieb der Beklagten nicht gestört und ihr nicht Schaden zugefügt werde. Dies müsse schon deshalb angenommen werden, weil sich auch der Kläger ausdrücklich das Recht ausbedungen habe, bei Unrentabilität vom Vertrag zurückzutreten. Das Verhalten der durch den Betrieb des Musikautomaten zum verstärkten Besuch veranlaßten Jugendlichen stelle aber eine wesentliche Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebes der Beklagten dar, der sie zum Rücktritt berechtige. Der Beklagten könne bei dem von ihr nicht veranlaßten und für sie nicht vorhersehbaren Ausmaß der Beeinträchtigung ihrer Person und ihres Betriebes durch den Betrieb des Musikautomaten die weitere Aufrechterhaltung des Dauerschuldverhältnisses nicht zugemutet werden. Polizeilicher Schutz könne unter Umständen zu spät eintreffen, und eine ständige polizeiliche Bewachung des Unternehmens der Beklagten sei kaum denkbar.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Richtig ist die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß gegenständlich ein gemischter Vertrag vorliegt, dessen Wesen durch die bestandrechtliche Beimengung nicht entscheidend beeinflußt wird. Entscheidend ist jedoch, daß es sich jedenfalls um ein Dauerschuldverhältnis handelt, da die Leistungen beiderseits so lange erbracht werden müssen, als das Vertragsverhältnis währt. Nun zeigt sich der Gegensatz der Schuldverhältnisse auf Dauer und auf vorübergehende Leistung namentlich in der Art ihrer Aufhebung. Während bei Schuldverhältnissen auf vorübergehende Leistung die Beendigung in der Regel nur durch Vertrag möglich ist und Aufhebung durch einseitige Erklärung grundsätzlich nur im Falle der Vertragsverletzung vorkommt, ist bei Dauerschuldverhältnissen gerade die Aufhebung durch einseitige Erklärung das Gewöhnliche. Die einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, welche ein Dauerrechtsverhältnis beendet, heißt Kündigung oder vorzeitige Aufhebung aus wichtigen Gründen, je nachdem ob sie nach Willkür erfolgen kann, ihre Wirkung aber erst nach Ablauf einer Frist äußert, oder ob sie nur von Erfolg begleitet ist, wenn Umstände vorliegen, welche der Partei die Fortsetzung des Verhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen lassen, dafür aber die Beendigung sofort herbeiführt. Kündigung und Aufhebung aus wichtigen Gründen sind im Gesetz nicht in den allgemeinen Lehren von der Erlöschung der Obligation, sondern nur kasuistisch bei den einzelnen Dauerschuldverhältnissen behandelt. Im Wege der Analogie ist daher, ein vorzeitiges Lösungsrecht aus wichtigen Gründen auch bei solchen Dauerschuldverhältnissen anzunehmen, welche im Gesetz nicht geregelt sind. Hieraus, nicht aus § 936 ABGB., erklärt es sich, daß bei solchen Verträgen der Einfluß veränderter Umstände in Betracht kommt; denn der Gesetzesgrund für die Einführung des vorzeitigen Lösungsrechtes, nämlich die Unvorhersehbarkeit der künftigen Vertragslage, trifft für alle solchen Rechtsverhältnisse zu, wobei allerdings eine Aufhebung wegen veränderter Umstände, anders als bei den Schuldverhältnissen auf vorübergehende Leistung, nur mit Wirkung für die Zukunft zugelassen werden kann. Dauerschuldverhältnisse können daher aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vereinbarten Zeit und auch ohne Einhaltung der sonst wahrzunehmenden Kündigungstermine und Kündigungsfristen gelöst werden. Einen wichtigen Grund kann unter Umständen auch die nachträgliche Erschwerung der geschuldeten Leistung bilden, und zwar selbst dann, wenn die Schwierigkeit nicht so weit geht, daß die Leistung rechtlich als unmöglich anzusehen ist. Es handelt sich hier nicht um die Anwendung der Regel des § 1447 ABGB., sondern um die des oben angeführten, für Dauerschuldverhältnisse geltenden Rechtssatzes (vgl. Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 25 ff. und Pisko - Gschnitzer in Klang 2. Aufl. VI 545). Wenn den Rechtsausführungen des Klägers in seiner Revision die Auffassung zu entnehmen ist, daß die Beklagte zufolge Aufstellung des Musikautomaten schon von vorneherein mit einem größeren Zulauf von Jugendlichen habe rechnen müssen, so ist dem entgegenzuhalten, daß wohl mit einem verstärkten Besuch von Jugendlichen, nicht aber mit einem den Betrieb ernstlich beeinträchtigenden Verhalten der Jugendlichen gerechnet werden konnte, welches sogar zu einer Beschädigung des Kaffeehausinventars führte und wiederholtes Einschreiten der Polizei erforderlich machte. Da die Besuche der Jugendlichen im Sommer 1957, bei welchen sich schwere, mit Sachbeschädigungen verbundene Betriebsstörungen ereigneten, nach den Feststellungen durch den Betrieb des Musikautomaten veranlaßt wurden, der ungestörte Geschäftsbetrieb jedoch als wesentliche Vertragsvoraussetzung betrachtet werden muß, ist die Auffassung des Berufungsgerichtes zutreffend, daß der Beklagten die Aufrechterhaltung des Dauerschuldverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Die Abweisung des Klagebegehrens erfolgte daher zu Recht.

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