OGH 4Ob47/58

OGH4Ob47/5815.4.1958

SZ 31/60

Normen

JN §42
ZPO §237
ZPO §240 Abs3
ZPO §471 Z7
ZPO §477 Abs1
JN §42
ZPO §237
ZPO §240 Abs3
ZPO §471 Z7
ZPO §477 Abs1

 

Spruch:

Bei Zurücknahme der Klage kann das Prozeßgericht und das mit einem Rekurs gegen eine Kostenentscheidung befaßte Gericht zweiter Instanz das Verfahren nicht mehr von Amts wegen für nichtig erklären.

Entscheidung vom 15. April 1958, 4 Ob 47/58.

I. Instanz: Arbeitsgericht Neunkirchen; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.

Text

Die Klägerin hat gegen die Verlassenschaft nach Rupert B. eine Klage auf Zahlung eines Arbeitsentgeltes von 28.200 S eingebracht. Die Klagegleichschrift und die Ladung zur mündlichen Streitverhandlung vom 24. Februar 1958 wurden dem Antrag der Klägerin gemäß der angeblichen Verlassenschaftskuratorin Anna O. zugestellt. Noch vor der Streitverhandlung gab die Klägerin dem Erstgericht bekannt, daß nicht Anna O., sondern Dr. Friedrich R. Verlassenschaftskurator der beklagten Partei sei. Dr. Friedrich R. wurde vom Erstgericht zur Streitverhandlung geladen. Gleichfalls vor der Verhandlung setzte Dr. Friedrich R. namens der Anna O. das Erstgericht davon in Kenntnis, daß die beklagte Partei noch vor der Einbringung der Klage in Konkurs verfallen und Dr. Otto Sch. zum Masseverwalter bestellt worden sei. Bei der Streitverhandlung vom 24. Februar 1958, zu der der Masseverwalter nicht geladen worden war, erschien auf der Seite der beklagten Partei nur Dr. Friedrich R. Die Klägerin zog bei dieser Verhandlung mit Zustimmung des Dr. Friedrich R. die Klage ohne Verzicht auf den Anspruch zurück.

Hierauf verkundete der Erstrichter den dann nicht ausgefertigten Beschluß, wonach 1. die Rückziehung der Klage ohne Verzicht auf den Anspruch zur Kenntnis diene und 2. die Kosten der beklagten Partei mit 1242 S 48 g bestimmt wurden.

Gegen die Kostenentscheidung des Erstgerichtes brachte die Klägerin einen Rekurs mit dem Antrag ein, daß an Stelle der nach Tarifpost 3 zuerkannten Kosten solche nur im Umfang der Tarifpost 1 sowie Barauslagen zuerkannt werden mögen.

Aus Anlaß dieses Kostenrekurses hob das Rekursgericht den ganzen Beschluß des Erstgerichtes und das vorausgegangene Verfahren als nichtig auf, hob die Kosten der Verfahrensbeteiligten erster Instanz gegenseitig auf und sprach aus, daß die Klägerin ihre Rekurskosten selbst zu tragen habe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem von Dr. Friedrich R. als Verlassenschaftskurator und als Vertreter der Anna O. erhobenen Revisionsrekurs insoweit Folge, als der erstgerichtliche Beschluß - abgesehen von seiner Kostenentscheidung - und das ihm vorausgegangene Verfahren als nichtig aufgehoben worden waren.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Rekursgericht vertritt die Meinung, daß es aus Anlaß des von der Klägerin erhobenen Kostenrekurses befugt sei, Nichtigkeiten des Verfahrens, die es in der aus § 6 KO. hervorgehenden Unzulässigkeit des Rechtsweges und der mangelnden Vertretung der beklagten Partei durch den allein berufenen Masseverwalter erblickte, von Amts wegen aufzugreifen. Nach der Bestimmung des § 7 Abs. 1 ZPO. kann das Gericht erster oder höherer Instanz, bei dem die Rechtssache eben anhängig ist, die Nichtigkeit des vom Mangel der gesetzlichen Vertretung betroffenen Verfahrens durch Beschluß aussprechen. Aus § 42 Abs. 1 JN. geht hervor, daß im Falle der Unzulässigkeit des Rechtsweges das angerufene Gericht die Nichtigkeit seines Verfahrens durch Beschluß auszusprechen und das gleiche seitens der Gerichte höherer Instanz zu geschehen hat, wenn der Mangel erst hier offenbar wird. Die Bestimmung des § 42 Abs. 1 JN. ist aber im vorliegenden Verfahren entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht heranzuziehen. Das Verbot der Prozeßführung nach § 6 KO. hat nämlich, wie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 318/57 in Übereinstimmung mit Bartsch - Pollak, Konkursordnung, 3. Aufl. I S. 69 Anm. 5, ausgesprochen hat, nicht die Unzulässigkeit des Rechtsweges und den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z. 6 ZPO., sondern einen Mangel der Verfügungsfähigkeit und damit die Nichtigkeit des § 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO. zur Grundlage. Dieser Mangel ist wie der Mangel der Prozeßfähigkeit nach §§ 6, 7 ZPO. zu behandeln.

Das Prozeßgericht kann sein Verfahren für nichtig erklären, solange die Rechtssache bei ihm anhängig ist. Dies ergibt sich deutlich aus § 7 Abs. 1 ZPO. (arg. verb. "bei welchem die Rechtssache eben anhängig ist"), müßte aber auch für den Fall des § 42 Abs. 1 JN. gelten, weil auch dort von der "anhängig gewordenen" Rechtssache gesprochen wird. Das Erstgericht kann aber sein Verfahren nur dann für nichtig erklären, wenn es mit der "Rechtssache", das ist mit der Entscheidung des Streitgegenstandes, befaßt ist.

Nichts anderes gilt für das Gericht höherer Instanz. Auch dieses Gericht muß mit der Rechtssache als solcher, nämlich dem Gegenstand des Streites, befaßt sein, damit es die in erster Instanz unterlaufene Nichtigkeit von Amts wegen aufgreifen kann.

Im vorliegenden Fall ist gegen den ersten Punkt des erstgerichtlichen Beschlusses, womit die Rücknahme der Klage zur Kenntnis genommen und der Rechtsstreit damit beendet wurde, von keiner Partei ein Rechtsmittel erhoben worden. Die Klägerin hat dadurch, daß sie die Entscheidung des Erstgerichtes nur im zweiten Punkt, also bezüglich der Kostenentscheidung, und diese wieder nur hinsichtlich der Höhe der zugesprochenen Kosten, angefochten hat, zu erkennen gegeben, daß sie den ersten Punkt nicht bekämpfen wolle. Auch der Verlassenschaftskurator, der der Klagsrücknahme zugestimmt hat, hatte keinen Anlaß, diesen Teil des erstgerichtlichen Beschlusses anzufechten. Es ist zwar richtig, daß der erstgerichtliche Beschluß in seiner Gesamtheit noch nicht rechtskräftig geworden ist, weil er vom Erstgericht an die Parteien hätte zugestellt werden sollen. Solange aber der die Rechtssache als solche betreffende erste Teil des Beschlusses des Prozeßgerichtes von den Parteien nicht angefochten wurde und sich das vom Rekursgericht zu erledigende Rechtsmittel der Klägerin nur gegen die Höhe der vom Erstgericht der beklagten Partei zugesprochenen Prozeßkosten richtete, war das Rekursgericht nur mit einem geringfügigen Nebenanspruch, nicht aber mit dem Gegenstand des Rechtsstreites befaßt. Dieser Nebenanspruch war zudem von dem den Rechtsstreit beendenden ersten Teil des erstgerichtlichen Beschlusses, der nicht angefochten worden war, nach § 237 Abs. 3 ZPO. abhängig. Das Rekursgericht durfte daher anläßlich der bloßen Entscheidung über den Kostenrekurs der Klägerin die allfällige Nichtigkeit des nicht angefochtenen Teiles des erstgerichtlichen Beschlusses und des diesem Beschluß vorausgegangenen Verfahrens nicht von Amts wegen aufgreifen. Es hätte dies nur tun dürfen, wenn auch der erste Punkt des Beschlusses bekämpft worden wäre.

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