Spruch:
Spruchrepertorium Nr. 48 neu.
Der Hauseigentümer, der den Bestandgegenstand ein zweites Mal vermietet, kann der Leistungsklage des ersten Mieters die Einrede der Unmöglichkeit der Leistung nicht entgegensetzen.
Entscheidung vom 29. Mai 1957, 3 Ob 205/57.
I. Instanz: Bezirksgericht Favoriten; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Klägerin mietete am 29. Oktober 1937 die Wohnung Nr. 23 des Hauses Wien 10., E.-Gasse 14, welche nach dem Willen der Parteien aus einem Zimmer, einem Kabinett, einer Küche und einem Vorraum bestehen sollte. Es wurde ausdrücklich festgehalten, daß das in dieser Wohnung vom Ehepaar D. bewohnte Kabinett von der Klägerin weiterhin diesem Ehepaar zur Verfügung gestellt werde, dieses Kabinett jedoch im Falle der Räumung an die Klägerin falle. Als Mietzins für die tatsächlich in Benützung genommenen Räume wurde ein Betrag von 15 S 54 g vereinbart. Das Mietverhältnis unterliegt dem Mietengesetz. Die Klägerin zahlte eine Ablöse, welche sie im Jahre 1938 zurückerhielt. Der Vertrag hinsichtlich des Kabinettes wurde in der Folge nicht aufgelöst. Als das Kabinett im Sommer 1956 frei wurde, verlangte die Klägerin dessen Übergabe. Die Hauseigentümerin vertrat jedoch den Standpunkt, daß die seinerzeitige Vereinbarung keine Gültigkeit mehr habe, weil die für die Wohnung gegebene Ablöse zurückverlangt worden sei. Die Hauseigentümerin vermietete das Kabinett am 1. August 1956 an eine alleinstehende Person. Das Kabinett wurde von dieser bereits vor Einbringung dieser Klage in Benützung genommen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin, die beklagte Hauseigentümerin schuldig zu erkennen, die Benützung des Kabinettes durch die Klägerin zu dulden. Die Beklagte bestritt die Gültigkeit der getroffenen Vereinbarung und wendete auch Unmöglichkeit der Leistung ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei wohl ein Mietvertrag hinsichtlich dieses Kabinettes zwischen den Streitteilen im Jahre 1937 zustandegekommen. Mit Rücksicht auf die Vermietung des Kabinettes vor Einbringung der vorliegenden Klage liege jedoch Unmöglichkeit der Leistung vor.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Bestandobjekt sei vorhanden, und es könne nicht ausgeschlossen werden, daß es der Klägerin auch zur Verfügung gestellt werden könne, etwa wenn die Bestandnehmerin mit der Lösung des Bestandverhältnisses einverstanden wäre oder wenn es auf eine andere Art zur Auflösung des Bestandverhältnisses komme. Auf all dies brauche jedoch nicht eingegangen zu werden, weil die Beklagte nur eingewendet habe, daß sie zur Einhaltung des Mietvertrages nicht verpflichtet sei und daß sie das Kabinett daher bereits weitervermietet habe. Dies bedeute, daß von einer Unmöglichkeit der Leistung schlechthin nicht gesprochen werden könne. Da die Klägerin das Kabinett noch nicht in Benützung genommen habe, habe im Spruche das Wörtchen "wieder" zu entfallen gehabt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe:
Fest steht, daß die Klägerin bereits im Jahre 1937 das Kabinett gemietet hat, daß aber vorläufig noch das Ehepaar D. dort wohnen konnte und das Kabinett der Klägerin zur Verfügung gestellt werden sollte, wenn es frei werde. Dieser Vertrag wurde in der Folge nicht geändert. Die Beklagte wäre daher verpflichtet gewesen, das Kabinett, nachdem es im Sommer 1956 frei geworden ist, der Klägerin zu übergeben. Die Klägerin hat also einen Anspruch auf Einräumung des Gebrauches. All dies wird in der Revision nicht mehr bekämpft. Es wird nur neuerlich die Unmöglichkeit der Leistung behauptet.
Die Frage der Unmöglichkeit der Leistung bei Doppelvermietungen wurde in der Rechtsprechung nicht einheitlich gelöst. Die Entscheidungen 3 Ob 226/52 und 3 Ob 476/52 halten das Begehren des Altmieters dem Vermieter gegenüber auf Übergabe des Bestandgegenstandes schon dann für rechtlich unmöglich, wenn der zweite Mietvertrag weder durch Vertrag mit dem derzeitigen Mieter noch durch Kündigung aufgelöst werden kann. Eine solche Unmöglichkeit müsse auch bei den herrschenden Wohnverhältnissen als eine dauernde angesehen werden. Spätere Entscheidungen wie 1 Ob 1055/52 und 1 Ob 50/54 erachten, daß hier § 920 ABGB. zur Anwendung zu kommen habe. Diese Bestimmung setze voraus, daß die durch Verschulden des Schuldners unmöglich gewordene Leistung nicht mehr zu erbringen sei und daß dem Gläubiger nur mehr das Wahlrecht zwischen Rücktritt vom Vertrag oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung zustehe. Wer verpflichtet sei, dem Gläubiger eine Sache zu verschaffen, der könne sich auf eine Unmöglichkeit erst dann berufen, wenn er dartue, daß ihm die Beschaffung der Sache oder die Erbringung der Leistung unmöglich sei. Der Umstand, daß sich die Sache in dritter Hand befinde, mache die Beschaffung an sich noch nicht unmöglich. Sie wäre es nur dann, wenn sich der Dritte definitiv weigere, die Sache aufzugeben. Dem werde gleichzustellen sein, wenn der Dritte sich nur gegen ein unverhältnismäßig hohes Entgelt zur Veräußerung der Sache bereit fände. Solange nicht bewiesen sei, daß der Vermieter alles getan habe, um den neuen Mieter zum Verzicht auf die Räumlichkeiten zu bewegen, könne von einer wirklichen, d. h. logischen Unmöglichkeit nicht gesprochen werden (ähnlich 2 Ob 424/53, 2 Ob 461/53).
Noch einen Schritt weiter geht die Entscheidung 2 Ob 527/54, welche ausspricht, das Leistungsbegehren sei nur dann abzuweisen, wenn der Schuldner Tatsachen behaupte und beweise, welche die Beschaffung der Sache objektiv unmöglich erscheinen lassen. Der Beweis, daß die Beschaffung schwierig oder kostspielig sei, genüge nicht (mit Berufung auf GlUNF. 5449 und 6138, Rspr. 1928 Nr. 140, SZ. VII 166).
Die Entscheidung 3 Ob 774/53 verlegt hingegen die Prüfung der Frage der Unmöglichkeit der Leistung in das Exekutionsverfahren. Sache des Vermieters werde es sein, den neuen Mieter zur Übergabe der Räume zu veranlassen. Ob ihm das möglich sein werde, werde sich im Exekutionsverfahren ergeben. Demgegenüber sagt die vereinzelt gebliebene Entscheidung 7 Ob 61/57, daß zwar § 920 ABGB. auf Dauerschuldverhältnisse nicht unbeschränkt anwendbar sei, daß aber auch auf dem Gebiete des Mietrechtes der Grundsatz, daß Unmögliches nicht erzwungen werden könne, keine Ausnahme erleide. Der Rechtsmeinung, daß die Frage der Unmöglichkeit erst im Vollstreckungsverfahren zu klären sei, könne nicht beigetreten werden. Es werde wohl in vielen Fällen die Klärung erst im Vollstreckungswege möglich sein. Lasse sich aber die Behauptung des Verpflichteten, die Leistung sei unmöglich, schon im Zuge des Rechtsstreites überprüfen, dann könne über diese Behauptung nicht mit dem Hinweis auf eine mögliche Klarstellung im Exekutionsverfahren hinweggegangen werden, weil die Verpflichtung zu einer Leistung, deren Unmöglichkeit dem Gerichte bekannt oder erkennbar sei, nicht Inhalt eines Urteilsspruches sein dürfe. Der Vermieter könne dann nicht zur Beschaffung einer Wohnung verhalten werden, wenn die Wohnung nur unter unzumutbaren Aufwendungen vom neuen Mieter freigemacht werden könnte, die zum Werte der Wohnung im krassen Mißverhältnis stunden. Die Einwendung der Unmöglichkeit der Leistung könne aber insolange nicht erhoben werden, als der zweite Mieter noch nicht im Besitze der Wohnung sei, weil es in einem solchen Falle dem vertragsbrüchigen Vermieter überlassen bleiben müsse, sich mit dem späteren Mieter auseinanderzusetzen.
Die Entscheidung 7 Ob 423/56 und ihr folgend die Entscheidung 3 Ob 626/56 lehnen die Einrede der Unmöglichkeit der Leistung überhaupt ab. Der alte Mieter sei berechtigt, vom Vermieter die Zuhaltung des Mietvertrages, also die Übergabe der Bestandsache, zu verlangen. Dieser aus dem Mietvertrage resultierenden Verpflichtung könne sich der Vermieter auch dann nicht entziehen, wenn er den Bestandgegenstand ein zweites Mal vermietet habe. Er habe die Folgen des Vertragsbruches und damit auch, wenn eine Auflösung des späteren Mietvertrages nicht möglich sei, eine Exekution auf Grund des vom früheren Mieter gegen ihn erwirkten Urteils auf sich zu nehmen (Berufung auf MietSlg. 1851, 2441). Auch wenn festgestellt sei, daß der neue Mieter unter gar keinen Umständen bereit sei, auf seine Mietrechte zu verzichten, genüge dies nicht, um eine rechtliche Unmöglichkeit der Leistung im Sinne des § 920 ABGB. schon jetzt annehmen zu können. Es dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß der siegreiche Kläger in der Lage wäre, seinen Anspruch gegen den Vermieter auf Übergabe der Bestandsache im Exekutionswege auch gegen den Willen des Nachmieters durchzusetzen. Eine Exekutionsführung könne in diesem Falle nur nach § 349 EO. und nicht nach § 354 EO. erfolgen (Berufung auf 2 Ob 103/52). Unternehme der Kläger solche Exekutionsschritte gegen den Vermieter, werde dadurch auch der neue Mieter betroffen. Dieser könne sich dagegen nur mit einer Widerspruchsklage nach § 37 EO. zur Wehr setzen, indem er das die Vornahme der Exekution unzulässig machende Recht auf Grund seines Mietvertrags geltend mache. Demgegenüber könnte der alte Mieter einwenden, der neue Mieter habe den Mietvertrag unredlich geschlossen. Die Frage der Gutgläubigkeit müsse aber im Exszindierungsstreit geprüft werden; sie führe je nach dem Erfolg zur Stattgebung oder Abweisung der Klage. Ob eine Unmöglichkeit der Leistung vorliege, werde erst im Exekutionsverfahren klarzustellen sein.
Wie den Rechtsausführungen der beiden letzten Entscheidungen zu entnehmen ist, kann sich der Vermieter auf eine Unmöglichkeit der Leistung im Falle einer Doppelvermietung nicht berufen, selbst dann nicht, wenn bereits feststunde, daß der neue Mieter nicht gewillt ist, auf seine Mietrechte zu verzichten; der alte Mieter, der sich nicht auf einen Schadenersatz verweisen lassen, sondern lieber warten will, bis die vermietete Wohnung doch frei wird, kann nicht um dieses Recht, zuzuwarten, durch einen vertragswidrigen Eingriff des anderen Vertragsteils gebracht werden. Er kann wohl, wenn es erkennbar ist, daß er in absehbarer Zeit infolge der Weitervermietung die Wohnung nicht wird beziehen können, sich auf den Standpunkt stellen, daß die Erfüllung unmöglich geworden ist, und daher nach § 920 ABGB. vorgehen. Das ist aber ein bloßes Recht des Mieters, dessen Rechte durch den Vermieter vereitelt worden sind. Will er das nicht, weil er immer noch hofft, die Wohnung freizubekommen, so erlischt sein Erfüllungsanspruch nicht. So wie ein in Irrtum Geführter sich immer auf den Standpunkt stellen kann, er betrachte den Irrtum nicht für wesentlich, so kann auch der Mieter, dem die Benützung der Wohnung entzogen wurde, sich auf den Standpunkt stellen, er erachte das bestehende Hindernis als vorübergehend, und kann nicht daran gehindert werden, das ihm zustehende Recht im Klageweg geltend zu machen. Eine Erfüllungsunmöglichkeit kann daher nicht anerkannt werden; das gilt um so mehr dann, wenn der neue Mieter den Bestandgegenstand noch nicht in Besitz genommen hat, da ja der Vermieter den Bestandgegenstand jedenfalls dem früheren Mieter übergeben kann, unbeschadet des Umstandes, daß er ein obligatorisches Recht des neuen Mieters verletzt und damit ersatzpflichtig wird. Daraus folgt, daß der Hauseigentümer, der den Bestandgegenstand ein zweites Mal vermietet, der Leistungsklage des alten Mieters die Einrede der Unmöglichkeit der Leistung niemals entgegensetzen kann. An dieser Rechtsmeinung hält der Oberste Gerichtshof aus den dargelegten Gründen auch im vorliegenden Falle fest. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Ausführungen der Revision näher einzugehen.
Nur soviel sei bemerkt, daß auch die Berufung auf das Neuvermietungsgesetz nicht durchschlägt, weil hier keine Neuvermietung vorliegt, sondern die Vermietung bereits im Jahre 1937 erfolgt ist.
Welche Bedeutung ein Umkehrschluß aus § 234 ZPO. für den Anspruch auf Duldung des Gebrauches eines Bestandgegenstandes haben soll, ist unerfindlich.
Unter einem hat der dritte Senat die Eintragung des eingangs angeführten Rechtssatzes in das Spruchrepertorium unter Nr. 48 neu beschlossen.
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