OGH 4Ob22/54

OGH4Ob22/542.3.1954

SZ 27/56

Normen

ABGB §1158
ABGB §1162
AngG §26
ABGB §1158
ABGB §1162
AngG §26

 

Spruch:

Vorzeitiger Austritt des Angestellten aus wichtigen Gründen nach § 26 AngG. kann auch dann vorliegen, wenn er nicht von heute auf morgen vor sich geht, sondern in die äußere Form einer Kündigung gekleidet wird.

Entscheidung vom 2. März 1954, 4 Ob 22/54.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Kreisgericht Wiener Neustadt.

Text

Das Erstgericht gab der auf Bezahlung einer Abfertigung von 23.890.90 S gerichteten Klage statt. Der Kläger, der seit dem Jahre 1909 Angestellter der Beklagten gewesen sei, habe dieser mit Schreiben vom 28. Juni 1952 mitgeteilt, daß er infolge fortlaufender Verschlechterung seines Augenlichtes nicht mehr in der Lage sei, seinen Posten als Betriebsleiter im Bergbau N. weiter ausüben zu können. Er bitte daher, seine fünfmonatige Kündigung des Dienstverhältnisses entgegenzunehmen. Auf Grund der Aussage des Zeugen Dr. K. sei klargestellt, daß der Kläger dienstunfähig geworden sei. Er wäre deshalb nach § 26 Z. 1 (unrichtig Z. 2) AngG. berechtigt gewesen, seinen vorzeitigen Austritt zu erklären. Wenngleich der Kläger das Dienstverhältnis unter Einhaltung einer Frist aufgelöst habe, müsse diese Kündigung doch dem berechtigten vorzeitigen Austritt in seinen Wirkungen gleichgesetzt werden. Trotz der Bestimmung des § 23 Abs. 7 AngG. gebühre dem Kläger eine Abfertigung. Da deren Höhe unbestritten sei, habe der Klage stattgegeben werden müssen. Im übrigen könnte auch angenommen werden, daß das Dienstverhältnis einvernehmlich gelöst worden sei. In diesem Fall stehe dem Kläger gleichermaßen das Recht auf Abfertigung zu.

Infolge Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Der Kläger habe in seinem Kündigungsschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die eingetretene Dienstunfähigkeit ihn zur Auflösung des Dienstverhältnisses veranlasse. Für die Beklagte sei unzweifelhaft gewesen, daß der angegebene Grund den Kläger zu diesem Schritt gezwungen habe. Die Kündigung des Klägers müsse als vorzeitiger Austritt angesehen werden, bei dem der Zeitpunkt der Vertragsbeendigung hinausgeschoben worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der wesentliche Unterschied zwischen der ordentlichen Kündigung eines Dienstverhältnisses und dem vorzeitigen Austritt des Dienstnehmers liegt darin, daß im ersten Fall das Dienstverhältnis ohne Angabe von Gründen aufgelöst werden kann, während es im anderen Fall des Bestehens wichtiger Gründe für die Auflösung bedarf, die mit den im Gesetz (§ 26 AngG.) angeführten identisch oder gleichwertig sein müssen (vgl. SZ. VII/178). Diese Unterscheidung ist dafür maßgebend, ob dem Dienstgeber der sofortige Verlust der Arbeitskraft des Dienstnehmers und die damit verbundene Hemmung im Arbeitsprozeß zuzumuten ist oder ob der Dienstgeber durch die Einhaltung der bedungenen oder der gesetzlichen Kündigungsfrist in die Lage versetzt werden soll, für Ersatz rechtzeitig zu sorgen. Die Zeit, innerhalb der das Ausscheiden des Dienstnehmers vor sich geht, muß aber nicht in jedem Fall genau nach dem gesetzlich vorgesehenen Ausmaß ausgenützt werden. Der Dienstnehmer hat zwar beim Vorliegen wichtiger Gründe das Recht, sofort auszutreten. Es kann ihm aber nicht verwehrt werden, einen Teil seines Rechtes aufzugeben und sich mit einer größeren oder geringeren Lösungsfrist zufrieden zu geben. Damit wird das Wesen der Vertragslösung, das nur durch das Bestehen oder das Fehlen wichtiger Gründe bestimmt wird, nicht geändert. Eine Lösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen liegt auch dann vor, wenn sie nicht von heute auf morgen vor sich geht, sondern in die äußere Form einer Kündigung gekleidet wird. Maßgebend ist nur, ob zwischen den Vertragspartnern klar ist, daß ein wichtiger Lösungsgrund geltend gemacht wird und es sich daher nicht um eine gewöhnliche Kündigung, zu der es der Angabe von Gründen nicht bedarf, handelt.

Nach § 23 Abs. 7 AngG. besteht kein Anspruch auf Abfertigung, wenn der Angestellte kundigt, wenn er ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder wenn ihn ein Verschulden an der vorzeitigen Entlassung trifft. Der erstgenannte Verwirkungsgrund bezieht sich auf den Normalfall der Kündigung, also darauf, daß der Angestellte, ohne Gründe dafür anzugeben oder zu besitzen, das Vertragsverhältnis löst. In einem solchen Fall verliert der Angestellte die Abfertigung deshalb, weil anzunehmen ist, daß er einen günstigeren Arbeitsplatz gefunden habe und daher einer Übergangsversorgung für die Zeit drohender Arbeitslosigkeit nicht bedürfe. Gerade das ist aber neben dem Bestreben, eine Prämie für längere Dienstdauer zu geben, der Zweck der Einrichtung der Abfertigung. Wenn hingegen keine gewöhnliche, sondern eine als solche nach außen hin erscheinende Kündigung, die in Wahrheit ein begrundeter Austritt ist, anzunehmen ist, ist der erste Verwirkungsgrund des § 23 Abs. 7 AngG. nicht gegeben und die Abfertigung steht dem Angestellten zu.

Im vorliegenden Fall ist es gleichgültig, ob es zwischen den Parteien zur einvernehmlichen Vertragslösung gekommen ist, nachdem der Kläger den Brief vom 28. Juni 1952 geschrieben hatte. Denn der Kläger hätte nicht nur in diesem Fall den Anspruch auf Abfertigung, sondern kann diesen Anspruch auf Grund der dargelegten Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes schon auf Grund der Tatsache geltend machen, daß es sich bei der sogenannten Kündigung um eine Lösung des Dienstverhältnisses wegen Dienstunfähigkeit nach § 26 Z. 1 AngG. handelte, was beiden Parteien nach dem Inhalt des Briefes bekannt war (vgl. Arb. 5877 und 4 Ob 26/52).

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