VwGH Ra 2022/01/0334

VwGHRa 2022/01/033414.2.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der Dr. S S in I, vertreten durch die Dr. Holzmann Rechtsanwalts GmbH in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 7. April 2022, Zl. LVwG‑2021/12/3433‑7, betreffend Betretungs- und Annäherungsverbot nach § 38a SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), den Beschluss gefasst:

Normen

SPG 1991 §38a
SPG 1991 §38a Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022010334.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ die Maßnahmenbeschwerde der Revisionswerberin wegen behaupteter Rechtswidrigkeit der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) als unbegründet ab, verpflichtete die Revisionswerberin zum Aufwandersatz und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

2 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 20. September 2022, E 1358/2022‑5, die Behandlung der dagegen von der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

3 Sodann erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.3.2022, Ra 2021/01/0103, mwN).

8 Abgesehen davon, dass sich die Revision bereits aus diesem Grund als unzulässig erweist, ist dem Zulässigkeitsvorbringen ‑ soweit es in detaillierten Ausführungen die konkreten Umstände des vorliegenden Falles thematisiert ‑ Folgendes zu entgegnen:

9 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern ‑ diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. zu allem VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN; aus jüngerer Zeit etwa VwGH 14.12.2022, Ra 2022/01/0350 bis 0351, mwN).

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot (mit dem seit der SPG‑Novelle BGBl. I Nr. 105/2019 auch ein Annäherungsverbot verbunden ist) an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Gefährder bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.

Das Verwaltungsgericht hat somit die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne einer objektiven ex ante‑Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen. Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe entsprechend der dargelegten Grundsätze vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163, mwN).

11 Das Verwaltungsgericht hat diese Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall beachtet, indem es Feststellungen zu dem den einschreitenden Polizeibeamten sich bietenden Gesamtbild ‑ eine aufgelöste, hysterische, sichtliche überforderte Revisionswerberin, die sich einer Zeugenaussage zufolge gegenüber ihrer demenzkranken Mutter immer wieder aggressiv verhalten, diese auch geschlagen und sie mit den Worten „Sei doch endlich tot!“ angeschrien habe, was auch auf der einem einschreitenden Polizeibeamten vorgespielten Audiodatei zu hören gewesen sei ‑ getroffen und davon ausgehend die Vertretbarkeit der Annahme [der einschreitenden Polizeibeamten], dass es zu einer Eskalation der Gewalt kommen werde bzw. mit „einiger“ Wahrscheinlichkeit ein bevorstehender gefährlicher Angriff der Revisionswerberin auf ihre Mutter zu erwarten sei, bejaht hat.

12 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 14. Februar 2023

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