Normen
B-VG Art133 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EURallg
MRK Art6
NAG 2005 §64 Abs2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4
VwGVG 2014 §27
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2
32016L0801 Studenten-RL
32016L0801 Studenten-RL Art21
32016L0801 Studenten-RL Art21 Abs2 litf
32016L0801 Studenten-RL Art21 Abs7
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021220239.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, verfügte seit November 2013 über eine Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ (nunmehr: „Student“) gemäß § 64 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit einer Gültigkeit zuletzt bis zum 27. Juli 2018. Am 27. Juli 2018 beantragte er (verbunden mit einem Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte“) die Verlängerung dieser Aufenthaltsbewilligung.
2 Auf Grund einer ‑ nach rechtskräftiger Abweisung des Zweckänderungsantrags erfolgten ‑ Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme erstattete der Revisionswerber am 15. Oktober 2020 eine Stellungnahme. Darin führte er zum einen an, er habe an diversen Lehrveranstaltungen teilgenommen und Prüfungen absolviert, wobei er allerdings nicht immer ein positives Ergebnis erzielt habe. Zum anderen führte er unter Verweis auf das Vorliegen eines unabwendbaren oder unvorhersehbaren Ereignisses nach § 64 Abs. 2 NAG die Covid‑19‑Pandemie sowie damit in Zusammenhang stehende finanzielle Schwierigkeiten und psychische Belastungen ins Treffen.
3 Mit Bescheid vom 23. Oktober 2020 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) den Verlängerungsantrag des Revisionswerbers ab, weil er die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht erfülle. Die belangte Behörde stellte fest, der Revisionswerber sei seit dem 14. Juli 2017 zu keiner Prüfung mehr angetreten und gehe seinem Studium offensichtlich nicht mehr nach. Weiters befasste sich die belangte Behörde mit dem dargestellten Vorbringen des Revisionswerbers und verneinte mit näherer Begründung das Vorliegen eines tauglichen Hinderungsgrundes nach § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG.
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde wiederholte der Revisionswerber hinsichtlich des Vorliegens eines Hinderungsgrundes gemäß § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG im Wesentlichen inhaltsgleich das Vorbringen aus seiner Stellungnahme vom 15. Oktober 2020. Darüber hinaus wurde (in rechtlicher Hinsicht) angemerkt, es sei eine Einzelfallprüfung unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und es komme nicht darauf an, ob er gewillt sei, sein Studium zu beenden.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. April 2021 wies das Verwaltungsgericht Wien diese Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe (beginnend mit März 2014) drei Studien inskribiert, wobei er in einem Studium keine Prüfung, im zweiten Studium die letzte Prüfung am 29. Juli 2014 und im dritten Studium zwei positive Prüfungen (die letzte am 8. März 2021) absolviert habe. Im (hier maßgeblichen) Studienjahr 2019/2020 habe der Revisionswerber keine Prüfungen positiv abgelegt, sodass der gesetzlich geforderte Studienerfolg nicht nachgewiesen worden sei.
Zum Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses im Sinn des § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG räumte das Verwaltungsgericht zwar ein, dass die Situation rund um die Covid‑19‑Pandemie ein in die Betrachtung des Studienerfolgs einfließendes Ereignis darstelle. Daraus ergebe sich aber keine völlige Freistellung von der Erbringung eines Studienerfolgs. Das Verwaltungsgericht verwies darauf, dass es trotz der erschwerten Lage durch die Covid‑19‑Pandemie möglich gewesen sei, (elektronisch abgehaltene) Lehrveranstaltungen zu absolvieren und Prüfungen abzulegen. Zudem habe der Revisionswerber auch in dem vor Ausbruch der Pandemie liegenden Betrachtungszeitraum keinen Studienerfolg erzielt. Auch eine ‑ im Hinblick auf die Richtlinie (EU) 2016/801 durchzuführende ‑ Einzelfallprüfung ändere an diesem Ergebnis nichts, zumal der Revisionswerber seit Juli 2017 keine positiv beurteilten Prüfungen mehr abgelegt habe und nicht ersichtlich sei, was den Revisionswerber in diesem Zeitraum an der Absolvierung von Prüfungen im erforderlichen Ausmaß gehindert habe. Zudem habe der Revisionswerber seit Beginn seiner Studien insgesamt nur drei Prüfungen tatsächlich abgelegt und seine Intention scheine (wie sich auch aus dem Zweckänderungsantrag ergebe) auf die Entfaltung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gerichtet zu sein.
Da es somit an der besonderen Erteilungsvoraussetzung mangle, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Eine mündliche Verhandlung könne entfallen, weil eine solche nicht beantragt worden sei und eine weitere Klärung der Sach‑ und Rechtslage nicht zu erwarten gewesen sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B‑VG, deren Behandlung vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. Juni 2021, E 2301/2021‑5, abgelehnt und die über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.
In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Der Revisionswerber verweist in seinem Zulässigkeitsvorbringen auf die Richtlinie (EU) 2016/801 , nach deren Art. 21 Abs. 7 jede Entscheidung darüber, einen Aufenthaltstitel nicht zu verlängern, die Umstände des Einzelfalles berücksichtigen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren müsse. Der Verwaltungsgerichtshof habe (in jeweils näher zitierter Rechtsprechung) diesen unionsrechtlichen Grundsatz für die österreichische Rechtsordnung übernommen sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung für geboten erachtet und festgehalten, dass im Fall einer nach Art. 47 GRC gebotenen mündlichen Verhandlung keine Relevanzdarlegung erforderlich sei. Auf Grund des Absehens von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei das Verwaltungsgericht von der genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
Zur Beachtung der Richtlinie (EU) 2016/801 ist Folgendes anzumerken:
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat ‑ worauf die Revision dem Grunde nach zutreffend hinweist ‑ ausgesprochen, dass im Hinblick auf Art. 21 Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2016/801 im Fall einer (beabsichtigten) Abweisung eines Verlängerungsantrages im Einzelfall zu prüfen ist, ob es unverhältnismäßig wäre, ungeachtet der Nichterfüllung der nationalen Vorgaben (hier somit des Nachweises eines Studienerfolges im Ausmaß von 16 ECTS‑Punkten) einen ausreichenden Studienerfolg zu verneinen (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2020/22/0044, Rn. 10). Das Verwaltungsgericht hat eine derartige Einzelfallbeurteilung vorliegend aber ohnehin vorgenommen und ‑ auch vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerber über einen längeren Zeitraum überhaupt keinen Studienerfolg nachgewiesen habe ‑ die Abweisung des Verlängerungsantrages im Ergebnis als nicht unverhältnismäßig erachtet. Dass diese Beurteilung rechtswidrig erfolgt wäre, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich, zumal der Revisionswerber in der Revision (und auch im Beschwerdeverfahren) nicht näher dargelegt hat, trotz fehlender Prüfungserfolge nunmehr einen ausreichenden Studienerfolg erzielt zu haben.
10 Da § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG betreffend das Vorliegen eines unabwendbaren oder unvorhergesehenen Ereignisses eine Prüfung der jeweils im Einzelfall vorgebrachten Umstände, die der Erbringung eines ausreichenden Studienerfolges entgegenstanden, erfordert (und eine solche Prüfung vorliegend auch durchgeführt wurde), ist insoweit ohnehin kein Widerspruch mit Art. 21 der Richtlinie (EU) 2016/801 zu erkennen (vgl. auch VwGH 23.1.2020, Ra 2019/22/0211, Rn. 10).
Zur mündlichen Verhandlung ist Folgendes festzuhalten:
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ‑ wie die Revision anmerkt ‑ wiederholt ausgesprochen, dass sich im ‑ hier vorliegenden ‑ Anwendungsbereich des Art. 47 GRC im Fall der Unterlassung einer nach Art. 47 GRC gebotenen mündlichen Verhandlung die Darlegung der Relevanz des in der Unterlassung der Durchführung der Verhandlung gelegenen Verfahrensmangels erübrigt (vgl. VwGH 15.9.2020, Ra 2020/22/0173, Rn. 8, mwN). Das bedeutet aber nicht, dass im Anwendungsbereich des Art. 47 GRC in jedem Fall eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. dazu, dass der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung kein absoluter ist, VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0160, Rn. 7 f, mwN auch zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).
12 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Die Akten lassen dann im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann. Dies ist der Fall, wenn in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wird und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Indessen hat ein Verwaltungsgericht im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG in Verbindung mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC auch ohne Antrag eine mündliche Verhandlung von Amts wegen durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Abhaltung der Verhandlung nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen steht. Dies ist unter anderem dann anzunehmen, wenn ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet oder die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substantiiert bekämpft wird. In einem solchen Fall hat das Verwaltungsgericht daher grundsätzlich eine Verhandlung abzuhalten, um eine unmittelbare Klärung der strittigen Fragen durch mündliche Erörterung und Vornahme der gebotenen Beweisaufnahmen herbeizuführen (vgl. zum Ganzen VwGH 22.11.2021, Ra 2020/22/0205, Pkt. 6.2., mwN).
13 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn ‑ wie hier ‑ zuvor ein Verwaltungsverfahren stattfand, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde (vgl. VwGH 29.6.2021, Ra 2021/22/0047, Rn. 12, mwN; weiters ‑ zu § 21 Abs. 7 BFA‑VG ‑ VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039, mwN zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).
14 Die Revision zeigt nicht auf, aus welchen Gründen fallbezogen am Boden des Beschwerdevorbringens eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache hätte erwarten lassen. Es wird auch nicht dargelegt, welcher Sachverhalt in der Beschwerde erstmalig behauptet worden wäre, inwiefern darin entscheidungswesentliche Feststellungen der Behörde substantiiert bestritten worden wären oder inwiefern das Verwaltungsgericht den durch § 24 Abs. 4 VwGVG eingeräumten Ermessensspielraum überschritten habe (vgl. erneut VwGH Ra 2021/22/0047, Rn. 13; sowie VwGH 19.5.2021, Ra 2020/22/0159, Rn. 18, jeweils mwN). Dies ist vor dem Hintergrund, dass das ‑ im Übrigen nicht weiter substantiierte ‑ Beschwerdevorbringen im Zusammenhang mit der hier maßgeblichen Frage des (Nicht)Vorliegens eines Hinderungsgrundes gemäß § 64 Abs. 2 letzter Satz NAG dem bereits im behördlichen Verfahren erstatteten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Vorbringen vollinhaltlich entsprach, auch sonst nicht ersichtlich.
15 Aus den in der Revision ins Treffen geführten hg. Erkenntnissen im Zusammenhang mit der Richtlinie (EU) 2016/801 ergibt sich nichts Gegenteiliges: Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Zusammenhang mit der nach der Richtlinie (EU) 2016/801 gebotenen Einzelfallprüfung in einzelnen Konstellationen als rechtswidrig erachtet (vgl. erneut VwGH Ra 2020/22/0173, Rn. 9; Ra 2020/22/0044, Rn. 12 f). Im letztgenannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof aber auch zum Ausdruck gebracht, dass einzelne der dort erstatteten Vorbringen (betreffend behauptete Probleme mit der Lehrveranstaltungsleiterin, den Wunsch nach einer besseren Note oder den Irrtum hinsichtlich des Beurteilungszeitraumes) für sich genommen nicht geeignet gewesen wären, eine Unverhältnismäßigkeit (der Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels) etwa im Rahmen einer mündlichen Verhandlung aufzuzeigen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auch im Zusammenhang mit einer nach Art. 21 der Richtlinie (EU) 2016/801 gebotenen Einzelfallprüfung nicht in jedem Fall geboten. Dass das Verwaltungsgericht ausgehend vom hier gegenständlichen Vorbringen des Revisionswerbers von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen hat, ist daher auch vor diesem Hintergrund nicht als rechtswidrig zu erkennen.
16 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
17 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 22. März 2022
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