Normen
AVG §7
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §6
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180059.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit. Er stellte am 12. Juli 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, der hinsichtlich der Nichterteilung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 2. April 2014 rechtskräftig abgewiesen wurde.
2 Am 19. Februar 2018 stellte der Revisionswerber einen zweiten ‑ den verfahrensgegenständlichen ‑ Antrag auf internationalen Schutz.
3 Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der Revisionswerber als Fluchtgrund zusammengefasst an, er habe von 2002 bis 2004 eine Gülen‑Schule besucht, sei Mitglied der Gülen‑Bewegung und habe für diese ab 2004 Zeitschriften verteilt. Zudem führe der türkische Präsident Krieg gegen Kurden.
4 Mit Bescheid vom 15. Mai 2018 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht festgelegt.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, das im zweiten Rechtsgang nach dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. März 2019, Ra 2018/19/0684, ergangen ist, wies das BVwG die Beschwerde gegen den Bescheid vom 15. Mai 2018 als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
6 Begründend hielt das BVwG ‑ zusammengefasst und soweit für das gegenständliche Revisionsverfahren von Belang ‑ fest, dass keine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Revisionswerber betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei eingetreten sei und sich auch die Rechtslage nicht geändert habe. Dem im nunmehrigen Verfahren neu erstatteten Vorbringen, der Revisionswerber sei Anhänger der Gülen‑Bewegung, komme ‑ aus näher dargestellten Gründen ‑ kein glaubhafter Kern zu. Zudem lasse sich auch den im Zuge der Erlassung des Bescheides erhobenen Länderberichten keine systemische, staatliche Verfolgung von Kurden entnehmen, weshalb eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes seit der rechtskräftigen Abweisung des Erstantrages im April 2014 nicht vorliege. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine gewichtende Interessenabwägung durch und kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung gemäß Art. 144 Abs. 2 B‑VG mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3421/2020‑7, ablehnte und sie an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis sei wegen Befangenheit der erkennenden Richterin aufzuheben, da diese in ihrer Entscheidung Argumente geltend mache, die eine unbefangen agierende Richterin nicht ihrer Entscheidung zu Grunde legen würde. Darüber hinaus habe das BVwG verkannt, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat seit der rechtskräftigen Entscheidung vom 2. April 2014 für Kurden und Gülen‑Anhänger offenkundig geändert hätten. In diesem Zusammenhang habe es das BVwG auch pflichtwidrig unterlassen, Zeugen einzuvernehmen. Zuletzt sei dem BVwG hinsichtlich der Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG eine Verletzung der Verhandlungspflicht anzulasten.
9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Der Revisionswerber bringt zunächst vor, die erkennende Richterin sei befangen gewesen, und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese bereits in dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Juni 2019, Ra 2018/19/0676, für befangen erklärt worden sei. In dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis verwirkliche sie wiederum jenen Befangenheitssachverhalt, der bereits in dem genannten Verfahren Grund für den Verwaltungsgerichtshof gewesen sei, eine ihrer Entscheidungen wegen Befangenheit aufzuheben.
14 Jeder Vorwurf einer Befangenheit hat konkrete Umstände aufzuzeigen, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (vgl. VwGH 21.1.2020, Ra 2019/01/0393 bis 0396, mwN).
15 Soweit die Revision dazu vorträgt, das angefochtene Erkenntnis sei wegen Befangenheit der erkennenden Richterin aufzuheben, weil diese in ihrer Entscheidung Argumente geltend mache, die eine unbefangen agierende Richterin nicht ihrer Entscheidung zu Grunde legen würde, ist ihr zu erwidern, dass der Umstand, dass einige Argumentationsstränge der Richterin dem Revisionswerber nicht überzeugend erscheinen, nicht den Schluss zulässt, dass die Richterin befangen wäre. Auch mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2019, Ra 2018/19/0676, kann die Revision keine Befangenheit dartun, zeigt sie doch fallbezogen keine vergleichbaren, bereits den äußeren Anschein der Befangenheit begründenden Umstände auf (vgl. auch VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0384).
16 Darüber hinaus macht die Revision geltend, die Lage im Herkunftsstaat habe sich sowohl für Kurden als auch für Gülen‑Anhänger grundlegend verändert, weshalb im Revisionsfall eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache nicht rechtmäßig sei.
17 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung ‑ nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen ‑ berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175).
18 Die Beurteilung, ob die behauptete Sachverhaltsänderung einen „glaubhaften Kern“ aufweist, erfolgt stets im Rahmen der Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 6.6.2019, Ra 2018/20/0432, mwN).
19 „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG war die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat ‑ von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen ‑ im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. wiederum VwGH 15.3.2019, Ra 2019/18/0064, mwN).
20 Zur vom Revisionswerber vorgebrachten drohenden Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden legte das BVwG dar, dass sich auch aus dem im Bescheid des BFA herangezogenen Länderberichtsmaterial keine systemische staatliche Verfolgung von Kurden ergebe und damit keine entscheidungswesentliche Lageänderung eingetreten sei.
21 Die Revision vermag diesbezüglich nicht aufzuzeigen, dass sich aus der zwischenzeitigen Änderung der allgemeinen Lage in der Türkei für die Beurteilung des Antrages auf internationalen Schutz eine vom BVwG nicht beachtete, relevante Änderung ergeben hätte.
22 Dem im Folgeantragsverfahren neu erstatteten Vorbringen, der Revisionswerber sei Anhänger der Gülen‑Bewegung und habe aus diesem Grund bei Rückkehr in die Türkei Verfolgung zu befürchten, sprach das BVwG einen glaubhaften Kern ab. Dabei stützte es sich beweiswürdigend darauf, dass der Revisionswerber das Jahr des Putschversuches nicht richtig habe angeben können und er überdies erst lange danach, am 19. Februar 2018, einen diesbezüglichen Asylantrag eingebracht habe. Zudem habe der Revisionswerber im ersten Asylverfahren bei seiner Einvernahme am 31. Oktober 2013 auf die Frage, ob er einer politischen Gruppierung oder Partei angehöre, angegeben, dass er kein Mitglied der Gülen‑Bewegung sei. Widersprüchlich dazu habe er bei der Einvernahme am 23. April 2018 zunächst angegeben, er sei überzeugtes Mitglied der Gülen‑Bewegung; im weiteren Verlauf habe er dann angegeben, „keine hohe Funktion“ gehabt, sondern überzeugter Sympathisant gewesen zu sein. Beweismittel für sein Vorbringen habe er nicht vorlegen können, obwohl er genügend Zeit gehabt hätte, sich diese von der Familie in der Türkei schicken zu lassen. Auch habe er keine Details zu der Bewegung vorbringen können. Ebensowenig habe er erklären oder plausibel darlegen können, woher die Regierung wissen sollte, dass er dieser Bewegung angehöre.
23 Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen sei zudem ‑ selbst im Rahmen einer Wahrunterstellung ‑ kein „high profile“ zu erkennen, welches dazu führen würde, dass der Revisionswerber von der Veränderung der Menschenrechtslage nach dem Putschversuch insbesondere im Zusammenhang mit der Gülen‑Bewegung betroffen wäre. Der Revisionswerber sei zum Zeitpunkt des Putschversuches bereits seit 3 Jahren im Ausland gewesen und könne vor diesem Hintergrund ‑ selbst wenn man es als wahr unterstelle, dass er Zeitungen für die Gülen‑Bewegung verkauft habe, von 2002 bis 2004 in eine Gülen‑Schule gegangen und Sympathisant gewesen sei ‑ nicht erkannt werden, dass er sich in besonderer Weise oder in einer öffentlichkeitswirksamen Funktion für diese Bewegung engagiert hätte und deshalb nach einer Rückkehr einer Gefährdung ausgesetzt wäre. Dass dem türkischen Staat überhaupt eine etwaige Tätigkeit des Revisionswerbers für diese Bewegung bekannt geworden wäre, könne nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
24 Dass diese Beweiswürdigung nach dem geschilderten Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes unvertretbar wäre, zeigt die Revision mit ihren allgemeinen Ausführungen zur Lage in der Türkei nicht auf.
25 Sofern die Revision in diesem Zusammenhang auch rügt, dass das BVwG zum Beweis dafür, dass der Revisionswerber zwischen 2002 und 2004 eine Gülen‑Schule besucht habe und Anhänger der Bewegung sei, Zeugenbefragungen zweier im Ausland (in Polen bzw. der Türkei) aufhältiger Zeugen durch Einvernahme in der jeweiligen österreichischen Vertretungsbehörde pflichtwidrig unterlassen habe, macht sie einen Verfahrensfehler geltend.
26 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der Unterlassung einer Beweisaufnahme dann kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist. Beweisanträge dürfen weiters dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 24.1.2020, Ra 2020/18/0008, mwN).
27 Eine solche gravierende Fehlbeurteilung vermag die Revision nicht darzutun, zumal das BVwG auch bei Wahrunterstellung des diesbezüglichen Vorbringens eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung des Revisionswerbers in nicht unvertretbarer Weise verneint hat.
28 Die Revision bringt schließlich vor, dass in Hinblick auf die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung zu Unrecht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen worden sei.
29 Das BVwG kam im Revisionsfall nach einer umfassenden Interessenabwägung, in deren Rahmen es auch das Vorbringen des Revisionswerbers zu seinem Privatleben berücksichtigte, zu dem Ergebnis, dass trotz einiger Integrationsbemühungen des Revisionswerbers die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwögen. Dies stützte das BVwG unter Berücksichtigung der siebenjährigen Aufenthaltsdauer im Wesentlichen darauf, dass sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein habe müssen und die Nichteinhaltung der behördlichen bzw. gerichtlichen Anweisung, in der gewährten Frist das Bundesgebiet zu verlassen, geeignet sei, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden.
30 Mit dem lediglich abstrakt gehaltenen Vorbringen zur Verhandlungspflicht hinsichtlich der Rückkehrentscheidung vermag die Revision keinen revisiblen Verfahrensmangel aufzuzeigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nämlich in eindeutigen Fällen abgesehen werden (vgl. mwN etwa VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0235; sowie VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0222).
31 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 11. März 2021
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