VwGH Ra 2018/19/0676

VwGHRa 2018/19/067625.6.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des A I, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2018, Zl. L519 2105370- 2/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §7
AVG §7 Abs1
AVG §7 Abs1 Z3
MRK Art6
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §6
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190676.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der aus der Türkei stammende Revisionswerber stellte am 26. Jänner 2015 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er aufgrund seiner Drogenabhängigkeit von der Polizei misshandelt worden sei. 2 Nach rechtskräftiger Abweisung dieses Antrags stellte der Revisionswerber am 19. Dezember 2016 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz und brachte zusammengefasst vor, er habe in der Türkei zehn Jahre lang Drogen konsumiert, sei aber in Österreich "clean" geworden und könne hier ein geregeltes Leben führen. Als Alevit und Kurde sei er öfter als Außenseiter abgestempelt worden. Er habe zwischenzeitig eine Österreicherin geheiratet und habe ein Kind mit ihr.

3 Mit Bescheid vom 17. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ neuerlich eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber, stellte fest, dass dessen Abschiebung in die Türkei zulässig sei und keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. Juni 2018 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 5 Begründend führte das BVwG aus, es habe sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Revisionswerber betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des Revisionswerbers gelegenen Umständen ergeben. Ebenso habe sich kein sonstiger unter die Tatbestandsmerkmale des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ergeben. Eine relevante Änderung der Rechtslage könne ebenfalls nicht festgestellt werden. Weitere Hinweise auf das Bestehen eines Sachverhalts, welcher die inhaltliche Prüfung des Antrags gebieten würde, seien unter Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen nicht hervorgekommen, weshalb die inhaltliche Prüfung des gegenständlichen Antrages ausscheide. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei werde auf die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Feststellungen der belangten Behörde verwiesen.

6 Rechtlich folgerte das BVwG, der Revisionswerber habe sich im gegenständlichen Verfahren im Wesentlichen auf dieselben Fluchtgründe wie im ersten Asylverfahren gestützt. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt habe sich nicht wesentlich geändert bzw. decke sich das neue Parteibegehren mit dem früheren und sei ebenfalls nicht glaubhaft. Es könne daher nicht von einer relevanten, wesentlichen Änderung des Sachverhalts seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag gesprochen werden. Im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liege ebenfalls entschiedene Sache vor. Der Revisionswerber habe kein substantiiertes Vorbringen zu einer etwaig maßgeblichen geänderten Lage im Herkunftsstaat erstattet. Weder aus dem unglaubwürdigen Vorbringen noch aus dem sonstigen Ermittlungsergebnis hätten sich Hinweise ergeben, dass (neue) subsidiäre Schutzgründe bestünden.

7 Im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führte das BVwG in der rechtlichen Beurteilung zur Güterabwägung unter anderem aus:

"Es ist jedenfalls nicht in der Intention des Gesetzgebers gelegen, dass ein ehemals selbst drogensüchtiger Dealer, wie der Beschwerdeführer, mit einem gefälschten Reisedokument in Österreich einreist, sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens beharrlich weigert, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen, eine Österreicherin heiratet und mit ihr ein Kind zeugt, um dann neuerlich einen unbegründeten Asylantrag zu stellen, auf sein Familienleben zu pochen und einen Aufenthalt im Bundesgebiet so zu erzwingen zu versuchen.

(...)

Soweit der Beschwerdeführer eine Einstellungszusage vorlegt, wird diese dadurch relativiert, dass sie von einem Landsmann des Beschwerdeführers stammt und wohl eher eine Gefälligkeit unter Landsleuten darstellt.

(...)

Zu den Unterstützungsschreiben ist generell festzuhalten, dass diese dem Beschwerdeführer allgemeine Charaktereigenschaften wie Hilfsbereitschaft bescheinigen, aber offensichtlich in völliger Unkenntnis der asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen verfasst wurden und auch keine Fakten enthalten, die die Integration des Beschwerdeführers darlegen würden. Es entspricht nämlich nicht dem Willen des österreichischen Gesetzgebers, dass sich ein Fremder nach unrechtmäßiger Einreise und rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens beharrlich weigert, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen und dann noch glaubt, mit Unterstützung von ein paar wohlmeinenden Österreichern für sein rechtswidriges Verbleiben im Bundesgebiet und die Gründung einer Familie mit einer Österreicherin mit einem Aufenthaltstitel belohnt zu werden."

8 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit die Befangenheit der erkennenden Richterin aufgrund ihrer "wiederholt und in qualifizierter Weise rassistischen, nationalistischen und diskriminierenden Behauptungen" geltend.

 

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen das Erkenntnis des BVwG gerichtete außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und begründet.

11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes

besteht das Wesen der Befangenheit grundsätzlich in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive (vgl. VwGH 18.2.2015, Ra 2014/03/0057, mwN). 12 Die Befangenheit von Mitgliedern der Verwaltungsgerichte ist nach § 7 AVG zu beurteilen, der infolge § 17 VwGVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist. Im vorliegenden Fall bezieht sich der Revisionswerber erkennbar auf den Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Z 3 AVG. Demnach haben sich Mitglieder des Verwaltungsgerichts nach den §§ 6 und 17 VwGVG iVm § 7 Abs. 1 Z 3 AVG als befangen zu erklären und ihres Amtes zu enthalten, wenn (sonstige) wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unabhängigkeit in Zweifel zu ziehen. 13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt es, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit in diesem Sinne vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl. VwGH 6.3.2019, Ro 2018/03/0031, mwN). Im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK ist die Befangenheit eines Mitglieds eines unabhängigen Tribunals dann anzunehmen, wenn diesem auch nur der äußere Anschein der Unparteilichkeit mangelt.

14 Nach dem klaren Wortlaut des § 6 VwGVG haben sich die dort genannten Organe - darunter auch die Mitglieder des Verwaltungsgerichtes - unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes "wegen Befangenheit" von Amts wegen zu enthalten, wenn ein Befangenheitsgrund nach § 7 Abs. 1 AVG vorliegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in den Fällen, in denen wegen der Mitwirkung eines Mitglieds eines Tribunals, bei welchem bereits auf Grund des äußeren Anscheins Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Tribunals gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 AVG vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK entstanden sind, einen Verfahrensmangel erblickt, der gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG zur Aufhebung einer derart erlassenen Entscheidung führt. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ergibt sich auch aus Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) das Recht auf ein faires Verfahren und ein unparteiisches Gericht; inhaltlich entsprechen insofern die Garantien des Art. 47 GRC jenen des Art. 6 EMRK (vgl. nochmals VwGH Ra 2014/03/0057, mwN). Dabei muss nicht geprüft werden, ob die Befangenheit für das Ergebnis des Verfahrens von Relevanz gewesen wäre (vgl. VwGH 19.10.2016, Ra 2015/12/0081, mwN).

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 18. Februar 2015, Ra 2014/03/0057, aufgrund unsachlicher Äußerungen des Leiters einer mündlichen Verhandlung eine Befangenheit angenommen, weil dadurch der Verkehr zwischen dem Gericht und den Parteien nicht streng sachlich geführt wurde. Er führte weiters dazu aus, dass nicht jede verbale Entgleisung eine Befangenheit indiziere, in dem konkreten Fall aber die in den Formulierungen manifestierte Wortwahl geeignet sei, begründete Zweifel an der Bereitschaft des Richters des Verwaltungsgerichtes daran zu erwecken, dass die Einwendungen der revisionswerbenden Partei im gebotenen Umfang ernst genommen werden und ihr Vorbringen auch zu ihren Gunsten geprüft werde.

16 Vor diesem Hintergrund sind auch im revisionsgegenständlichen Fall die von der revisionswerbenden Partei relevierten Begründungsteile des angefochtenen Erkenntnisses geeignet, den äußeren Anschein an der Befangenheit der erkennenden Richterin zu begründen.

17 Schon die Bezeichnung des Revisionswerbers als "drogensüchtiger Dealer" sowie die Äußerung, er habe eine Österreicherin geheiratet und dann mit ihr ein Kind gezeugt, um "dann neuerlich einen unbegründeten Asylantrag zu stellen, auf sein Familienleben zu pochen und einen Aufenthalt im Bundesgebiet so zu erzwingen zu versuchen", stellen gravierende verbale Entgleisungen dar. Auch wenn diese für sich genommen noch nicht geeignet sein mögen, eine Befangenheit zu begründen, so ist das weitere Begründungselement, wonach die Einstellungszusage eines "Landsmannes" des Revisionswerbers zu relativieren sei, weil sie wohl "eher eine Gefälligkeit unter Landsleuten" darstelle, geeignet, erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu begründen, stellt dies doch eine diskriminierende Wertung eines vorgelegten Beweismittels - allein in Abhängigkeit von der Herkunft des Erklärenden - dar. Aber auch die Wortwahl bei der Bewertung der vorgelegten Unterstützungsschreiben lässt darauf schließen, dass die erkennende Richterin nicht bereit ist, sich in sachlicher Weise mit den Unterstützungsschreiben auseinanderzusetzen.

18 In Summe können die von der Richterin gebrauchten Formulierungen nicht als eine in sachlicher Weise erfolgte Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK qualifiziert werden. Wenn auch nicht jede verbale Entgleisung eine Befangenheit indiziert, ist doch die bei den angeführten Formulierungen manifestierte Wortwahl geeignet, begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit und damit der Unbefangenheit der Richterin des Verwaltungsgerichtes zu erwecken.

19 Es war daher vor dem Hintergrund des § 17 VwGVG iVm § 7 Abs. 1 Z 3 AVG unvertretbar, dass die entscheidende Richterin derartige Äußerungen tätigte und sich dennoch nicht wegen Befangenheit der Ausübung des Amtes enthielt.

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, weshalb sich ein Eingehen auf das übrige Revisionsvorbringen erübrigt. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. Juni 2019

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