VwGH Ra 2018/19/0684

VwGHRa 2018/19/068426.3.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des F A in R, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2018, Zl. L519 2001355-3/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190684.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte nach Einreise in das Bundesgebiet am 12. Juli 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Nach rechtskräftiger Abweisung seines ersten Antrags im Jahr 2014 stellte der Revisionswerber am 19. Februar 2018 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

3 Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der Revisionswerber zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, er könne nicht in die Türkei zurück, da der türkische Präsident gegen alle Kurden "Krieg führe". Der türkische Präsident habe nach dem Putschversuch 2015 allen Mitgliedern der Gülen-Bewegung mit "Vernichtung" gedroht. Er sei in der Türkei nie persönlich bedroht worden, werde dort aber gesucht und im Falle einer Rückkehr verhaftet. Er sei überzeugtes Mitglied der Gülen-Bewegung und habe für diese ab 2004 Zeitschriften verteilt. Zudem gebe es in der Türkei die Todesstrafe.

4 Mit Bescheid vom 15. Mai 2018 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht festgesetzt.

5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis vom 22. Juni 2018 als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6 Begründend führte das BVwG aus, es habe sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Revisionswerber betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des Revisionswerbers gelegenen Umstände ergeben. Eine relevante Änderung der Rechtslage könne ebenfalls nicht festgestellt werden. Weitere Hinweise auf das Bestehen eines Sachverhalts, welcher die inhaltliche Prüfung des Antrags gebieten würde, seien unter Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen nicht hervorgekommen, weshalb die inhaltliche Prüfung des gegenständlichen Antrages ausscheide.

7 In der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, dass Sache des Beschwerdeverfahrens iSd. § 66 Abs. 4 AVG nur die Frage sei, ob das BFA zu Recht den neuerlichen Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen habe. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt habe sich seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag nicht wesentlich geändert. Das neue Parteibegehren decke sich mit dem früheren und sei ebenfalls nicht glaubhaft, weshalb entschiedene Sache in Bezug auf den asylrelevanten Sachverhalt vorliege. In Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liege ebenfalls entschiedene Sache vor, da sich weder aus dem unglaubwürdigen Vorbringen des Revisionswerbers noch aus dem sonstigen Ermittlungsergebnis Hinweise für die Gewährung von subsidiärem Schutz ergeben hätten. Auch aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat könne bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG 2005 subsumierbaren Sachverhalts abgeleitet werden. Da sich die allgemeine Situation in der Türkei und die Rechtslage in der Zwischenzeit nicht entscheidungswesentlich geändert hätten, sei die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Behandlung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegenstehe.

8 Mit Beschluss vom 9. Oktober 2018, E 3089/2018-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie zur Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof ab.

 

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen das Erkenntnis des BVwG gerichtete außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Zur Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber unter anderem eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs zur Einhaltung der formalen Begründungsanforderungen durch das Bundesverwaltungsgericht geltend.

11 Die Revision ist im Hinblick auf den geltend gemachten Begründungsmangel in Bezug auf die Feststellungen zur Lage in der Türkei zulässig und auch berechtigt.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0049, mwN).

13 Im Hinblick auf die Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts wird der Anforderung, dass die maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen müssen, entsprochen, wenn dieser in den wesentlichen Punkten in der Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wiedergegeben wird. Im Übrigen ist aber ein Verweis auf die Entscheidungsgründe des Bescheides der belangten Behörde zulässig (vgl. VwGH 28.11.2014, Ra 2014/01/0085, mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis enthält keine Feststellungen zur Situation in der Türkei im Zeitpunkt der erstmaligen Versagung von internationalem Schutz, einerseits, und im Zeitpunkt der nunmehr bekämpften Entscheidung, andererseits. Lediglich in seiner Beweiswürdigung verweist das BVwG auf die vom BFA getroffenen Länderfeststellungen. Im gegenständlichen Fall wird somit schon infolge des gänzlichen Fehlens von für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen zur Lage in der Türkei der Anforderung, dass jedenfalls die wesentlichen Punkte der diesbezüglichen Feststellungen in der Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts selbst enthalten sein müssen, nicht entsprochen und maßgeblich gegen die die Verwaltungsgerichte treffende Begründungspflicht verstoßen. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, die angefochtenen Entscheidungen in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen (vgl. VwGH 15.3.2018, Ra 2016/20/0291, 19.9.2017, Ra 2017/20/0059).

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb im spruchgemäßen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, weshalb sich ein Eingehen auf das übrige Revisionsvorbringen erübrigt.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. März 2019

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte