VwGH Ra 2021/09/0214

VwGHRa 2021/09/021416.12.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der „A KG in B, vertreten durch Mag. Petra Laback, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 27/6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 31. Mai 2021, KLVwG‑1940/4/2020, betreffend Vergütung für den Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
COVID-19 BH Feldkirchen 2020/03/14
EpidemieG 1950 §20
EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §32 Abs1
EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z4
EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z5
EpidemieG 1950 §32 Abs3
EpidemieG 1950 §32 Abs4
EpidemieG 1950 §40 Abs1 litc
GewO 1994
GewO 1994 §111 Abs1 Z1
GewO 1994 §2 Abs13
MRK Art6 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24 Abs4
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021090214.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbende Partei betreibt im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) das Gastgewerbe in der Betriebsart „Gasthaus“ mit der Berechtigung gemäß § 111 Abs. 1 Z 2 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) (Gewerbeberechtigung für die Verabreichung von Speisen jeder Art und den Ausschank von Getränken).

2 Zudem betreibt sie ohne eine Gewerbeberechtigung nach § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 (Gewerbeberechtigung für die Beherbergung von Gästen) einen Beherbergungsbetrieb in Form von zwei Almhütten mit acht bzw. vier Betten. Diese Tätigkeit der revisionswerbenden Partei fällt nicht unter die der Gewerbeordnung nicht unterliegende Privatzimmervermietung nach § 2 Abs. 1 Z 9 GewO 1994. Eine Anmeldung hiefür bei der Gewerbebehörde gemäß § 111 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 (von der Erbringung eines Befähigungsnachweises für das Gastgewerbe ausgenommene Beherbergung von Gästen, wenn nicht mehr als zehn Fremdenbetten bereitgestellt werden) liegt nicht vor.

3 Mit Eingabe vom 27. April 2020 beantragte die revisionswerbende Partei im Hinblick auf die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen vom 14. März 2020, FE5‑GES‑261/2020 (070/2020), betreffend die Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS‑CoV‑2, Ersatz für den von ihr im Zeitraum 14. bis 30. März 2020 erlittenen Verdienstentgang gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), und zwar 888,90 Euro an Entgeltfortzahlung gemäß § 32 [Abs. 1 Z 4 iVm] Abs. 3 EpiG sowie 10.761 Euro an entgangenem selbständigen Einkommen aus dem zuletzt genannten Betrieb gemäß § 32 [Abs. 1 Z 5 iVm] Abs. 4 EpiG, in Summe somit 11.649,90 Euro.

4 Mit dem im Beschwerdeverfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis vom 31. Mai 2021 wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten ‑ in Bestätigung des behördlichen Bescheids vom 1. Oktober 2020 ‑ diesen Antrag als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte es für nicht zulässig.

5 Ausgehend von dem eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt führte das Verwaltungsgericht begründend aus, dass im geltend gemachten Entschädigungszeitraum die im Zeitraum vom 15. bis 30. März 2020 in Kraft gestandene Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen vom 14. März 2020 betreffend die Schließung des Seilbahnbetriebes gemäß § 26 EpiG und von Beherbergungsbetrieben gemäß § 20 Abs. 1 und 4 EpiG gegolten habe. Zudem seien die Verordnungen des Gesundheitsministers BGBl. II Nr. 96/2020, in welcher unter anderem das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe untersagt worden sei, sowie BGBl. II Nr. 98/2020, betreffend das Verbot des Betretens öffentlicher Orte, von 16./17. bis 22. März 2020 in Geltung gestanden.

6 Die revisionswerbende Partei habe sich in ihrem Entschädigungsantrag auf die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen berufen. Mit dieser sei gemäß § 20 EpiG die Schließung von Beherbergungsbetrieben nach § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 verfügt worden, nicht jedoch eine solche von Gastgewerbe in der Betriebsart „Gasthaus“ mit einer Berechtigung nach Z 2 dieser Bestimmung. Das von der revisionswerbenden Partei berechtigterweise ausgeübte Gastgewerbe „Gasthaus“ sei von der verordneten Schließung gemäß § 20 EpiG daher nicht betroffen gewesen, weshalb der Antrag auch auf den Verdienstentgang aus dem von ihr geführten Beherbergungsbetrieb gestützt worden sei. Über eine Gewerbeberechtigung (für die Beherbergung von Gästen) nach § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 verfüge die revisionswerbende Partei jedoch nicht. Um einen Verdienstentgang aus dem Beherbergungsbetrieb geltend machen zu können, hätte sie zunächst die erforderliche Gewerbeberechtigung nach § 111 Abs. 1 Z 2 GewO 1994 zu beantragen gehabt. Mangels einer solchen Gewerbeberechtigung sei der Antrag abzuweisen gewesen.

7 Der Gastgewerbebetrieb „Gasthaus“ sei keiner behördlichen Schließung nach § 20 EpiG unterlegen. Ferner habe der Verfassungsgerichtshof das Bestehen eines Anspruchs auf Ersatz von Verdienstentgang nach § 32 EpiG wegen auf Grundlage von § 1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz (COVID‑19‑MG) angeordneter Betretungsverbote verneint und ausgesprochen, dass § 4 Abs. 2 COVID‑18‑MG keineswegs nur an Betriebsschließungen anknüpfe, sondern alle mit Verordnung nach § 1 leg.cit. verfügte Maßnahmen wie Betretungsverbote und minder eingreifende Maßnahmen umfasse (Hinweis auf VfGH 14.7.2020, G 202/2020; 26.11.2020, E 3412/2020; VwGH 11.3.2021, Ra 2020/09/0078). Durch § 4 Abs. 3 COVID‑19‑MG, wonach die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 unberührt bleiben, würden zudem weder die Voraussetzungen für die Erlassung von Verfügungen nach dem Epidemiegesetz 1950 noch jene für den Ersatz von Verdienstentgang nach § 32 Abs. 1 EpiG geändert (Hinweis auf VwGH 24.2.2021, Ra 2021/03/0018). Zudem habe der Verfassungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 auf ein „umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket“ verwiesen, welches darauf abziele, wirtschaftliche Auswirkungen des Betretungsverbots auf die betroffenen Unternehmen und die Folgen der Pandemie allgemein abzufedern.

8 Den von der revisionswerbenden Partei behaupteten Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Hinblick auf Verordnungen im Bundesland Tirol verneinte das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung; ebenso sei die Differenzierung zwischen Beherbergungs- und Gasthausbetrieben nicht zu beanstanden. Im Übrigen habe die revisionswerbende Partei eine Vergütung für einen im Zusammenhang mit ihrem „Gasthausbetrieb“ erlittenen Verdienstentgang nicht geltend gemacht, weshalb dieser nicht verfahrensgegenständlich gewesen sei.

9 Das Absehen von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass sich der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage ergeben habe, die für eine Entscheidung erforderlichen Tatsachenfeststellungen von der revisionswerbenden Partei nicht bestritten worden seien und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren daher ausschließlich ‑ nicht übermäßig komplexe ‑ Rechtsfragen zu lösen gewesen seien.

10 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung auch des Verwaltungsgerichtshofes, von der es in seinem Erkenntnis nicht abgewichen sei.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

12 Die revisionswerbende Partei sieht die aufgrund ihrer Revision zu klärende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor allem darin gelegen, dass es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung des in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen vom 14. März 2020 verwendeten Begriffs „Beherbergungsbetriebe (§ 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994)“ fehle und insbesondere fraglich sei, ob von diesem nur Betriebe mit einer aufrechten Gewerbeberechtigung des reglementierten Beherbergungsgewerbes erfasst seien. Davon hänge eine Entscheidung über den geltend gemachten Vergütungsanspruch nach § 32 EpiG ab.

13 Die Revision ist aus diesem geltend gemachten Grund zur Klärung der Rechtslage zulässig. Sie ist auch berechtigt.

14 Die maßgeblichen Bestimmungen des Epidemiegesetz 1950 (EpiG) BGBl. Nr. 186/1950 (WV), § 32 Abs. 1 bis 5 EpiG in der (nach wie vor in Geltung stehenden) Fassung BGBl. Nr. 702/1974, lauten:

„Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen.

§ 20. (1) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, bakterieller Lebensmittelvergiftung, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest oder Milzbrand kann die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt, für bestimmt zu bezeichnende Gebiete angeordnet werden, wenn und insoweit nach den im Betriebe bestehenden Verhältnissen die Aufrechterhaltung desselben eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde.

(2) Beim Auftreten einer der im ersten Absatz angeführten Krankheiten kann unter den sonstigen dort bezeichneten Bedingungen der Betrieb einzelner gewerbsmäßig betriebener Unternehmungen mit fester Betriebsstätte beschränkt oder die Schließung der Betriebsstätte verfügt sowie auch einzelnen Personen, die mit Kranken in Berührung kommen, das Betreten der Betriebsstätten untersagt werden.

(3) Die Schließung einer Betriebsstätte ist jedoch erst dann zu verfügen, wenn ganz außerordentliche Gefahren sie nötig erscheinen lassen.

(4) Inwieweit die in den Abs. 1 bis 3 bezeichneten Vorkehrungen auch beim Auftreten einer anderen anzeigepflichtigen Krankheit getroffen werden können, wird durch Verordnung bestimmt.

...

§ 32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1. sie gemäß §§ 7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

2 ihnen die Abgabe von Lebensmitteln gemäß § 11 untersagt worden ist, oder

3. ihnen die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß § 17 untersagt worden ist, oder

4. sie in einem gemäß § 20 im Betrieb beschränkten oder geschlossenen Unternehmen beschäftigt sind, oder

5. sie ein Unternehmen betreiben, das gemäß § 20 in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist, oder

6. sie in Wohnungen oder Gebäuden wohnen, deren Räumung gemäß § 22 angeordnet worden ist, oder

7. sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, über welche Verkehrsbeschränkungen gemäß § 24 verhängt worden sind,

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs. 1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.

(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl. Nr. 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß § 21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl. Nr. 414, ist vom Bund zu ersetzen.

(4) Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren fortgeschriebenen wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.

(5) Auf den gebührenden Vergütungsbetrag sind Beträge anzurechnen, die dem Vergütungsberechtigten wegen einer solchen Erwerbsbehinderung nach sonstigen Vorschriften oder Vereinbarungen sowie aus einer anderweitigen während der Zeit der Erwerbsbehinderung aufgenommenen Erwerbstätigkeit zukommen.“

15 Mit der auf § 20 Abs. 4 EpiG gestützten Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS‑CoV‑2 („2019 neuartiges Coronavirus“) vom 28. Februar 2020, BGBl. II Nr. 74/2020, wurde die Möglichkeit des Setzens der in § 20 Abs. 1 bis 3 EpiG bezeichneten Vorkehrungen auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS‑CoV‑2 („2019 neuartiges Coronavirus“) geschaffen.

16 § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID‑19‑MG), BGBl. I Nr. 12/2020, lautete bis zur Novellierung mit 22. März 2020 durch BGBl. I Nr. 23/2020:

„Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren- und Dienstleistungen

§ 1. Beim Auftreten von COVID‑19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.“

17 Mit § 3 der auf Grund § 1 COVID‑19‑MG mit Wirksamkeit ab 16. März 2020 erlassenen und mit 30. April 2020 außer Kraft getretenen Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020, wurde das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe (mit hier nicht interessierenden Ausnahmen) untersagt. Mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2020, V 405/2020‑14, stellte der Verfassungsgerichtshof die Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmung in der Fassung BGBl. II Nr. 130/2020 fest, und sprach aus, dass die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

18 Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen vom 14. März 2020, FE5‑GES‑261/2020 (070/2020), betreffend die Schließung des Seilbahnbetriebes und von Beherbergungsbetrieben zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS‑CoV‑2, LGBl. Nr. 11/2020, lautete (Schreibweise im Original):

„Gemäß § 26 sowie 20 Abs. 1 und 4 Epidemiegesetz 1950, BGBl Nr. 186, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die Betriebsbeschränkung oder Schließung gewerblicher Unternehmungen bei Auftreten von Infektionen mit SARS‑CoV‑2 (2019 neuartiges Coronavirus“), BGBll1 Nr. 74/020, wird verordnet:

„§ 1 (1) Der Betrieb von Seilbahnen (§ 2 Abs. 1 Seilbahngesetz 2003) ist gemäß § 26 Epidemiegesetz 1950 eingestellt.

(2) Das Betriebsverbot nach Abs. 1 gilt nicht für Einzelfahrten in Notfällen oder im Fall einer im öffentlichen Interesse erforderlichen Anordnung der Bezirksverwaltungsbehörde.

§ 2 (1) Beherbergungsbetriebe (§ 111 Abs 1 Z 1 GewO1994) sind gemäß § 20 Abs 1 und 4 und der Verordnung BGBl I1 Nr. 74/2020 zu schließen. Die Bezirksverwaltungsbehörde darf über Antrag Ausnahmen vom Gebot nach Abs. 1 gewähren:

a) für Beherbergungsbetriebe gemäß Abs. 1 im Gebiet der Stadtgemeinde Feldkirchen

b) soweit sich die Schließung einzelner Betriebe als unverhältnismäßige Maßnahme erweist, wie dies insbesondere für die erforderliche Dauer einer geordneten Abreise von Gästen erforderlich ist.

§ 3 (1) Diese Verordnung tritt mit der Kundmachung der Verordnung in den Gemeinden des Bezirks (§ 6 Abs. 2 Epidemiegesetz 1950 in Verbindung mit § 15 K‑AGO), in Kraft.

(2) Diese Verordnung tritt mit Ablauf des 13. April 2020 außer Kraft.“

19 § 2 und § 111 der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194/1994, § 2 in der Fassung BGBl. I Nr. 107/2017, § 111 in der Fassung BGBl. I Nr. 94/2017, lauten (auszugsweise):

§ 2. (1) Dieses Bundesgesetz ist ‑ unbeschadet weiterer ausdrücklich angeordneter Ausnahmen durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften ‑ auf die in den nachfolgenden Bestimmungen angeführten Tätigkeiten nicht anzuwenden:

...

9.die nach ihrer Eigenart und ihrer Betriebsweise in die Gruppe der häuslichen Nebenbeschäftigungen fallenden und durch die gewöhnlichen Mitglieder des eigenen Hausstandes betriebenen Erwerbszweige;

...

(13) Für in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes fallende Tätigkeiten, die ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung ausgeübt werden, gelten die die Ausübung dieser Tätigkeit regelnden Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder von auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen sinngemäß. Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, die für Arbeitsverhältnisse zu Arbeitgebern gelten, welche ihre Tätigkeiten auf Grund von Gewerbeberechtigungen ausüben, haben auch für Arbeitsverhältnisse zu jenen Arbeitgebern Geltung, welche diese Tätigkeiten ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung ausüben. Dasselbe gilt auch für Arbeitsverhältnisse zu jenen Arbeitgebern, die diese Tätigkeiten auf Grund eines sonstigen Rechts gemäß § 32 Abs. 1a in einem eigenen Betrieb oder einer organisatorisch und fachlich abgegrenzten Betriebsabteilung (§ 9 Abs. 2 ArbVG) ausüben, sofern ansonsten für diese Arbeitsverhältnisse keine Norm der kollektiven Rechtsgestaltung gelten würde.

...

Gastgewerbe

§ 111. (1) Einer Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe (§ 94 Z 26) bedarf es für

1. die Beherbergung von Gästen;

2. die Verabreichung von Speisen jeder Art und den Ausschank von Getränken.

(2) Keines Befähigungsnachweises für das Gastgewerbe bedarf es für

1. ...

4. die Beherbergung von Gästen, wenn nicht mehr als zehn Fremdenbetten bereitgestellt werden, und die Verabreichung des Frühstücks und von kleinen Imbissen und der Ausschank von nichtalkoholischen Getränken und von Bier in handelsüblichen verschlossenen Gefäßen sowie von gebrannten geistigen Getränken als Beigabe zu diesen Getränken an die Gäste;

5. ...

...

(5) Bei der Gewerbeanmeldung (§ 339) ist die Betriebsart zu bezeichnen, in der das Gastgewerbe ausgeübt werden soll. Änderungen der Betriebsart sind der Behörde anzuzeigen; Änderungen einer in Abs. 2 genannten Betriebsart auf eine Betriebsart, für die ein Befähigungsnachweis für das reglementierte Gastgewerbe vorgeschrieben ist, sind im Verfahren gemäß § 339 anzumelden.“

20 Die revisionswerbende Partei bringt zur Begründung ihrer Revision vor, dass sie einen Gastgewerbebetrieb und einen Beherbergungsbetrieb führe, in dem zwei Hütten zur Beherbergung als Ferienwohnung vermietet würden. In der einen Hütte fänden bis zu acht Personen zuzüglich einem Gitterbett Platz, in der anderen Hütte vier Personen. Für jede Übernachtung werde auch die Ortstaxe entrichtet. Bei der von ihr ausgeübten Tätigkeit handle es sich weder ‑ infolge Überschreitens der Bettenhöchstzahl von zehn ‑ um eine nicht der Gewerbeordnung unterliegende Privatzimmervermietung, noch ‑ im Hinblick auf das zur Verfügung gestellte Inventar sowie die angebotenen Dienstleistungen ‑ um bloße Raummiete, sondern es sei von einer gewerbsmäßigen Gästebeherbergung auszugehen.

21 Diese gewerbliche Beherbergung habe aufgrund der genannten Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen geschlossen werden müssen. Der Begriff des Beherbergungsbetriebs in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft habe sich nicht bloß auf reglementierte Beherbergungsbetriebe gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 bezogen, sondern auch die freien Gastgewerbebetriebsarten, für die kein Befähigungsnachweis erforderlich sei, und die Privatzimmervermietung, deren Regelungskompetenz den Ländern zufalle, umfasst. § 2 Abs. 1 dieser Verordnung stelle auch nicht darauf ab, dass die Beherbergung gewerblich stattfinden müsse; der in Klammer gesetzte Verweis auf eine Gesetzesstelle diene lediglich der Definition des Begriffs eines Beherbergungsbetriebs. Die Frage, ob eine Gewerbeberechtigung vorliege, müsse wohl in Bezug auf die zu verhindernde Ansteckung mit SARS‑CoV‑2 im Hintergrund sein. Es könne nicht im Sinne des Verordnungsgebers sein, sollten durch die Verordnung nur Betriebe mit aufrechter Gewerbeberechtigung geschlossen worden sein, nicht aber auch etwa jene, die beispielsweise aufgrund ihrer geringen Größe von bis zu zehn Betten keinen Befähigungsnachweis benötigten. Der ‚teleos‘ der Verordnung liege vielmehr darin, dass alle Betriebe, die Beherbergung im faktischen Sinn betrieben, schließen sollten bzw. nicht betreten werden durften, um eine Ansteckung mit SARS‑CoV‑2 zu verhindern.

22 Das Zitat der Gesetzesstelle diene lediglich dazu, den Begriff der Beherbergung von Gästen der Gewerbeordnung zur Auslegung des in der Verordnung verwendeten Begriffs des „Beherbergungsbetriebs“ heranzuziehen. Da es sich bei der nicht mehr als zehn Fremdenbetten umfassenden Beherbergung von Gästen um eine Ausnahme von der Regel der gewerblichen Gästebeherbergung handle, sei auch diese vom Begriff „Beherbergungsbetrieb“ umfasst. Selbst wenn für den Betrieb der revisionswerbenden Partei eine Gewerbeberechtigung erforderlich gewesen sein sollte, würden nach § 2 Abs. 13 GewO 1994 die die Ausübung dieser Tätigkeit regelnden Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder von auf Grund dieses Bundesgesetztes erlassenen Verordnungen für in den Anwendungsbereich der Gewerbeordnung 1994 fallende Tätigkeiten, die ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung ausgeübt würden, sinngemäß gelten. Auch in diesem Fall habe die revisionswerbende Partei daher Anspruch auf die beantragte Vergütung gemäß § 32 EpiG.

23 Ferner sieht die revisionswerbende Partei dadurch den Gleichheitsgrundsatz verletzt, dass mit Verordnungen der Bezirkshauptmannschaften im Bundesland Tirol sämtliche Gastgewerbebetriebe ‑ also auch jene im Sinn des § 111 Abs. 1 Z 2 GewO 1994 ‑ geschlossen worden seien. Auch in der erst später erlassenen COVID‑19‑Maßnahmenverordnung, BGBl. II Nr. 197/2020, seien Beherbergungs- und Gasthausbetriebe gleichbehandelt worden.

24 Schließlich habe das Verwaltungsgericht trotz Antrags keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Dabei hätte es zu prüfen gehabt, ob der Betrieb der revisionswerbenden Partei ein Beherbergungsbetrieb (und keine bloße Vermietung) sei und hätte in diesem Zusammenhang nicht bloß auf das Vorliegen einer Gewerbeberechtigung abstellen dürfen. Es könne schon im Hinblick auf § 2 Abs. 13 GewO 1994 nicht nur das Vorliegen einer Gewerbeberechtigung einen Vergütungsanspruch begründen.

25 Zunächst ist der revisionswerbenden Partei zu ihrem Vorbringen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz, den sie darin erblickt, dass die von Bezirkshauptmannschaften im Bundesland Tirol erlassenen ‑ im Übrigen aber vergleichbaren ‑ Verordnungen sämtliche Gastgewerbebetriebe erfasst hätten und nicht bloß Beherbergungsbetriebe wie jene in Kärnten, zu erwidern, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Prüfung einer behaupteten Verletzung des Gleichheitssatzes gemäß Art. 133 Abs. 5 B‑VG nicht berufen ist, weil es sich insofern um ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht handelt. Aber auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes besteht kein Rechtsanspruch auf das Fortbestehen wirtschaftlich belastender Verordnungen (VfGH 14.7.2020, V 355‑356/2020), weshalb auch im vorliegenden Fall ein subjektiv‑öffentliches Recht, dass zu Lasten der revisionswerbenden Partei stärker einschränkende Maßnahmen erlassen würden, zu verneinen ist. Dies kann hier jedoch auch schon deshalb dahinstehen, weil von der revisionswerbenden Partei kein aus dem Betrieb ihres Gasthauses resultierender Verdienstentgang angesprochen wurde, sondern nach den insoweit nicht bestrittenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ausschließlich ein solcher aus ihrem Beherbergungsbetrieb.

26 Für die entscheidende Frage, ob der von der revisionswerbenden Partei aus ihrem ohne erforderliche Gewerbeberechtigung betriebenen Beherbergungsbetrieb resultierende Verdienstentgang infolge Schließung der Beherbergungsbetriebe nach § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 gemäß § 20 EpiG durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen ein Anspruch nach § 32 EpiG zusteht, ist es einerseits erforderlich, dass der Beherbergungsbetrieb der revisionswerbenden Partei von der Verordnung umfasst war, zum anderen aber auch, dass überhaupt ein ersatzfähiger Anspruch geltend gemacht wurde.

27 Vorweg ist festzuhalten, dass die in der Revision aufgeworfene Frage, ob von der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft auch Beherbergungsbetriebe nach § 111 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 oder eine Privatzimmervermietung nach § 2 Abs. 1 Z 9 GewO 1994 erfasst waren, hier nicht von Relevanz ist, bedurfte die von der revisionswerbenden Partei ausgeübte Beherbergung doch unstrittig eine Gewerbeberechtigung nach § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994.

28 Der revisionswerbenden Partei ist jedoch insoweit zuzustimmen, als für die Bekämpfung der Pandemie von der die Verordnung erlassenden Gesundheitsbehörde das Unterbleiben von Beherbergungen für erforderlich erachtet wurde. Die deshalb erlassene Verordnung kann daher nur dahingehend verstanden werden, dass sämtliche (jedenfalls die unter § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 zu subsumierenden) Beherbergungsbetriebe durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft nach § 20 EpiG geschlossen wurden, unabhängig davon, ob eine erforderliche Gewerbeberechtigung erteilt war oder nicht.

29 § 2 Abs. 13 GewO 1994 ordnet nur die sinngemäße Geltung der für ein Gewerbe geltenden Vorschriften der Gewerbeordnung 1994 und der auf ihrer Basis erlassenen Verordnungen, sowie von kollektivvertraglichen Regelungen (siehe VwGH 29.6.1999, 97/08/0647, unter Hinweis auf OGH 14.5.1997, 9 ObA 131/97y), auch für die unbefugt ausgeübten Tätigkeiten an. Eine solche Verordnung ist die hier zu beurteilende nicht. Dennoch wurde auch für den eine Gewerbeberechtigung nach § 111 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 benötigenden Betrieb, für den eine solche jedoch nicht erteilt war, mit der in Rede stehenden Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen die Schließung nach § 20 EpiG aus epidemiologischen Gründen verordnet. Die gegenteilige Ansicht hätte zum Ergebnis, dass gerade jene Betriebe die unbefugt ohne Gewerbeberechtigung betrieben wurden, nicht zum Zweck der Verhinderung der Verbreitung der Viruserkrankung geschlossen worden wären, oder deren Verstöße gegen die gebotene Schließung nach § 20 EpiG nicht gemäß § 40 Abs. 1 lit. c EpiG zu verfolgen wären. Ein solches Ergebnis kann weder dem Gesetzgeber des Epidemiegesetzes 1950 noch der verordnungserlassenden Behörde zugesonnen werden.

30 Davon ist jedoch die Frage der Vergütung von Verdienstentgang zu trennen. Nach § 32 Abs. 1 EpiG ist Vergütung für die „durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile“ zu leisten.

31 Die Verordnung war auf § 20 EpiG gestützt. Ein Ersatzanspruch ist daher nach § 32 Abs. 1 Z 4 und 5 EpiG ‑ hier in Verbindung mit § 32 Abs. 3 und 4 EpiG ‑ zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, ob überhaupt ein ersatzfähiger Verdienstentgang vorliegt. Die Wendung „durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile“ ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf den Begriff „ihres Erwerbes“ nun nicht rein faktisch dahin zu verstehen, dass jeglicher Vermögensnachteil, gleich ob er rechtmäßig oder unter Verstoß gegen gesetzliche Normen verdient worden wäre, zu ersetzen wäre, sondern er enthält das mitzulesende und zugrundeliegende Verständnis, dass es sich um einen Vermögensnachteil aus einem für den Anspruchsteller zulässigen Erwerb handeln muss.

32 Insoweit ist jedoch zwischen den Ansprüchen nach § 32 Abs. 1 Z 5 iVm Abs. 4 EpiG und jenen nach § 32 Abs. 1 Z 4 iVm Abs. 3 EpiG zu unterscheiden. Während der zunächst genannte Vermögensnachteil unmittelbar im Vermögen des selbständig Erwerbstätigen eintritt und daher an den oben ausgeführten Kriterien zu messen ist, tritt der zweitgenannte Verdienstentgang zunächst im Vermögen der unselbständig Beschäftigten ein. Nach § 32 Abs. 3 zweiter Satz EpiG haben die Arbeitgeber ihnen (d.h. den in einem Arbeitsverhältnis stehenden Personen) den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Nach § 32 Abs. 3 dritter Satz EpiG geht der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über (siehe VwGH 24.6.2021, Ra 2021/09/0094). Der Arbeitgeber macht insoweit daher einen Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Bund geltend, den er ‑ aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ‑ eingelöst hat. Hier ist die Vergütung daher am Anspruch des Dienstnehmers zu prüfen.

33 Schließlich ist bei der Beurteilung der Ersatzfähigkeit des Verdienstentgangs die Kausalität der durch die Verordnung nach § 20 EpiG verordneten Schließung für den Vermögensnachteil zu berücksichtigen (siehe dazu VwGH 16.11.2021, Ro 2021/03/0018).

34 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

35 Vor allem ist aber zu dem in der Revision gerügten Unterbleiben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auszuführen, dass gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung nur absehen kann, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen. Gemäß der zu § 24 Abs. 4 VwGVG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs lassen die Akten dann erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann.

36 Der Entfall einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kommt dann nicht in Betracht, wenn Art. 6 MRK und Art. 47 GRC die Durchführung einer solchen gebieten. Ein Sachverhalt, der zur Anwendung des Unionsrechts führte, liegt im Revisionsfall nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte liegt eine Ausnahme von der Verhandlungspflicht dann vor, wenn das Verfahren nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen oder nur hochtechnische Fragen betrifft (vgl. zum Ganzen VwGH 13.9.2017, Ra 2016/12/0097, mwN; siehe auch VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0051; 21.4.2015, Ra 2015/09/0009).

37 Der angesprochene Verdienstentgang nach § 32 EpiG fällt zweifellos unter den Begriff der „civil rights“ im Verständnis des Art. 6 Abs. 1 MRK (vgl. VwGH 26.11.2020, Ra 2020/11/0177, zu Verdienstentgang nach dem Verbrechensopfergesetz).

38 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hielt der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt fest, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhalts und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte. Zweck einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist grundsätzlich nicht nur die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auf das Urteil vom 19. Februar 1998 im Fall Jacobsson gegen Schweden (Nr. 2), Zl. 8/1997/792/993, par. 49 (ÖJZ 1998, 4), hingewiesen, in welchem der Entfall einer mündlichen Verhandlung als gerechtfertigt angesehen wurde, weil angesichts der Beweislage vor dem Gerichtshof und angesichts der Beschränktheit der zu entscheidenden Fragen „das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte“. Der Verwaltungsgerichtshof hat in solchen Fällen eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind und in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen wurden, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. zum Ganzen 16.12.2019, Ra 2018/03/0066, u.a., mwN).

39 Zudem ist bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (VwGH 24.6.2021, Ra 2021/09/0008, mwN).

40 Zwar wurden im vorliegenden Fall die vom Verwaltungsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen in der Revision nicht bekämpft und es war auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der relevante Sachverhalt nicht strittig, legte das Verwaltungsgericht seinem Erkenntnis doch das (ohnedies unstrittige) Tatsachenvorbringen der revisionswerbenden Partei zu Grunde. Schon im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht zu der vorliegenden, keineswegs als besonders einfach zu bezeichnenden Rechtsfrage nicht auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zurückgreifen konnte, wäre eine mündliche Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht geboten gewesen.

41 Im fortzusetzenden Verfahren wird das Verwaltungsgericht daher eine mündliche Verhandlung durchzuführen und sich mit dem geltend gemachten Verdienstentgang auseinanderzusetzen haben.

42 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen der vorrangig aufzugreifenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

43 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

44 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. Eine solche mündliche Verhandlung wird das Verwaltungsgericht im fortzusetzenden Verfahren durchzuführen haben.

Wien, am 16. Dezember 2021

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